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Die Frage, welches der genannten Konzepte für die Feststellung eines Missverhältnisses herangezogen wird, ist immer auch abhängig von den verfügbaren Daten. So wurde zum Beispiel in der Berichterstattung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bisher von Daten aus den nationalen Arbeitskräfteerhebungen (Labour Force Survey, LFS) Gebrauch gemacht. In den Arbeitskräfteerhebungen werden die (jeweils höchsten) Abschlüsse der Teilnehmer/ -innen auf dem Arbeitsmarkt erhoben sowie die Merkmale der Tätigkeiten von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gemäß der ISCO-Klassifizierung. Anhand dieser Daten lässt sich also der vertikale Mismatch abbilden. Eine Auswertung dieser Daten ist für die OECD das letzte Mal für das Referenzjahr 2007 durchgeführt worden Schaubild E2.1-1.

Es wird deutlich, dass z. B. in Spanien wesentlich mehr junge Hochschulabsolventen/ -absolventinnen auf Stellen arbeiten, für die nach der ISCO-Klassifikation eigentlich kein Hochschulabschluss erforderlich wäre, als z. B. in Dänemark oder in Deutschland. Die Daten illustrieren damit Unterschiede, die zwischen den Bildungssystemen, dem Bildungswahlverhalten und betrieblichen Rekrutierungsmustern bestehen. Überdies sind diese Kennzahlen auch durch die allgemeine Lage am Arbeitsmarkt bestimmt.

ISCED und ISCO sind internationale Klassifikationssysteme, die genauso wenig das tatsächliche Können, Wissen oder die Fertigkeiten von Erwerbstätigen wiedergeben wie die genauen Merkmale der Tätigkeiten. So werden z. B. die beruflichen Tätigkeiten des Ausbildungsberufs Kraftfahrzeugmechatroniker/ -in und der inzwischen aufgehobene Beruf Kraftfahrzeugservicemechaniker/ -in in den Befragungen mit dem gleichen ISCO-Code kategorisiert. Auch die Bildungsabschlüsse können allenfalls als Annäherungswerte für die Kompetenzen der befragten Personen gelten. Zu unterschiedlich sind die Ausbildungsgänge und Abschlüsse der nationalen Bildungssysteme strukturiert.

In der 2013 erschienenen PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies)345 wird der „Mismatch“ zwischen Qualifikationen und Tätigkeit über den Unterschied zwischen der Selbsteinschätzung der Befragten, welche Qualifikation für ihre Tätigkeit erforderlich ist, und ihrer tatsächlichen Qualifikation bestimmt (Organisation for Economic Co-operation and Development 2013). Der Vorteil einer Selbsteinschätzung wird im Gegensatz zu der Messung anhand der Standardberufsklassifikation in der Möglichkeit gesehen, die Anforderungen für jeden einzelnen Arbeitsplatz eines/einer Befragten zu bestimmen. Auch bei dieser Methode stellen sich erhebliche Unterschiede zwischen den OECD- Ländern heraus: So wird in Italien ein Anteil an 15 % überqualifizierten Erwerbstätigen festgestellt, während für Japan und das Vereinigte Königreich Werte über 30 % erhoben wurden Schaubild E2.1-2. Im Vergleich zu Schaubild E2.1-1 wird deutlich, dass der auf diesem Weg ermittelte „Mismatch“ für Deutschland zu einem ganz anderen Bild führt. Deutschland rückt hinsichtlich einer Überqualifizierung über Spanien hinaus. Zu beachten ist hierbei, dass sich die PIAAC-Daten auf alle und die LFS-Daten lediglich auf die jungen Erwerbstätigen beziehen. Trotzdem ist auffällig, dass über diese Messmethode für Deutschland im Vergleich eine wesentlich höhere „Überqualifizierung“ festgestellt wird. Vermutlich ist die für Deutschland attestierte „Überqualifizierung“ zum einen darauf zurückzuführen, dass für die beruflichen Tätigkeiten in Deutschland eine Berufsausbildung, aber kein Abitur erforderlich ist, letzteres in vielen Fällen aber vorliegt. Nach der Internationalen Bildungsklassifikation wurde das dann als Stufe 4 klassifiziert, Stufe 2 oder 3 würden aber nach ISCO für die berufliche Tätigkeit ausreichen. Ein weiterer Grund liegt darin, dass 19,2 % der Erwerbstätigen mit Berufsabschluss eine Tätigkeit ausüben, für die kein Berufsabschluss erforderlich ist (Maier/Neuber-Pohl/Weller 2013).

Schaubild E 2.1-1: Missverhältnis zwischen den Bildungsabschlüssen und den Merkmalen der Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt junger Erwachsener (2007)

Schaubild E 2.1-2: „Mismatch“ zwischen Qualifikationen und Tätigkeit, Selbsteinschätzung der Befragten

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    Mit PIAAC werden Alltagsfertigkeiten Erwachsener im internationalen Vergleich untersucht. Dafür wurden im Auftrag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von Sommer 2011 bis Frühjahr 2012 in 24 Ländern weltweit Personen im Alter zwischen 16 und 65 Jahren befragt (vgl. www.gesis.org/piaac/presse/).