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Im folgenden Beitrag geht es um die Frage, ob die Entwicklung der betrieblichen Ausbildungsbeteiligung, die seit einigen Jahren rückläufig ist (vgl. Kapitel A4.10.1 und Kapitel C1.4), durch einen sogenannten qualifikatorischen Mismatch bedingt ist (vgl. Niederalt 2004). In der Forschungsliteratur wird seit Längerem die These vertreten, dass einer der Gründe für den Rückzug von Betrieben aus der Ausbildung darin besteht, dass sich Jugendliche um die angebotenen Ausbildungsstellen bewerben, die aus Sicht der Betriebe nicht den Qualifikations- und Kompetenzerwartungen und -erfordernissen entsprechen (vgl. Kapitel C2.1) (z. B. Baethge/Solga/Wieck 2007; Autorengruppe Bildungsberichtserstattung 2012). Als Beispiel wird immer wieder die Gruppe der Hauptschüler/ -innen genannt, die den aktuellen Anforderungen der Betriebe nicht mehr entsprechen würden und für die Betriebe zunehmend nicht mehr als Auszubildende infrage kämen (vgl. Gaupp u. a. 2008; Bos/Müller/Stubbe 2010; Protsch 2014).302 Hinzu käme, dass ihre Zahl aufgrund von strukturellen Veränderungen im Schulbereich immer weiter abnehmen würde.

Als weiterer Grund für die rückläufige Ausbildungsbeteiligung wird aber auch auf die Schulabsolventen/ -absolventinnen mit Fachhoch- oder Hochschulreife verwiesen, die sich aufgrund der Bildungsexpansion vermehrt für höhere berufliche Bildungsabschlüsse interessieren würden und im Vergleich zu früher eine betriebliche Ausbildung nicht mehr in Betracht zögen (vgl. Kapitel C1.1). Auch dies wäre für das duale Ausbildungssystem insgesamt eine Form des qualifikatorischen Mismatches. In diesem Falle würden Passungsprobleme dadurch entstehen, dass die duale Ausbildung nicht mehr den Berufs-, Aufstiegs- und Einkommensvorstellungen von Abiturienten und Abiturientinnen entspricht.

Allein ein Blick in amtliche Statistiken lässt erkennen, dass es sich beim qualifikatorischen Mismatch auf dem Ausbildungsmarkt um ein sehr spezielles Passungsproblem handeln muss (Schaubild C2.3-1). Angesichts der Verteilungen der offiziell registrierten Ausbildungsstellenbewerber/ -innen lässt sich keineswegs behaupten, dass unter den Jugendlichen mit höheren Schulabschlüssen das Interesse an einer betrieblichen Ausbildung zurückgegangen ist. Trotz insgesamt rückläufiger Zahlen an Schulabsolventen bewerben sich im Jahr 2013 knapp 140.000 Jugendliche mit Hochschulreife um eine Ausbildungsstelle, das sind 36.000 Abiturienten/Abiturientinnen mehr als 2006.303 Auch die Zahlen für die Hauptschüler/ -innen sprechen für ein ausreichendes Potenzial für betrieblich auszubildende Nachwuchskräfte.

Oberflächlich betrachtet dürften angesichts dieser Zahlenverhältnisse auf dem deutschen Ausbildungsmarkt keine größeren qualifikatorischen Passungsprobleme zwischen Angebot und Nachfrage bestehen. Wie in Kapitel C2.1 näher untersucht, könnte dies allerdings nicht für alle Betriebe in gleichem Maße gelten.

Um hier zu besseren Einschätzungen zum qualifikatorischen Mismatch auf dem deutschen Ausbildungsmarkt zu kommen, wurden für die folgenden Ausführungen Auswertungen der zweiten und dritten Erhebungswelle des BIBB-Qualifizierungspanels aus den Jahren 2012 und 2013 erstellt (vgl.   im BIBB-Datenreport 2014, Kapitel A4.10.3).304 Die zu untersuchende These lautet, dass qualifikatorische Passungsprobleme – und in der Folge ein Rückgang in der betrieblichen Ausbildungsbeteiligung – dann entstehen, wenn entweder der Anteil an schwächer qualifizierten Schulabgängern und -abgängerinnen unter den Ausbildungsstellenbewerbern hoch bzw. überdurchschnittlich ausfällt und/oder der Anteil an höher qualifizierten Schulabsolventen/ -absolventinnen unter den Bewerbern um Ausbildungsstellen niedrig oder unterdurchschnittlich ausfällt.305

Um die Ausbildungsbeteiligung der Betriebe zu messen, wurde anstelle der Ausbildungsbetriebsquote, die den Anteil ausbildender Betriebe an allen Betrieben mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten misst (vgl. Kapitel C2.1), die Ausbildungsquote als alternativer Indikator für die Ausbildungsleistung der Wirtschaft verwendet (vgl. Troltsch/Walden 2014). Für die folgende Auswertung wurden 4 Gruppen an Betrieben zusammengefasst: Betriebe, die zwischen 2012 und 2013

  • den Anteil ihrer Auszubildenden insgesamt erhöht haben,
  • den Anteil ihrer Auszubildenden insgesamt konstant gehalten haben,
  • den Anteil ihrer Auszubildenden insgesamt verringert haben oder
  • sich (zumindest temporär) aus der Ausbildung zurückgezogen haben.

Zur Messung der qualifikatorisch bedingten Passungsprobleme wurden auf Grundlage der Angaben der Betriebe folgende 3 Indikatoren gebildet:

  • Anteile an Ausbildungsstellenbewerbern nach schulischer Vorbildung,
  • Anteile an neu eingestellten Auszubildenden nach schulischer Vorbildung,
  • Quotient aus dem Anteil an Bewerbern/-innen und dem Anteil an neu eingestellten Auszubildenden nach schulischer Vorbildung (Selektionsquotient).

Die Auswertungen führen zu folgenden Ergebnissen (Schaubild C2.3-2): Verglichen mit den offiziellen Statistiken zu den bei der Bundesagentur für Arbeit registrierten Bewerbern/-innen um Berufsausbildungsstellen (29 %) bewerben sich Schulabgänger/ -innen mit Hauptschulabschluss mit durchschnittlich 36,7 % zu einem deutlich höheren Anteil bei den befragten Betrieben um einen Ausbildungsplatz (Schaubild C2.3-1). Diese Unterschiede hängen u. a. damit zusammen, dass sich nicht alle Ausbildungsstellenbewerber bei den Arbeitsagenturen registrieren lassen, es unter den Jugendlichen auch Mehrfachbewerbungen bei verschiedenen Betrieben und für unterschiedliche Ausbildungsberufe gibt und es sich bei den Daten um eine repräsentative Stichprobe an Betrieben handelt.

Der Anteil an Bewerbern/Bewerberinnen mit einem Realschulabschluss liegt mit etwa 44 % dagegen vergleichbar hoch. Jeder/Jede zwanzigste Bewerber/ -in verfügt nach Angaben der befragten Betriebe über keine abgeschlossene Schulausbildung, jede/ -r siebte besitzt die Hochschul- oder Fachhochschulreife. Daraus ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten für die Jugendlichen, eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Gute Chancen haben Bewerber/ -innen mit Realschulabschluss oder Abitur. Verglichen mit ihrem Anteil unter den Bewerbern/Bewerberinnen werden mit diesen beiden Gruppen mehr neue Ausbildungsverträge abgeschlossen. Etwas schlechter sieht es bei den Hauptschülern/ -schülerinnen aus, obwohl hier von 10 Bewerbern/Bewerberinnen im Durchschnitt fast 9 Bewerber/ -innen einen Ausbildungsplatz erhalten. Über die schlechtesten Chancen verfügen Jugendliche ohne Schulabschluss.306

Bei Betrieben, deren Ausbildungsbeteiligung zwischen 2012 und 2013 gestiegen ist, bewerben sich überdurchschnittlich viele Schulabsolventen mit Hauptschulabschluss, unterdurchschnittlich viele Schulabgänger/ -innen mit Realschulabschluss und ein genau im Durchschnitt liegender Anteil an Abiturienten/Abiturientinnen. In dieser Gruppe an Betrieben mit steigender Ausbildungsbeteiligung spiegelt die Struktur der neu eingestellten Auszubildenden in hohem Maße die Bewerberstrukturen wider. Und das heißt, dass es zumindest im Untersuchungszeitraum zu einer Art Chancengleichverteilung für Ausbildungsstellenbewerber/ -innen gekommen ist und dass ein breit gefächertes Angebot an unterschiedlich qualifizierten Schulabgängern/ -abgängerinnen offensichtlich zu einer günstigen Entwicklung in der Ausbildungsbeteiligung von Betrieben führt.

Konstant ausbildende Betriebe haben sich im Gegensatz dazu in überproportionaler Weise für Bewerber/ -innen mit höheren Schulabschlüssen und entsprechend ihrem Bewerberanteil für Jugendliche mit Realschulabschluss entschieden. Dies führt in dieser Betriebsgruppe zu negativen Konsequenzen für die Bewerber/ -innen mit Hauptschulabschluss. Hier kommen nur 2 von 3 Bewerbern/Bewerberinnen mit Hauptschulabschluss zum Zuge. Bewerber/ -innen ohne schulische Vorbildung bekommen in diesen Betrieben überhaupt keine Chance auf eine betriebliche Ausbildungsstelle.

Bei Betrieben, deren Ausbildungsbeteiligung zwischen 2012 und 2013 zurückgeht, bewerben sich überdurchschnittlich viele Schulabsolventen/ -absolventinnen mit Realschulabschluss und unterdurchschnittlich viele Hauptschüler/ -innen. Von diesen Betrieben werden für die Ausbildung besonders viele Realschulabsolventen/ -absolventinnen und – dies als Besonderheit – überdurchschnittlich viele Jugendliche ohne Schulabschluss aufgenommen. Hauptschüler/ -innen haben dagegen geringere Chancen.

In Betrieben, die im Gegensatz zum Vorjahr im Berichtsjahr 2013 keine Auszubildenden mehr unter ihren Beschäftigten hatten, zeigen sich in den Bewerberstrukturen ein deutliches Überangebot an Realschulabsolventen und ausgesprochen niedrige Anteile an Hauptschülern/Hauptschülerinnen und Abiturienten/Abiturientinnen.

Es gibt Indizien dafür – wenn die formale Schulbildung der Bewerber/ -innen als alleiniger Indikator für Passungsprobleme verwendet wird –, dass qualifikatorisch bedingte Passungsprobleme in aller Deutlichkeit nur in Betrieben vorliegen, die zwischen 2012 und 2013 zumindest zeitweise aus der betrieblichen Ausbildung ausgestiegen sind. In Betrieben mit zurückgehender Ausbildungsbeteiligung ist schon weniger klar, warum diese Betriebe weniger Jugendliche ausbilden, obwohl sich überdurchschnittlich viele Realschüler/ -innen und durchschnittlich viele Abiturienten/Abiturientinnen bewerben. Hier ist zu vermuten – und müsste als Hypothese weiter untersucht werden –, dass es in diesen Betrieben noch andere, z. B. eher ökonomische Gründe gibt, weniger auszubilden. Dennoch muss wohl auch in diesen Fällen von qualifikatorischen Passungsproblemen ausgegangen werden, da gerade diese Betriebe am meisten auf Jugendliche ohne Schulabschluss zurückgegriffen haben. Bei Betrieben mit steigender, aber auch mit konstanter Ausbildungsbeteiligung lassen sich auf den ersten Blick keine Passungsprobleme aufgrund betrieblicher Qualifikationseinschätzungen identifizieren. Hier weist das Verhältnis zwischen Bewerber- und Neueinstellungsanteilen für alle Bewerbergruppen relativ ähnliche Chancen auf.

Insgesamt kann als Trend zusammenfassend gesagt werden, dass die Ausbildungsbeteiligung umso stärker zurückgeht, wenn

  • der Anteil an Hauptschülern/Hauptschülerinnen unter den Bewerbern/Bewerberinnen auf 17 % deutlich zurückgeht,
  • der Anteil an Realschulschulabsolventen/ -absolventinnen bis auf einen Wert von knapp 70 % steigt,
  • der Anteil an Abiturienten/Abiturientinnen bis zu einem Prozentsatz von 3,9 abnimmt.

Außerdem scheint zu gelten, dass zwar

  • je höher der Anteil einer Bewerbergruppe ausfällt, desto höher auch deren Chancen auf einen Ausbildungsplatz ausfallen, dass sich aber
  • ein extremes Übergewicht einer Bewerbergruppe negativ auf die betriebliche Ausbildungsbeteiligung auswirkt.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich derzeit noch keine generellen qualifikatorischen Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt durch ein rückläufiges Interesse von Abiturienten/Abiturientinnen an einer dualen Ausbildung zeigen und dass Betriebe je nach Bedarf durchaus noch über ausreichende Auswahlmöglichkeiten unter den schulisch unterschiedlich vorgebildeten Bewerbern/Bewerberinnen verfügen. Dies schließt nicht aus, dass sich für spezielle Betriebsgruppen wie den Kleinstbetrieben die qualifikatorischen Passungsprobleme verschärft haben (vgl. Kapitel C2.1), zumal sich in der Betriebsgruppe mit (temporären) Ausbildungsausstiegen fast zu 90 % Kleinstbetriebe befinden.

(Klaus Troltsch)

Schaubild C 2.3-1: Offiziell registrierte Bewerber/-innen um Berufsausbildungsstellen nach schulischer Vorbildung zwischen 2006 und 2013 in Deutschland (in %)

Schaubild C 2.3-2: Durchschnittliche Anteile an Bewerbern/-innen um Berufsausbildungsstellen, an neu eingestellten Auszubildenden und Auswahlchancen, jeweils nach schulischer Vorbildung und nach Entwicklung der betrieblichen Ausbildungsbeteiligung zwische

  • 302

    Zu etwas anderen Schlussfolgerungen kommen Uhly 2010, Walden/Troltsch 2012 und Gerhards/Troltsch/Walden 2013. 

  • 303

    Zuwächse unter den Abiturienten sind auch durch die doppelten Abiturientenjahrgänge bedingt. 

  • 304

    Der Datensatz für die Erhebungswelle 2012 steht über das BIBB-FDZ unter doi:10.7803/371.12.1.2.10 für externe Wissenschaftler und Studierende zur Verfügung. Der Datensatz für die Erhebungswelle 2013 wird im Mai 2015 freigegeben. 

  • 305

    In der Erhebungswelle 2012 des BIBB-Qualifizierungspanels wurden 2.000 ausbildende und nicht ausbildende Betriebe gefragt, wie viele Jugendliche sich um die neu angebotenen Ausbildungsstellen beworben haben und über welche höchsten Schulabschlüsse diese Bewerber verfügt haben. Dabei wurden 4 Schulabschlüsse vorgegeben: ohne Schulabschluss oder vergleichbar, mit Hauptschulabschluss oder vergleichbar, mit Realschulabschluss oder vergleichbar und mit Fachhoch- oder Hochschulreife. Zusätzlich wurden die Betriebe gefragt, über welche Schulabschlüsse diejenigen Jugendlichen verfügten, mit denen sie einen neuen Ausbildungsvertrag abgeschlossen hatten. 

  • 306

    Verglichen mit der Berufsbildungsstatistik zum selben Stichtag (31. Dezember 2012) haben die befragten Betriebe mehr Ausbildungsverträge mit Realschulabsolventen und weniger mit Abiturienten abgeschlossen. Die Anteile von neu eingestellten Auszubildenden ohne Schulabschluss und mit Hauptschulabschluss entsprechen dagegen exakt den offiziellen Angaben (vgl. BIBB-Datenreport 2014, Kapitel A4.6).