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Das Thema der vorzeitigen Vertragslösungen in der dualen Berufsausbildung wird bereits seit dem starken Anstieg der Lösungsquoten im Verlauf der 1980er-Jahre diskutiert. In den letzten Jahren war nicht nur eine außerordentliche mediale Präsenz zu beobachten; zahlreiche Studien und Sonderauswertungen (insbesondere von Vertragsdaten der zuständigen Stellen) sind erschienen (siehe dazu Uhly 2015). Die Reduktion von Vertragslösungen bzw. die Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen in der dualen Berufsausbildung stehen weiterhin auf der bildungspolitischen Agenda (vgl. Allianz für Aus- und Weiterbildung 2015 bis 2018) und erhalten insbesondere auch vor dem Hintergrund eines befürchteten Fach­kräftemangels große Aufmerksamkeit.

Sowohl die vorzeitige Lösung von Ausbildungsverträgen (vorzeitige Vertragslösungen) als auch das Nichtbestehen der Abschlussprüfung kann zu einem gänzlichen Ausbildungsabbruch, also einem Ende des Ausbildungsverhältnisses ohne Berufsabschluss, führen. Dieses Kapitel hat vorzeitige Lösungen von Ausbildungsverträgen zum Gegenstand und basiert auf Daten der Berufsbildungsstatistik der statistischen Ämter des Bundes und der Länder (kurz: Berufsbildungsstatistik vgl. in Kapitel A4.2 und in Kapitel A4.3). Analysen zum Prüfungserfolg findet man in Kapitel A4.8. Zum Ausbildungsverlauf der Ausbildungsanfängerkohorte 2008 siehe BIBB-Daten­report 2015, Kapitel A4.7 und Uhly 2015.

Vorzeitige Vertragslösungen in der dualen Berufsausbildung erfolgen i. d. R. durch Aufhebungsvertrag oder durch Kündigung. Nach § 22 BBiG kann ein Ausbildungsverhältnis während der Probezeit (maximal 4 Monate) von beiden Seiten jederzeit und ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden. Nach der Probezeit ist eine ordentliche Kündigung mit einer Frist von 4 Wochen nur noch seitens der Auszubildenden möglich, und zwar aus den beiden Gründen „Ausbildung in einer anderen Berufstätigkeit“ oder „Aufgabe der Berufsausbildung“. Will der Ausbildungsbetrieb den Vertrag nach der Probezeit kündigen, muss dieser – in Anbetracht der besonderen Bedeutung des Ausbildungsverhältnisses für die berufliche Entwicklung – einen „wichtigen Grund" angeben.

Vorzeitig gelöste Ausbildungsverträge (kurz: Vertragslösungen)

Definition

Vorzeitig gelöste Ausbildungsverträge sind definiert als vor Ablauf der im Berufsausbildungsvertrag genannten Ausbildungszeit gelöste Ausbildungsverträge.

Kündigung

Eine Form der vorzeitigen Lösung eines Berufsausbildungsverhältnisses stellt dabei die Kündigung von Ausbildungsverträgen dar. Sie wird in § 22 Berufsbildungsgesetz geregelt. Weitere Fälle vorzeitiger Vertragslösung können sein: der Abschluss von Aufhebungsvereinbarungen; das Schließen eines gerichtlichen Vergleichs, der eine Aufhebung zum Gegenstand hat; die Anfechtung des Ausbildungsvertrags, z. B. wegen Irrtums oder wegen Täuschung nach §§ 119  ff. BGB; der Tod des Auszubildenden (nicht der Tod des Ausbildenden, da dann in der Regel dessen Rechtsnachfolger Ausbilder wird); die tatsächliche Beendigung wegen Fernbleibens von der Ausbildung oder wegen unterlassener Ausbildung.

In der Berufsbildungsstatistik (siehe in Kapitel A4.2 und in Kapitel A4.3) werden als Vertragslösungen grundsätzlich nur solche Verträge erfasst, die tatsächlich angetreten wurden. Bereits vor dem Beginn der Ausbildung gelöste Ausbildungsverträge gehen somit nicht in die Meldungen ein.

Die Berufsbildungsstatistik erhebt vorzeitige Vertrags­lösungen ab dem Berichtsjahr 1977 differenziert für die einzelnen Ausbildungsberufe (zunächst nur für Industrie und Handel sowie Handwerk, ab 1978 für alle Zuständigkeitsbereiche). Im Laufe der Zeit wurden die Meldungen schon im Rahmen der Aggregatdatenerhebung weiter ausdifferenziert (nach Geschlecht und Berichtsjahren). Seit der Umstellung auf eine vertragsbezogene Einzeldatenerfassung können die Lösungsdaten prinzipiell nach allen erhobenen Merkmalen differenziert werden, wobei aufgrund von Meldeproblemen (noch) nicht alle Differenzierungen vorgenommen werden bzw. ermittelte Quoten verzerrt sein können (siehe hierzu Uhly 2014a).

Die Berufsbildungsstatistik erhebt nicht den Verbleib nach Vertragslösung. Monatsgenaue Ausbildungsverläufe innerhalb des dualen Systems (vertraglich vereinbarter Beginn und vereinbartes Ende des Vertrages, Vertragslösung, Prüfungsteilnahme und -ergebnis) werden nur bis zum Ende des jeweiligen Ausbildungsverhältnisses erhoben. Es liegen somit keine vollständigen Verlaufsdaten vor (Details hierzu siehe in Uhly 2015 und 2006).

Vertragslösung ≠ Abbruch

Nicht jede vorzeitige Vertragslösung stellt einen Abbruch der Ausbildung dar, und nicht jeder Abbruch geht mit einer Vertragslösung einher. Beide Begriffe haben eine gemeinsame Schnittmenge, sind jedoch nicht deckungsgleich (vgl. Uhly 2015 und 2013).

Verschiedene Studien kommen zu weitgehend übereinstimmenden Befunden hinsichtlich des Verbleibs der Auszubildenden mit vorzeitiger Vertragslösung: Etwa die Hälfte der Personen, die einen Vertrag gelöst haben, schließt erneut einen Ausbildungsvertrag ab (vgl. Uhly 2013). In diesen Fällen handelt es sich somit um Vertragswechsel innerhalb des Systems der dualen Berufsausbildung (mit und ohne Berufswechsel).

Die Berufsbildungsstatistik erhebt vorzeitige Vertrags­lösungen seit dem Berichtsjahr 1977. Die Statistik wurde im Zeitverlauf weiter ausdifferenziert, wobei Ausbildungsverläufe auch nach der Revision der Berufsbildungsstatistik nicht erhoben werden. Da es keine Personennummer für die Auszubildenden gibt, können die vollständigen Ausbildungsverläufe im dualen System für diejenigen mit Vertragslösung auch nicht durch die Verknüpfung der Meldungen zu verschiedenen Ausbildungsverträgen ermittelt werden. Deshalb lassen sich Ausbildungsabbrüche im hier verwendeten Wortsinne (als Austritte aus der dualen Berufsausbildung ohne Abschluss) auf Basis der Berufsbildungsstatistik nicht identifizieren. Die dargestellten Befunde betreffen immer Vertragslösungen insgesamt und nicht Ausbildungsabbrüche im Speziellen.

Die Gründe für Vertragslösungen werden im Rahmen der Berufsbildungsstatistik nicht (mehr) erhoben (vgl. Uhly 2015, S. 25 und BIBB-Datenreport 2014, Kapitel A4.7). Verschiedene Studien, die Auszubildende und Ausbildungsbetriebe (sowie teilweise auch Berufsschulen) direkt nach den Ursachen von vorzeitigen Vertragslösungen befragen, kommen zu dem Ergebnis, dass Auszubildende mit vorzeitig gelöstem Vertrag überwiegend Gründe wie Konflikte mit Ausbildern und Vorgesetzten, eine mangelnde Ausbildungsqualität und ungünstige Arbeitsbedingungen nennen. In geringerem Maße werden auch persönliche und gesundheitliche Gründe sowie falsche Berufsvorstellungen genannt. Betriebe nennen überwiegend mangelnde Ausbildungsleistungen der Auszubildenden und deren mangelnde Motivation oder Integration in das Betriebsgeschehen. Dieses Antwortverhalten zeigt sich relativ stabil im Vergleich der unterschiedlichen Studien. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die direkte Frage nach Gründen noch keine Ursachenanalyse darstellt und – wie die Befunde zeigen – die Gefahr nachträglicher Rechtfertigungen sowie wechselseitiger Schuldzuschreibungen besteht (vgl. Uhly 2015)

Vorzeitige Vertragslösungen 2014

Im Berichtsjahr 2014 wurden bundesweit ca. 143.082 Ausbildungsverträge vor Ablauf der im Ausbildungsvertrag genannten Ausbildungszeit gelöst Tabelle A4.7-1. Betrachtet man den Zeitraum zwischen Beginn der Ausbildungsverträge und der vorzeitigen Lösung, so zeigt sich, dass der größte Teil der gelösten Ausbildungsverträge innerhalb des ersten Jahres nach Beginn des Ausbildungsvertrages erfolgte. Wie auch in den Vorjahren fielen knapp zwei Drittel aller Vertragslösungen in den Zeitraum der ersten 12 Monate nach Vertragsbeginn; 33,9 % aller Vertragslösungen erfolgten noch während der ersten 4 Monate (Probezeit)137 und 31,2 % zwischen dem fünften und zwölften Monat. Auch in das zweite Jahr nach Vertragsbeginn fiel mit 24,6 % noch ein großer Anteil der Lösungen; bei 10,3 % der Lösungen lag der Vertragsbeginn weiter als 24 Monate zurück. Der Anteil der Vertragslösungen, die innerhalb der Probezeit erfolgten, lag seit 1993 bei ca. 25 %. Seit 2006 ist dieser Anteil bis 2011 nahezu stetig auf ca. ein Drittel angestiegen. Seit 2005 wurde die maximale Dauer der Probezeit mit dem Berufsbildungsreformgesetz von bis zu 3 auf bis zu 4 Monate ausgeweitet. Betrachtet man die Verteilung der Vertragslösung auf die Ausbildungsjahre (Ausbildungsstadien)138, so wird jedoch deutlich, dass der Anteil der „frühen“ Vertragslösungen, die insgesamt im ersten Ausbildungsjahr erfolgen, seit 2005 zunehmen (vgl. Uhly 2015) und hier nicht nur ein Effekt der Ausweitung der Probezeit vorliegt.

Tabelle A4.7-1: Vorzeitige Vertragslösungen nach Zuständigkeitsbereichen und Zeitpunkt der Vertragslösung (absolut und in %), Bundesgebiet 20141, 2, 3

In den Ausbildungsberufen des Zuständigkeitsbereichs der freien Berufe fanden vorzeitige Vertragslösungen mit 41,8 % aller Vertragslösungen überproportional häufig in der Probezeit statt. In den Ausbildungsberufen der Hauswirtschaft traten Lösungen dagegen noch in vergleichsweise starkem Maße zu späteren Zeitpunkten der Ausbildung auf; 18,2 % der Lösungen erfolgten in diesen Berufen später als 2 Jahre nach Beginn des Ausbildungsvertrages. Auch von den insgesamt relativ wenigen Vertragslösungen in den Ausbildungsberufen des öffentlichen Dienstes fielen gut 17 % erst im dritten Jahr nach Ausbildungsbeginn und später an. Ansonsten zeigt sich jedoch insgesamt eine ähnliche Verteilung der Vertragslösungen über die Zeit nach Beginn des Ausbildungsverhältnisses im Vergleich der Zuständigkeitsbereiche.

Die Vertragslösungsquote der dualen Berufsaus­bildung, die als Näherungswert für den Anteil der
gelösten Ausbildungsverträge an begonnenen Ausbildungsverträgen interpretiert werden kann, betrug im Berichtsjahr 2014 insgesamt 24,6 % (LQneu); während der Probezeit betrug die Lösungsquote 8,5 %, nach
der Probezeit 16,1 %  Tabelle A4.7-2.

Die Vertragslösungsquote kann nicht mit der Studien­abbruchquote verglichen werden, da Letztere Hochschul- und Studienfachwechsel nicht mit einbezieht139 (vgl. BIBB-Datenreport 2015, Kapitel A4.7).

Vertragslösungsquote (kurz: Lösungsquote) – „Schichtenmodell“, neue Berechnungsweise

Die Lösungsquote nach dem Schichtenmodell wird entsprechend folgender Formel berechnet: 

Lösungsquote

Wie ist diese Formel zu verstehen?

Sie kann als Näherungswert für den Anteil der im Berichtsjahr (BJ) begonnenen Ausbildungsverträge, die im Laufe der Ausbildung vorzeitig gelöst werden, interpretiert werden.

Betrachtet man zunächst die erste Teilquote, so enthält diese für das BJ 2014 nur einen Teil der Verträge, die 2014 begonnen und vorzeitig gelöst wurden. Der Anteil gelöster Verträge wird sich noch erhöhen, da einige der 2014 begonnenen Verträge noch 2015 und später gelöst werden. Da mit Datenstand BJ 2014 noch unbekannt ist, wie viele der Verträge künftig noch gelöst werden, kann man stellvertretend Vergangenheitswerte heranziehen. Die 2013 oder früher begonnenen Verträge, die 2014 gelöst wurden, können als stellvertretende Größen für die 2014 begonnenen Verträge, die in den kommenden Jahren gelöst werden, betrachtet werden. Die 2013 (2012) begonnenen Verträge, die 2014 gelöst wurden, stellvertretend für die 2014 begonnenen Verträge, die in 2015 (2016) gelöst werden usw. Die Differenzierung wird aus pragmatischen Gründen auf 4  Teilquoten begrenzt.

LQneu und LQalt

Das Quotensummenverfahren wurde auch schon vor der Revision der Berufsbildungsstatistik angewandt (LQalt), allerdings konnten hierbei für die einzelnen Bestandteile nur Näherungswerte verwendet werden. Bei LQneu wird im Vergleich zu LQalt eine verbesserte Berechnungsweise angewandt, sie kann jedoch erst ab dem Berichtsjahr 2009 berechnet werden. Zum Vergleich der neuen Berechnungsweise (LQneu) mit der früheren (LQalt) des Schichtenmodells siehe BIBB-Datenreport 2011, Kapitel A4.8 und www.bibb.de/dokumente/pdf/a21_dazubi_daten.pdf.

Zu weiteren Details zur Lösungsquotenberechnung siehe www.bibb.de/de/4705.php und www.bibb.de/dokumente/pdf/a21_dazubi_daten.pdf.

Zur Abgrenzung gegenüber weiteren Größen und Indikatoren zum Thema (Befunde aus Studien, grobe Kalkulation der Ausbildungsabbruchquote auf Basis der Berufsbildungsstatistik, Ausbildungsabbruchs-Indikator von Eurostat) siehe Uhly 2015.

 

Tabelle A4.7-2: Vertragslösungsquote(in %) der begonnenen Ausbildungsverträge, Bundesgebiet 1993 bis 20141

Vertragslösungsquote 1993 bis 2014

Mit 24,6 % ist die Lösungsquote im Berichtsjahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr leicht zurückgegangen und lag im seit Anfang der 1990er-Jahre üblichen Schwankungs­bereich (20 % bis 25 %) Tabelle A4.7-2. Im Zeitverlauf schwankte die Lösungsquote deutlich im Zusammenhang mit der Lage am Ausbildungsmarkt (vgl. BIBB-Datenreport 2014, Kapitel A4.7 und Uhly 2015). Die zunehmende Aufmerksamkeit der letzten Jahre ist somit nicht durch Veränderungen der Lösungsquote selbst zu erklären, sondern eher vor dem Hintergrund der Risiken eines Fachkräftemangels infolge der demografischen Entwicklung und der Entwicklung der Studierneigung der Schulabgänger/-innen.

Lösungsquoten nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit der Auszubildenden

Im Gesamtdurchschnitt des dualen Systems zeigt sich auch für das Berichtsjahr 2014 eine ähnlich hohe Lösungsquote für Frauen (25,0 %) und Männer (24,3 %) Tabelle A4.7-3. Während der Probezeit lag die Lösungsquote der Frauen bei 9,6 % und damit fast 2  Prozentpunkte über der Quote der Männer. Nach der Probezeit fiel die Lösungsquote der Frauen um ca. 1 Prozentpunkt geringer aus als die der Männer  Tabelle A4.7-4.

Relativ hohe Lösungsquoten der Frauen ergaben sich im Durchschnitt in den Ausbildungsberufen des Handwerks (38,6 %) und der Landwirtschaft (27,0 %)  Tabelle A4.7-3. In den Ausbildungsberufen der Hauswirtschaft und des öffentlichen Dienstes fielen die Lösungsquoten der Frauen niedriger aus als die der Männer. Auffallend ist, dass (mit Ausnahme der freien Berufe insgesamt)140 die Lösungsquoten der Frauen in jenen Zuständigkeitsbereichen besonders hoch ausfielen, in denen Frauen unterrepräsentiert waren. Umgekehrt fielen die Lösungsquoten der Männer in den Zuständigkeitsbereichen vergleichsweise hoch aus, in denen der Männeranteil an den Auszubildenden geringer war. Zum Frauenanteil in den Zuständigkeitsbereichen vgl. Kapitel A4.2.

Deutliche Unterschiede in den Lösungsquoten zeigen sich auch bei den Verträgen der Auszubildenden mit deutscher und ausländischer Staatsangehörigkeit. Von den Ausbildungsverträgen der ausländischen Auszubildenden wurden im Durchschnitt 32,3 % vorzeitig gelöst, von den Ausbildungsverträgen der Auszubildenden mit deutschem Pass nur 24,1 % Tabelle A4.7-3. Diese Relation zeigt sich gleichermaßen bei den Probezeitlösungen und den Lösungen nach der Probezeit Tabelle A4.7-4.

Höhere Lösungsquoten bei den ausländischen Auszubildenden ergaben sich in allen Zuständigkeitsbereichen Tabelle A4.7-3. Teilweise sind die Unterschiede in den Lösungsquoten zwischen deutschen und ausländischen Auszubildenden auch auf Unterschiede hinsichtlich des höchsten allgemeinbildenden Schulabschlusses zurückzuführen.

Tabelle A4.7-3: Vertragslösungsquoten (LQneu in %) nach Personenmerkmalen und Zuständigkeitsbereichen, Bundesgebiet 2014 Personenmerkmal Insgesamt1, 2

Tabelle A4.7-4: Vertragslösungsquoten (LQneu in %) während und nach der Probezeit nach Personenmerkmalen sowie Zuständigkeitsbereichen, Bundesgebiet 20141

Lösungsquoten nach allgemeinbildendem Schulabschluss

Bei der Betrachtung der Lösungsquoten nach dem zuvor erworbenen allgemeinbildenden Schulabschluss Tabelle A4.7-3 zeigt sich deutlich, dass die Lösungsquote umso höher ausfiel, je niedriger der allgemeinbildende Schulabschluss der Auszubildenden war (vgl. Kapitel A4.6.1). So wiesen Auszubildende ohne Hauptschulabschluss mit 37,8 % eine fast dreimal höhere Lösungsquote auf als Studienberechtigte (13,7 %). Bei den Verträgen der Auszubildenden mit Hauptschulabschluss ergab sich für das Berichtsjahr 2014 eine Lösungsquote von 35,8 %. Die Verträge von Auszubildenden mit Realschulabschluss wurden zu 21,8 % vorzeitig gelöst. Diese Rangfolge der Abschlussgruppen zeigt sich in allen Zuständigkeitsbereichen. In den Ausbildungsberufen des Handwerks und der freien Berufe fielen allerdings die Lösungsquoten der Studienberechtigten mit über 20 % vergleichsweise hoch aus.

Die Relationen von Lösungsquoten während und nach der Probezeit fielen über alle Schulabschlüsse hinweg ähnlich aus Tabelle A4.7-4. Allerdings war der Anteil der Ver­tragslösungsquote nach der Probezeit an der Gesamt­lösungsquote der jeweiligen Vorbildungsgruppe umso höher, je niedriger der allgemeinbildende Schulabschluss war.

 

Vertragslösungsquoten nach Ländern, Zuständigkeitsbereichen und Ausbildungsberufen

Die Lösungsquoten unterscheiden sich deutlich zwischen den Ländern. Sie reichten von durchschnittlich 21,4 % in Baden-Württemberg sowie 22,5 % in Bayern bis ca. 33 % in Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern  Tabelle A4.7-5. Insgesamt fielen die Lösungsquoten in Ostdeutschland eher höher aus141 ; allerdings waren sie auch in Hamburg (28,1 %), Schleswig-Holstein (27,7 %) und im Saarland (27,3 %) relativ hoch.

Ebenso deutlich variieren die Lösungsquoten zwischen den Zuständigkeitsbereichen Tabelle A4.7-5. In den Berufen des Handwerks zeigt sich mit 32,8 % im Bundesdurchschnitt die höchste Lösungsquote, gefolgt von den Berufen der Hauswirtschaft mit 28,8 %. Eine sehr niedrige durchschnittliche Lösungsquote von nur 5,8 % ergab sich lediglich im Durchschnitt für die Berufe des Zuständigkeitsbereichs öffentlicher Dienst. In den Ausbildungsberufen der freien Berufe lag sie mit 25,1 % nahe beim Durchschnittswert, und in den beiden Zuständigkeitsbereichen Industrie und Handel sowie Landwirtschaft fiel sie mit 21,5 % und 23,6 % leicht unterdurchschnittlich aus.

Differenziert man die Quote nach Lösungen während und nach der Probezeit, so fällt auf, dass bei dem Zuständigkeitsbereich freie Berufe die Lösungsquote während der Probezeit und in den Berufen der Hauswirtschaft die Quote nach der Probezeit in Relation zur Gesamtquote im Zuständigkeitsbereich relativ hoch ausfiel Tabelle A4.7-4.

Die Lösungsquoten variieren noch deutlicher zwischen den einzelnen dualen Ausbildungsberufen Tabelle A4.7-6. Betrachtet man die 20 Berufe142 mit den jeweils höchsten und niedrigsten Lösungsquoten, reichen die Lösungsquoten von unter 5 % bis über 50 %. Es zeigen sich weitgehend übereinstimmende Ergebnisse gegenüber den Vorjahren. Unter den Berufen mit sehr hohen Lösungsquoten von ca. 40 % bis ca. 50 % waren vor allem die Berufe des Hotel- und Gaststättengewerbes (z. B. Restaurantfachleute, Koch/Köchin, Fachmann/Fachfrau für Systemgastronomie, Fachkraft im Gastgewerbe und Hotelfachleute), Dienstleistungsberufe aus den Tätigkeitsbereichen Reinigung, Transport, Körperpflege143 (z. B. Fachkraft für Schutz und Sicherheit, Gebäudereiniger/-in, Berufskraftfahrer/-in, Fachkraft für Möbel-, Küchen- und Umzugsservice); außerdem wiesen einige Bauberufe (Gerüstbauer/-in, Bauten- und Objektbeschichter/ -in, Dachdecker/-in, Maler und Lackierer/Malerin und Lackiererin) und Lebensmittelberufe des Handwerks (Bäcker/ -in und Fleischer/-in) sehr hohe Lösungsquoten auf. Auch wenn im Durchschnitt im Handwerk die Lösungsquote höher ausfiel, findet man sehr hohe Lösungs­quoten nicht in besonderer Weise in Handwerksberufen (siehe hierzu auch Uhly 2015); mehr als die Hälfte der 20 Berufe mit den höchsten Lösungsquoten waren IH-Berufe. Allerdings gab es kaum größere Handwerksberufe mit sehr niedrigen Lösungsquoten. Niedrige Lösungsquoten von (z.  T. deutlich) unter 8 % wiesen neben den Ausbildungsberufen des Zuständigkeitsbereichs öffentlicher Dienst (z. B. Verwaltungsfachangestellte/ -r, Justizfachangestellte/-r und Sozialversiche­rungsfachangestellte/-r) vor allem kaufmännische Dienstleistungsberufe (z. B. Bankkaufmann/ -kauffrau, Industriekaufmann/ -kauffrau), aber auch technische Pro­duktionsberufe der Industrie auf (z. B. Flug­gerätmechaniker/-in, Elektroniker/-in für Auto­matisierungstechnik, Industriemechaniker/-in).

Tabelle A4.7-5: Vertragslösungsquoten (in %) der begonnenen Ausbildungsverträge (LQneu) nach Zuständigkeitsbereichen und Ländern 20141, 2

Tabelle A4.7-6: Ausbildungsberufe mit den höchsten und niedrigsten Vertragslösungsquoten (in %), Bundesgebiet 20141, 2

Ursachen und Maßnahmen?

Die hier dargestellten deskriptiven Ergebnisse dürfen nicht kausal interpretiert werden. Wenn die Lösungsquoten beispielsweise bei Jugendlichen mit Hauptschulabschluss oder in Berufen des Handwerks im Durchschnitt sehr hoch ausfallen, dann ist nicht allein der Hauptschulabschluss oder das Handwerk an sich die Ursache für das höhere Lösungsrisiko. Die Ursachen für Vertragslösungen sind vielfältig und komplex (vgl. Uhly 2015). Jugendliche mit Hauptschulabschluss findet man eher in Berufen mit instabileren Ausbildungsverhältnissen, außerdem weniger wahrscheinlich in ihrem Wunschberuf, was auch zu einem höheren Lösungsrisiko führt. Im Handwerk findet man zum einen deutlich höhere Anteile an Auszubilden­den mit geringeren Schulabschlüssen als im Bereich Industrie und Handel; zudem liegen hier eher kleinbetriebliche Strukturen vor. Beides erhöht das Lösungsrisiko (Rohrbach-Schmidt/Uhly 2015).

Insgesamt ist trotz einer gewissen Öffnung hin zu Fragen der Ausbildungsqualität und der Attraktivität der Berufe die Problemwahrnehmung noch sehr stark mit Blick auf die Auszubildenden fokussiert. Vertragslösungen werden überwiegend als ein Phänomen des Scheiterns von Auszubildenden betrachtet. Zum Forschungsstand siehe Uhly 2015 und Rohrbach-Schmidt/Uhly 2015. Neuere Analysen zeigen, dass neben dem Schulabschluss der Auszubildenden auch betriebliche und berufliche Merkmale einen signifikanten Effekt auf das Vertrags­lösungsrisiko haben. Analysen auf Basis eines erweiterten Kohortendatensatzes der Berufsbildungsstatistik144 „sprechen für die Bedeutung von Ausbildungsmarktsegmenten und für einen systematischen, von den Merkmalen der Auszubildenden unabhängigen Einfluss der betrieblichen Ausbildungsbedingungen, dem Ausbildungsmodell und der Attraktivität des Ausbildungsberufs für die Vertragslösungswahrscheinlichkeit“ (Rohrbach-Schmidt/Uhly 2015). Auch Kropp u. a. (2014, S. 21) zeigen, neben dem Effekt des Schulabschlusses, einen signifikanten Effekt der Ausbildungsvergütung. Eine Verbesserung der Berufsorientierung und die Begleitung der Jugendlichen beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung sind sinnvolle Maßnahmen, die Jugendliche bei ihrem Weg zum Berufsabschluss unterstützen können. Allerdings reichen Maßnahmen zur Senkung von Vertrags­lösungen in der dualen Berufsausbildung, die allein an den Auszubildenden selbst ansetzen, nicht aus. Man kann auf Basis der Analysen der Berufsbildungsstatistik alleine keine erforderlichen Maßnahmen eindeutig ableiten. Allerdings machen die Befunde auf Basis der Statistik sowie der vorliegenden Studien deutlich, dass erfolgreiche Maßnahmen auch bei der Attraktivität der Ausbildung, den Betrieben, der Ausbildungsqualität und insbesondere dem Umgang mit Konflikten ansetzen sollten (vgl. hierzu auch Uhly 2015). Auch eine multi­variate Analyse des betrieblichen Vertragslösungsgeschehens auf Basis des BIBB-Qualifizierungspanels zeigt, dass bei stark investitionsorientierter betrieblicher Berufsausbildung das Vertragslösungsrisiko geringer ausfällt (vgl. Rohrbach-Schmidt/Uhly 2016). Das Instrument der assistierten Ausbildung bietet den Vorteil, dass es sowohl für Auszubildende als auch für Ausbildungsbetriebe Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der dualen Berufsausbildung bietet. Seit dem 1. Mai 2015 ist es im Sozialgesetzbuch verankert (§ 130 SGB III). Inwieweit es als solches Regelinstrument helfen kann, Vertragslösungen zu vermeiden, wird sich in Zukunft zeigen.

(Alexandra Uhly)

  • 137

    Nach § 20 BBiG muss die Probezeit mindestens einen Monat betragen; sie kann bis zu 4 Monate dauern. Da die Vertreter der zuständigen Stellen im Arbeitskreis Berufsbildungsstatistik des Statistischen Bundesamtes angaben, dass 4 Monate i. d. R. voll ausgeschöpft werden, wurde auf die gesonderte Erfassung dieses Merkmals im Rahmen der Berufsbildungsstatistik verzichtet; die Probezeit wird jeweils mit 4 Monaten nach Vertragsbeginn kalkuliert. 

  • 138

    Also keine Unterscheidung nach der Dauer seit Vertragsbeginn, sondern danach, in welchem Ausbildungsstadium (erstes, zweites … Ausbildungsjahr) die Vertragslösung erfolgt. Bis 2006 wurden Vertragslösungen nur nach den Ausbildungsjahren differenziert erhoben; Monat und Jahr von Vertragsbeginn und Vertragslösung waren nicht erfasst. 

  • 139

    Fach- und Hochschulwechsel, die zu einem Abschluss führen, werden also nicht als Studienabbruch erfasst. 

  • 140

    Für fast alle einzelnen Ausbildungsberufe dieses Bereichs gilt allerdings auch, dass die Lösungsquote der Männer über der der Frauen lag. Lediglich im Beruf Steuerfachangestellte/-r lag die Lösungsquote der Männer geringfügig unterhalb der der Frauen. Da man in diesem Beruf relativ viele männliche Auszubildende in diesem Zuständigkeitsbereich findet, zeigen sich für den Bereich insgesamt kaum Unterschiede zwischen den Lösungsquoten der Männer und der Frauen. 

  • 141

    Hierbei ist allerdings zu beachten, dass in Ostdeutschland der Anteil der öffentlich finanzierten Ausbildungsverhältnisse höher ausfällt und Vertragslösungen auch bei einem Wechsel von solchen Ausbildungsplätzen in ein betrieblich finanziertes Berufsausbildungsverhältnis auftreten können; solche Vertragswechsel können als Erfolge betrachtet werden. 

  • 142 Einbezogen wurden duale Ausbildungsberufe mit mindestens 300 begonnenen Verträgen im Jahre 2014.
  • 143

    Zur Unterscheidung von primären und sekundären Dienstleistungsberufen sowie Fertigungsberufen siehe Kapitel A4.4

  • 144

    Leider enthalten die Daten der Berufsbildungsstatistik nahezu keine betrieblichen Merkmale, sodass deren Einfluss nicht unmittelbar geprüft werden kann. Bei der Analyse von Rohrbach-Schmidt/Uhly (2015) wurde der Kohortendatensatz erweitert, indem Betriebs- und Berufsmerkmale – wie die Betriebsgröße oder die Nettokosten der Ausbildung – als Durchschnittsgrößen in den Ausbildungsberufen (auf Basis der BIBB-Erhebung der Kosten und des Nutzens der betrieblichen Ausbildung 2007 ermittelt) und Variablen zur Ausbildungsmarktlage aufgenommen wurden.