Der LFS enthält seit vielen Jahren auch Fragen zu Aus- und Weiterbildung, bezogen auf einen Zeitraum von 4 Wochen vor der Befragung. Ab 2003 wurde „die Unterscheidung zwischen formaler Bildung und anderen Formen von Lernaktivitäten“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaft 2002, Artikel 1) eingeführt und die Definition von lebenslangem Lernen erweitert. Die „anderen Formen“ von Lernaktivitäten, die auch als „Unterrichtsaktivitäten“ (taught activities) bezeichnet werden, umfassen Lehrgänge, Seminare, Konferenzen und Privatunterricht. Die im LFS verwendeten Konzepte entsprechen teilweise der Classification of Learning Activities (CLA; Eurostat 2006).
Formen der Bildungsbeteiligung: Definition der formalen und non-formalen Bildung und des informellen Lernens
Die Klassifikation der Lernaktivitäten (CLA; Eurostat 2006) unterscheidet 3 Formen von Lernen/Bildung:
- Die formale Bildung findet innerhalb des nationalen Bildungssystems statt, das aus Schule, Berufsbildung und Tertiärbildung besteht. Die erzielbaren Zertifikate sind im jeweiligen nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) verortet (reguläre Bildungsgänge), die Bildungsgänge sind hierarchisch strukturiert mit einer Abfolge von Stufen und Klassen (Eurostat 2006, S. 23).
- Die non-formale Bildung beinhaltet Lernaktivitäten außerhalb des formalen Bildungssystems. Die strukturierte Aktivität führt entweder zu keinem Zertifikat oder zu einem, das nicht im NQR verortet ist. Dazu gehören alle Aktivitäten im Rahmen einer Lehrer-Lerner-Beziehung, also Kurse, Seminare, Konferenzen, Fernstudien, Privatunterricht. Auch geplantes Training und Schulung am Arbeitsplatz in Anwesenheit eines Tutors (Vorgesetzte, Kollegen) gehören dazu (Eurostat 2006, S. 23–25).
- Das informelle Lernen umfasst sämtliche Aktivitäten, die explizit einem Lernziel dienen, aber weniger strukturiert sind. Zum informellen Lernen gehören zum einen Lernaktivitäten außerhalb von Lehr-/Lernsettings (Verwendung von Lehrmitteln, Beobachten anderer Personen, Lern- oder Qualitätszirkel). Zum anderen gehören auch Lernaktivitäten mit einem Coach, Experten o. ä. dazu, z. B. spontane Anleitung durch Kollegen oder Vorgesetzte bei akuten Problemen am Arbeitsplatz.270 Informelles Lernen kann fast überall stattfinden, z. B. in der Familie, mit Freunden oder am Arbeitsplatz. Die CLA schließt nicht-intentionales Lernen auch beim informellen Lernen aus (Eurostat 2006, S. 9 und 25/26).
LFS und AES beziehen sich für die Erfassung der Bildungsaktivitäten beide auf die CLA. Während im AES alle 3 Lernformen erhoben werden, bezieht der LFS das informelle Lernen nicht mit ein und berücksichtigt bei den non-formalen Bildungsaktivitäten das Lernen am Arbeitsplatz nicht.
Die Beteiligung an regulärer Bildung, wie sie im LFS derzeit gemessen wird, weist kaum Unterschiede zu formaler Bildung in der CLA auf. Die Beteiligung an non-formaler Bildung (Lehrgänge, Seminare, Konferenzen oder Privatunterricht) ist im LFS jedoch eng definiert; insbesondere das vorausgeplante Training am Arbeitsplatz (guided on the job training) ist nicht enthalten. Der LFS liefert daher derzeit nur Informationen zur Beteiligung an ausgewählten Typen non-formalen Lernens.
Die Formulierung der Fragen und die Ausführlichkeit von Erläuterungen und Beispielen ist in den teilnehmenden Staaten unterschiedlich (Eurostat 2013c). Holford und Mleczko (2012) machen auf Zusammenhänge der Formulierung der Fragen im LFS mit der jeweils gemessenen Beteiligung am lebenslangen Lernen aufmerksam. Die stellvertretende Beantwortung durch ein anderes Haushaltsmitglied (Proxy-Interview), die in allen EU-Mitgliedstaaten möglich ist, dürfte zu einer verzerrten Schätzung der Teilnahme am lebenslangen Lernen führen (Kuwan/Larsson 2008, S. 24 f.) – vor allem Lernaktivitäten außerhalb des regulären Bildungssystems dürften davon betroffen sein.
Der LFS-Indikator zum lebenslangen Lernen, der auch für den Benchmark im Rahmen der Lissabon-Strategie genutzt wird, steht seit vielen Jahren zur Verfügung. Allerdings haben die erwähnten konzeptionellen Veränderungen zu Brüchen in der Zeitreihe geführt; die kräftigen Anstiege in den Jahren 2003 und 2004 spiegeln kaum reale Verbesserungen, sondern vor allem die Erweiterung der Definitionen wieder (Behringer/Pfeifer 2005). Ab 2005 sind starke methodische Veränderungen zwar seltener geworden, beeinträchtigen aber immer noch die Vergleichbarkeit zwischen den Ländern und im Zeitverlauf.
Arbeitskräfteerhebung (LFS = Labour Force Survey)
Die Arbeitskräfteerhebung ist eine vierteljährliche Stichprobenbefragung von Haushalten, die auf der Grundlage von Verordnungen der europäischen Kommission und des Rates (Rat der Europäischen Union 1998; Europäische Kommission 2008a) regelmäßig in den EU-Mitgliedstaaten, den Beitrittskandidatenländern und den Ländern der europäischen Freihandelszone EFTA durchgeführt wird. In Deutschland ist sie in den Mikrozensus integriert. In den einbezogenen Haushalten sind Interviews mit allen Haushaltsmitgliedern im Alter von 15/16 und mehr Jahren zu führen. Für die Erhebung werden in allen beteiligten Ländern einheitliche Definitionen und Erhebungsmerkmale angestrebt; der Harmonisierungsprozess ist bei den Fragen zum lebenslangen Lernen jedoch noch nicht abgeschlossen. Die Erhebung liefert vor allem Informationen zum Arbeitsmarkt, aber auch zu Bildungsstand und Aus- und Weiterbildung.
Der Stichprobenansatz ist in den Mitgliedstaaten nicht einheitlich; europaweit wurden 2012 in einem durchschnittlichen Quartal rund 1,4 Mio. Personen im Alter zwischen 15 und 74 Jahren einbezogen (in Deutschland je Quartal rund 130.000 Personen; vgl. Eurostat 2013d). In Deutschland, in 10 anderen Staaten der EU, in Norwegen, der Türkei und partiell in der Schweiz besteht Auskunftspflicht der Befragten bzw. des Haushalts. Die Antwortquote lag 2012 zwischen 28 % und 98 %; der höchste Wert wurde in Deutschland erreicht. Allerdings können im LFS die Fragen an die einzelnen Personen im Haushalt durch eine andere erwachsene Person im Haushalt stellvertretend beantwortet werden. Ein erheblicher Teil der Antwortquote wird durch solche Proxy-Interviews erreicht; ihr Anteil lag zwar 2012 in den nordischen Mitgliedstaaten recht niedrig, in den meisten Staaten Europas jedoch zwischen 20 % und 50 % (Deutschland: 26 %), in 4 Staaten sogar über 50 %.
Der LFS ist die Datenbasis für den Benchmark zum lebenslangen Lernen. Die Beteiligung am lebenslangen Lernen wird gemäß Verordnung EG Nr. 377/2008 der Kommission (Europäische Kommission 2008a) in 2 Formen erhoben. Gefragt wird dabei, ob die befragte Person im Zeitraum der letzten 4 Wochen vor der Befragung
- Schüler/-in, Student/-in oder Auszubildende/-r in einem regulären Bildungsgang war,
- außerhalb des regulären Bildungssystems an Lehrgängen, Seminaren oder Konferenzen teilgenommen oder Privatunterricht erhalten hat.
In ergänzenden Hinweisen von Eurostat (2011a) wird empfohlen, diese direkten Fragen mit Beispiellisten zu ergänzen. Die Staaten setzen diese Empfehlung unterschiedlich um. Eurostat veröffentlicht die Ergebnisse des LFS zum lebenslangen Lernen in seiner frei zugänglichen Datenbank. Die anonymisierten EU-Mikrodaten des LFS sind für die Forschung zugänglich.
Quellen: Rat der Europäischen Union 1998; Europäische Kommission 2008a; Eurostat 2011a; Eurostat 2013d
Tabelle C1-1: Zusammenfassung der wichtigsten Merkmale von LFS, AES und CVTS
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Die Grenze zwischen non-formalen und informellen Lernaktivitäten am Arbeitsplatz wird von Kuwan/Seidel (2013) kritisch diskutiert.