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Tarifliche Regelungen zur Weiterbildung im Betrieb

Insgesamt hat die Zahl der Tarifverträge mit Qualifizierungsregelungen im Laufe der 2000er-Jahre deutlich zugenommen. So vereinbarten z. B. die Tarifparteien im Jahr 2015 für die 800.000 Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg die Einführung einer Bildungsteilzeit (BIBB-Datenreport 2015, Kapitel  B3.6). Bahnmüller (2015) schätzt, dass mittlerweile für ein Viertel aller Arbeitnehmer/-innen tarifliche Qualifizierungsregelungen bestehen. In der Mehrzahl regeln sie die Ermittlung des betrieblichen Weiterbildungsbedarfs und Ansprüche der Beschäftigten auf Qualifizierungsgespräche. Nur selten beinhalten sie verbindliche und zeitlich quantifizierbare Ansprüche der Beschäftigten auf Weiterbildung, die dann jedoch auf einzelne Berufsgruppen wie Vorarbeiter im Gerüstbaugewerbe oder wie in der Textil- und Bekleidungsindustrie auf einen Belegschaftsanteil von 2 % begrenzt sind (Bahnmüller 2015). Bahnmüller verweist auf eine weitere Ausnahme, bei der für die Erziehungsberufe im öffentlichen Dienst ein Anspruch auf 5  Tage Weiterbildung pro Jahr geregelt wurde. Im Gegenzug setzten sich die Arbeitgeber mit ihrer Forderung nach Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit durch.

Ein weiterer zentraler Regelungsgegenstand ist schließlich die Weiterbildungsfinanzierung. Dabei tragen die Arbeitgeber grundsätzlich die Kosten für betrieblich notwendige oder zweckmäßige Qualifizierungsmaßnahmen. Je nach Art der Qualifizierungsmaßnahme kann jedoch auch ein Eigenbeitrag der Beschäftigten vereinbart werden. In den Tarifvereinbarungen der chemischen Industrie und des öffentlichen Dienstes werden die Betriebsparteien aufgefordert, hierbei „die Grundsätze einer fairen Kostenverteilung unter Berücksichtigung des betrieblichen und individuellen Nutzens“ zu wahren. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie z. B. im Gerüstbaugewerbe und in der Textil- und Bekleidungsindustrie, bei denen sich die Tarifparteien auf überbetriebliche Weiterbildungsfinanzierungsfonds einigten (BIBB-Datenreport 2015, Kapitel B3.6), schreibt die Mehrzahl der tariflichen Qualifizierungsvereinbarungen eine einzelbetriebliche Finanzierung der Weiterbildung fest (Berger/Moraal 2012).

Die Rolle der Betriebsräte bei der Umsetzung der tariflichen Regelungen

Häufig erstrecken sich die Qualifizierungstarifverträge auf Empfehlungen an die Betriebsparteien, Vereinbarungen zur Regelung der betrieblichen Weiterbildung zu treffen. Tarifliche Qualifizierungsregelungen, aber auch die staatliche Bildungspolitik sprechen daher den Betriebs­räten bei der Förderung der betrieblichen Weiterbildung eine wichtige Rolle zu. Qualifizierungstarifverträge bie­ten somit einerseits Impulse für eine gemeinsam von Arbeitgeber und Betriebsrat gestaltete Weiterbildungspolitik. Andererseits tun sich viele Interessenvertretungen im Umgang mit dem als sehr komplex empfundenen Weiterbildungsthema schwer. Als Ergebnis von Experteninterviews mit Betriebsräten zu deren Aufgabenverständnis im Handlungsfeld der betrieblichen Weiterbildung können 4 Idealtypen beschrieben werden (Berger u. a. 2013; Iller u. a. 2016):

Reaktive Schutzfunktion
Betriebsräte sehen hier ihre vorrangige Aufgabe darin, erst dann, und zwar jeweils nur punktuell, problembezogen zu reagieren, wenn sie von Beschäftigten zu Fragen der betrieblichen Weiterbildung angesprochen werden. Dieses Handlungsmuster kann bei Betriebsräten beobachtet werden, die keine Notwendigkeit oder keine Möglichkeiten sehen, die betriebliche Weiterbildungs­situation zu verändern und hier auch keinen Druck aus der Belegschaft verspüren. Die Beschäftigten stehen in einer Holschuld gegenüber dem Betriebsrat.

Monitoringfunktion
Diese Betriebsräte achten auch unabhängig von punktuellen Beschwerden einzelner Beschäftigter auf die Einhaltung gesetzlicher Normen sowie tariflicher und betrieblich vereinbarter Regelungen. Sie sehen sich dabei gegenüber den Beschäftigten in einer Bringschuld, indem sie Informationen vom Arbeitgeber einfordern, um z. B. strukturelle Benachteiligungen einzelner Belegschaftsgruppen zu erkennen und beim Arbeitgeber darauf hinzuwirken, dass Fehlsteuerungen im Weiterbildungsmanagement korrigiert werden.

Reaktive Gestaltungsfunktion
Betriebsräte in der reaktiven Gestaltungsfunktion sehen die Zuständigkeit für betriebliche Weiterbildung beim Management und ihre Aufgabe darin, auf Vorschläge des Managements zur Ausgestaltung der betrieblichen Weiterbildungspolitik zu reagieren, diese zu prüfen und ggf. Korrekturvorschläge zu unterbreiten. Paritätisch besetzte Bildungsausschüsse unterstützen Betriebsräte bei diesem Handlungsmuster.

Initiative Gestaltungsfunktion
Mehr als die zuvor genannten Handlungsmuster setzt die Wahrnehmung einer initiativen Gestaltungsfunktion mindestens ein engagiertes Betriebsratsmitglied voraus, dem es gelingt, dem Weiterbildungsthema im Betriebsrat eine entsprechende Priorität zu verleihen. Betriebsräte mit diesem Handlungsmuster verstehen sich als „Treiber“, die auf weiterbildungsrelevante Probleme aufmerksam machen und vom Management entsprechende Lösungen erwarten.

In der betrieblichen Weiterbildung engagiertere Betriebsräte haben nicht selten in ihrem Gremium mehr oder weniger handlungsmächtige „Kümmerer“, die sich für Fragen der betrieblichen Weiterbildung starkmachen und denen es gelingt, dem Thema einen entsprechenden Platz auf der Agenda des Betriebsrats einzuräumen. Viele greifen hierbei auch auf überbetriebliche Schulungs- und Beratungsangebote zurück, die die Interessenvertretungen bei der Wahrnehmung ihrer Beteiligungsrechte im Handlungsfeld der betrieblichen Weiterbildung unterstützen sollen.

Unterstützungsbedarf der Betriebsräte in der betrieblichen Weiterbildung

Die Nachfrage nach überbetrieblichen Unterstützungsangeboten wird häufig durch betriebsinternen Problem­druck wie die Altersentwicklung in der Belegschaft oder Rationalisierungsmaßnahmen und Veränderungen in der Betriebsorganisation ausgelöst. In der Regel fehlt den Betriebsräten jedoch das Rüstzeug zur Verwirklichung von strategischen Zielen in der betrieblichen Weiterbildung. Unterschiedliche Anbieter, wie z. B. das Netzwerk der Technologieberatungsstellen (TBS), gewerkschaftliche Bildungsstätten, die Arbeiterkammern in Bremen und im Saarland, gemeinsame Beratungsstellen der Tarifparteien wie die Agentur zur Förderung der beruf­lichen Weiterbildung (AgenturQ) in Baden-Württemberg, Programm- und Projektträger der ESF-Sozialpartnerrichtlinie „Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleichstellung fördern“, bieten hier Unterstützung an.

In Experteninterviews mit Betriebsräten und Fallstudien zur Unterstützungspraxis wurde deutlich, dass sich der Unterstützungsbedarf der betrieblichen Interessenvertretungen auf 4 Themenfelder erstreckt (Iller u. a. 2016)290:

Betriebliche Weiterbildungspolitik
Hier richtet sich der Bedarf auf Schulungsangebote zur Analyse des Qualifikationsbedarfs und auf Informationen zum Aufbau betrieblicher Weiterbildungsstrukturen sowie zu den gesetzlichen Beteiligungsmöglichkeiten der Interessenvertretung.

Verhandlungsführung mit der Arbeitgeberseite
Für die Interessenvertretungen ist es wichtig, eine Verhandlungsstrategie zu entwickeln, um die Anliegen der Belegschaft gegenüber dem Management zu vertreten. Die Einbindung kompetenter Beratungspersonen mit Erfahrungen im Aufbau von tragfähigen Weiterbildungsstrukturen können dabei mit ihrer „Übersetzungsleistung“ auch in festgefahrenen Verhandlungssituationen neue Impulse geben.

Kommunikation mit der Belegschaft
Betriebsräte, die sich für Weiterbildung einsetzen, stoßen damit bei weiterbildungsungewohnten Belegschaftsgruppen nicht unbedingt auf Zustimmung. Gelingt es den Interessenvertretungen nicht, den arbeitnehmerspezifischen Nutzen betrieblicher Weiterbildung aufzuzeigen, ist ihr Engagement für eine betriebliche Weiterbildung zum Scheitern verurteilt.

Betriebsratsinterne Arbeitsorganisation
Mangelnde personelle und zeitliche Ressourcen sind ein Grund für das geringe Betriebsratsengagement in der betrieblichen Weiterbildung. Hier besteht ein Beratungs­bedarf zur Frage, wie das Thema der betrieblichen Wei­ter­bildung auf der Grundlage ressourcenschonender Arbeitsstrukturen und personeller Zuständigkeiten als institutioneller Bestandteil der Betriebsratsagenda etabliert werden kann.

Um tarifliche Weiterbildungsregelungen mit Leben zu füllen, ist ein entsprechendes Engagement der kollektiven Interessenvertretungen in den Betrieben erforderlich. Betriebsräte sind hierbei erfolgreicher, wenn sie hierzu überbetriebliche Unterstützungsangebote nutzen können. In dem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt „Unterstützung der Interessenvertretung in der betrieblichen Weiterbildung“ (Iller u. a. 2016) wurde deutlich, dass dies besser gelingt, wenn die oft nur regionalen, branchenspezifischen oder projektbezogenen Unterstützungsangebote besser miteinander verzahnt und auf das jeweilige Aufgabenverständnis der Betriebsräte abgestimmt werden.

(Klaus Berger)

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    Hierbei handelt es sich um Ergebnisse eines von der Hans-Böckler-Stiftung ge­förderten Forschungsprojektes zur Unterstützung der Interessenvertretung in der betrieblichen Weiterbildung, das gemeinsam von der Johannes-Kepler-Universität Linz in Österreich, der Ruhr-Universität Bochum – Gemeinsame Arbeitsstelle RUB/IGM und dem Bundesinstitut für Berufsbildung durchgeführt und Ende 2015 abgeschlossen wurde.