Gering qualifizierte Personen tragen in Deutschland – auch unabhängig von ihren tatsächlichen Kompetenzen (vgl. Heisig/Solga 2015) – erhöhte Risiken auf dem Arbeitsmarkt. „Mehr als zwei Fünftel der Arbeitslosen verfügen über keine abgeschlossene Berufsausbildung – im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind es sogar mehr als die Hälfte“ (Bundesagentur für Arbeit 2014 c, S. 31).
Berufsabschlüsse können nachträglich im Rahmen einer Umschulung gem. §§ 58 ff. BBiG, § 42e – 42i HwO oder über die Zulassung zur Prüfung nach § 45 Abs. 2 BBiG oder § 37 Abs. 2 HwO (Externenprüfung) erworben werden. Mit Umschulungen werden Erwerbstätige, die ihre bisherige Tätigkeit aufgeben müssen oder wollen, auf eine neue berufliche Tätigkeit vorbereitet. Geförderte Umschulungen sind im Vergleich zur Regelausbildung im Allgemeinen um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit gekürzt (vgl. Kapitel B4.1). Mit der sogenannten Externenprüfung können Personen für einen Beruf, in dem sie tätig sind, ein anerkanntes Zertifikat erwerben. Die Vorbereitung auf die Abschlussprüfung kann auf unterschiedliche Art erfolgen: Die benötigten Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten können parallel zur Berufstätigkeit autodidaktisch angeeignet werden oder im Rahmen betrieblicher Weiterbildungsangebote oder in speziellen Kursen erworben werden. Maßnahmen zur Vorbereitung auf die Externenprüfung werden von der Bundesagentur für Arbeit (BA) in der Regel in einem zeitlichen Umfang von 6 Monaten gefördert.
Weil eine große Anzahl junger Erwachsener noch keine abgeschlossene Berufsausbildung hat (vgl. Kapitel A8.3) und die Einmündungs- und Erfolgsaussichten bei – gegenüber der normalen Ausbildungszeit verkürzten – Umschulungen gering sind, wurde Mitte der 1990er-Jahre das Konzept der abschlussorientierten Nachqualifizierung entwickelt. Darunter werden Weiterbildungsmaßnahmen verstanden, die auf den nachträglichen Erwerb eines Berufsabschlusses vorbereiten und die sich insbesondere an Personen richten, deren berufliche Integration durch das Fehlen beruflicher Qualifikationen erschwert ist. Im Rahmen der abschlussorientierten Nachqualifizierung werden – wie in einer dualen Ausbildung – Arbeiten und Lernen verknüpft. Durch den modularen Aufbau können erworbene Kompetenzen, z. B. aus Arbeitserfahrungen, absolvierten Qualifizierungen des sogenannten Übergangssystems oder abgebrochenen Ausbildungen, berücksichtigt werden. Ein Berufsabschluss kann über die sogenannte Externenprüfung erreicht werden. Nachqualifizierung, die diesem Konzept folgt, ist bisher kein Regelangebot.
Die Datenlage zum nachträglichen Erwerb eines Berufsabschlusses ist heterogen und unvollständig.
Datenlage zu abschlussorientierten Nachqualifizierungen
Abschlussorientierte Nachqualifizierungen stellen eine nicht präzise zu quantifizierende Teilmenge der Teilnehmenden an der Externenprüfung (zzgl. Berufe nach landesrechtlichen Regelungen) und der Förderzahlen abschlussorientierter Maßnahmen der BA dar:
Die Berufsbildungsstatistik erfasst die jährliche Anzahl der externen Teilnehmenden an Abschlussprüfungen in nach BBiG und HwO geordneten Berufen (vgl. Kapitel A4.8). Hierbei wird danach unterschieden, ob die Zulassung aufgrund einschlägiger berufspraktischer Erfahrung oder aufgrund eines einem anerkannten Ausbildungsberuf gleichgestellten schulischen Bildungsgangs erfolgte. Daten über die Anzahl der Nachqualifizierungen liegen nicht vor.
Die Teilnahmestatistik der BA (vgl. Kapitel B3.1) weist Zugänge und Jahresdurchschnittsbestände für Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung mit Abschluss eines anerkannten Ausbildungsberufes aus. Darin sind Umschulungen, Vorbereitungen auf die Externenprüfung und abschlussbezogene Nachqualifizierungen zusammengefasst. Diese Daten liegen nach Alter, Geschlecht, Erwerbsstatus und Rechtskreis differenziert vor.
Ansätze zur Förderung des nachträglichen Erwerbs eines Berufsabschlusses
Zurzeit stehen Qualifizierungen, die entweder direkt zu Berufsabschlüssen führen oder durch den Erwerb von Teilqualifikationen abschlussorientiert angelegt sind, im Mittelpunkt einiger Programme und Initiativen der BA:
- Grundsätzlich kann die (zum Teil abschlussbezogene) Weiterbildung gering qualifizierter (beschäftigter oder arbeitsloser) Arbeitnehmer/ -innen nach § 81 SGB III gefördert werden.
- Im verstetigten BA-Programm WeGebAU (Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter Älterer in Unternehmen) werden u. a. abschlussbezogene Maßnahmen für gering qualifizierte Beschäftigte finanziert.
- Des Weiteren fördert die BA den Erwerb von anerkannten Berufsabschlüssen bzw. Teilqualifikationen im Rahmen der Initiative zur Flankierung des Strukturwandels.
- Mit der Initiative „Erstausbildung junger Erwachsener“ vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der BA, die im Februar 2013 gestartet wurde, wird das Ziel verfolgt, insbesondere junge Erwachsene (25- bis unter 35-Jährige) ohne Berufsabschluss für eine abschlussorientierte Qualifizierung zu gewinnen. Diese Qualifizierungen können insbesondere als betriebliche Einzelumschulungen, Lehrgänge zur Vorbereitung auf die Externenprüfung oder in den o. g. Teilqualifikationen erfolgen.
Darüber hinaus werden im Programm JOBSTARTER CONNECT, das vom BMBF gefördert wird, seit 2009 bundeseinheitliche Ausbildungsbausteine erprobt, um Teilbereiche der beruflichen Bildung – vom sogenannten Übergangsbereich bis hin zur Nachqualifizierung – effizienter und tragfähiger zu gestalten. In der Nachqualifizierung werden Feststellungsverfahren erprobt, die es ermöglichen, bereits vorhandene berufliche Handlungskompetenzen zu ermitteln und darauf aufbauend Nachqualifizierungsangebote für jene Ausbildungsbausteine zu konzipieren, für die noch keine ausreichenden Handlungskompetenzen vorliegen. Durch die Bescheinigung erworbener beruflicher Handlungskompetenz soll insbesondere die Zulassung zur externen Berufsabschlussprüfung über die Glaubhaftmachung beruflicher Handlungsfähigkeit nach § 45 Abs. 2 Satz 2 BBiG bzw. § 36 Abs. 2 Satz 2 HwO erleichtert werden.
Die Befunde der PIAAC-Studie zeigen, dass es sinnvoll ist, bei beruflichen Nachqualifizierungen ggf. Grundkompetenzen zu vermitteln. Auch eine stärkere Einbeziehung formal Geringqualifizierter in die betriebliche Weiterbildung erscheint notwendig, um ihre bisher niedrige Weiterbildungsbeteiligung zu erhöhen (vgl. Heisig/Solga 2015).
(Katrin Gutschow)