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Die Besonderheit der QuBe-Bevölkerungsprojektion liegt an der spezifischen Modellierung der Zu- und Abwanderung. So wird die Bevölkerung Deutschlands in Deutsche und Ausländer unterteilt. Die Zuwanderung nach Deutschland erfolgt im Rahmen des Modells TINFORGE (Wolter u. a. 2014) und wird länderspezifisch modelliert. Die Abwanderung wird aus Vergangenheitsdaten geschätzt, Ausländer weisen dabei höhere Fortzugsraten auf als Deutsche (Fuchs u.  a. 2016).

Für die QuBe-Bevölkerungsprojektion werden gesondert die Zuzüge aus den derzeitigen Hauptherkunftsländern im System zur Erstverteilung der Asylbegehrenden (EASY) per Annahme modelliert. Dieses Vorgehen ist dem Umstand geschuldet, dass zum einen keine validen Kenntnisse über die Dauer des Krieges in Syrien vorherrschen und zum anderen derzeit auch schwer abschätzbar ist, welche Steuerungsmechanismen in Europa oder auch in einzelnen europäischen Mitgliedstaaten mittel- und langfristig für den Zuzug an Geflüchteten ergriffen werden. Die separate Modellierung von Geflüchteten innerhalb der QuBe-Bevölkerungsprojektion hat den Vorteil, dass die mittel- und langfristigen wirtschaftlichen und demografischen Effekte aufgrund des Zuzugs an Geflüchteten separat ausgewiesen werden können. Die Annahmen des „QuBe-Geflüchtetenmoduls“ werden im Folgenden vorgestellt.

Modellierung der Zuwanderung nach und Abwanderung aus Deutschland

Modellierung der Zuwanderung: Die Zuwanderung wird anhand des Modells TINFORGE (Wolter u. a. 2014) bestimmt. Dabei wird für jedes Herkunftsland der Zuwandernden entschieden, ob die Auswanderung aus dem Herkunftsland aufgrund der demografischen, sozioökonomischen oder poli­tischen Situation vor Ort motiviert ist. Für die Modellierung hat dieses Vorgehen folgende Konsequenzen (Gorodetski/Mönnig/Wolter 2016):

  • Demografisch: Die Auswanderung aus den Herkunftsländern nach Deutschland ist allein durch die demografische Entwicklung in den Herkunftsländern getrieben. Das heißt, je größer der Anteil der jüngeren Bevölkerungsklassen in den Herkunftsländern ist, desto stärker ist die Mobilitätsneigung dieser Länder. Aufgrund der Alterung der europäischen Bevölkerung wäre nach dieser Modellierungsweise mit einem langfristigen Rückgang der Zuwanderung nach Deutschland auszugehen, hingegen ist mit einem Anstieg der Wanderung aus Afrika und Asien zu rechnen.
  • Sozioökonomisch: Die Auswanderung aus dem Herkunftsland erfolgt aufgrund der sozioökonomischen Situation vor Ort. Gut ersichtlich ist dies beispielsweise anhand der südeuropäischen Staaten im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise. Hier wird angenommen, dass sich diese Zuzüge langfristig wieder dem Durchschnitt annähern.
  • Politisch: Die Auswanderung erfolgt aufgrund der unsicheren politischen und gesellschaftlichen Situation im Herkunftsland, die beispielhaft durch den Fragil-State-Index quantifiziert werden kann. Aber auch der politisch motivierte Abbau von Handelshemmnissen, wie z. B. durch Freihandelsabkommen, kann die Mobilität zwischen Deutschland und den Partnerstaaten erhöhen. Hier wäre zu erwarten, dass sich der bisher beobachtbare Trend der Zuwanderung nach Deutschland auch langfristig fortsetzt.

Für die QuBe-Bevölkerungsprojektion werden die Zuzüge aus den derzeitigen Hauptherkunftsländern im System zur Erstverteilung der Asylbegehrenden (EASY) gesondert per Annahme modelliert Schaubild A8.1.1-2.

Modellierung der Abwanderung: Die alters- und ge­schlechtsspezifischen Fortzugsquoten werden aus den Fortzügen der Wanderungsstatistik und der Bevölkerungsfortschreibung des Statistischen Bundesamtes ermittelt und vom IAB für die Zukunft getrennt nach Deutschen und Ausländern fortgeschrieben.

Das QuBe-„Geflüchtetenmodul“

Die Annahmen zur Erstellung des „Geflüchtetenmoduls“ innerhalb der Bevölkerungsprojektion fußen auf den bis 15. März 2016 verfügbaren Datenquellen und den bestehenden bzw. zu erwartenden asylrechtlichen Änderungen (z. B. die Klassifikation der sicheren Herkunftsstaaten im Asylpaket 2) . Das hohe Ausmaß an registrierten Geflüchteten im EASY-System von 1.091.894 Personen224 zum Ende des Jahres 2015 zeigt bei einem gleichzeitig relativ moderaten Anstieg an gestellten Asylanträgen von 202.834 im Jahr 2014 auf 476.649 im Jahr 2015, dass die Zahl der Asylanträge in naher Zukunft weiter ansteigen muss, da noch nicht alle registrierten Schutzsuchenden bislang überhaupt einen Antrag stellen konnten.

Datenstand des QuBe-Geflüchtetenmoduls

Für die QuBe-Bevölkerungsprojektion werden die Zuzüge von Schutzsuchenden anhand eines „Geflüchtetenmoduls“ gesondert modelliert. Dieses Vorgehen ist dem Umstand geschuldet, dass zum einen keine validen Kenntnisse über die Dauer des Krieges in Syrien vorliegen und zum anderen derzeit auch schwer abschätzbar ist, welche Steuerungsmechanismen in Europa oder auch in einzelnen europäischen Mitgliedstaaten mittel- und langfristig für den Zuzug an Geflüchteten ergriffen werden. Es ist deshalb möglich, dass die Schätzungen im weiteren Verlauf des Jahres auf Basis einer geänderten Datengrundlage nochmals korrigiert werden müssen (z. B. für die Veröffentlichung der 4. Projektionswelle der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojek­tionen im Sommer 2016).

Die in diesem Datenreport veröffentlichten Ergebnisse fußen auf den bis zum 15. März 2016 verfügbaren Datenquellen und den bestehenden bzw. zu erwartenden asylrechtlichen Änderungen (z. B. die Klassifikation der sicheren Herkunftsstaaten im Asylpaket 2). Für die Asylgeschäftsstatistik gilt der Monat Februar 2016 (Asylgeschäftsstatistik 2/2016). Sie ist ausschlaggebend für die Berechnung der Schutzquoten und die Aufteilung der Geflüchteten nach Herkunftsländern. Die Daten des Ausländerzentralregisters, welche als Ausgangsbasis für die Geschlechts- und Altersstruktur der Geflüchteten nach Herkunftsländern dienen, fußen auf dem Stichtag 31. Dezember 2014.

Tabelle A8.1.1-1: Meldungen im EASY-System 2015 und Asylanträge für 2014 und 2015

Tabelle A8.1.1-1 zeigt die Meldungen im EASY-System 2015 und der Asylanträge in den Jahren 2014 und 2015 nach den häufigsten Herkunftsländern. Dabei wird deutlich, dass die Zahl der Asylgesuche von Personen aus dem Westbalkan (Albanien, Kosovo, Serbien und Mazedonien) zwar noch relativ hoch ist, im zweiten Halbjahr 2015 jedoch bereits an Bedeutung verloren hat. Die Zahl der Asylanträge von Personen aus Syrien, Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan nimmt hingegen zu. Zudem gilt es zu beachten, dass die Staaten des Westbalkans zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt wurden, was die Chance auf ein erfolgreiches Asylgesuch in Zukunft extrem erschweren wird. Für Personen aus Syrien oder Irak kann derzeit hingegen eine im Vergleich zu anderen Herkunftsländern hohe Schutzquote erwartet werden. Unter einer Schutzquote ist der Anteil der Entscheidungen über Asylanträge zu verstehen, bei denen den Antragstellern entweder die Rechtsstellung als Flüchtlinge (§ 3 Abs. 1 AsylVfG, Art. 16a GG) oder subsidärer Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zuerkannt wurde oder ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5/7 AufenthG vorliegt (vgl. Kapitel A4.9.1).

Für die Projektion des Zuzugs an Geflüchteten und ihrer Bleibewahrscheinlichkeit spielen 2 Aspekte eine wesentliche Rolle: die Struktur der Geflüchteten nach Herkunftsländern mit ihren länderspezifischen Schutzquoten Tabelle A8.1.1-2 und die Verfahrensdauer von der Registrierung in EASY bis zur erfolgreichen Erteilung des Asylstatus. In jedem Fall gilt, dass die Entwicklung der Zukunft sich nicht direkt aus den Entwicklungen bis zum Jahr 2015 ablesen lässt. Zudem wird die Höhe des Flüchtlingsstroms wesentlich durch politische Entscheidungen, z. B. zur Grenzsicherung, beeinflusst. Aufgrund der Datenlage bis zum 15. März 2016 werden deshalb folgende Annahmen für die Zukunft getroffen:

In Bezug auf die Registrierung in EASY wird angenommen, dass der höchste Jahreswert im Jahr 2015 mit 1.091.894 Personen (inklusive Doppel- und Fehlbuchungen) erreicht wurde. Aufgrund des kontinuierlichen Rückgangs an monatlich registrierten Schutzsuchenden von 206.101 im November 2015 auf 61.428 im Februar 2016225 und der derzeit absehbaren Schließung der „Balkanroute“ ist im Jahr 2016 wahrscheinlich mit weitaus weniger Flüchtlingen als im Jahr 2015 zu rechnen. Inklusive eines möglichen Familiennachzuges bereits registrierter Flüchtlinge gehen wir für das Jahr 2016 von einem Zustrom von 450.000 Geflüchteten in Deutschland aus.226 Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass sich die Zuzüge bis 2020 um jeweils ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr reduzieren. Insgesamt werden zwischen 2015 und 2020 somit 2,26 Mio. Personen zumindest temporär in Deutschland Schutz suchen. Diese Zahl beinhaltet bereits einen Familiennachzug von jeweils 10 % des Bestandes der in einem Jahr anerkannten Flüchtlinge im Folgejahr.227 Unter den Geflüchteten werden Syrer mit knapp über 40 % den größten Anteil einnehmen. Personen aus Irak und Afghanistan werden mit jeweils ca. 20 % die zweit- und drittgrößte Gruppe darstellen.228

Schaubild A8.1.1-1 zeigt die angenommene Aufteilung der möglichen Asylantragsteller nach Herkunftsländern. Die Anzahl der anerkannten Asylberechtigten leitet sich aus diesen Größen und der Mischung der länderspezifischen Schutzquoten Tabelle A8.1.1-2 ab.229 Offen bleibt in diesem Zusammenhang, wie lange es im Durchschnitt von der Registrierung in EASY bis zur Antragstellung und dem letztendlich positiven Entscheid dauert. Hier wird aufgrund der Personalaufstockungen im BAMF davon ausgegangen, dass die Zeitspanne von Registrierung bis zur positiven Bewilligung in der mitt­leren Frist rund 6 Monate beträgt230 und der Zustrom der Asylsuchenden in den kommenden Jahren über das Jahr relativ gleichmäßig verteilt ist. Ausgehend von den bisherigen EASY-Registrierungen hätte unter dieser Annahme die Anzahl der anerkannten Flüchtlinge im Jahr 2015 rund 330 Tsd. betragen müssen, tatsächlich wurde aber über 282.726 Anträge entschieden, in 137.136  Fällen davon positiv. Es wird davon ausgegangen, dass die Differenz dieser beiden Größen aus dem Jahr 2015 in 2016 abgearbeitet wird.231

Schaubild A8.1.1-1: Aufteilung der möglichen Asylantragsteller nach Herkunftsländern

Tabelle A8.1.1-2: Annahmen zu den Schutzquoten nach Herkunftsländern

Die Annahme zur Schutzquote ist für die Modellierung von hoher Bedeutung, da sie indirekt auch über die langfristige Bleibewahrscheinlichkeit der Geflüchteten in Deutschland bestimmt. So wird für all diejenigen, denen keine Anerkennung als Flüchtling gewährt wird, angenommen, dass ihr Fortzugsverhalten dem Fortzugsverhalten der ausländischen Bevölkerung folgt. In den größten Altersgruppen der Geflüchteten, bei den 20- bis 40-jährigen Männern bzw. den 20- bis 30-jährigen Frauen, ziehen jedes Jahr im Durchschnitt zwischen 12 % und 21 % (Männer) bzw. zwischen 8 % und 20 % (Frauen) des jeweilig gleichaltrigen ausländischen Bevölkerungsbestandes wieder aus Deutschland fort.232 Bei den anerkannten Flüchtlingen gehen wir hingegen davon aus, dass sie sich langfristig in Deutschland niederlassen. Die Annahmen können mit Erkenntnissen einer Studie des BAMF („Integration von Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen – BAMF-Flüchtlingsstudie“) gestützt werden. So gaben in einer schriftlichen Befragung von rund 2.800 Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen233 fast 85 % der Befragten an, „für immer“ in Deutschland bleiben zu wollen (Worbs/Bund 2016, S. 8).234

Die wesentlichen Modellierungsannahmen des Geflüchtetenmoduls sind in Schaubild A8.1.1-2 überblicks­artig zusammengestellt. Die Annahmen führen dazu, dass im Jahr 2016 die Summe aller anerkannten Flücht­linge einen Höchstwert von 715.700 Personen erreichen wird. Darunter werden sich als größte Gruppe rund 383.500 Syrer befinden. Zwischen 2016 bis einschließlich 2020 werden entsprechend den Annahmen insgesamt circa 1,36 Mio. anerkannte Flüchtlinge in Deutschland erwartet.235

Das Alter und Geschlecht der Geflüchteten wird sowohl bei Stellung des Asylantrags erfasst als auch während des Aufenthalts der Ausländer in Deutschland im Ausländerzentralregister gespeichert. Da die über die Herkunftsländer aufsummierte Alters- und Geschlechtsstruktur aus dem Ausländerzentralregister der Struktur der Asylantragsteller ähnelt, wird aufgrund der größeren Detailtiefe auf die herkunftsländerspezifische Geschlechts- und Altersstruktur des Ausländerzentralregisters zurückgegriffen.236 Wie Schaubild A8.1.1-3 zeigt, unterscheidet sich die Struktur der Geflüchteten deutlich von der einheimischen (Deutsche und Ausländer) Bevölkerung durch einen höheren Anteil an männlichen und jüngeren Menschen.

Schaubild A8.1.1-2: Wesentliche Modellierungsannahmen des Geflüchtetenmoduls in der QuBe-Bevölkerungsprojektion

Schaubild A8.1.1-3: Altersverteilung (kumulativ) und Geschlechtsverteilung anerkannter Flüchtlinge (geschätzt) und einheimischer Bevölkerung

  • 224

    Aufgrund der zwischenzeitlichen Aus- und Weiterreise der registrierten Personen sind Fehl- und Doppelbuchungen innerhalb des Systems wahrscheinlich, können aber nicht genau beziffert werden.

  • 225

    Quelle: Erstverteilung von Asylbegehrenden (EASY-System), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

  • 226

    Rund 153.100 davon wurden bereits in den Monaten Januar und Februar 2016 registriert. Um die Zahl zu erreichen, müssten in den Monaten März bis Dezember rund 30.000 Personen im Monat zuwandern.

  • 227

    Hierbei kann es sich um einen relativ niedrigen Wert handeln (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2015, S. 15 ff.). Andere Schätzungen gehen von einem Wert von rund 40 % aus (Fuchs/Weber 2015). Jedoch ist auch unklar, inwieweit bereits jetzt aufgrund der Angst vor Grenzschließungen ein inoffizieller Familiennachzug stattfindet. So wurden Anfang des Jahres 2016 erstmals mehr Frauen und Kinder unter den Grenzübertritten zwischen Griechenland und Mazedonien registriert (Unicef – News Note 02.02.2016: „More children and women seek safety in Europe: UNICEF“, www.unicef.org/media/media_90000.html (Zugriff: 08.03.2016)).

  • 228

    Die Aufteilung entspricht den Anteilen der Herkunftsländer nach der Asylgeschäftsstatistik 2/2016.

  • 229

    Aufgrund des Aufstaus unbearbeiteter Asylanträge wird die länderspezifische Schutzquote auf die Anzahl der potenziellen Antragsteller bezogen und nicht auf die Anzahl der tatsächlich Antragstellenden (aus der die Quote berechnet wird).

  • 230

    BAMF-Presseinformation vom 05.02.2016: „Entwicklung der Kennzahlen des BAMF“; siehe: www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Presse/20160205-presseinfo-bilanz-pk-kennzahlen.pdf?__blob=publicationFile.

  • 231

    BAMF-Pressemitteilung 004/2016 vom 05.02.2016: „BAMF stellt Programm für 2016 vor“; siehe www.bamf.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/20160205-004-presseeinladung-bilanz-pk.html?nn=1366068.

  • 232

    Insgesamt beläuft sich die Fortzugsquote im Jahr 2015 auf 8,3 % und sinkt bis zum Jahr 2035 auf 6,3 %.

  • 233

    Aus den Herkunftsländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Sri Lanka und Syrien.

  • 234

    Bei Einbürgerung gleicht sich das Fortzugsverhalten dem Fortzugsverhalten der deutschen Bevölkerung an. Hier verlassen im Durchschnitt lediglich 0,02 % des Bevölkerungsbestandes jedes Jahr das Land.

  • 235

    Rechnet man die im Jahr 2015 anerkannten Flüchtlinge mit ein, werden sich zwischen 2015 und 2020 rund 1,5 Mio. Geflüchtete in Deutschland niederlassen.

  • 236

    Zum Zeitpunkt der Modellierung ist der aktuellste Datenstand auf den 31. Dezember 2014.