Alle europäischen Länder sind vom demografischen Wandel betroffen, das Ausmaß ist jedoch unterschiedlich. Wegen der steigenden Lebenserwartung wurden in vielen Ländern die Rentensysteme reformiert und das Renteneintrittsalter erhöht. Der Anteil der Älteren wird in der Gesamtbevölkerung, aber insbesondere auch unter den Erwerbstätigen, weiter zunehmen. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, das vorhandene Wissen über einen längeren Zeitraum aktuell zu halten und an neue Herausforderungen anzupassen. Eine stärkere Beteiligung Älterer an Weiterbildung steht daher in vielen Ländern auf der bildungspolitischen Agenda.
Für die nachfolgende Analyse werden die Beteiligungsquoten der einzelnen Altersgruppen nicht in absoluter Höhe, sondern jeweils in Relation zueinander verwendet. Die Teilnahmequote der mittleren Altersgruppe (35 bis 54 Jahre) stellt dabei in jedem Land die Bezugsgröße dar, deren Teilnahmequote auf 100 % gesetzt wird. Für die jüngere (25 bis 34 Jahre) und die ältere Altersgruppe (54 bis 64 Jahre) werden entsprechend relative Beteiligungsquoten berechnet.
Nach den Ergebnissen des AES 2011/2012290 ist die Teilnahmequote der Jüngeren an formaler und non-formaler Aus- und Weiterbildung in allen europäischen Ländern höher und die der Älteren niedriger als jene der Referenzgruppe der 35- bis 54-Jährigen Tabelle C3.1-1. Dabei sind die Unterschiede zwischen der jüngeren und der mittleren Altersgruppe in fast allen Staaten wesentlich geringer als die zwischen der mittleren und der älteren Altersgruppe. Im europäischen Durchschnitt ist die relative Teilnahmequote der Jüngeren 14 % höher als die der Referenzgruppe, bei den Älteren ist sie 37 % niedriger.
In einigen Ländern sind die Unterschiede zwischen den 25- bis 34-Jährigen und den 35- bis 54-Jährigen mit einer um maximal 10 % höheren Beteiligungsquote gering. Hierzu zählen Schweden, Bulgarien, Finnland, Malta, Tschechien, die Slowakei, die Schweiz, Slowenien, Lettland und Deutschland. In anderen Ländern werden die Jüngeren jedoch wesentlich häufiger als die Referenzgruppe an Weiterbildung beteiligt. Eine um mindestens 30 % höhere relative Teilnahmequote findet sich in Estland, Polen, Rumänien, Serbien und Griechenland. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in diesen Ländern die Teilnahmequoten insgesamt sehr niedrig sind, sodass die relative Teilnahmequote zwar ein starkes Gefälle in der Beteiligung an Aus- und Weiterbildung zugunsten der Jüngeren aufzeigt, diese dennoch nur vergleichsweise selten an Aus- und Weiterbildung teilnehmen.
Die relative Teilnahmequote der Älteren beträgt im europäischen Durchschnitt 63 % der Referenzgruppe. Relative Teilnahmequoten von mindestens 70 % werden in der Schweiz, Schweden, Dänemark, dem Vereinigten Königreich, Österreich und Deutschland erreicht. Hier werden die Älteren also vergleichsweise stark in die Aus- und Weiterbildung einbezogen. In einigen Ländern (Polen, Serbien, Rumänien, Griechenland) werden sie jedoch bei einer relativen Teilnahmequote von weniger als 40 % wesentlich seltener als die mittlere Altersgruppe an Aus- und Weiterbildung beteiligt.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass in allen Ländern die Teilnahme Erwachsener an Aus- und Weiterbildung zwischen den Altersgruppen ungleichmäßig verteilt ist, das Ausmaß der Ungleichheit (siehe letzte Spalte in Tabelle C3.1-1) jedoch unterschiedlich stark ausfällt. Relativ geringe Unterschiede gibt es in Schweden, der Schweiz, Deutschland, Dänemark und Österreich, sehr große in Polen, Serbien, Rumänien und Griechenland. Zumindest tendenziell zeigt sich ein Zusammenhang der Höhe der nationalen Teilnahmequote mit der Differenzierung der Beteiligung nach dem Lebensalter.291 In Ländern mit hoher nationaler Teilnahmequote ist das Gefälle relativ schwach, in Ländern mit niedriger nationaler Teilnahmequote sind die Unterschiede zwischen den Altersgruppen besonders deutlich.
Auch auf der Grundlage der Daten des LFS für das Jahr 2011292 wurden relative Teilnahmequoten für diese Altersgruppen berechnet. Es ergibt sich ein in den Grundzügen ähnliches Bild wie auf der Grundlage des AES: Auch nach den Ergebnissen des LFS werden für die Jüngeren in allen Ländern höhere Teilnahmequoten an formaler und non-formaler Aus- und Weiterbildung als in der Referenzgruppe der 35- bis 54-Jährigen ausgewiesen, die Älteren haben durchweg niedrigere Teilnahmequoten. Die Länder mit relativ geringen Unterschieden zwischen den Altersgruppen sind weitgehend dieselben wie nach dem AES (Schweiz, Vereinigtes Königreich, Dänemark, Schweden), und auch die größten Unterschiede zeigen sich für dieselben Länder (Polen, Ungarn und Griechenland, dazu noch die Türkei und Mazedonien, für die nur Daten im LFS vorliegen). Im Detail zeigen sich aber auch Unterschiede. So sind in Deutschland wie im EU-28-Durchschnitt die Unterschiede zwischen den Altersgruppen laut LFS deutlich ausgeprägter als laut AES: Nach LFS-Daten sind in Deutschland die 25- bis 34-Jährigen dreimal so häufig an Aus- und Weiterbildung beteiligt wie die 35- bis 54-Jährigen. Die 55- bis 64-Jährigen sind nach den LFS-Ergebnissen nur knapp halb so häufig an Aus- und Weiterbildung beteiligt wie die mittlere Altersgruppe, während nach den Ergebnissen des AES die relative Beteiligung der Älteren mittlerweile 74 % der Beteiligung der mittleren Altersgruppe erreicht hat. Methodische Unterschiede, vor allem die unterschiedliche Abgrenzung der einbezogenen Lernaktivitäten Erwachsener, aber auch die Verteilung der Proxy-Interviews auf die Altersgruppen, dürften diese Unterschiede entscheidend mitbeeinflusst haben.
Bei der Analyse der unterschiedlichen Beteiligung der Altersgruppen an Aus- und Weiterbildung müssen 2 Sachverhalte berücksichtigt werden: Zum einen ist die Teilnahmequote der Jüngeren auch dann hoch, wenn die erste Ausbildung lange dauert (z. B. durch lange Studienzeiten) oder wegen ungünstiger Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt hinausgezögert wird (beispielsweise weil eine Fortsetzung der Bildungsphase gegenüber offener Arbeitslosigkeit präferiert wird). Zum anderen beteiligen sich Erwachsene insbesondere aus beruflichen Gründen an Aus- und Weiterbildung. Daher haben ältere Personen, die sich aus dem Erwerbsleben zurückgezogen haben, ein geringeres Interesse und auch weniger Gelegenheiten, an Aus- und Weiterbildung teilzunehmen, weil das große Segment der betrieblichen Weiterbildung dann für sie nicht mehr zugänglich ist. Um dies genauer zu untersuchen und den Unterschieden im Erwerbsverhalten der Älteren in den europäischen Staaten Rechnung zu tragen, wäre eine Analyse nach Beschäftigungsstatus und Altersgruppen nötig – allerdings hat Eurostat bislang weder entsprechende Tabellen in seinem Datenportal veröffentlicht noch die Mikrodaten für den AES 2011/2012 zugänglich gemacht.
Tabelle C3.1-1: Beteiligung an formaler und non-formaler Aus- und Weiterbildung nach Altersgruppen (AES 2011/2012)
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Vgl. hierzu Behringer/Kuwan/Schönfeld 2013. Ähnliche Analysen wurden bereits mit den Daten des AES 2007 durch Rosenbladt (2010) und Rosenbladt/Bilger (2011) durchgeführt. Bei den Analysen zum AES 2011/2012 wurde die Vorgehensweise jedoch weiterentwickelt: Zum einen wurde die Beteiligung an formaler und non-formaler Aus- und Weiterbildung insgesamt analysiert, da die Differenzierung zwischen den beiden Lernformen in den einzelnen Ländern nicht immer einheitlich vorgenommen wurde. Zum anderen ist die Bezugsgröße die Teilnahmequote der mittleren Altersgruppe und nicht der nationale Durchschnitt. Dies bietet den Vorteil, dass die Bezugsgröße nicht von der relativen Größe der einzelnen Kategorien beeinflusst ist, und ist auch durch den Bezug auf eine konkrete Gruppe anschaulicher.
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Korrelationskoeffizient (Bravais-Pearson) -0,77.
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Für den detaillierteren Vergleich der Beteiligung am lebenslangen Lernen nach den Ergebnissen des LFS und des AES wird für den LFS das Jahr 2011 gewählt, um eine möglichst gute Übereinstimmung der Referenzperioden mit dem AES zu erreichen.