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Um mögliche langfristige Engpässe im mittleren Qualifikationsbereich identifizieren zu können, müssen sowohl das Arbeitsangebot als auch der Arbeitskräftebedarf in einer beruflichen und qualifikatorischen Differenziertheit entsprechend bisherigen Entwicklungen fortgeschrieben werden. Mit den BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen (Maier u. a. 2014 a; BIBB-Datenreport 2014, Kapitel A9.2) wurden umfangreiche Modellrechnungen konzipiert, die eine Fortschreibung bisheriger Entwicklungen des Arbeitsmarktes und des Bildungssystems unter Berücksichtigung zahlreicher Interdependenzen erlauben. So werden in der dritten Projektionswelle die Erhöhung der Erwerbsquoten,315 insbesondere bei Frauen und Älteren, die fortschreitende Bildungsexpansion und die zunehmenden Wanderungsgewinne Deutschlands berücksichtigt (Maier u. a. 2014 b). So wird unterstellt, dass bis 2030 jährlich rund 200.000 Personen mehr nach Deutschland zuwandern als abwandern. Trotz dieser Zuwanderungsannahme kann der demografische Bevölkerungsrückgang in diesem Zeitraum nicht aufgefangen werden. Die Zahl der Erwerbspersonen wird verglichen mit 2012 bis zum Jahre 2030 um rund 2,10 Mio. auf 41,78 Mio. sinken. Die gestiegene Nettozuwanderung hat aber nicht nur Auswirkungen auf das Angebot an Erwerbspersonen, sondern auch auf den Bedarf an Erwerbstätigen, da die Zuwanderung auch positiv auf Binnennachfrage nach Gütern und Dienstleistungen wirkt. Dennoch wird auch der Bedarf an Arbeitskräften in absoluten Größen langfristig rückläufig sein und im Jahr 2030 bei etwa 40,36 Mio. erwerbstätigen Personen liegen.

In Kapitel C1.2 wurde bereits ein Ausblick auf die Bevölkerungsentwicklung nach Qualifikationen entsprechend den BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen gegeben. Hier wurde deutlich, dass mit der demografischen Alterung die erwerbsfähige Bevölkerung (zwischen 15 und 69 Jahren) mit einem mittleren Qualifikationsniveau langfristig zurückgeht. Da eine schrumpfende Bevölkerung (trotz Zuwanderung und deren positiver Effekte auf die Binnennachfrage) allerdings auch eine zurückgehende Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen nach sich zieht, ist zur Identifikation möglicher langfristiger qualifikatorischer Passungsprobleme auch die Nachfrage nach Erwerbstätigen eines bestimmten Qualifikationsniveaus zu berücksichtigen.

Schaubild C3.2-1 gibt die Entwicklung des voraussichtlichen Arbeitsangebots und -bedarfs nach 3  Qualifikationsstufen bis 2030 wieder. So wird deutlich, dass gerade im tertiären Bereich (Meister-, Techniker-, [Fach-]Hochschulabschlüsse) das zunehmende Angebot an Arbeitskräften zwar in den ersten Jahren von der Nachfrageseite aufgenommen wird, nach den derzeitigen Entwicklungen langfristig allerdings nicht absehbar ist, dass dieses Arbeitskräfteangebot entsprechend seinen beruflichen Qualifikationen auch im oberen Qualifikationssegment beschäftigt wird. Denn die bisherige Entwicklung der Nachfrage spiegelt einen solchen Anstieg nicht wider. Ursächlich für den Angebotsanstieg sind vor allem die zunehmenden Übergänge der jungen Generationen an die (Fach-)Hochschulen, während das langfristige Angebot an Erwerbspersonen mit einem Meister-, Techniker-, Fachschulabschluss im Projektionszeitraum – wie die Nachfrage nach diesen Qualifikationen – leicht rückläufig ist.

Betrachtet man die Personen mit abgeschlossener Berufsbildung,316 so wird ersichtlich, dass zwar auch die Nachfrage nach dieser Qualifikationsstufe zurückgeht, jedoch nicht in dem ausgeprägten Maß wie das Arbeitsangebot. Hier wird es trotz einer erhöhten Zuwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland durch das beginnende altersbedingte Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben („Babyboomer-Generation“) voraussichtlich zu Engpässen ab Mitte der 2020er-Jahre kommen.

Der Bedarf an Arbeitskräften ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung wird zwischen 2011 und 2030 um rund 0,9 Mio. Personen sinken. Auch das Angebot geht in diesem Zeitraum zurück, allerdings nicht im selben Maße, sodass bis zum Jahr 2030 die Unterbeschäftigung der Personen ohne Berufsabschluss auf rund 1,2 Mio. ansteigen wird. Aktuelle Entwicklungen deuten zwar darauf hin, dass sich der Anteil der nicht formal Qualifizierten in der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen seit 2005 kontinuierlich verringert (vgl. Kapitel C1.3). Um eine langfristige Reduzierung dieser Personengruppe zu erreichen, müssten aber auch ältere Erwerbspersonen nachqualifiziert werden (Maier u. a. 2012, S. 17–23). Dies wäre auch aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive sinnvoll, um die entstehende Fachkräftelücke im mittleren Qualifikationsbereich zu schließen.

BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen

Die BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen (QuBe-Projekt), die in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) und dem Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) entstanden sind, zeigen anhand von Modellrechnungen auf, wie sich das Angebot und die Nachfrage nach Qualifikationen und Berufen langfristig entwickeln können. Datengrundlage ist hierbei der Mikrozensus (in der vorliegenden Projektion bis zum Jahre 2011): eine amtliche Repräsentativstatistik des Statistischen Bundesamtes über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt, an der jährlich ein Prozent aller Haushalte in Deutschland beteiligt ist, angepasst an die Eckwerte der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (in der vorliegenden Projektion bis zum Jahre 2012). Die Lohninformationen stammen aus der Beschäftigtenhistorik der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (in der vorliegenden Projektion bis zum Jahre 2011). Für die Berufsdifferenzierung wurde seitens des BIBB eine einheitliche Berufsfeldsystematik entwickelt, welche die Berufe auf der Drei-Steller-Ebene der Klassifikation der Berufe entsprechend ihren Tätigkeiten gruppiert (Tiemann u. a. 2008). Zur einfacheren Darstellung werden diese 54 Berufsfelder auf 12  Berufshauptfelder aggregiert (siehe Tabelle 4 in Maier u. a. 2014 b).

Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf der Basisprojektion der dritten Projektionswelle. Diese basiert auf den Methodiken der ersten (Helmrich/Zika 2010) und zweiten Welle (Helmrich u. a. 2012; Zika u. a. 2012) und nimmt zudem weitere Erneuerungen mit auf. So wird auf der Bedarfsseite das bisherige IAB/INFORGE-Modell (Hummel/Thein/Zika 2010; Schnur/Zika 2009) erweitert, indem das berufsspezifisch zur Verfügung stehende Arbeitskräfteangebot in Köpfen und Stunden bei der Lohnbestimmung für die Berufsfelder mit berücksichtigt wird (QINFORGE). Auf der Angebotsseite werden die Vorteile der bisherigen beiden Angebotsmodelle BIBB-FIT (Kalinowski/Quinke 2010) und BIBB-DEMOS (Drosdowski/Wolter 2010) in einem Angebotsmodell vereint und zugleich Lohnabhängigkeiten der beruflichen Flexibilitäten modelliert. Das Arbeitsangebot reagiert hierdurch auf die sich veränderten Löhne in den Berufsfeldern. Jedoch wird mit dem QuBe-Projekt in der Basisprojektion ein empirie-basiertes Konzept verfolgt: Es werden nur die bislang nachweisbaren Verhaltensweisen in die Zukunft projiziert. In der Vergangenheit nicht feststellbare Verhaltensänderungen sind somit nicht Teil der Basisprojektion. Dies gilt auch für die modellierten Marktanpassungsmechanismen. Alle Erneuerungen in der Modellierung sind ausführlich in Maier u. a. (2014 b) beschrieben.

Weitere Informationen unter www.QuBe-Projekt.de.

Schaubild C 3.2-1: Erwerbstätige und Erwerbspersonen nach Qualifikationsniveaus (ISCED)

  • 315

    Dies beinhaltet die schrittweise Einführung der Rente mit 67, jedoch noch nicht die Möglichkeit des vorzeitigen Verlassens des Arbeitsmarktes nach 45 Beitragsjahren (Maier u. a. 2014 b). 

  • 316

    Damit ist ein vollqualifizierender Berufsabschluss entsprechend der ISCED-Kategorie 3 b und 4 gemeint.