Die betriebliche Weiterbildung ist ein wichtiger Teil des lebenslangen Lernens. Die europäischen Unternehmensbefragungen zur betrieblichen Weiterbildung (Continuing Vocational Training Survey, CVTS) stellen wichtige Kennziffern zum betrieblichen Weiterbildungsangebot zur Verfügung. An der letzten Erhebung mit dem Bezugsjahr 2010 (CVTS4) beteiligten sich 29 Länder: neben den EU-Mitgliedstaaten, die zur Teilnahme verpflichtet sind, weitere interessierte Staaten wie Kroatien als damaliger Beitrittskandidat und Norwegen. Die zentralen Ergebnisse aus CVTS4 wurden im BIBB-Datenreport 2013, Kapitel B1.2.2 dargestellt. Weitere Auswertungen finden sich im BIBB-Datenreport 2014, Kapitel B1.2.2 und Kapitel C.
CVTS ist eine Unternehmensbefragung in Unternehmen mit 10 und mehr Beschäftigten in den Wirtschaftsbereichen B bis N sowie R und S der NACE Rev. 2.239 In Unternehmensbefragungen können verschiedene Aspekte des betrieblichen Weiterbildungsverhaltens erfragt werden, z. B. das Angebot an verschiedenen Formen der Weiterbildung, die Weiterbildungspolitik der Unternehmen oder die Organisation der Bildungsaktivitäten. Auch die Weiterbildungsbeteiligung der Beschäftigten (Teilnahme, Stundenvolumen) kann ermittelt werden. Hier zeigen sich allerdings die Grenzen von Unternehmensbefragungen. Anders als in Personenbefragungen können in Unternehmensbefragungen Informationen zur Teilnahme nach verschiedenen Personengruppen nicht sehr detailliert erhoben werden.240 Personenbefragungen erfassen üblicherweise die verschiedensten soziodemografischen Merkmale der Befragten und ermöglichen damit differenziertere Auswertungen der Weiterbildungsbeteiligung der befragten Personen – und zwar nicht nur an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen. Sie sind auch besser geeignet, um die Beteiligung an nicht formalisierten Lernformen abzubilden. Allerdings haben Personenbefragungen auch Schwächen, insbesondere mit Blick auf die betriebliche Weiterbildung: So können Individuen normalerweise keine Auskunft über die Weiterbildungspolitik ihres Arbeitgebers geben. Auch ist ihnen in der Regel nicht bekannt, in welcher Höhe Kosten beim Arbeitgeber für die betriebliche Weiterbildung angefallen sind. Grundsätzlich werden unternehmensbezogene Merkmale wie die Beschäftigtenzahl oder die Branche in Personenbefragungen weniger verlässlich erhoben (vgl. zu den Vor- und Nachteilen von Unternehmensbefragungen im Vergleich zu Personenbefragungen Behringer/Käpplinger/Moraal 2008).
Unternehmens- und Personenbefragungen sind als komplementär zueinander zu sehen. Sie haben hinsichtlich der Erfassung der Weiterbildung jeweils spezifische Stärken und Schwächen. Der Adult Education Survey (AES) als europäische Personenbefragung zu den Lernaktivitäten im Erwachsenenalter ermöglicht es, die Beteiligung an betrieblicher Weiterbildung aus Sicht der Erwerbstätigen zu analysieren. Hierdurch können Aspekte der betrieblichen Weiterbildung erfasst werden, die durch CVTS bisher nicht abgedeckt wurden.
Adult Education Survey (AES)
Der AES als „Datenerhebung über die Beteiligung und Nichtbeteiligung Erwachsener am lebenslangen Lernen“ wurde in den Jahren 2011/2012 erstmals verpflichtend für die EU-Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Verordnungen des europäischen Parlaments und des Rates, die u. a. den europäischen Standardfragebogen und Leitlinien zur Methodik enthalten, durchgeführt. Die Verordnungen sehen vor, die Befragung alle 5 Jahre zu wiederholen. Da sich auch Norwegen, Schweiz und Serbien beteiligten, liegen Ergebnisse für 30 Länder vor. Zwischen 2005 und 2009 gab es auf freiwilliger Basis in 29 Ländern eine AES-Piloterhebung. Eurostat veröffentlicht ausgewählte Ergebnisse beider Erhebungen in seiner Datenbank (http://ec.europa.eu/eurostat/data/database, Abrufdatum: 25. Februar 2015).
In den einzelnen Ländern wurde jeweils eine repräsentative Stichprobe der 25- bis 64-jährigen Bevölkerung241 zu ihren Lernaktivitäten in den letzten 12 Monaten vor der Erhebung befragt. Die Erfassung der Lernaktivitäten erfolgt nach der „Classification of Learning Activities“ (Eurostat 2006) getrennt nach formaler Bildung, nonformaler Bildung und informellem Lernen. Die Lernaktivitäten werden gestützt abgefragt, den Befragten werden zur Veranschaulichung und Erinnerungsanregung Beispiele genannt. Darüber hinaus werden soziodemografische Daten der befragten Personen erhoben und weitere Themen angesprochen, die das Weiterbildungsverhalten in einen breiteren Kontext stellen.
Insgesamt beteiligten sich 2011/2012 mehr als 220.000 Personen an der Befragung (in Deutschland 7.099). In einigen Ländern besteht Auskunftspflicht der Befragten; in Deutschland ist die Befragung für die Zielpersonen freiwillig. Die Antwortquote lag 2011/2012 mit Ausnahme Belgiens, Luxemburgs und Österreichs bei mindestens 50 % (in Deutschland bei 51 %). In den meisten Staaten wurde der AES 2011/2012 als eigenständige Befragung durchgeführt, in Belgien und Irland war er in die Arbeitskräfteerhebung (Labour Force Survey, LFS) integriert, was die Vergleichbarkeit mit den anderen Ländern einschränkt (vgl. dazu ausführlicher BIBB-Datenreport 2014, Kapitel C).
Beteiligung an betrieblicher Weiterbildung aus Sicht der Erwerbstätigen
Im AES wird das Lernen Erwachsener differenziert nach formalem, nonformalem und informellem Lernen erfasst. Für den europäischen Vergleich werden bei der Ermittlung der Teilnahmequoten an betrieblicher Weiterbildung von Eurostat nur die nonformalen Lernaktivitäten berücksichtigt.242 Im AES geben die Befragten detailliert Auskunft über bis zu 3 nonformale Lernaktivitäten.243 Für den europäischen Vergleich werden sie dann als Teilnehmende an betrieblicher Weiterbildung gezählt, wenn mindestens eine Lernaktivität aus Sicht der Befragten berufliche Bezüge aufweist und zugleich (mindestens) eine der folgenden Bedingungen erfüllt:
- Die Lernaktivität findet ganz oder überwiegend in der bezahlten Arbeitszeit bzw. einer bezahlten Freistellung statt.
- Der Arbeitgeber übernimmt ganz oder teilweise direkte Kosten wie Teilnahme- oder Prüfungsgebühren oder Kosten für Bücher und Lernmaterialien.
- Vorausgeplantes Training und Schulungen am Arbeitsplatz mit einer/einem Vorgesetzten, Kollegin/Kollegen oder Trainer/ -in als Tutor/ -in sind betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen.244
- Bei Selbstständigen zählen Lernaktivitäten auch dann zur betrieblichen Weiterbildung, wenn die Kosten selbst bezahlt werden.
Die Anzahl der nonformalen Lernaktivitäten, über die im Eurostat-Datenbestand detaillierte Information vorliegen, unterscheidet sich in den Ländern: So wurden in Irland nur Auskünfte über eine Weiterbildung eingeholt, in 14 Ländern über 2 Maßnahmen und in 15 Ländern über 3 Maßnahmen. Darüber hinaus konnten die Befragten noch weitere nonformale Lernaktivitäten besuchen, über die jedoch keine weiteren Informationen vorliegen. Diese Vorgehensweise impliziert, dass ein gewisses Risiko der Unterschätzung der Teilnahmequote an betrieblicher Weiterbildung besteht.
Nach den Ergebnissen des AES 2011/2012 haben sich in den letzten 12 Monaten vor der jeweiligen Befragung im EU-Durchschnitt 38 % der Erwerbstätigen im Alter von 25 bis 64 Jahren an betrieblicher Weiterbildung beteiligt Schaubild B1.2.2-1. Deutschland liegt mit einer Teilnahmequote von 48 % deutlich über dem EU-Durchschnitt und erreicht gemeinsam mit Estland Rangplatz 8. Die nordeuropäischen Länder, aber auch Luxemburg, die Niederlande und die Schweiz weisen deutlich höhere Teilnahmequoten auf. Insgesamt finden sich mit Ausnahme Estlands nur nord- und westeuropäische Länder im oberen Drittel. Geringe Anteile (von 33 % oder weniger) werden vor allem in ost- und südeuropäischen Ländern gemessen. Mit dem Vereinigten Königreich und Irland liegen aber auch 2 westeuropäische Länder im unteren Bereich. Insgesamt beteiligen sich die Erwerbstätigen in Europa sehr unterschiedlich an betrieblicher Weiterbildung. In Schweden wurden zwei Drittel der Erwerbstätigen in die betriebliche Weiterbildung einbezogen, in Rumänien und Griechenland jedoch nicht einmal jede/ -r zehnte Erwerbstätige.
Zwischen CVTS und AES bestehen konzeptionelle Unterschiede in der Operationalisierung von betrieblicher Weiterbildung, die einen Vergleich der Ergebnisse erschweren (vgl. Behringer/Käpplinger/Moraal 2008; BIBB-Datenreport 2014, Kapitel C): Betriebliche Weiterbildung wird in den beiden Erhebungen unterschiedlich definiert. Hinzu kommen unterschiedliche Abgrenzungen der Erwerbstätigengruppen, auf die sich die Teilnahmequoten beziehen (nach Größe und Branche des Arbeitgebers und den berücksichtigten Altersgruppen). Empirisch zeigt sich, dass in den meisten Ländern die Teilnahmequoten im AES höher sind als in CVTS. Jedoch ergeben sich nur wenige Veränderungen, wenn man die Rangfolge der Länder in beiden Erhebungen vergleicht: Länder, die im AES eine hohe Teilnahmequote aufweisen, liegen meist, aber nicht immer auch im CVTS vorne und umgekehrt (vgl. zu weiteren Details BIBB-Datenreport 2014, Kapitel C).
Schaubild B 1.2.2-1: Beteiligung der Erwerbstätigen im Alter von 25 bis 64 Jahren an betrieblicher Weiterbildung, AES 2011/2012 (in %)
Tabelle B 1.2.2-1: Beteiligung der Erwerbstätigen im Alter von 25 bis 64 Jahren an betrieblicher Weiterbildung nach Altersgruppen, AES 2011/2012
Beteiligung an betrieblicher Weiterbildung in verschiedenen Erwerbstätigengruppen246
Die Frage, wie sich die Zugangschancen zu betrieblicher Weiterbildung zwischen verschiedenen Erwerbstätigengruppen unterscheiden, steht schon lange im Blickfeld von Politik und Forschung. Der AES ermöglicht es, in vergleichender Perspektive zu analysieren, wie ausgeprägt die ungleiche Beteiligung innerhalb der einzelnen europäischen Länder ist. Nachfolgend werden Teilnahmequoten an betrieblicher Weiterbildung nach den Merkmalen Geschlecht, Alter und Bildungsstand dargestellt.
Über viele Jahre hinweg wurde in Deutschland in der empirischen Weiterbildungsforschung eine geringere Weiterbildungsbeteiligung von Frauen festgestellt, die sich allerdings merklich an die Weiterbildungsbeteiligung der Männer angleicht, wenn verschiedene Merkmale der Lebenssituation – insbesondere der Erwerbsstatus – berücksichtigt werden. Auch wenn auf deskriptiver Ebene teilweise noch Unterschiede in der Weiterbildungsbeteiligung von Männern und Frauen vorhanden sind (vgl. z. B. BIBB-Datenreport 2014, Kapitel B1.1; Leven u. a. 2013), so wurde doch in multivariaten Analysen seit Ende der 1970er-Jahre immer wieder gezeigt, dass dies auf andere Faktoren als die Geschlechtszugehörigkeit zurückzuführen ist, wenn verschiedene soziodemografische Merkmale (wie Erwerbstätigkeit, Arbeitsvolumen, Branche, Unternehmensgröße, Qualifikation und Einkommen) berücksichtigt werden (vgl. z. B. Behringer 1980; Behringer 1999; Leber 2002; Hubert/Wolf 2007; Krekel/Walden 2007; Leber/Möller 2008).
Nach den europäischen Vergleichsdaten des AES 2011/2012 zeigt sich in Deutschland zwar eine leicht höhere Teilnahmequote der männlichen Erwerbstätigen an betrieblicher Weiterbildung gegenüber den Frauen (+3 Prozentpunkte) Schaubild B1.2.2-2. Kuper/Unger/Hartmann (2013, S. 100 ff.)247 konnten jedoch zeigen, dass unter Kontrolle verschiedener soziodemografischer und tätigkeits- und organisationsbezogener Merkmale kein eigenständiger Geschlechtereffekt zu verzeichnen ist. In vielen europäischen Staaten gibt es nur geringe geschlechtsspezifische Unterschiede in der Beteiligung an betrieblicher Weiterbildung, und zumeist zeigen sich Vorteile für die Frauen. In der Mehrzahl der Länder weisen sie eine höhere Teilnahmequote auf. Insbesondere in den nordeuropäischen und baltischen Staaten beteiligen sich deutlich mehr Frauen als Männer an betrieblicher Weiterbildung. Auch in Griechenland, Malta, Serbien, Slowenien und dem Vereinigten Königreich haben die Frauen eine um mehr als 3 Prozentpunkte höhere Teilnahmequote. Umgekehrt gibt es mit Luxemburg (+12 Prozentpunkte) und der Schweiz (+6 Prozentpunkte) nur 2 Länder, in denen die Teilnahmequote der Männer deutlich höher als die der Frauen ist. In beiden Ländern arbeitet eine hohe Prozentzahl der Frauen in Teilzeit, aber auch in anderen Ländern wie in den Niederlanden oder dem Vereinigten Königreich sind viele Frauen in Teilzeit erwerbstätig, ohne dass sich dies in einer niedrigen Teilnahmequote niederschlägt. Allerdings liegt auch in Deutschland die Teilnahmequote der Frauen 3 Prozentpunkte niedriger als die der Männer, und viele Frauen sind in Teilzeit erwerbstätig. Vergleicht man nur die Teilnahmequoten der in Vollzeit erwerbstätigen Männer und Frauen in Deutschland, gibt es kaum noch einen Unterschied. Die Frauen liegen mit 51 % zu 50 % sogar leicht vorne.
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der Erhöhung des regulären Renteneintrittsalters steht in vielen Ländern eine stärkere Beteiligung Älterer an Weiterbildung auf der bildungspolitischen Agenda. Dabei geht es sowohl um die Vermeidung oder Reduzierung eines prognostizierten Fachkräftemangels als auch um die Notwendigkeit, Ältere länger zu beschäftigen und ihre Qualifikationen durch Weiterbildung aktuell zu halten. Nachfolgend werden sowohl die absoluten als auch die relativen Teilnahmequoten248 an betrieblicher Weiterbildung nach 3 Altersgruppen analysiert Tabelle B1.2.2-1. In den verschiedenen europäischen Ländern ist keine eindeutige Richtung bei der Verteilung der Teilnahmequoten nach Altersgruppen festzustellen. Zwar weisen in den meisten Ländern die älteren Erwerbstätigen die niedrigsten Teilnahmequoten auf und die jüngste Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen die höchsten. Einige Länder weichen aber von diesem Schema ab. So haben in Slowenien die Älteren mit 36 % die höchste und die Jüngeren mit 31 % die niedrigste Teilnahmequote. Auch in Österreich liegen die Jüngeren gegenüber den anderen Altersgruppen leicht zurück. In Bulgarien, Dänemark, Finnland, Italien, Lettland (gleiche Quote wie die Jüngeren), Litauen, Malta, Österreich, Schweden, Slowakei, Spanien und Zypern wurden die höchsten relativen Teilnahmequoten für die mittlere Altersgruppe ermittelt.
In vielen Ländern unterscheiden sich die Teilnahmequoten der verschiedenen Altersgruppen jedoch nur wenig. In 8 Ländern, unter ihnen Deutschland, beträgt die Spannweite zwischen der höchsten und niedrigsten relativen Teilnahmequote höchstens 10 Prozentpunkte, in weiteren 9 Ländern höchstens 20 Prozentpunkte (vgl. letzte Spalte der Tabelle B1.2.2-1). Auch in einigen der 12 Länder, in denen größere Unterschiede bestehen, sind die Älteren dennoch relativ stark in die betriebliche Weiterbildung eingebunden: In Belgien, Estland, Polen und Rumänien erzielen die Älteren eine relative Teilnahmequote von mindestens 80 % der Referenzgruppe, in Finnland, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen und Spanien von mindestens 70 %. Im Vergleich zu den anderen Altersgruppen werden die Älteren in den südeuropäischen Ländern Griechenland, Malta und Portugal deutlich seltener an betrieblicher Weiterbildung beteiligt. Nur in wenigen Ländern haben die jüngeren Erwerbstätigen eine deutlich höhere Beteiligungsquote als die Referenzgruppe der 35- bis 54-Jährigen. Der größte Abstand besteht mit einer um 20 Prozentpunkte höheren relativen Teilnahmequote in Estland; darüber hinaus sind Differenzen von 10 und mehr Prozentpunkten noch in Belgien, Polen, Portugal und Rumänien anzutreffen. In Deutschland gibt es relativ geringe Unterschiede zwischen den Altersgruppen. In absoluten Teilnahmequoten beträgt die Differenz 4 Prozentpunkte, bei der relativen Teilnahmequote liegt die Spannweite bei 10 Prozentpunkten.
Insgesamt unterscheidet sich die Einbeziehung in die betriebliche Weiterbildung in den meisten Ländern nur wenig nach der Altersgruppe der Erwerbstätigen. Leichten Vorteilen der Jüngeren steht eine insgesamt nur etwas geringere Berücksichtigung der Älteren gegenüber. Relativ unabhängig vom Alter der Erwerbstätigen investieren Unternehmen in die Qualifizierung der Erwerbstätigen.249
Anders sieht das Bild hingegen aus, wenn man die Beteiligung an betrieblicher Weiterbildung nach dem zum Zeitpunkt der Befragung erzielten Bildungsniveau betrachtet. Hier zeigt sich, dass diese stark durch den Bildungshintergrund bestimmt wird. Es treten große Unterschiede zwischen den Erwerbstätigen unterschiedlichen Bildungsstands auf. Dabei gilt: Je niedriger dieser ist, desto seltener werden Erwerbstätige an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen beteiligt. Gerade die stärkere Beteiligung bildungsbenachteiligter Personen steht jedoch in vielen Ländern und in der Europäischen Union auf der politischen Agenda. Hintergrund ist, dass Geringqualifizierte überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen sind und ihre Arbeitsmarktchancen deutlich schlechter sind als jene von besser qualifizierten Personen. In der Weiterbildungsforschung wird als Erklärung für die ungleiche Verteilung u. a. auf die Nutzenerwartungen von Individuen und Unternehmen, die Lernerfahrungen der Individuen, die Weiterbildungserfordernisse der Arbeitsplätze, die Segmentierung der Arbeitsmärkte und die Weiterbildungsangebote, die sich für Personen unterschiedlicher Bildung jeweils unterschiedlich darstellen, hingewiesen (vgl. Käpplinger/Kulmus/Haberzeth 2013, S. 32 ff.).
Wie bei der Betrachtung nach Altersgruppen werden auch für das Bildungsniveau in Tabelle B1.2.2-2 sowohl die absoluten als auch die relativen Teilnahmequoten250 an betrieblicher Weiterbildung dargestellt. Das Bildungsniveau wird nach der ISCED-Klassifikation (ISCED 1997)251 kategorisiert: Geringqualifizierte (ISCED 0–2), Personen mit mittlerer Qualifikation (ISCED 3–4) und Personen mit hoher Qualifikation (ISCED 5–6).
In allen europäischen Ländern mit Ausnahme Ungarns252 sind Erwerbstätige mit einer geringen Qualifikation seltener an betrieblicher Weiterbildung beteiligt als Erwerbstätige mit mittlerer Qualifikation. Diese wiederum weisen niedrigere Teilnahmequoten als Hochqualifizierte auf. Die Einbeziehung der Geringqualifizierten gelingt in einigen Ländern jedoch besser als in anderen: Relativ erfolgreich sind mit einer relativen Teilnahmequote der Geringqualifizierten von mehr als 90 % neben Ungarn auch Bulgarien und Luxemburg, mit deutlichem Abstand und relativen Teilnahmequoten von mindestens 70 % noch Finnland und Dänemark. Besonders schlechte Teilnahmechancen haben die gering qualifizierten Erwerbstätigen mit einer relativen Teilnahmequote von weniger als 50 % in Lettland, Polen, Rumänien, der Schweiz, Serbien, Slowenien, Tschechien und Zypern. Mit Ausnahme der Schweiz und Zyperns sind dies alles Länder, in denen auch die Gesamtteilnahmequote aller Erwerbstätigen niedrig ist. In absoluten Quoten nimmt in 11 Ländern nicht einmal jede/ -r fünfte Erwerbstätige mit niedriger Qualifikation an betrieblicher Weiterbildung teil. Luxemburg liegt mit einer Teilnahmequote von 55 % an der Spitze, darüber hinaus wird mindestens jede/ -r dritte Erwerbstätige mit geringer Qualifikation in den nordeuropäischen Ländern, den Niederlanden, Portugal und Ungarn in betriebliche Weiterbildung einbezogen. Deutschland platziert sich mit einer Teilnahmequote von 25 % im Mittelfeld.
Wie bereits gesagt, sind die hoch qualifizierten Erwerbstätigen in allen Ländern am häufigsten an betrieblicher Weiterbildung beteiligt. Dabei ist der Abstand zur Referenzgruppe meist sehr groß. Mit Bulgarien, Luxemburg, Portugal, den Niederlanden, Schweden und Ungarn liegt in nur 6 Ländern die relative Teilnahmequote höchstens 25 Prozentpunkte über der der Gruppe mit mittlerer Qualifikation. Auf der anderen Seite ist die betriebliche Weiterbildung mit relativen Teilnahmequoten von über 200 % in Griechenland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und Serbien besonders stark auf die hoch qualifizierten Erwerbstätigen konzentriert. Die absoluten Teilnahmequoten zeigen, dass in 18 Ländern mindestens 50 % der hoch qualifizierten Erwerbstätigen an betrieblicher Weiterbildung teilnehmen. Schweden weist mit 79 % die höchste absolute Teilnahmequote auf, Deutschland liegt mit 63 % im vorderen Bereich. Es gibt allerdings auch einige Länder, in denen die Hochqualifizierten zwar deutlich größere Teilnahmechancen als Erwerbstätige mit niedrigerer Qualifikation haben, aber dennoch weniger als 40 % der Hochqualifizierten eine betriebliche Weiterbildung besuchen. Hierzu gehören Bulgarien, Serbien und das Vereinigte Königreich sowie Griechenland und Rumänien, die mit 16 % bzw. 15 % besonders niedrige Teilnahmequoten aufweisen.
Die ungleiche Beteiligung von Erwerbstätigen verschiedener Qualifikationsstufen ist in allen europäischen Ländern vorhanden, ihre Ausprägung fällt aber unterschiedlich stark aus. In der Tendenz ist sie in den Ländern weniger stark, in denen die Gesamtteilnahmequote (Schaubild B1.2.2-1) hoch ist.253 In Ländern mit niedrigen Gesamtteilnahmequoten ist das Bildungsgefälle bei den Zugangschancen zur betrieblichen Weiterbildung hingegen groß. Deutschland weicht jedoch von diesem Schema ab, da es bei einer überdurchschnittlichen Gesamtteilnahmequote an betrieblicher Weiterbildung ein relativ großes Bildungsgefälle aufweist – in 17 Ländern ist es geringer.
Tabelle B 1.2.2-1: Beteiligung der Erwerbstätigen im Alter von 25 bis 64 Jahren an betrieblicher Weiterbildung nach Altersgruppen, AES 2011/2012
Fazit: Flaches Altersgefälle bei der Beteiligung an betrieblicher Weiterbildung, aber ausgeprägte Unterschiede nach dem Bildungsniveau
Ein erheblicher Teil der Erwerbstätigen in Europa nimmt an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen teil. Im EU-Durchschnitt sind es fast 4 von 10 Erwerbstätigen, in Deutschland knapp die Hälfte der Erwerbstätigen. Dabei zeigt sich ein deutliches Gefälle innerhalb Europas: Insbesondere in den nord- und westeuropäischen Ländern werden viele Erwerbstätige in die betriebliche Weiterbildung einbezogen, die ost- und südeuropäischen Länder liegen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zurück.
Betrachtet man verschiedene Erwerbstätigengruppen, ergibt sich folgendes Bild:
- Frauen haben in den meisten Ländern gleich gute oder sogar bessere Teilnahmechancen an betrieblicher Weiterbildung als Männer. In Deutschland haben jedoch die Männer eine leicht höhere Teilnahmequote, der Unterschied ist aber nicht signifikant (vgl. Kuper/Unger/Hartmann 2013, S. 100 ff.).
- Zwischen den verschiedenen Altersgruppen bestehen in den meisten Ländern nur relativ geringe Unterschiede. Die Teilnahmequoten der älteren Erwerbstätigen sind in der Regel nur leicht geringer als die der Jüngeren. In Deutschland nimmt die Teilnahmequote zwar mit dem Alter ab, aber die Unterschiede sind mit 4 Prozentpunkten niedrig.
- Große Unterschiede bestehen allerdings in fast allen Ländern nach dem Bildungshintergrund der Erwerbstätigen. Nur wenige gering qualifizierte Erwerbstätige nehmen an betrieblicher Weiterbildung teil, Hochqualifizierte jedoch zu einem großen Teil. Auch in Deutschland ist das Bildungsgefälle beim Zugang zur betrieblichen Weiterbildung sehr ausgeprägt.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Teilnahmechancen der Erwerbstätigen stark von ihrem Bildungshintergrund abhängen, weniger stark von ihrem Alter oder Geschlecht. Gerade bei den Frauen und Älteren sieht die Arbeitsmarktpolitik noch Potenziale, durch eine stärkere Erwerbsbeteiligung den prognostizierten und in einigen Berufen schon bestehenden Fachkräftemangel abfedern zu können (vgl. Kapitel C3). Die Einbindung in die betriebliche Weiterbildung könnte ein Hinweis sein, dass dieses Arbeitskräftereservoir von den Betrieben bereits genutzt wird.
(Gudrun Schönfeld, Friederike Behringer)
Tabelle B 1.2.2-2: Beteiligung der Erwerbstätigen im Alter von 25 bis 64 Jahren an betrieblicher Weiterbildung nach Bildungsniveau, AES 2011/2012
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239
B–E: Verarbeitendes Gewerbe/Herstellung von Waren, Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden, sonstige Industrie; F: Baugewerbe/Bau; G–I: Handel, Verkehr und Lagerei; J–K: Information und Kommunikation, Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen; L–N: Grundstücks- und Wohnungswesen, Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen sowie von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen; R–S: Kunst, Unterhaltung und Erholung, sonstige Dienstleistungen. In CVTS1 mit dem Bezugsjahr 1993 wurden nicht in allen Ländern alle vorgesehenen Wirtschaftsbereiche in die Befragung einbezogen.
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240
So wurde in CVTS4 nur eine Differenzierung der Teilnehmenden an Kursen nach Geschlecht vorgenommen, jedoch nicht nach weiteren soziodemografischen Merkmalen wie Alter oder Bildungsstand – auch weil sich ihre Erfassung in früheren Erhebungen als schwierig herausgestellt hat.
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241
In einzelnen Ländern wurde die Stichprobe auf die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen (z. B. in Deutschland) bzw. der 65-Jährigen und Älteren ausgeweitet. Eurostat veröffentlicht jedoch nur Ergebnisse für die 25- bis 64-Jährigen.
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242
Auch formale Lernaktivitäten können von Betrieben (mit-)finanziert werden (durch Zeit oder Geld). Die Teilnahmequote an diesen Maßnahmen ist in den Ländern unterschiedlich; d. h., in den einzelnen Ländern wird ein unterschiedlich großer Anteil von Beschäftigten per Definition nicht als Teilnehmende an betrieblich finanzierten Maßnahmen berücksichtigt. Zu beachten ist auch, dass die Abgrenzung zwischen formalen und nonformalen Lernaktivitäten in den einzelnen Ländern nicht einheitlich ist. Das wichtigste Kriterium zur Unterscheidung von formalen und nonformalen Lernaktivitäten ist nach der „Classification of Learning Activities“ (Eurostat 2006) die Verortung im nationalen Qualifikationsrahmen (NQR). Da die NQR der Länder sich aber danach unterscheiden, wie ausführlich sie konkrete einzelne Bildungsmaßnahmen benennen, ist eine unterschiedliche Zuordnung identischer Maßnahmen im AES auch bei korrekter Anwendung der Klassifikation nicht ausgeschlossen.
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243
Insgesamt wurden bis zu 10 nonformale Lernaktivitäten eines Befragten erfasst. Detaillierte Informationen liegen aber nur über bis zu 3 nonformale Lernaktivitäten vor. Nur diese werden bei der Zuordnung der Lernaktivitäten zur betrieblichen Weiterbildung berücksichtigt.
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244
Im Unterschied zum LFS wird im AES das angeleitete Lernen am Arbeitsplatz als nonformale Lernaktivität betrachtet, im LFS als informelles Lernen.
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245
Abweichungen zur nationalen Berichterstattung in Deutschland ergeben sich aus einer leicht unterschiedlichen Definition der betrieblichen Weiterbildung. Zudem wurden in Deutschland für die nationale Berichterstattung Informationen von bis zu 4 nonformalen Lernaktivitäten berücksichtigt, im europäischen Vergleich jedoch nur bis zu 2 (vgl. Bilger/Kuper 2013). Zu beachten ist auch die unterschiedliche Altersabgrenzung (Europa: 25- bis 64-Jährige, Deutschland: 18- bis 64-Jährige).
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246
Die folgenden Auswertungen stützen sich auf die AES-Mikrodaten von Eurostat (Referenzjahr 2011). Die Verantwortung für alle Schlussfolgerungen, die aus den Daten gezogen wurden, liegt bei den Autorinnen. EU-28-Durchschnitte konnten nicht berechnet werden, da die Gewichtungsfaktoren zur Berechnung des EU-Durchschnitts nicht von Eurostat weitergegeben wurden. Irland wird in den nachfolgenden Auswertungen nicht berücksichtigt, da die Abfrage der Erwerbstätigkeit dort nicht in gleicher Form wie in den anderen Ländern erfolgte und die Werte nicht vergleichbar sind.
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247
Vgl. Fußnote 245.
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248
Bei den relativen Teilnahmequoten werden die Beteiligungsquoten der einzelnen Gruppen nicht in absoluter Höhe, sondern jeweils in Relation zu einer Referenzgruppe verwendet. Die Teilnahmequote der mittleren Altersgruppe (35 bis 54 Jahre) ist dabei die Bezugsgröße, die auf 100 % gesetzt wird (vgl. Behringer/Kuwan/Schönfeld 2013).
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249
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn statt der betrieblichen Weiterbildung die berufsbezogene Weiterbildung insgesamt betrachtet wird; dies ist auf die auch quantitativ große Bedeutung der betrieblichen Weiterbildung zurückzuführen. Die in den einzelnen Staaten unterschiedliche Erwerbsbeteiligung, insbesondere der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen, spielt für die hier vorgestellten Ergebnisse keine Rolle. In bevölkerungsbezogenen Teilnahmequoten (vgl. BIBB-Datenreport 2014, Kapitel C) zeigt sich in vielen Ländern ein starkes Altersgefälle, das mit der Erwerbsbeteiligung zusammenhängt.
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250
Die Beschäftigten mit mittlerer Qualifikation bilden die Referenzgruppe, die auf 100 % gesetzt wird.
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251
Die „Internationale Standardklassifikation für das Bildungswesen“ (ISCED) ist ein Instrument zur Erstellung international vergleichbarer Bildungsstatistiken. In der hier verwendeten Version (ISCED 1997) werden 7 Bildungsebenen unterschieden: 0-2: Elementar-, Primar- und Sekundarbereich I; 3-4: Sekundarbereich II und nicht tertiäre Bildung nach dem Sekundarbereich; 5-6: Tertiärbereich.
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252
In Ungarn ist die Teilnahmequote der Beschäftigten mit mittlerer Qualifikation am niedrigsten.
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253
Korrelationskoeffizient (Bravais-Pearson) -0,77.