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Seit Mitte der 2000er-Jahre nimmt die Anzahl der Schulabgänger/ -innen aus den allgemeinbildenden Schulen ab Schaubild C1.1-1. Während zum Höchststand nach der Wiedervereinigung im Jahr 2006 noch rund 947.000 Jugendliche die Schule verließen, waren es 2013 nur noch 873.000. Lediglich die doppelten Abiturjahrgänge in einigen Bundesländern sorgten zwischen 2007 und 2013 für eine kurzfristige Entspannung. Neben dem allgemeinen demografischen Rückgang lässt sich zudem eine Tendenz hin zu höheren allgemeinbildenden Schulabschlüssen beobachten, die entsprechend der Vorhersagen der Kultusministerkonferenz (KMK) (Kultusministerkonferenz 2013) auch für die Zukunft Bestand haben wird. Besonders deutlich wird dies beim Anstieg der Abgänger/ -innen mit (Fach-)Hochschulreife, der von 2005 bis 2013 bei knapp 33 % lag, und im starken Rückgang der Schulabgänger/ -innen mit Hauptschulabschluss, der sich im selben Zeitraum um rund 38 % verringert hat. Berechnet man auch Studienberechtigte aus den beruflichen Schulen mit ein, so betrug der Anteil der Studienberechtigten an der gleichaltrigen Bevölkerung im Jahr 2013 rund 57,1 %. Zum Vergleich: Im Jahr 1992 waren es noch 30,8 % und 2005 42,5 %. Ein Teil der Zunahme an Hochschulzugangsberechtigten ist zwar auch den doppelten Abiturjahrgängen zuzuschreiben, allerdings gehen die Projektionen der KMK auch von einer weiteren anteilsmäßigen Zunahme der Schulabgänger/ -innen mit (Fach-)Hochschulreife an allen Schulabgängern aus allgemeinbildenden Schulen aus, sodass der Anteil der Studienberechtigten an der gleichaltrigen Bevölkerung auch zukünftig über 50 % liegen wird. Die Zahl der Schulabgänger/ -innen mit mittlerer Reife wird langfristig entsprechend dem allgemeinen demografischen Trend zurückgehen.

Mit dem Niveau des allgemeinbildenden Schulabschlusses eröffnen sich für die Jugendlichen unterschiedliche Perspektiven bei der Wahl des Ausbildungsberufes. Während Jugendliche mit Hochschulzugangsberechtigung theoretisch zwischen Studium und Ausbildung wählen können, stehen Schulabgängern und Schulabgängerinnen ohne bzw. mit Hauptschulabschluss oder mit mittlerer Reife zunächst nur Ausbildungsmöglichkeiten im sogenannten „mittleren Qualifikationsbereich“ offen. Möchte man den jüngsten Passungsproblemen auf dem Ausbildungsmarkt, der steigenden Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen bei anhaltend hohen Zahlen an noch suchenden Bewerbern (vgl. Kapitel A1), auf den Grund gehen, so ist zum einen zu erörtern, welche Anforderungen Betriebe an die Jugendlichen stellen (vgl. Kapitel C2), zum anderen sind auch die Möglichkeiten und Alternativen der jungen Generationen außerhalb des dualen Bereichs darzulegen. Für das zukünftige Potenzial an ausbildungsinteressierten Jugendlichen ist es deshalb entscheidend, inwieweit von den Jugendlichen gewünschte Karrierewege überhaupt durch das duale Ausbildungssystem realisierbar sind und vor allem inwieweit Personen mit einer Hochschulzugangsberechtigung ein Interesse an einer dualen Ausbildung zeigen.

Betrachtet man zunächst die Entwicklung der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge und die Zahl der Studienanfänger/ -innen, so fällt auf, dass sich die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge und die Zahl der Studienanfänger/ -innen seit Beginn des neuen Jahrtausends stark angenähert haben Schaubild C1.1-2. Während im Jahr 2014 mit 522.231 neuen Ausbildungsverträgen ein neuer historischer Tiefstand erreicht wurde, lag die vorläufige Zahl der Studienanfänger/ -innen im Studienjahr 2014 bei 499.000 Personen (vgl. Matthes u. a. 2015). Nimmt man das Verhältnis der studienberechtigten Schulabgänger/ -innen zu den Studienanfängern und -anfängerinnen im selben Jahr, so kann man in den letzten Jahren sogar eine Steigerung der Übergänge an die (Fach-)Hochschulen von 37,4 % im Jahr 2010 auf 45,8 % im Jahr 2014 beobachten. Dies legt den Schluss nahe, dass Jugendliche die Hochschulzugangsberechtigung erwerben, um anschließend auch zu studieren. Die steigende Zahl an Schulabgängern und -abgängerinnen mit Hochschulzugangsberechtigung verringert somit die Zahl der ausbildungsinteressierten Jugendlichen, auch wenn gleichzeitig die Zahl der Abiturienten und Abiturientinnen unter den Auszubildenden etwas zugenommen hat (vgl. Kapitel C2.3).

Doch auch für Schulabgänger/ -innen mit Hauptschulabschluss und insbesondere mit mittlerer Reife eröffnen sich alternative Karrierepfade abseits der traditionellen dualen Ausbildung. Schaubild C1.1-3 verdeutlicht die Entwicklung der Schülerbestände an berufsbildenden Schulen, die Personen ohne Hochschulzugangsberechtigung oder abgeschlossener Berufsausbildung direkt nach Beendigung einer allgemeinbildenden Schule offenstehen.293 Zwar befinden sich trotz des erkennbaren Rückgangs der Schülerbestände seit 2008 die meisten Schüler/ -innen nach wie vor in den Teilzeit-Berufsschulen (vor allem Schüler/ -innen mit einem Ausbildungsvertrag im dualen System), jedoch ist auch die Zahl der Schüler/ -innen an alternativen beruflichen Schulen substanziell seit 1992 gewachsen. Berufsfachschulen (vgl. Kapitel A5.1 und Kapitel A6), an denen vor allem Berufe, die nicht unter BBiG/HwO fallen, ausgebildet werden, stellen gemessen an der Schülerzahl weiterhin die zweitgrößte Ausbildungsstätte des mittleren Qualifikationsbereichs dar. Jedoch sind auch hier die Schülerzahlen rückläufig, wie Schaubild C1.1-3 zeigt. Rückgänge sind auch im Übergangsbereich (Berufsgrundbildungsjahr in vollzeitschulischer Form und Berufsvorbereitungsjahr) zu erkennen, welcher trotz des demografischen Rückgangs nicht vollständig zurückgehen wird (vgl. Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2012, Kapitel C). Zuwächse können hingegen die Schulen des Gesundheitswesens verzeichnen, an denen Abschlüsse in nicht-akademischen, bundesrechtlich geregelten Gesundheitsfachberufen und weiteren landesrechtlich geregelten Berufen des Gesundheitswesens erworben werden können (vgl. Kapitel A5.1 und Kapitel A6). Hierbei handelt es sich um Ausbildungsfelder in einem wachsenden Beschäftigungssegment, das nur zu einem kleinen Teil über BBiG/HwO geregelt ist. Des Weiteren können Fachoberschulen und Fachgymnasien konstante Zuwächse verzeichnen. Beide Ausbildungsstätten ermöglichen neben dem Erwerb fachpraktischer Kenntnisse auch den Erwerb einer Hochschulreife (vgl. Kapitel A6).

Die aggregierten Entwicklungen der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge, der Studienanfänger/ -innen und der Schüler an den beruflichen Schulen verdeutlichen, dass der duale Ausbildungsbereich neben einer demografiebedingt zurückgehenden Anzahl an Ausbildungsinteressierten (vgl. Kapitel C1.2) auch zunehmende Konkurrenz von alternativen Bildungswegen erfährt. Dies ist zum einen der tertiäre Bereich mit einem wachsenden Ausbildungsangebot. Zum anderen aber auch der Gesundheitsbereich, der Abschlüsse in einem wachsenden Beschäftigungsfeld vermittelt und nur zu kleinen Teilen über BBiG/HwO geregelt ist.

Die aufgezeigten Entwicklungen führen zu der Frage, ob die im Vergleich zu anderen Ausbildungsformen zurückgehende quantitative Bedeutung der dualen Ausbildung langfristig Probleme in der Fachkräftesicherung der Unternehmen aufwirft bzw. für die Jugendlichen in den alternativen Bildungsformen auch die Karrierechancen eröffnet, von denen sie zu Beginn der Ausbildung bzw. des Studiums ausgegangen sind. Um dies zu beantworten, muss der Blick von der Ausbildungsstätte gelöst und auf die Entwicklung der in der Vergangenheit erworbenen Befähigungen nach Tätigkeitsfeldern gerichtet werden. Denn zum einen sind die Ausbildungsberufe im dualen System mit ihren jeweiligen Schwerpunkten breit gefächert, zum anderen bieten die unterschiedlichen Ausbildungsstätten des mittleren Qualifikationsbereichs, aber auch der (Fach-)Hochschulen die Befähigung zur Qualifizierung in teilweise überlappenden Tätigkeitsfeldern. Diese Entwicklung kann dann mit der Arbeitskräftenachfrage in diesen Tätigkeitsfeldern verglichen werden (vgl. Kapitel C3). So besteht z. B. die Möglichkeit, dass ein Unternehmen zwar einen ausgeschriebenen Ausbildungsplatz nicht entsprechend besetzen kann, langfristig aber durch die Rekrutierung vollschulisch oder akademisch ausgebildeter Personen dennoch die eigene Fachkräftenachfrage stillen kann.

Tätigkeitsfelder sind hier die BIBB-Berufsfelder (Tiemann u. a. 2008), in denen die Berufsordnungen der Klassifikation der Berufe 1992 nach ihren jeweiligen Tätigkeits- und Branchenschwerpunkten gruppiert wurden. Ausgehend von den Mikrozensuserhebungen 2005 bis 2011 wird ein gepoolter Datensatz erstellt, der Absolventen und Absolventinnen der Abschlussjahre 1996 bis 2010 enthält. Schaubild C1.1-4 zeigt die Verteilung der Absolventen/Absolventinnen aus dem berufsbildenden und dem Hochschulbereich nach 12 aggregierten Berufshauptfeldern (Bott u. a. 2010) der Abschlussjahre 1996 bis 2010. Der größte anteilsmäßige Rückgang ist demnach in den „Be-, verarbeitenden und instand setzenden Berufen“ von rund 19 % zum Ende der 1990er-Jahre auf knapp 11 % im Jahr 2010 zu verzeichnen. Auch die „Büro-, kaufmännischen Dienstleistungsberufe“ gehen in diesem Zeitraum um rund 4  Prozentpunkte von 17 % auf 13 % zurück. Zuwächse verzeichnen vor allem die „Medien-, geistes- und sozialwissenschaftlichen, künstlerischen Berufe“ sowie die „Rechts-, Management und wirtschaftlichen Berufe“. Berufe in diesen Berufshauptfeldern werden vor allem im akademischen Bereich erlangt. Auch in den „Technisch-naturwissenschaftlichen Berufen“ ist nach einem Rückgang bis zum Beginn des neuen Jahrtausends wieder ein Anstieg ersichtlich. Leichte Zugewinne haben auch die Gesundheitsberufe (sowohl akademische als auch nicht-akademische) zu verzeichnen. In den Berufen des mittleren Qualifikationsbereichs zählen die „Berufe im Warenhandel, Vertrieb“ und in den „Maschinen und Anlagen steuernden und wartenden Berufen“ zu den wachsenden Feldern.

Obwohl in unterschiedlichen Ausbildungsstätten Fähigkeiten und Fertigkeiten in ähnlichen Sachgebieten erworben werden können, wird deutlich, dass der Aufwuchs des tertiären Bereichs für ein größeres Angebot in den sekundären Dienstleistungsberufen gesorgt hat und der Rückgang der Absolventenanteile verstärkt die handwerkstypischen Berufe und damit duale Ausbildungsberufe getroffen hat. Eine Einzelbetrachtung der für den berufsbildenden Bereich relevanten Berufsfelder mit den größten anteilsmäßigen Veränderungen macht dies noch einmal deutlich Schaubild C1.1-5. So haben z. B. die „Bauberufe, Holz-, Kunsstoffbe- und -verarbeitung“, welche zu den „Be-, verarbeitenden und instand setzenden Berufen“ gezählt werden, den mit Abstand größten Rückgang von 11 % im Jahr 2000 auf knapp 6 % im Jahr 2010 zu verzeichnen. Im Gegenzug sind allerdings Berufe insbesondere im Bereich des primären Dienstleistungsgewerbes entweder relativ konstant geblieben oder haben anteilsmäßig sogar zugenommen.

Zusammenfassend gesagt unterliegt insbesondere der mittlere Qualifikationsbereich Veränderungen. Der demografische Wandel sowie eine höhere Studierneigung und eine stetige Nachfrage nach alternativen beruflichen Bildungswegen bewirken einen Rückgang der Anzahl neuer Ausbildungsverträge. Weiterhin hat sich das Berufswahlverhalten Jugendlicher innerhalb der unterschiedlichen Bildungsstätten verändert. Dieser Wandel im Bildungsverhalten wird langfristig auch den Arbeitsmarkt der Zukunft anders strukturieren. Der folgende Abschnitt skizziert die Auswirkungen des demografischen Wandels und der erhöhten Studierneigung Jugendlicher für die künftige Qualifikationsstruktur der Bevölkerung. Die Auswirkungen des veränderten Berufswahlverhaltens von Jugendlichen im dualen Ausbildungssystem wiederum werden im Kapitel C3 näher beleuchtet.  

Schaubild C 1.1-1: Entwicklung der Zahl der Schulabgänger/ -innen und Schulabsolventen/ -absolventinnen aus allgemeinbildenden Schulen von 1990 bis 2025 in Deutschland

Schaubild C 1.1-2: Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge im dualen System und Studienanfänger/ -innen 1992 bis 2014

Schaubild C 1.1-3: Schüler/ -innen an beruflichen Schulen 1992 bis 2013

Schaubild C 1.1-4: Anteile der erlernten 12 BIBB-Berufshauptfelder von 1996 bis 2010

Schaubild C 1.1-5: Anteile der 10 größten erlernten Berufsfelder innerhalb des nicht-akademischen (beruflichen) Bereichs von 2000 bis 2010

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    Die Aufnahme an einer Fachoberschule oder einem Fachgymnasien setzt den Erhalt der mittleren Reife voraus.