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Entwicklung des Angebots- und Nachfragepotenzials

Beim Angebots- und Nachfragepotenzial  handelt es sich um latente Größen innerhalb von PROSIMA, die zum einen das Gesamtpotenzial an Ausbildungsplätzen beinhalten, die die Betriebe, Praxen und Verwaltungen neu einzurichten oder wieder zu besetzen gedenken, und zum anderen das Gesamtpotenzial an Bewerbern und Bewerberinnen, die bis zum Stichtag Interesse an einer Ausbildung gezeigt haben. Diese Größen werden jedes Jahr über Zustandsraummodelle geschätzt und aktualisiert. Vereinfacht gesagt, kann durch diese Methode eine Variable, die faktisch unbeobachtbar ist, vorausgeschätzt werden, indem die Veränderung von mit ihr in Beziehung stehenden beobachtbaren Variablen über den Zeitraum für ihre Schätzung herangezogen wird (Lösch/Kau/Walden 2008).24 Die Prognose der Potenzialgrößen erfolgt dann mithilfe einer Regressionsgleichung im rekursiven Gleichungssystem von PROSIMA (Lösch/Maier 2015).25

Schaubild A2.2-1 gibt die Entwicklung des Angebots- und Nachfragepotenzials, des Gesamtangebots an Ausbildungsstellen sowie der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge seit 1975 wieder. Deutlich wird, dass das Angebotspotenzial bzw. die angebotenen Ausbildungsstellen zwischen Anfang der 1990er-Jahre bis Mitte der 2000er-Jahre nicht stringent der Entwicklung der Nachfrageseite folgten. Vor der deutschen Wiedervereinigung ist hier noch eine stärkere Proportionalität der Entwicklungen zu erkennen, die sich seit ca. 2007 wieder einzustellen scheint. Hauptsächlich dürfte die jüngere Entwicklung auf eine Verknappung des Nachfragepotenzials zurückzuführen sein, wodurch sich die Auswahlmöglichkeiten der Betriebe in der Rekrutierung von Jugendlichen reduzieren (vgl. Maier/Walden 2014). Zudem wurden aufgrund des bekannten demografischen Rückgangs auch die außerbetrieblich angebotenen Ausbildungsplätze in der jüngeren Vergangenheit zurückgefahren (vgl. Kapitel A1.1). Trotz des Rückgangs liegt das Nachfragepotenzial nach Ausbildungsstellen jedoch immer noch über dem Angebotspotenzial, sodass bei einer höheren Ausschöpfung des Nachfragepotenzials auch mittelfristig das derzeitige Niveau der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge gehalten werden könnte.

Die stark proportionale Entwicklung des Angebotspotenzials und des tatsächlichen Ausbildungsplatzangebotes zeigt, dass für das 2015 bereitgestellte Angebot an Ausbildungsplätzen die Entwicklung des Angebotspotenzials entscheidend ist. In der Vorhersage der Potenzialvariablen spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle: Einerseits ist das Angebotspotenzial abhängig von Faktoren des Arbeitsmarktes (Arbeitslosenquote und offene Stellen) und der konjunkturellen Entwicklung (Bruttoinlandsprodukt), andererseits spielen aber auch die vergangene Entwicklung der Zahl der Nachfrager nach Ausbildungsplätzen (Schulabgänger) und die aus betrieblicher Sicht gelungene Ausschöpfung, sichtbar in Form von möglichst wenigen unbesetzten Ausbildungsplätzen, eine Rolle. 

Während entsprechend den Prognosen der Bundesregierung für das Jahr 2015 ein Wachstumsanstieg des realen Bruttoinlandsproduktes von 1,5  % angenommen wird (2014: 1,4 %, 2013: 0,1 Prozent) (BMWi/BMF 2015), nimmt die Zahl der Schulabgänger/ -innen mit Haupt- und Realschulabschluss von 2014 auf 2015 aller Voraussicht nach um 2,2 % ab (vgl. Kapitel C1.1). Insgesamt kann aufgrund des starken demografischen Rückgangs von einem relativen Bedeutungsverlust der konjunkturellen Komponenten im Vergleich zur demografischen Komponente bei der Bestimmung des Angebotspotenzials ausgegangen werden (vgl. Kapitel C2.1). Für 2015 wird somit – wie auch im Vorjahr – entscheidend sein, inwieweit sich Betriebe, Praxen und Verwaltungen durch möglicherweise erfolglose Besetzungsversuche in der jüngsten Vergangenheit entmutigen lassen und ihr Ausbildungsplatzangebot dementsprechend anpassen. Sollten sie ihr Angebot aufgrund der steigenden Anzahl an unbesetzten Ausbildungsstellen in der jüngsten Vergangenheit zurückfahren, so wird die Entwicklung des Angebotspotenzials langfristig der Entwicklung des Nachfragepotenzials folgen. 

Da es sich bei PROSIMA um ein empirisches Modell handelt und in den letzten Jahren das Ausbildungsstellenangebot reduziert wurde, ergibt sich aus dem rekursiven Schätzansatz, dass sich das Angebotspotenzial aufgrund der nahezu gleichbleibenden Konjunktur, des leichten demografischen Rückgangs und der steigenden Anzahl unbesetzter Ausbildungsplätze von 2014 auf 2015 um ca. 0,9 % reduziert. Die Auswirkungen politischer Initiativen, wie beispielsweise die Beschlüsse der „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ vom 12. Dezember 2014, kann PROSIMA auf Grundlage der bis 2014 vorliegenden Vergangenheitsdaten nicht abschätzen. Sollten die in der „Allianz“ beschlossenen Ziele, „die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze und die Zahl der ausbildungsbereiten Betriebe zu erhöhen“ (Allianz für Aus- und Weiterbildung 2015–2018, S. 3), erreicht werden, so wäre davon auszugehen, dass sich das Angebotspotenzial nicht reduziert und gegebenenfalls sogar erhöht. Aufgrund noch vorhandener Altbewerber/ -innen und eines vergleichsweise geringen Rückgangs an Schulabgängern und Schulabgängerinnen wird für das Nachfragepotenzial 2015 im Vergleich zu 2014 lediglich ein Rückgang um 0,5 % vorhergesagt. 

Schaubild A 2.2-1: Entwicklung von Angebots- und Nachfragepotenzial, Ausbildungsplätze und neu abgeschlossene Ausbildungsverträge zum 30. September eines Jahres

Entwicklung von Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage

Tabelle A2.2-1 zeigt die Ergebnisse der Vorausschätzung für das Jahr 2015 unter der Annahme, dass das Angebotspotenzial entsprechend der bisherigen Entwicklung um 0,9 % im Vergleich zum Vorjahr zurückgeht. Das tatsächlich bereitgestellte Ausbildungsangebot würde dann 542.300 Plätze betragen und läge damit ebenfalls unter dem Wert des Jahres 2014.26 Der Rückgang betrifft aufgrund der prognostizierten zurückgehenden Bereitschaft, Ausbildungsplätze bereitzustellen, vor allem die Zahl der Neuabschlüsse von Ausbildungsverträgen, die um circa 16.800 Verträge fallen und einen Punktwert von 505.400 erreichen wird. Das Vertrauensintervall liegt bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % bei 492.000 bis 518.700 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen.27 Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen bliebe nahezu konstant auf dem Wert des Vorjahres bei 37.000 Plätzen. Der leichte Rückgang des Nachfragepotenzials würde dazu führen, dass die Zahl der unversorgten Bewerber ebenfalls leicht auf 19.500 Personen und die Zahl der unversorgten Bewerber mit Alternative auf 58.600 Personen zurückgehen sollte. Nach der erweiterten Ausbildungsplatznachfrage wäre somit in 2015 mit einem Rückgang von 19.900 Ausbildungsplatznachfragern im Vergleich zu 2014 zu rechen. Es verblieben damit noch rund 583.500 Nachfrager.28

Der Rückgang der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge und der unbesetzten Ausbildungsstellen ist, wie im Abschnitt zuvor geschildert, vor allem von einer empirisch ermittelten zurückgehenden Bereitschaft der Unternehmen, Praxen und Verwaltungen abhängig, trotz vergangener erfolgloser Bewerbungen weiter nach Ausbildungsinteressierten zu suchen und ihre Ausbildungsstellen auch bei der Bundesagentur für Arbeit zu melden. Inwieweit die „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ nicht nur zu einer höheren Meldequote, sondern auch zu einer höheren Ausbildungsbereitschaft insgesamt führt, ist nach derzeitigem Datenstand nicht ermittelbar. Jedoch ergibt sich die Möglichkeit, über eine Szenario-Rechnung die Auswirkung einer günstigeren Entwicklung des Angebotspotenzials auf die tatsächlich bereitgestellten Ausbildungsplätze zu analysieren. 

Tabelle A 2.2-1: Einschätzung der Ausbildungsmarktentwicklung zum 30. September 2015

Nimmt man an, dass die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen, Praxen und Verwaltungen nicht um 0,9 % zurückgeht, sondern auf dem Niveau des Vorjahres verharrt, dann hätte dies lediglich einen Rückgang von 4.900 Stellen im Vergleich zum Jahr 2014 zur Folge. Die Zahl der tatsächlich bereitgestellten Ausbildungsplätze würde dann 554.400 betragen, was jedoch mit einem leichten Anstieg der unbesetzten Ausbildungsplätze auf 42.000 verbunden wäre.29 Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge würde dann nur um 9.800 Verträge auf 512.400 fallen.30 Auch die Angebots-Nachfrage-Relation würde sich aus Sicht der Bewerberinnen und Bewerber etwas verbessern. Anstelle von 93,0 (erweiterte Definition)31  bzw. 103,3 (alte Definition)32 Ausbildungsplatzangebote auf 100 Ausbildungsplatznachfragende kämen dann 94,1 (erweiterte Definition)  bzw. 104,3 (alte Definition)  angebotene Plätze Tabelle A2-1. In beiden Fällen wird sich aber weiterhin die Situation aus Sicht der Jugendlichen im Vergleich zum Jahr 2014 verbessern.

Die Simulationsergebnisse zeigen, dass bereits geringe Veränderungen im Angebotspotenzial einen erheblichen Einfluss auf das tatsächlich zur Verfügung gestellte Angebot an Ausbildungsplätzen haben. Vor dem Hintergrund der in der „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ gesteckten Ziele ist deshalb davon auszugehen, dass die empirisch prognostizierte Punktschätzung von 505.400 neuen Ausbildungsverträgen eine Art Untergrenze der zur erwartenden Entwicklung darstellt. Sollte es gelingen, die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe bzw. als Messgröße das Angebotspotenzial auf dem Stand von 2014 zu halten, dann wäre gemäß PROSIMA mit einer deutlich weniger ungünstigen Entwicklung bei der Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen zu rechnen. Um das Niveau des Vorjahres bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsstellen zu halten, müsste hingegen eine Erhöhung der Ausbildungsbereitschaft gegenüber dem Vorjahr erreicht werden.

(Tobias Maier, Caroline Neuber-Pohl, Joachim Gerd Ulrich) 

  • 24

    Zwar lässt sich mit einem Zustandsraummodell die Güte der Schätzwerte zu den latenten Variablen nicht näher evaluieren, da diese nicht bekannt sind. Man kann aber die unbeobachteten Zustandsvariablen in einen Zusammenhang mit beobachtbaren Variablen bringen, indem versucht wird, diese beobachtbaren Größen mithilfe der Zustandsvariablen zu erklären.  

  • 25

    Alternativ kann die Vorhersage der Potenzialgrößen aber auch anhand der Zustandsraummodelle erfolgen, und die Potenzialgrößen können dann als exogene Größen an PROSIMA übergeben werden. 

  • 26

    Unter Berücksichtigung des üblichen Schätzfehlers ist der tatsächliche Wert des Ausbildungsplatzangebots mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % im Bereich zwischen 524.700 und 560.00 zu vermuten.  

  • 27

    Wie in der richtig vorhergesagten Entwicklung in 2014 würde der Rückgang der Neuabschlüsse vor allem im Bereich von Industrie und Handel stattfinden (-2 % im Vergleich zu 2014), da der demografische Rückgang das Handwerk bereits in den Vorjahren stark getroffen hat und hier die Neuabschlüsse nun auf einem konstanten Niveau von knapp 141.000 zu stagnieren scheinen.

  • 28

    Unter Berücksichtigung des üblichen Schätzfehlers ist der tatsächliche Wert der erweiterten Ausbildungsplatznachfrage mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % im Bereich zwischen 568.900 und 598.100 zu vermuten. 

  • 29

    Das Vertrauensintervall liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % beim Ausbildungsplatzangebot zwischen 536.800 und 572.000 Plätzen sowie zwischen 32.300 und 51.600 unbesetzten Ausbildungsstellen. 

  • 30

    Unter Berücksichtigung einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% liegt das Vertrauensintervall der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zwischen 499.000 und 525.700 neuen Verträgen. 

  • 31

    Das Vertrauensintervall liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% zwischen 92,0 und 96,2. 

  • 32

    Das Vertrauensintervall liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % zwischen 102,2 und 106,5.