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Junge Erwachsene, die sich für eine akademische Ausbildung entschieden haben, aber diesen Weg nicht bis zum Ende gehen können oder wollen, haben mit einer dualen Berufsausbildung eine berufliche Alternative. Der Erwerb eines qualifizierten Berufsabschlusses, gute Verdienstmöglichkeiten, berufliche Entwicklungschancen z. B. durch eine Aufstiegsfortbildung – das sind nur einige Argumente, die für die berufliche Bildung sprechen. Auch Betriebe können von der Ausbildung von Studienabbrechern und -abbrecherinnen profitieren, insbesondere mit Blick auf die Sicherung ihres Fachkräftebedarfs.

Für große Unternehmen ist es mittlerweile selbstverständlich, bei der Suche nach Auszubildenden auch gezielt Studienabbrecher/-innen anzusprechen. Kleine und mittlere Betriebe (KMU) haben hier hingegen Nachholbedarf. Gleiches gilt für Studienabbrecher/-innen; auch sie haben KMU nur bedingt im Blick, wenn sie nach Alternativen zum Studium suchen, und der Weg in die berufliche Bildung ist für sie nicht selbstverständlich: Negative Vorstellungen von den dualen Ausbildungsberufen sowie vor allem Unkenntnis über Qualifizierungs- und Karrieremöglichkeiten in der beruflichen Bildung scheinen die Ursache dafür zu sein.

Damit sich die Wahrnehmung von Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen ändert und auch KMU das Potenzial dieser Gruppe stärker nutzen, sind mittlerweile bundesweit zahlreiche Initiativen angestoßen und Projekte ins Leben gerufen worden. In der Regel sind sie bei Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern angesiedelt, aber auch einige Hochschulen, Agenturen für Arbeit sowie Bildungsträger setzen Maßnahmen um, die auf die Zielgruppe der Studienabbrecher/-innen zugeschnitten sind. Finanziert werden die Projekte aus Bundes-, Landes- und EU-Mitteln. Die wichtigsten Programme, die bei der Förderung der Projekte eine Rolle spielen, sind die Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur Gewinnung von Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen für die berufliche Bildung315, zu den unter anderem auch das Ausbildungsstrukturprogramm JOBSTARTER plus (vgl. Kapitel C3.2) gehört, und das Programm „Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen bei der passgenauen Besetzung von Ausbildungsplätzen sowie bei der Integration von ausländischen Fachkräften“316 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi).

Unterschiede finden sich insbesondere bei den Dienstleistungen, die die Projekte bieten. Zudem sind die Angebote je nach Hochschule und regionalem Ausbildungsmarkt an die Lage vor Ort angepasst. Aufgrund der jeweiligen Schwerpunktsetzung lassen sich aber drei Projekttypen identifizieren:

  • Beratungsprojekte,
  • Vermittlungsprojekte und
  • Projekte mit speziellem Ausbildungsmodell.

Beratungsprojekte

In Beratungsprojekten geht es in erster Linie darum, Studierende, die über einen Abbruch ihres Studiums nachdenken, bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen. In individuellen Gesprächen wird die aktuelle Situation der (potenziellen) Studienabbrecher/-innen geklärt, die beruflichen Vorstellungen und Beweggründe für die Zweifel erörtert sowie Hemmfaktoren für eine Neuorientierung thematisiert. Oft wird eine Analyse von persönlichen Stärken und der bisher erworbenen Kompetenzen durchgeführt, um daraus ein persönliches Profil zu erstellen. Im nächsten Schritt werden Ratsuchenden konkrete Alternativen in der beruflichen Bildung aufgezeigt, die sich im Falle des Studienabbruchs bieten. Weitere Bestandteile der Beratungsleistung dieser Projekte sind Informationen über Ausbildungsberufe, Möglichkeiten einer Verkürzung der Ausbildungszeit, Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten sowie Unterstützung bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen. Auch ein Studienwechsel wird berücksichtigt und bei Bedarf eine Beratung über alternative Studienfachrichtungen oder den Wechsel an eine andere Universität oder Fachhochschule angeboten.

Möglichkeiten einer Verkürzung der Ausbildungszeit gemäß BBiG/HwO

Berufsbildungsgesetz (BBiG) und Handwerksordnung (HwO) bieten in bestimmten Fällen die Option, die reguläre Ausbildungszeit zu verkürzen. Eine Verkürzung der Ausbildungszeit ist in folgenden Fällen möglich:

  • Liegt eine berufliche Vorbildung vor, kann diese auf die Ausbildungszeit angerechnet werden (BBiG § 7/HwO  § 27a). Studienabbrecher/-innen können somit ihre bisher erbrachten Studienleistungen als „zurückgelegte Ausbildungszeit“ auf die Ausbildungszeit anrechnen lassen. Eine Anrechnung auf die Ausbildungszeit gemäß § 7 BBiG ist nur möglich, wenn das jeweilige Land eine Anrechnungsverordnung erlassen hat. Eine Anrechnungsverordnung gibt es bisher in den Bundesländern Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen.
  • Wenn davon ausgegangen werden kann, dass das Ausbildungsziel in der gekürzten Zeit erreicht wird, kann die zuständige Stelle die Ausbildungszeit kürzen (BBiG § 8/HwO § 27b). Ein Grund für die Kürzung kann beispielsweise das Vorliegen der Fachhochschul- bzw. Hochschulreife sein.
  • Auszubildende mit überdurchschnittlichen Leistungen im Betrieb und in der Berufsschule können vorzeitig zur Abschlussprüfung zugelassen werden (BBiG § 45 Abs. 1/HwO § 37) und somit früher als regulär vorgesehen die Abschlussprüfung ablegen.

Voraussetzung für Verkürzung der Ausbildungszeit nach BBiG § 7 und § 8 (HwO § 27a und § 27b) ist, dass der oder die Auszubildende und der Ausbildungsbetrieb einen gemeinsamen Antrag auf Verkürzung der Ausbildungszeit bei der zuständigen Stelle stellen. Die zuständige Stelle entscheidet im Rahmen einer Einzelfallprüfung über den Antrag. Das Zusammenfallen mehrerer Verkürzungsgründe darf nicht dazu führen, dass eine gewisse Mindestausbildungsdauer, die sich nach der regulären Ausbildungsdauer richtet, unterschritten wird. Bei einer Regelausbildungszeit von 3 Jahren beträgt diese 18 Monate.

Vermittlungsprojekte

In Vermittlungsprojekten erhalten (potenzielle) Studien­abbrecher/-innen neben den oben beschriebenen Dienst­leistungen und der Unterstützung bei der Entschei­dungs­findung konkrete Hilfen bei der Anbahnung von Aus­­bil­dungsverhältnissen in Betrieben der Region. Damit interessierte Studienabbrecher/-innen ihren Weg in eine duale Berufsausbildung finden können, organisieren Ver­mittlungsprojekte beispielsweise Betriebsbesuche zum Kennenlernen der potenziellen Ausbildungsbetriebe, unterstützen bei der Suche nach Praktikumsmöglichkeiten und stellen den Kontakt zu Betrieben her, die Ausbildungsplätze zu vergeben haben. Darüber hinaus geben sie Studien­abbrechern und Studienabbrecherinnen Hilfestellung bei der Vorbereitung auf ein konkretes Vorstellungsgespräch.

Projekte mit speziellem Ausbildungsmodell

Um die Attraktivität der dualen Berufsausbildung bei Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen zu steigern, bieten einige Projekte dieser Zielgruppe besondere Ausbildungsmodelle an. Eines dieser Modelle wird in der Regel in Kooperation mit Industrie- und Handelskammern umgesetzt. Es ermöglicht die Anerkennung bereits erbrachter Studienleistungen sowie beruflicher Erfahrungen (z. B. aus Nebenjobs, Praktika) auf die Ausbildungszeit, sodass diese deutlich, und zwar auf 18  Monate, verkürzt werden kann. Darüber hinaus wird der Berufsschulunterricht in eigens für die teilnehmenden Studienabbrecher/-innen eingerichteten Berufsschulklassen durchgeführt. Um dies zu ermöglichen, kann die Ausbildung zumeist nur zu einem festen Termin im Jahr begonnen werden. Voraussetzung für die Teilnahme an diesem Modell ist, dass mindestens 20 Credit-Points und zwei absolvierte Fachsemester nachgewiesen werden können. Da das Modell bislang nur in bestimmten Ausbildungsberufen angeboten wird (in der Regel sind es IT- und kaufmännische Berufe), richtet sich das Projekt primär an Studienabbrecher/-innen aus MINT-Studiengängen sowie den Wirtschaftswissenschaften.

Demgegenüber wird im Handwerksbereich ein Modell angeboten, das die verkürzte Ausbildung mit den fachübergeordneten Teilen III und IV der Meisterprüfung kombiniert. Studienabbrecher/-innen, die dieses kombinierte Ausbildungsmodell absolvieren, können sich dann im Anschluss an die verkürzte Ausbildung auf die fachbezogenen Teile I und II der Meisterprüfung vorbereiten. Nach einer gesamten Ausbildungszeit von 2,5 bis 3 Jahren haben sie dann nicht nur ihren Berufsabschluss, sondern auch den Meistertitel erworben.

(Fatma Sarigöz)