Tarifliche Regelungen zur betrieblichen Weiterbildung wurden von den Tarifparteien spätestens seit dem letzten Jahrzehnt flächendeckend auch in großen Branchen vereinbart (Bahnmüller/Hoppe 2012). Allein die Qualifizierungsvereinbarungen in der chemischen Industrie (2003), der Metall- und Elektroindustrie (2001 und 2006), im öffentlichen Dienst (2005/2006) und im Versicherungsgewerbe (2007) regelten laut Bahnmüller und Hoppe Weiterbildungsansprüche für 5 Mio. Beschäftigte. Regelungen zur Ermittlung des betrieblichen Weiterbildungsbedarfs und Bedingungen für Qualifizierungsgespräche sind häufig Bestandteile dieser Vereinbarungen. Ein zentraler Regelungsgegenstand ist auch die Weiterbildungsfinanzierung. Dabei tragen die Arbeitgeber grundsätzlich die Kosten für betrieblich notwendige oder zweckmäßige Qualifizierungsmaßnahmen. Je nach Art der Qualifizierungsmaßnahme kann jedoch auch ein Eigenbeitrag der Beschäftigten vereinbart werden. In den Tarifvereinbarungen der chemischen Industrie oder des öffentlichen Dienstes werden die Betriebsparteien aufgefordert, hierbei „die Grundsätze einer fairen Kostenverteilung unter Berücksichtigung des betrieblichen und individuellen Nutzens“ zu wahren. Die Mehrzahl der tariflichen Qualifizierungsvereinbarungen schreibt eine einzelbetriebliche Finanzierung der Weiterbildung fest. Nur wenige Tarifverträge beteiligen alle Betriebe des Tarifbereichs über ein Fondssystem an der Weiterbildungsfinanzierung und begreifen damit die Qualifizierung von Fachkräften nicht mehr als einzelbetriebliches Problem, sondern als Herausforderung für die gesamte Branche (Berger/Moraal 2012).
Tariffonds zur Weiterbildungsfinanzierung
Der zentrale Ansatz eines tariflichen Branchenfonds zur Finanzierung betrieblicher Weiterbildung beruht auf der Entkopplung der betrieblichen Weiterbildungsentscheidung von der betrieblichen Weiterbildungsfinanzierung. So zahlen alle Betriebe, die einem solchen Tarifvertrag unterliegen, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Bruttolohnsumme oder einen festen Beitrag pro Beschäftigten in einen meist von beiden Tarifparteien paritätisch verwalteten Fonds ein Tabelle B3.6-1. Aus diesem Fonds können Betriebe, die in die Weiterbildung ihrer Beschäftigten investieren, ihre Kosten refinanzieren.
Bahnmüller (2009) hebt 3 Vorteile der tariflichen Fondsfinanzierung hervor. So ermöglichen Tariffonds eine Weiterbildungsfinanzierung unabhängig von konjunkturellen Schwankungen und der aktuellen wirtschaftlichen Lage eines Betriebes, wenngleich die Beitragszahlung an die Beschäftigtenzahlen in der jeweiligen Branche gekoppelt ist und die Höhe der zur Verfügung stehenden Fondsmittel somit auch von der aktuellen Wirtschaftslage abhängig ist. Durch die paritätische Beteiligung von Arbeitgebern und Gewerkschaften orientieren sich Finanzierungsentscheidungen weniger an betrieblichen Einzelinteressen, sondern mehr am Bedarf der gesamten Branche. In eher klein- und mittelbetrieblich geprägten Branchen entlasten Tariffonds gerade kleinere Einzelbetriebe nicht nur finanziell, sondern auch bei der Organisation von Weiterbildungsmaßnahmen.
Tariffonds beruhen auf „Kompensationstarifverträgen“ in eher kleinen Branchen
Trotz der hier genannten Vorteile stimmen die Arbeitgeberverbände einer Fondslösung zur Weiterbildungsfinanzierung oft erst dann zu, wenn die Gewerkschaften ihrerseits auf andere Forderungen verzichten. Insofern handelt es sich bei Qualifizierungstarifverträgen immer um sogenannte „Kompensationstarifverträge“, da der Finanzierungsbeitrag der Arbeitgeber meist durch Verzicht der Arbeitnehmer/-innen kompensiert wird. So nahmen diese beim Tariffonds der Textil- und Bekleidungsindustrie z. B. eine geringere Steigerung ihres Urlaubsgeldes in Kauf. Auch bei dem erstmals für Leiharbeiter/-innen vereinbarten Qualifizierungstarifvertrag werden zwar die Weiterbildungskosten über den Tariffonds bzw. vom Arbeitgeber getragen. Hingegen ist der Zeitaufwand für die Weiterbildung durch die auf einem Arbeitszeitkonto angesammelte Mehrarbeit der Leiharbeiter/-innen zu bestreiten.
Bisher einigten sich die Tarifparteien vorrangig kleinerer Branchen mit meist klein- und mittelbetrieblicher Struktur auf die Einrichtung eines überbetrieblichen Tariffonds zur Weiterbildungsfinanzierung. Entsprechend liegt die Zahl der Beschäftigten, die insgesamt in den Geltungsbereich eines Tariffonds fallen, bei nur knapp 100.000. Noch geringer ist hierbei die Zahl der Beschäftigten, für deren betriebliche Weiterbildung diese Fonds genutzt werden. So finanzierten z. B. die tarifgebundenen Arbeitgeber in der Textil- und Bekleidungsindustrie ihre Weiterbildungsaktivitäten gerade einmal bei knapp 2 % der insgesamt 51.534 Beschäftigten über den Weiterbildungsfonds. Im Durchschnitt nahmen sie dabei 392 € pro Weiterbildungsteilnehmer/-in in Anspruch. Damit veränderten sich die fondsfinanzierten Weiterbildungsaktivitäten in der Textil- und Bekleidungsindustrie auf Arbeitgeberseite kaum gegenüber den Vorjahren 2011 und 2012. Intensiver wurde der tarifliche Qualifizierungsfonds hingegen in der Miederindustrie genutzt. Mehr als ein Drittel (35 %) der rund 1.700 Beschäftigten profitierte im Jahr 2013 mit jeweils durchschnittlich rund 1.500 € von einer fondsfinanzierten Weiterbildung. Dieser Beschäftigtenanteil hatte sich gegenüber den Vorjahren 2011 und 2012 mehr als verdoppelt. Auch der Qualifizierungsfonds Land- und Forstwirtschaft in Schleswig-Holstein trug im letzten Jahr bei 17 % der gut 4.800 ständig beschäftigten Arbeitnehmer/-innen mit durchschnittlich 273 € pro Teilnahme zur Finanzierung von beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen bei. Während dieser Finanzierungsbetrag pro weitergebildeten Beschäftigten in den letzten 3 Jahren weitgehend gleich blieb, war der Anteil der Beschäftigten, die hiervon profierten, im Vergleich zum Jahr 2011 (13 %) gestiegen. Im Gerüstbaugewerbe lag der Anteil der Beschäftigten, deren Weiterbildung über die Sozialkasse im Zeitraum 2010 bis 2012 finanziert wurde, bei knapp 2 %. Hierbei wurden schätzungsweise durchschnittlich 6.000 € z. B. für eine Fortbildung zum geprüften Gerüstbau-Kolonnenführer oder Gerüstbau-Fachmonteur aus der Sozialkasse erstattet.
Das derzeit von tariflichen Weiterbildungsfonds verwaltete Mittelvolumen lässt sich nicht genau beziffern, da es nicht immer ausschließlich für Weiterbildung, sondern auch für Ausbildung, Altersvorsorge und Gesundheitsförderung der Arbeitnehmer/-innen verwendet wird. Schätzungsweise standen 2012 und 2013 jeweils tarifliche Fondsmittel in Höhe von ca. 4,9 Mio. € für die Finanzierung der beruflichen Weiterbildung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Verfügung. Hiervon wurden in den betreffenden Branchen rund 3,9 Mio. € zur Finanzierung der Weiterbildungsteilnahme der Beschäftigten ausgezahlt.
Tarifliche Fonds zur Finanzierung der Weiterbildungsteilnahme bestehen derzeit in den folgenden Branchen:
Textil- und Bekleidungsindustrie
Im Wirtschaftsbereich Textil und Bekleidung haben sich die Tarifparteien von 3 kleinen Branchen auf überbetriebliche Fondslösungen zur Weiterbildungsfinanzierung geeinigt. Zu Beginn des Jahres 2012 trat die neu verhandelte Tarifvereinbarung zur überbetrieblichen Fondsfinanzierung der Weiterbildung in der Miederindustrie in Kraft. Erstmals wurde dieser Tariffonds im Jahr 1963 ausgehandelt und seitdem immer wieder verlängert. In der aktuellen Vereinbarung verpflichten sich die Arbeitgeber, 3,4 % der Bruttolohn- und Gehaltssumme in einen Fonds zur Altersversorgung, Bildung und Gesundheitsförderung der Arbeitnehmer/-innen einzuzahlen.
In der Branche Textil Service trat im Jahr 2009 ein Tarifvertrag in Kraft, bei dem der Industrieverband Textil Service – intex – e. V. und die IG Metall übereinkamen, „die Aus-, Fort-, Weiterbildung, präventiven Gesundheitsschutz sowie die Altersversorgung der Beschäftigten zu fördern“. Die intex-Mitgliedsbetriebe verpflichten sich zu diesem Zweck, jährlich 35 € je Beschäftigten an einen Verein zur Verwaltung des Tariffonds abzuführen.
Im Jahr 1997 vereinbarten die Tarifparteien der Textil- und der Bekleidungsindustrie den Tarifvertrag zur Förderung von Aus-, Fort- und Weiterbildung der Beschäftigten in diesem Industriezweig. Zentrale Elemente dieses Tarifvertrags waren die Regelung eines individuellen Weiterbildungsanspruchs für die Beschäftigten bei gleichzeitiger Begrenzung des jährlichen Anspruchs auf maximal 2 % der Belegschaft und die Einführung eines paritätisch verwalteten Bildungsfonds. Die Fondsmittel stehen jeweils zur Hälfte für arbeitgeberseitig und für arbeitnehmerseitig veranlasste Weiterbildung zur Verfügung.
Land- und Forstwirtschaft
Mitte der 1990er-Jahre vereinbarten die für Land- und Forstwirtschaft zuständigen Tarifparteien einen tariflichen „Qualifizierungsfonds“ für das ostdeutsche Tarifgebiet. Die Besonderheit dieses Fonds bestand darin, dass über ihn Qualifizierungsmaßnahmen gefördert wurden, die sich auch an ehemalige Beschäftigte in der Land- und Forstwirtschaft richteten, die eine Wiederaufnahme der land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit anstrebten. Mit Datum vom 10. November 2006 wurde der Qualifizierungsfonds der Land- und Forstwirtschaft e. V. (QLF) schließlich liquidiert. Die Modalitäten des eingestellten Tariffonds waren im Jahr 2001 Vorbild für die Errichtung von Qualifizierungsfonds, die die Tarifparteien der Forstwirtschaft in Niedersachsen und der Land- und Forstwirtschaft in Schleswig-Holstein sowie in Hessen vereinbarten.
Gerüstbaugewerbe
Der finanziell bedeutendste Tariffonds mit langer Tradition ist die Sozialkasse im Gerüstbaugewerbe (Berger/Häusele/Moraal 2012). Die Tarifvertragsparteien des Gerüstbaugewerbes vereinbarten dieses tarifliche Fondsmodell im Jahr 1981. Aus dieser Sozialkasse werden die tarifvertraglich geregelten Sozialleistungen einschließlich der Kosten für die berufliche Aus- und Weiterbildung finanziert. Förderfähig sind nach Tarifvertrag dieser Branche nur die Fortbildungslehrgänge zum/zur geprüften Gerüstbau-Kolonnenführer/-führerin, zur Vorbereitung auf die Ausbildereignungsprüfung und zur Abschlussprüfung Gerüstbauer/Gerüstbauerin gemäß § 45 Abs. 2 Berufsbildungsgesetz. Die Teilnahmen an diesen Lehrgängen wurden im Jahr 2012 mit 1,9 Mio. € aus der Sozialkasse bezuschusst.
Feinstblechpackungsindustrie
Die Einrichtung von Weiterbildungsfonds wurde auch in der Feinstblechpackungsindustrie im Jahr 2002/2004 mit einem Qualifizierungstarifvertrag vereinbart. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen überbetrieblichen Qualifizierungsfonds, der für alle Mitgliedsbetriebe der Tarifgemeinschaft Feinstblechpackungsindustrie gemeinsam zu bilden war. Vielmehr verpflichtet der Tarifvertrag die Mitgliedsbetriebe, einen entsprechenden Fonds „auf betrieblicher Ebene“ einzurichten. Vereinbart wurde, dass in diesen jeweils vom Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam verwalteten Qualifizierungsfonds „1,3645 % der jährlichen Entgeltsumme (…) der unter den persönlichen Geltungsbereich fallenden Beschäftigten“ abgeführt werden. Direkte Weiterbildungskosten wie z. B. Lehrgangskosten werden über diesen Fonds erstattet, während der Arbeitgeber alle „indirekten oder Folgekosten“ z. B. Vertretungskosten trägt.
Weiterbildungsfonds Zeitarbeit
Eine weitere Ausnahme stellt die tarifliche Fondsregelung zur Finanzierung beruflicher Weiterbildung von Leiharbeitern dar, die zwischen der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und dem Zeitarbeitsunternehmen Technicum GmbH (Tochter der USG People Germany) im Dezember 2011 vereinbart wurde (vgl. BIBB-Datenreport 2013, Kapitel B3.6). Seit Oktober 2013 fließen monatlich 0,8 % der Bruttolohnsumme des Mitgliedsunternehmens Technicum in diesen Fonds ein. Der Tarifvertrag legt weiter fest, dass „zusätzliche Mittel für den ‚Weiterbildungsfonds Zeitarbeit‘ (…) auf freiwilliger Basis durch die Entleihkunden der Zeitarbeitsunternehmen erbracht werden“ können. Den Zeitaufwand für die Weiterbildung müssen die Leiharbeiter/-innen allerdings „durch Abbau von Zeitguthaben aus dem Arbeitszeitkonto“ bestreiten. Im Frühjahr 2014 sollen erste fondsfinanzierte Qualifizierungsmaßnahmen für Leiharbeitnehmer/-innen beantragt werden können.
Die Tabelle B3.6-1 verdeutlicht, dass die für Weiterbildung zur Verfügung stehenden Fondsmittel oft nur zum Teil ausgeschöpft werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Tariffonds weder im Gerüstbaugewerbe noch in den Textilbranchen ausschließlich auf die alleinige Weiterbildungsfinanzierung fokussiert sind. Sie dienen teilweise ebenso der Ausbildungsfinanzierung wie auch der Förderung anderer tariflich festgelegter Sozialleistungen. In diesem Zusammenhang ist auch der im Jahr 2008 in der chemischen Industrie aufgelegte Demografiefonds zu erwähnen. Er dient in erster Linie der Schaffung alters- und leistungsgerechter Arbeitsbedingungen und flexibler Übergänge in den Ruhestand. In der Verbindung mit Langzeitkonten ist allerdings auch hier eine Fondsnutzung für Qualifizierungszwecke nicht ausgeschlossen. Das Beispiel des Demografietarifvertrags in der chemischen Industrie zeigt, dass derartige tarifliche Fondsmodelle zur Berufsbildungsfinanzierung nicht auf kleine Branchen begrenzt bleiben müssen. Dies verdeutlicht auch ein Blick in die Niederlande. Im Jahr 2007 wurden hier 140 Aus- und Weiterbildungsfonds (O&O Fonds) in 116 Wirtschaftszweigen gezählt. 86 % der 6,9 Mio. Arbeitnehmer/-innen in den Niederlanden fielen dabei in den Geltungsbereich dieser O&O Fonds (Donker van Heel u. a. 2008, S. 10).
(Klaus Berger)