Für den Erfolg des dualen Ausbildungssystems ist es von Bedeutung, ob nach Beendigung der Ausbildung der Übergang der Ausbildungsabsolventinnen und Ausbildungsabsolventen in reguläre Beschäftigungsverhältnisse gelingt. Der folgende Beitrag untersucht anhand aktueller Daten des IAB-Betriebspanels und des BIBB-Qualifizierungspanels, welche Entwicklungen sich beim Übernahmegeschehen von Betrieben in Deutschland abzeichnen, und geht der Frage nach, ob das Übernahmeverhalten von Betrieben und die Probleme bei der Suche nach Jugendlichen für die betriebliche Ausbildung zusammenhängen.
Tabelle C 2.6-1: Übernahmequote nach Betriebsgröße, alte und neue Länder (in %)
Entwicklung der Übernahmequote
In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Situation an der zweiten Schwelle, dem Schritt von der beruflichen Erstausbildung in das Arbeitsleben, merklich verbessert. Auswertungen der Daten des IAB-Betriebspanels machen deutlich, dass die Übernahmequote von Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen durch den Ausbildungsbetrieb in Deutschland seit dem Jahr 2004 – mit Ausnahme der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 – stetig angestiegen ist Tabelle C2.6-1. Im Jahr 2013 wurden zwei Drittel der Absolventinnen und Absolventen im Anschluss an ihre Ausbildung weiterbeschäftigt. Damit ist die Wahrscheinlichkeit für die erfolgreichen Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen, nach der Ausbildung von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden, so gut wie nie zuvor seit Beginn der Erhebung im IAB-Betriebspanel im Jahr 1996. In den westdeutschen Bundesländern war die Übernahmequote zuletzt mit 68 % etwas höher als in Ostdeutschland mit 63 %, wobei sich der Unterschied zwischen den beiden Regionen immer weiter verringert.
Die Übernahmequote ist dabei stark von der Größe des Betriebs abhängig Tabelle C2.6-1. Wurden 2013 in den Großbetrieben mit 500 und mehr Mitarbeitern rund 80 % der erfolgreichen Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen übernommen, waren es in den Kleinstbetrieben mit bis zu 9 Beschäftigten rund die Hälfte. Eine Ursache der zunehmenden Übernahmequote mit steigender Betriebsgröße könnte womöglich in der höheren Tarifbindung der größeren Betriebe liegen. Tarifgebundene Betriebe sind zumeist dazu verpflichtet – je nach Vereinbarung –, ihre Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen zumindest befristet für 6 bis 24 Monate oder unbefristet zu übernehmen. Anzumerken ist jedoch, dass die Daten des IAB-Betriebspanels nichts darüber aussagen, ob die Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen ein etwaiges Übernahmeangebot des Betriebs möglicherweise nicht angenommen und den Betrieb auf eigenen Wunsch verlassen haben.
IAB-Betriebspanel
Bei dem IAB-Betriebspanel handelt es sich um eine seit 1993 für West- und seit 1996 für Ostdeutschland jährlich wiederholte Mehrthemenbefragung von nahezu 16.000 Betrieben aller Wirtschaftszweige und Größenklassen. Im IAB-Betriebspanel stellt der Betrieb, d. h. die örtliche Einheit, in der die Tätigkeiten eines Unternehmens konkret durchgeführt werden, die Untersuchungseinheit dar. Die Stichprobe wird anhand einer disproportional geschichteten Zufallsauswahl aus der Betriebsdatei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gezogen, welche alle Betriebe mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten enthält. Die Befragung zu verschiedenen Bereichen der betrieblichen Geschäfts- und Personalpolitik erfolgt jährlich anhand persönlich-mündlicher Interviews durch TNS Infratest Sozialforschung. Neben jährlich wiederkehrenden Fragen, wie beispielsweise zur betrieblichen Ausbildung, enthält der Fragebogen auch wechselnde Schwerpunktthemen (zu näheren Informationen vgl. Ellguth u. a. 2014). Auf Basis der Daten des IAB-Betriebspanels wird im Turnus von 2 Jahren über die Indikatoren Ausbildungsberechtigung, Ausbildungsaktivität und Übernahmeverhalten von Betrieben sowie Weiterbildungsbeteiligung und Weiterbildungsquote im BIBB-Datenreport berichtet (vgl. BIBB-Datenreport 2014, Kapitel A4.10.2 und B1.2.1).
BIBB-Qualifizierungspanel
Das BIBB-Betriebspanel zu Qualifizierung und Kompetenzentwicklung ist eine jährlich durchgeführte Wiederholungsbefragung von etwa 2.000 Betrieben, mit der repräsentative Längsschnittdaten zum Qualifizierungsgeschehen von Betrieben in Deutschland erhoben werden. Das BIBB-Qualifizierungspanel wird seit 2010 vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Zusammenarbeit mit TNS Infratest Sozialforschung durchgeführt. Die Auswahl der Betriebe erfolgt über eine disproportional geschichtete Zufallsstichprobe aus der Grundgesamtheit aller Betriebe mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Daten werden über computergestützte persönlich-mündliche Interviews (CAPI) erhoben (vgl. für weitere Informationen www.bibb.de/qp).
Übernahmequote
Der Indikator Übernahmequote ist ein Quotient mit der Anzahl der in ein Beschäftigungsverhältnis übernommenen Auszubildenden als Zähler und der Anzahl der Ausbildungsabsolventen und -absolventinnen des Betriebs als Nenner. Der Referenzzeitraum ist das Kalenderjahr.
In beiden Datenquellen wird dieselbe Berechnungsmethode verwendet, allerdings ist darauf zu verweisen, dass sich das BIBB-Qualifizierungspanel auf Auszubildende in einem Ausbildungsberuf, der nach BBiG oder HwO geregelt ist, konzentriert, während im IAB-Betriebspanel eine breite Definition von Auszubildenden verwendet wird, die beispielweise auch Beamtenanwärter/ -innen einschließt.
Übernahmequote und Mismatch an der ersten Schwelle
Der Anstieg der Übernahmequote ist ein Hinweis darauf, dass sich die Angebots-Nachfrage-Situation an der zweiten Schwelle, also beim Übergang von der Ausbildung in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis, in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Diese Entwicklung ist darauf zurückzuführen, dass ausbildende Betriebe ihre Übernahmeangebote erhöht haben und sich gleichzeitig auch die Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen vermehrt für die Weiterbeschäftigung im Ausbildungsbetrieb entschieden und entsprechende Übernahmeangebote angenommen haben. Ganz anders ist die Situation an der ersten Schwelle, also beim Übergang von der Schule in die Ausbildung. Immer mehr Betriebe haben Probleme bei der Rekrutierung von Jugendlichen für die betriebliche Ausbildung oder bleiben ganz erfolglos (vgl. zum Beispiel Seibert/Kleinert 2009; Troltsch/Gerhards/Mohr 2012 a; Dummert/Frei/Leber 2014). Dazu trägt nicht nur der demografisch bedingte Rückgang der Anzahl der Ausbildungsstellenbewerber/ -innen bei, sondern auch die zunehmenden Passungsprobleme (Mismatch) auf dem Ausbildungsmarkt. So zeigt die Entwicklung der letzten Jahre, dass trotz guter Konjunktur viele Jugendliche bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz erfolglos bleiben, während gleichzeitig die Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen in Betrieben steigt (BIBB-Datenreport 2014, Kapitel A1, Seite 11).
Im Folgenden wird untersucht, ob sich ein Zusammenhang zwischen Problemen bei der Besetzung von Ausbildungsstellen und dem Übernahmeverhalten von Betrieben aufzeigen lässt. Dahinter steht die Annahme, dass Betriebe mit Rekrutierungsproblemen an der ersten Schwelle verstärkte Fachkräfteengpässe erwarten und deshalb einen höheren Anteil ihrer Ausbildungsabsolventen übernehmen als Betriebe, die geringe Schwierigkeiten haben, Jugendliche für die Ausbildung in ihrem Betrieb zu gewinnen.
Schaubild C2.6-1 gibt für das Jahr 2012 die Übernahmequote differenziert nach der Betriebsgröße und dem Besetzungserfolg der angebotenen Ausbildungsstellen an. Anders als im ersten Teil des Beitrags werden hier die Daten des BIBB-Qualifizierungspanels verwendet (siehe Infobox). Die ermittelte Übernahmequote über alle Betriebe in Höhe von 66 % im Jahr 2012 entspricht den Ergebnissen des entsprechenden Bezugsjahres im IAB-Betriebspanel (66 %).
Die Auswertungen zeigen, dass Betriebe, die ihre angebotenen Ausbildungsstellen für das Ausbildungsjahr 2012/2013 zumindest teilweise nicht besetzen konnten, mit 70 % eine höhere Übernahmequote aufweisen als Betriebe der entsprechenden Vergleichsgruppen. Betriebe, die im Ausbildungsjahr 2012/2013 für alle angebotenen Ausbildungsstellen Jugendliche rekrutieren konnten, übernehmen nur 64 % der Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen, bei Betrieben ohne Ausbildungsstellenangebote liegt die Übernahmequote bei 67 %.
Bei der Unterscheidung nach Betriebsgrößenklassen bestätigt sich zunächst, dass die Übernahmequote mit der Betriebsgröße steigt. Kleinst- und Kleinbetriebe mit bis zu 19 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten übernehmen 59 % ihrer Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen. Bei Großbetrieben fällt die Übernahmequote mit 81 % dagegen um 22 Prozentpunkte höher aus. Gleichwohl lässt sich über alle Betriebsgrößenklassen zeigen, dass Betriebe, die Probleme bei der Besetzung ihrer Ausbildungsstellen hatten, eine höhere Übernahmequote aufweisen als Betriebe, die alle angebotenen Ausbildungsstellen für das Ausbildungsjahr 2012/2013 besetzen konnten.
Mit der Betriebsgröße scheint der Unterschied hinsichtlich der Höhe der Übernahmequote zuzunehmen. Großbetriebe mit 200 und mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und Rekrutierungsproblemen bei Stellen für Auszubildende haben 87 % der Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen übernommen. Im Vergleich dazu wurden in Großbetrieben ohne Besetzungsschwierigkeiten nur 79 % der Absolventinnen und Absolventen weiterbeschäftigt. Eine Besonderheit ergibt sich bei den Kleinst- und Kleinbetrieben, da in dieser Betriebsgruppe mit 68 % der Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen der höchste Übernahmeanteil bei Betrieben zu verzeichnen ist, die überhaupt keine Ausbildungsstellen im Ausbildungsjahr 2012/2013 angeboten haben. Hierfür gibt es jedoch eine naheliegende Erklärung: Zunächst muss berücksichtigt werden, dass diese Betriebe angesichts ihrer Größe oft nicht die Kapazitäten haben, um jedes Jahr Ausbildungsstellen anzubieten. Stattdessen erfolgt die Ausbildung in solchen Betrieben in regelmäßigen Abständen. Zudem spricht vieles dafür, dass sie mit der im Jahr 2012 erfolgten Übernahme von Ausbildungsabsolventen und -absolventinnen ihren Fachkräftebedarf zunächst gedeckt haben.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse der deskriptiven Analyse, dass Rekrutierungsschwierigkeiten an der ersten Schwelle – aufgrund von zu wenigen oder aus der Sicht der Betriebe nicht passenden Bewerberinnen und Bewerbern – mit einer erhöhten Übernahmebereitschaft von Betrieben einhergehen. Weitere Analysen müssten der Frage nachgehen, warum gerade Betriebe mit hohen Übernahmequoten, die offensichtlich gute berufliche Perspektiven bieten und für Bewerberinnen und Bewerber als attraktiv gelten müssten, Probleme haben, angebotene Ausbildungsstellen zu besetzen. Denkbar ist beispielsweise, dass diese Betriebe kaum Bewerbungen erhalten, weil sie in Berufen ausbilden, die aus Sicht von Jugendlichen als unattraktiv gelten und folglich kaum nachgefragt werden. Es könnte aber auch sein, dass solche Betriebe strengere Selektionskriterien bei der Einstellung von Auszubildenden anwenden, da sie bereits das Übernahmeziel vor Augen haben. Dies könnte zu einer geringeren Bereitschaft führen, in die Ausbildung von Jugendlichen zu investieren, die zum Zeitpunkt der Bewerbung dem betrieblichen Anforderungsprofil nicht vollständig entsprechen.
(Sandra Dummert, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Sabine Mohr)