Kann die Ausbildung von Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen dazu beitragen, den zunehmenden Schwierigkeiten bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen und den daraus potenziell resultierenden Fachkräfteengpässen zu begegnen? Diese Frage steht im Mittelpunkt des diesjährigen Schwerpunktthemas des Datenreports zum Berufsbildungsbericht. Antworten werden über die Aufbereitung und Analyse verschiedener Daten und Erhebungen gesucht, um unterschiedliche Perspektiven auf die Thematik berücksichtigen wie aufzeigen zu können.
Die in Kapitel C3 dargestellte und an Beispielen illustrierte Spannbreite an Projekten verdeutlicht, dass vieles auf den Weg gebracht wurde, um die Integration von Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen in die duale Berufsausbildung zu fördern. An vorderster Stelle stehen dabei Beratungs- und Informationsangebote, insbesondere für (potenzielle) Studienabbrecher/-innen. Denn auch wenn ihnen die duale Berufsausbildung seit jeher offensteht, wissen viele von ihnen kaum etwas über die Vielfalt der sich hier bietenden beruflichen Wege. Entsprechend wird der Wechsel in eine duale Berufsausbildung vielfach nicht oder erst nach langwierigen Such- und Orientierungsphasen in Betracht gezogen (vgl. Kapitel C2.3). Hinzu kommt, dass Betriebe erst allmählich dazu übergehen, ausdrücklich (auch) Studienabbrecher/ -innen in ausgeschriebenen Ausbildungsplatzangeboten anzusprechen. Das hängt vermutlich mit der Unsicherheit zusammen, über welche Inhalte und Wege sich Zugang zu dieser Gruppe finden lässt (vgl. Kapitel C1.2). Vor diesem Hintergrund wird plausibel, dass die Projekte – zumindest derzeit noch – primär auf den Einzelfall ausgerichtet und die Zahlen der erfolgreich zusammengeführten Betriebe und Studienabbrecher/-innen entsprechend überschaubar sind.317
Mangelndes Wissen der Studienabbrecher/-innen und Unsicherheiten über Zugangswege der Betriebe dürften aber kaum der alleinige Grund dafür sein, dass die Einmündung in eine duale Berufsausbildung nach Studienabbruch vielfach nicht oder erst verzögert erfolgt. Vielmehr deuten die dargelegten Befunde darauf hin, dass das Interesse von Betrieben an der Ausbildung von Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen (vgl. Kapitel C1.2) und das positive Image einer dualen Berufsausbildung unter Studierenden (vgl. Kapitel C2.1) auch deswegen nicht in größerem Umfang zum Tragen kommt, weil beide Seiten unterschiedliche Vorstellungen über die Ausgestaltung eines Ausbildungsverhältnisses haben. Das scheint vor allem den Umgang mit den an der Hochschule erbrachten Leistungen zu betreffen. So knüpft sich die Attraktivität eines Wechsels in die duale Berufsausbildung für (potenzielle) Studienabbrecher/-innen insbesondere an die Anrechnung von Studienleistungen auf die Ausbildung. Dabei stoßen nicht nur die bereits jetzt nach BBiG/HwO bestehenden Möglichkeiten, die reguläre Ausbildungszeit zu verkürzen, auf hohe Resonanz. Auch derzeit noch nicht umsetzbare, wohl aber diskutierte Ansätze, Studienleistungen mit Teilen der Ausbildungsabschlussprüfung gleichzusetzen, finden hohen Zuspruch und könnten dazu beitragen, dass Studienabbrecher/-innen häufiger neue berufliche Wege in der dualen Berufsausbildung suchen (vgl. Kapitel C2.1). Demgegenüber lehnen Betriebe die Etablierung erweiterter rechtlicher Möglichkeiten, Studien- auf Ausbildungsleistungen anzurechnen, eher ab. Zudem scheinen sie der zeitlichen Anrechnung von Studienleistungen eine inhaltliche Anrechnung und damit Modelle vorzuziehen, die an der regulären Ausbildungsdauer festhalten, sodass die sich innerhalb dieses Zeitrahmens durch bereits im Vorfeld erreichte Lernergebnisse ergebenden Zeitersparnisse für zusätzliche Qualifizierungen genutzt werden können (vgl. Kapitel C1.2; Jahn/Brickner 2014).
Solche kontrastierenden Vorstellungen und Präferenzen können folglich das Zustandekommen von Ausbildungsverhältnissen zwischen Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen und Betrieben erschweren oder gar verhindern und damit die Ausschöpfung des prinzipiell bestehenden Qualifizierungspotenzials bremsen. Zugleich ist in den zu vermutenden Interessenkonflikten eine weitere Erklärung für die intensive Einzelfallorientierung der aufgelegten Projekte zur Integration von Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen in die duale Berufsausbildung zu sehen.
Allerdings können den aufgezeigten Ergebnissen auch Hinweise darauf entnommen werden, dass die Bereitschaft besteht, von der präferierten Form der Anerkennung von Hochschulleistungen abzurücken. Diese scheint an den Ausbildungsberuf geknüpft zu sein und ist – da eine zeitliche Anrechnung von Studienleistungen einen gemeinsamen Antrag von Betrieb und Auszubildendem bzw. Auszubildender erfordert – eher aufseiten der Studienabbrecher/-innen zu suchen. Dafür spricht, dass Betriebe bislang primär in solchen Berufen Ausbildungsverträge mit Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen abschließen konnten, die – auch unter Studierenden – ein positives Image haben, wohingegen dies in Ausbildungsberufen mit schlechterem Image nur selten gelang (vgl. Kapitel C1.2; BIBB-Datenreport 2015, Kapitel A3.1.2). Das lässt Folgendes vermuten: Kann der mit einem Wechsel vom Hochschul- in das duale System für viele Studienabbrecher/-innen verbundene Verlust an gesellschaftlichem Ansehen durch die Einmündung in einen vergleichsweise angesehenen Ausbildungsberuf minimiert werden, sind Studienabbrecher/-innen möglicherweise eher zu Kompromissen bei der zeitlichen Anrechnung der im Studium erbrachten Leistungen bereit als bei Ausbildungsberufen, die mit einem größeren Statusverlust einhergehen. Ob sich daraus im Umkehrschluss folgern lässt, dass sich durch stärker umgesetzte oder gar erweiterte Anrechnungsmöglichkeiten für die – insgesamt unter Nachfrageproblemen leidenden – weniger angesehenen Ausbildungsberufe mehr Studienabbrecher/-innen gewinnen ließen, ist allerdings in Zweifel zu ziehen.
Schließlich lassen die dargestellten Befunde auch erkennen, dass die Integration von Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen in die duale Berufsausbildung noch nicht hinreichend in die Bemühungen um mehr Durchlässigkeit im Bildungsbereich verankert ist. Zwar ordnen Berufsbildungsfachleute die Integration von Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen in die duale Berufsausbildung mehrheitlich in diesen Kontext ein, aber nur die wenigsten Betriebe, und auch die aufgedeckten Vorbehalte von Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen gegenüber der Aufnahme einer dualen Berufsausbildung, sprechen eine andere Sprache. Vielmehr wird Durchlässigkeit – sicherlich der jahrzehntelang vorherrschenden Ausrichtung geschuldet – primär mit Übergängen von der beruflichen in die akademische Bildung in Verbindung gebracht (vgl. Kapitel C1.3 und Kapitel D2).
Insgesamt sprechen die zum Schwerpunktthema des diesjährigen Datenreports zusammengetragenen Erkenntnisse dafür, dass die Integration von Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen in die duale Berufsausbildung durchaus zur Stabilisierung des Systems der dualen Berufsausbildung beitragen kann. Gleichwohl zeigen die Befunde auch, dass noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen ist, soll der Übergang in eine duale Berufsausbildung nach Studienabbruch selbstverständlicher werden.
(Margit Ebbinghaus)
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So gingen aus dem bereits 2011 gestarteten Projekt SWITCH (Tabelle C3.2-1) bislang gut 170 Ausbildungsverhältnisse zwischen Studienabbrechern und Studienabbrecherinnen und Betrieben hervor (vgl. www.aachen.de/DE/wirtschaft_technologie/service/arbeitsmarkt/switch/projekt/index.html; Stand 14.01.2016).
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Vgl. hierzu www.bibb.de/de/37652.php.