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Die Mobilitätsbereitschaft von Jugendlichen trägt dazu bei, regionale Ungleichgewichte von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt zu mindern. Sie kann jedoch auch dazu führen, dass in Regionen mit einem aus Sicht der Jugendlichen attraktiven Angebot deutlich mehr Ausbildungsstellenbewerber/ -innen aktiv sind als aus dieser Region selbst stammen. Sofern sich die in der Region heimischen Bewerber/ -innen nicht im selben Ausmaß mobilitätsbereit zeigen wie die Nachfrager/ -innen von außerhalb, können sich die regionalen Disparitäten auf dem Ausbildungsmarkt infolge eines unterschiedlichen Mobilitätsverhaltens auch verschärfen.

Wichtige Hinweise zur Mobilität von Jugendlichen im Zusammenhang mit ihrer Berufsausbildung lassen sich der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) entnehmen (vgl. Statistik der Bundesagentur für Arbeit 2015 b). Sie gibt darüber Auskunft, wo Auszubildende wohnen und wo ihre Ausbildungsstätten liegen. Auf dieser Basis werden im Folgenden Pendlerbewegungen zwischen Regionen (Arbeitsagenturbezirken) und zwischen Bundesländern nachgezeichnet. Stichtag ist der 31. Dezember 2013.

Mobilität zwischen den Regionen

Rund 365.700 der 1.612.200 Ausbildungsplätze20, die am 31. Dezember 2013 von der BA in den 154 Arbeitsagenturbezirken21 registriert wurden, waren von Personen besetzt, die nicht im betreffenden Arbeitsagenturbezirk leben, sondern von außerhalb einpendeln. Die auf diese Weise definierte Einpendlerquote (Anteil der Ausbildungsplätze in einer Region, der von Auswärtigen besetzt wird) variierte jedoch sehr stark von Region zu Region. Die niedrigsten Einpendlerquoten wurden in den Arbeitsagenturbezirken Lörrach (Baden-Württemberg) und Aachen-Düren (Nordrhein-Westfalen) gemessen, wo nur 6,6 % der dortigen Ausbildungsplätze von jungen Menschen genutzt wurden, die nicht in diesem Arbeitsagenturbezirk wohnen. Weitere besonders niedrige Einpendlerquoten gab es u. a. in Emden-Leer (Niedersachsen) und Flensburg (Schleswig-Holstein) mit jeweils 7,5 %. Sehr hohe Quoten wurden dagegen in Frankfurt/Main (62,1 %), Düsseldorf (58,4 %) und Mannheim (56,2 %) beobachtet. Mehr als die Hälfte der Auszubildenden in den dortigen Betrieben stammte von außerhalb. Auch in Chemnitz (47,2 %) und Essen (46,3 %) gab es sehr hohe Einpendlerquoten.

Spiegelbildlich gilt, dass 2013 rund 365.700 der 1.612.200 Beschäftigten, die von der BA als Auszubildende registriert wurden, ihre Ausbildung nicht in ihrem Arbeitsagenturbezirk absolvierten, in dem sie selbst wohnen, sondern in einem anderen Arbeitsagenturbezirk. Die auf diese Weise definierte Auspendlerquote (Anteil der in einer Region wohnenden Auszubildenden, der auspendelt) variierte in den 154 Regionen ebenfalls sehr deutlich. Am niedrigsten war sie im Arbeitsagenturbezirk Saarland, wo nur 5,2 % aller dort wohnenden Auszubildenden außerhalb dieser Region ausgebildet werden. Auch im rheinland-pfälzischen Trier (8,6 %), im baden-württembergischen Freiburg und im niedersächsischen Hannover (jeweils 8,7 %) fiel die Quote sehr gering aus. Sehr hohe Auspendlerquoten wurden in den nordrhein-westfälischen Arbeitsagenturbezirken Gelsenkirchen (47,3 %) und Mettmann (46,8 %) sowie im bayerischen Freising (46,2 %) und im hessischen Offenbach (45,7 %) registriert.

Über eine Regressionsanalyse lassen sich die Faktoren bestimmen, die eine hohe Auspendlerquote – und in diesem Sinne eine hohe Mobilität – begünstigen. Die Ergebnisse finden sich in Tabelle A1.4.2-1.

Wie an der Konstante ablesbar ist, beträgt die mittlere Auspendlerquote in den ländlichen Regionen (mit niedriger Dichte von weniger als 100 Einwohnern je Quadratkilometer) 25,0 %. Dieser Wert bezieht sich auf ländliche Regionen mit durchschnittlichem basalen Versorgungsgrad und durchschnittlicher Einpendlerquote. Der Regressionskoeffizient zeigt, dass sich bei hohem basalen Versorgungsgrad auch die Neigung abschwächt, aus der Region auszupendeln: Mit jedem Prozentpunkt, mit dem der Versorgungsgrad höher ausfällt, nimmt die Auspendlerquote um 0,594 Prozentpunkte ab. Allerdings werden die Ausbildungsplätze auch von Jugendlichen von außerhalb nachgefragt, und dies verstärkt die Konkurrenz vor Ort. Eine erfolgreiche Ausbildungsplatznachfrage von außerhalb motiviert die Jugendlichen vor Ort, dieser Konkurrenz auszuweichen und selbst auszupendeln.

A 1.4.2-1: Einflussgrößen auf die Höhe der Auspendlerquote aus den verschiedenen Regionen

Dieser Zusammenhang ist stark ausgeprägt: Rechnerisch steigt mit jedem zusätzlichen Prozentpunkt an Einpendlern die Auspendlerquote um 1,101 Prozentpunkte. 

Basaler Versorgungsgrad

Der basale Versorgungsgrad ist definiert als das Verhältnis zwischen der Zahl der Ausbildungsplätze in einer Region und der Zahl der Auszubildenden, die in derselben Region leben. Ist er hoch, stehen rein rechnerisch für die Auszubildenden, die in einer bestimmten Region wohnen, viele Ausbildungsplätze vor Ort zur Verfügung. 

Bei alledem gilt, dass sich das Mobilitätsverhalten von Jugendlichen auf dem Land und aus den Großstädten bei ansonsten denselben Versorgungs- und Ausbildungsmarktbedingungen leicht unterscheidet. Denn wie der entsprechende Regressionskoeffizient zeigt, fällt der Anteil der Personen in großstädtischen Regionen, der auspendelt, im Schnitt um 2,437 Prozentpunkte niedriger aus als bei Jugendlichen aus ländlichen Regionen. Die großstädtischen Jugendlichen zeigen sich also selbst bei ähnlichen Versorgungsverhältnissen im Schnitt etwas immobiler als Jugendliche aus ländlichen Regionen.

In vielen Regionen differieren die Ein- und Auspendlerquoten deutlich und kompensieren sich damit nicht gegenseitig. In den extremsten Fällen, die 2013 beobachtet werden konnten, lag die Einpendlerquote um  19,9  Prozentpunkte niedriger als die Auspendlerquote (im Arbeitsagenturbezirk Freising, was die Versorgungslage vor Ort stark entlastete) bzw. um 36,9 Prozentpunkte höher (im Arbeitsagenturbezirk Frankfurt/Main, was die Versorgung der einheimischen Jugendlichen erschwerte). Vergleicht man die basale Versorgungslage vor Ort (also die Zahl der Ausbildungsplätze, die rechnerisch auf die am selben Ort wohnenden Auszubildenden entfällt) mit der tatsächlichen Relation von Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage, wie sie sich als Folge der Pendlerbewegungen ergibt, so lässt sich fast keine Korrelation mehr feststellen.22 Durch die Mobilität werden die Versorgungs- bzw. Ausbildungsmarktverhältnisse demnach bisweilen grundlegend verändert Schaubild A1.4.2-1.

Typische Beispiele hierfür sind die Arbeitsagenturbezirke Neuruppin (Brandenburg), Annaberg-Buchholz, Freiberg (beide Sachsen), Ludwigsburg (Baden-Württemberg), Ansbach-Weißenburg, Freising und Weilheim (allesamt Bayern). Die Zahl der Ausbildungsplätze, die rechnerisch auf die am selben Ort wohnenden Auszubildenden entfällt, ist hier weit unterdurchschnittlich, während die Angebots-Nachfrage-Relation als Folge von Mobilitätsprozessen weit überdurchschnittlich ausfällt. Das Gegenteil ist in den Arbeitsagenturbezirken Hamburg, Bochum, Dortmund (beide Nordrhein-Westfalen) und Kassel (Hessen) der Fall: Hier ist die basale Versorgungslage, wiederum verstanden als Zahl der Ausbildungsplätze, die auf die am selben Ort wohnenden Auszubildenden entfällt, rechnerisch weit überdurchschnittlich, während die Angebots-Nachfrage-Relation weit unterdurchschnittliche Werte aufweist und damit auf eine letztlich schwierige Ausbildungsmarktlage hindeutet. 

Schaubild A 1.4.2-1: Basaler Versorgungsgrad (31. Dezember 2013) und Angebots-Nachfrage-Relation (30. September 2014) im Vergleich

Mobilität zwischen den Ländern

Rund 100.900 der 1.612.200 Beschäftigten, die am 31.  Dezember 2013 von der BA als Auszubildende registriert wurden, wohnten nicht in dem Bundesland, in dem ihr Ausbildungsbetrieb angesiedelt war. Der Anteil fiel dabei im Westen (5,5 %) deutlich niedriger aus als im Osten (11,1 %).

Die länderübergreifende Mobilität führt insbesondere in den Stadtstaaten dazu, dass höhere Anteile der dort verfügbaren Ausbildungsplätze nicht von eigenen Landesbewohnern besetzt werden, so in Bremen (38,7 %), Hamburg (33,2 %) und Berlin (18,7 %) Tabelle A1.4.2-2. Zwar wohnten in den Stadtstaaten auch in nennenswertem Maße Jugendliche, die ihren Ausbildungsplatz außerhalb ihres eigenen Bundeslandes gefunden hatten. Dennoch fiel die Nettobilanz in allen 3 Stadtstaaten negativ aus: Die Zahl der Landesbewohner, die sich in Ausbildung befanden, war niedriger als die Zahl der Ausbildungsplätze, die im eigenen Land zur Verfügung gestellt wurden. So standen z. B. den knapp 11.800 Auszubildenden aus dem Land Bremen 16.400 Ausbildungsplätze gegenüber, die dort vorhanden waren. 

Tabelle A 1.4.2-2: Relative Verteilung der im jeweiligen Land angebotenen Ausbildungsplätze auf die Auszubildenden nach deren Wohnort (Angaben in %)

Diese Ergebnisse verweisen zum einen darauf, dass Mobilität grundsätzlich hilfreich ist, um regionale Passungsprobleme von Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage zu verringern, dass sie aber auch für einzelne Regionen zu Erschwernissen führen kann, die Jugendlichen vor Ort mit Ausbildungsplätzen zu versorgen. Zum anderen zeigen die Resultate, dass bei vielen Jugendlichen Mobilitätsbereitschaft durchaus vorhanden ist. Unter den 100.700 Auszubildenden, die nach den Ergebnissen der Beschäftigtenstatistik ihre Ausbildung nicht im eigenen Bundesland absolvierten, fanden sich 15.900, bei denen das Land, in dem sie ihren Beruf erlernen, kein direkter Nachbar des Bundeslandes ist, in dem sie wohnen. Dabei spiegelt die in der Beschäftigtenstatistik sichtbare Mobilität lediglich erfolgreich realisierte Mobilität wider. Noch einmal deutlich höher dürften die faktisch aktivierte Mobilitätsbereitschaft ausfallen, gemessen an der Zahl von ausbildungsinteressierten Jugendlichen, die sich mit oder aber auch ohne Erfolg auf Ausbildungsplätze außerhalb der eigenen Region bewerben, sowie die latente Mobilitätsbereitschaft, verstanden als die „Bereitschaft des Jugendlichen, bei absehbaren Schwierigkeiten bei der Lehrstellensuche auch Ausbildungsplatzangebote außerhalb der Heimatregion in Betracht zu ziehen und sich gegebenenfalls auch auf diese Angebote zu bewerben“ (Ulrich/Ehrenthal/Häfner 2006, S. 101).

(Stephanie Matthes, Joachim Gerd Ulrich) 

  • 20

    In dieser Zahl sind zu einem geringeren Anteil auch Ausbildungsplätze außerhalb des dualen Berufsausbildungssystems enthalten. Die Zahl der Auszubildenden nach BBiG/HwO umfasste zum 31. Dezember 2013 1.391.900 Personen (Statistisches Bundesamt 2014 d) (vgl. Kapitel A4.2). 

  • 21

    Die 3 Arbeitsagenturbezirke Berlins sind dabei zu einer Region zusammengefasst. 

  • 22

    Die gemeinsame Varianz beider Größen liegt bei rund einem Prozent. Die Ange­bots-Nachfrage-Relation wurde nach der erweiterten Formel berechnet (vgl. Kapitel A1.1).