Seit 2013 werden angesichts der anhaltend hohen Studienabbruchquote in Bachelorstudiengängen von derzeit 28 % (vgl. Heublein u. a. 2014) auf der einen sowie einer steigenden Anzahl unbesetzter Ausbildungsstellen im dualen System auf der anderen Seite (vgl. Kapitel A1) verstärkt Strategien zur Integration von Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen (vgl. Erläuterung am Anfang des Kapitels C) in die duale Berufsausbildung verfolgt, um so den prognostizierten Fachkräfteengpässen im mittleren Qualifikationsbereich (vgl. Kapitel A8.1) entgegenzuwirken. Die Strategien, die insbesondere durch die Kammern sowie das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Programm JOBSTARTER plus realisiert werden (vgl. Kapitel C3), fokussieren bislang auf die Gestaltung von Praxisangeboten, vorwiegend in Form von Beratungs- und Informationsleistungen für Studienabbrecher/-innen. Empirische Untersuchungen, die Aufschluss darüber geben, wie und unter welchen Bedingungen eine duale Berufsausbildung für Studierende attraktiv ist, existieren bislang jedoch nicht.
Um diese Erkenntnislücke zu schließen, hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) im Herbst 2015 in Kooperation mit der Universität Maastricht eine Studierendenbefragung durchgeführt . Auf Grundlage dieser Befragung wird nachfolgend beleuchtet, welches Image die betriebliche Ausbildung unter Studierenden hat und welche Ansprüche diese an eine duale Berufsausbildung stellen, um hierin eine realistische Alternative im Falle eines Studienabbruchs zu sehen.
Studierendenbefragung zur Attraktivität der beruflichen Bildung (StAB)
Die vom BIBB in Kooperation mit der Universität Maastricht durchgeführte Studierendenbefragung zur Attraktivität der beruflichen Bildung (StAB) wurde als Online-Befragung durchgeführt, die an die Studienreihe „Fachkraft 2020“ der Universität Maastricht angeknüpft war.
Die Studienreihe „Fachkraft 2020“ wurde im Herbst 2012 als Kooperationsprojekt des Departments of Labor Economics an der School of Business and Economics der Universität Maastricht und der STUDITEMPS GmbH gestartet und wird seither zweimal jährlich jeweils zu Semesterbeginn durchgeführt.305
Die StAB wurde in die siebte Befragungswelle (Herbst 2015) integriert. Thematisiert wurden neben der Frage, inwieweit Studierende die duale Berufsausbildung als mögliche Alternative zum Studium (Studienabbruch) wahrnehmen und welche konkreten Faktoren eine Rolle bei der Attraktivitätsbewertung spielen, auch die Frage, inwieweit eine berufliche Fortbildung als Entwicklungsoption im Anschluss an das Studium (Fortbildung nach dem Bachelorabschluss) von Bedeutung ist.
Für die Befragung wurden alle rund 420.000 im Netzwerk Jobmensa.de registrierten zukünftigen, aktuellen und ehemaligen Studierenden an deutschen Hochschulen um Teilnahme gebeten. Davon beteiligten sich rund 20.600 an der Befragung. In die Auswertung des Fragenkomplexes zur Attraktivität der beruflichen Bildung gingen allerdings nur diejenigen vollständig bearbeiteten Fragebögen ein, die von aktuell Studierenden sowie Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen beantwortet wurden. Die Analysestichprobe beläuft sich damit auf rund 12.000 Personen. Da der Anteil der Studienabbrecher/-innen unter den Befragten mit 2 % sehr gering ist, wird nachfolgend nur von Studierenden gesprochen.
Image der beruflichen Bildung aus Sicht von Studierenden und Attraktivität für den eigenen Bildungsverlauf
Um das Image der dualen Berufsausbildung zu ermitteln, wurden die Studierenden danach gefragt, welche Eigenschaften sie Personen mit dualem Berufsabschluss zuschreiben. Die Eigenschaften wurden dabei in Form eines semantischen Differenzials vorgelegt. Es zeigt sich, dass Studierende insgesamt ein recht positives Bild von dual ausgebildeten Personen haben. Ihnen werden vor allem Eigenschaften wie Fleiß, Ehrgeiz und Geschick zuerkannt, wohingegen die finanzielle Situation von Absolventen und Absolventinnen einer dualen Berufsausbildung etwas verhaltener eingestuft wird Schaubild C2.1-1.
Semantisches Differenzial
Das semantische Differenzial, das häufig auch als Polaritätsprofil bezeichnet wird, ist ein Skalierungsverfahren, das insbesondere in der Marktforschung zur Messung des Images von Personen, Objekten o. Ä. genutzt wird.
Dabei werden den Befragten Skalen mit bipolaren Wortpaaren zur Merkmalsbeschreibung (z. B. „dumm“ ZY „intelligent“) vorgelegt, auf denen sie eine Person, ein Objekt o. Ä. bewerten sollen. Die Assoziationen, die die Befragten mit einer Person, einem Objekt o. Ä. verbinden, lassen sich über diese Bewertung ausdrücken, und somit können Aussagen über das Image der Person, des Objekts o. Ä. getroffen werden (vgl. Hammann/Erichson 1990).
Aus welchen Gründen sich die Befragten für einen akademischen Bildungsweg entschieden haben, wird aus den Antworten auf die Frage deutlich, ob sich ausgewählte, mit der späteren beruflichen Tätigkeit verknüpfte Ziele und Erwartungen besser mit einem Ausbildungs- oder einem Studienabschluss oder mit beiden Abschlussarten gleichermaßen erreichen lassen. Bei 5 der 6 berücksichtigten Ziele und Erwartungen „gesellschaftliches Ansehen“, „Bezahlung“, „Aufstiegsmöglichkeiten“, „Vereinbarkeit Beruf und Freizeit“, „selbstständiges Arbeiten“ sowie „Arbeitsplatzsicherheit“ geht ein größerer Teil der befragten Studierenden davon aus, dass sie sich mit einem Studienabschluss besser erreichen lassen als mit einem Ausbildungsabschluss Schaubild C2.1-2. Besonders deutlich trifft dies in Bezug auf das gesellschaftliche Ansehen und die Bezahlung zu. Während über die Hälfte der Befragten der Ansicht ist, dass ein Studienabschluss dem gesellschaftlichen Ansehen zuträglicher ist als ein Ausbildungsabschluss, geht nur etwas mehr als jede/-r Zehnte davon aus, dass ein Ausbildungsabschluss diesbezüglich einem Studienabschluss überlegen ist. Interessant ist, dass mit Blick auf die Verdienstmöglichkeiten zwar rund die Hälfte der Befragten den Studienabschluss mit Vorteilen verbindet, die andere Hälfte jedoch einen Ausbildungsabschluss für überlegen oder vergleichbar erachtet. Ein umgekehrtes Bild ergibt sich bei der Arbeitsplatzsicherheit. Knapp 40 % der Befragten gehen davon aus, dass ein Ausbildungsabschluss eher als ein Studienabschluss zu einem langfristig sicheren Arbeitsplatz verhilft, die gegenteilige Ansicht vertreten gut 20 %. Die übrigen Befragten (40 %) erwarten, dass beide Abschlüsse gleichermaßen geeignet sind, langfristige Arbeitsplatzsicherheit zu ermöglichen
Mit den zuvor dargestellten Sichtweisen der Studierenden ist gut vereinbar, dass mit knapp 60 % die meisten der Befragten rückblickend erneut ein Hochschulstudium aufnehmen würden, wenn sie nach der allgemeinbildenden Schule nochmals vor der Entscheidung über den sich anschließenden Bildungsweg stünden Schaubild C2.1-3 Internet. Knapp ein Viertel der Befragten würde sich jedoch eher für ein duales Studium als ein reguläres Hochschulstudium entscheiden. Dass hingegen nur 11 % der Befragten aus heutiger Sicht eine duale Berufsausbildung präferieren würden, lässt darauf schließen, dass die berufliche Bildung allgemein unter Studierenden zwar kein schlechtes Image genießt, eine duale Berufsausbildung für einen Großteil jedoch verhältnismäßig wenig Attraktivität für den eigenen Bildungsverlauf aufweist.
Schaubild C2.1-1: Eigenschaften, die Studierende einer Person mit abgeschlossener dualer Berufsausbildung zuschreiben (in %)
Schaubild C2.1-2: Vergleichende Einschätzung der Studierenden hinsichtlich erwarteter Perspektiven nach Erwerb eines Studien- bzw. Ausbildungsabschlusses (in %)
Duale Berufsausbildung als Alternative zum Studium
Neben dem aktuellen Studiengang bieten sich für Studierende verschiedene Alternativen im Bildungs- und Beschäftigungssystem – der Wechsel in einen anderen Studiengang, die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit oder die Aufnahme einer dualen Berufsausbildung sind nur einige davon.
Für das Berufsbildungssystem ist dabei nicht nur die Gruppe der Studierenden, die ihr Studium bereits abgebrochen haben, sondern insbesondere auch die Gruppe der Studienzweifler/-innen von besonderem Interesse. Bei dieser Gruppe ist anzunehmen, dass sie aufgrund eines anhaltenden Orientierungsprozesses bzw. einer Unsicherheit in Bezug auf die eigene Bildungsentscheidung nicht nur für Angebote der Hochschulen, sondern insbesondere auch für Maßnahmen der beruflichen Bildung empfänglich ist, womöglich sogar empfänglicher als die Gruppe derjenigen, die ihr Studium bereits infolge eines Entscheidungsprozesses abgebrochen und sich ggf. konkrete Anschlusspläne erarbeitet haben.
Danach gefragt, wie hoch die Befragten die Wahrscheinlichkeit einschätzen, dass sie ihr aktuelles Studium nicht abschließen, gaben 7 von 10 Befragten an, dass diese Wahrscheinlichkeit mit unter 20 % eher gering ist Schaubild C2.1-4. Jede/-r Sechste bezifferte diese Wahrscheinlichkeit in einem Bereich von 20 % bis unter 50 %, jede/-r Achte sogar mit 50 % und höher.
Nachfolgend werden diejenigen Studierenden näher in den Blick genommen, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 % und mehr einen Abbruch ihres derzeitigen Studiengangs zumindest nicht für gänzlich ausgeschlossen einstufen und im Rahmen der Untersuchung als Studienzweifler/-innen bzw. potenzielle Studienabbrecher/-innen definiert werden. Da angenommen werden kann, dass für den weiteren Bildungsweg nach einem (potenziellen) Abbruch des derzeitigen Studiums auch von Bedeutung sein dürfte, ob vor Studienbeginn bereits eine berufliche Qualifikation erworben wurde oder nicht (vgl. Kapitel C2.2), werden die nachfolgenden Betrachtungen hiernach differenziert vorgenommen. Zunächst zeigt sich, dass von den Befragten, die einen Abbruch ihres derzeitigen Studiengangs nicht gänzlich ausschließen, 12 % bereits über einen dualen Berufsabschluss verfügen, wohingegen dies bei den übrigen 88 % nicht der Fall ist.
Gefragt nach den für sie im Falle eines Abbruchs des aktuellen Studiengangs in Betracht kommenden Alternativen zeichnen sich deutliche Unterschiede zwischen den Befragten mit und ohne dualen Berufsabschluss ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die vorgelegten Antwortmöglichkeiten in Abhängigkeit der beruflichen Vorqualifikation partiell voneinander abwichen. Während die befragten Studienzweifler/-innen ohne Ausbildungsabschluss noch zu 54 % den Wechsel in ein anderes Hochschulstudium als Alternative sehen, erachten dieses nur noch 39 % derjenigen mit Ausbildungsabschluss – die sich am ehesten die Rückkehr in den Ausbildungsberuf vorstellen können – als eine Option Schaubild C2.1-5 und Schaubild C2.1-6. Für 28 % der Befragten ohne Ausbildungsabschluss ist darüber hinaus auch die Aufnahme einer dualen Ausbildung vorstellbar. Ein ähnlicher Wert ergibt sich bei den Befragten mit Ausbildungsabschluss für die Aufnahme einer beruflichen Fortbildung. Für 31 % der Befragten ohne Ausbildungsabschluss stellt zudem ein duales Studium eine attraktive Alternative zum Studium dar.
Diejenigen Studienzweifler/-innen, die bisher über keinen Ausbildungsabschluss verfügen und eine Ausbildung auch nicht als für sie attraktive Option angegeben haben, wurden anschließend gefragt, welche konkreten Maßnahmen für sie die Aufnahme einer dualen Berufsausbildung als Alternative zum Studium noch attraktiver machen würden, sollten sie ihr Studium nicht fortsetzen. Hierbei haben 2 in etwa gleich große Teilgruppen (Gruppen A und B) nach dem Zufallsprinzip unterschiedliche Antwortmöglichkeiten zu den Aspekten „Anrechnung“, „Praktikum“, „Mobilität“ und „Berufsschulunterricht“ erhalten. An den Ergebnissen zeigt sich, dass der Wunsch der Befragten groß ist, bereits im Studium erbrachte Leistungen bzw. erworbene Kompetenzen in die Ausbildung einbringen zu können – entweder in Form einer zeitlichen Verkürzung der Ausbildung oder einer Anrechnung auf die Abschlussprüfung Schaubild C2.1-7. Ebenfalls als wichtig erachten die Befragten die Möglichkeit, die betriebliche Arbeit im Rahmen eines Praktikums kennenzulernen – möglichst in bezahlter Form. Im Gegensatz dazu spielt die Gestaltung des Berufsschulunterrichts für die Befragten eine geringere Rolle.
Es zeigt sich also, dass sich die Bemühungen um die Integration von Studienaussteigenden insbesondere auf eine Implementierung bzw. stärkere Nutzung von Anrechnungsmöglichkeiten und das Angebot an betrieblichen Praktika fokussieren sollten
(Barbara Hemkes, Kim-Maureen Wiesner)
Schaubild C2.1-4: Wahrscheinlichkeit, das aktuelle Studienfach nicht abzuschließen (in %)
Schaubild C2.1-5: Alternativen zum aktuellen Studium für potenzielle Studienabbrechende ohne Ausbildungsabschluss (in %)
Schaubild C2.1-6: Alternativen zum aktuellen Studium für potenzielle Studienabbrechende mit Ausbildungsabschluss (in %)
Schaubild C2.1-7: Maßnahmen, die eine duale Berufsausbildung als Alternative zum Studium attraktiver machen (in %)
-
305
Nähere Informationen finden sich unter http://fachkraft2020.de/ (Zugriff: 15.12.2015).