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Die Bevölkerung Deutschlands wird sich wegen des Wan­derungsgeschehens nicht nur in ihrer Größe, sondern auch in ihrer Struktur ändern. So wird die Alters- und Familienstruktur der Geflüchteten dazu führen, dass vermutlich die Anzahl an Einpersonenhaushalten und der Haushalte mit vier und mehr Personen relativ am stärksten steigt. Zudem ist zu erwarten, dass es sich zu Beginn des Zuzugs um einkommensschwache Haushalte handeln wird, die erst mit zunehmender Integration in das Erwerbsleben auch ihre Konsumnachfrage erhöhen werden. Die veränderte Haushaltsstruktur wird somit auch den Konsum der privaten Haushalte insgesamt in Struktur und Höhe verändern. Unabhängig von langfristig verfügbaren Einkommen der Geflüchteten wird sich aber auch die Nachfrage der Unternehmen nach Erwerbstätigen in bestimmten Branchen durch die gestiegenen Bevölkerungszahlen erhöhen. Tabelle A8.1.3-1 gibt die Verteilung der zu erwartenden zusätzlichen Nachfrage an Erwerbstätigen auf die Branchen aufgrund des Zustroms an Geflüchteten für die Jahre 2016 und 2035 wieder. Die Auswertungen beziehen sich dabei auf eine Analyse von Sonnenburg/Stöver/Wolter (2015) anhand des Modells INFORGE (Schnur/Zika 2009), welches auch für die Projektion der Branchenerwerbstätigkeit in den BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen verwendet wird. Da ihre vorläufige Szenariorechnung auf dem Datenstand von Herbst 2015239 beruht, wird die Verteilung der zusätzlichen Nachfrage an Erwerbstätigen auf die Branchen in Form von Punkten dargestellt. Ein Punkt signalisiert, dass näherungsweise ca. 1 % bis 5 % der zusätzlichen Erwerbstätigkeit in der genannten Branche zu erwarten sind.240

Es zeigt sich, dass die große Zahl der Geflüchteten für einen zeitnahen Anstieg der Nachfrage nach Bauinvestitionen sorgt. Dabei ist zwischen kurzfristigen Auswirkungen im Rahmen der Erstversorgung und langfristigen Wirkungen aufgrund eines zusätzlich notwendigen Wohnungsbaus zu unterscheiden. Es gilt außerdem zu berücksichtigen, dass die Zahl der Baugenehmigungen aufgrund der andauernd niedrigen Zinsen seit Ende 2009 bereits stetig zugenommen hat.241 Zudem werden neben der Nachfrage im Ausbaugewerbe auch angekündigte und teilweise beschlossene Infrastrukturausbaumaßnahmen, wie z. B. das Bundesförderprogramm für den Breitbandausbau bis 2018,242 zu einem steigenden Bedarf an Bauberufen im Tiefbau sorgen. Inwieweit alle beabsichtigten Bauleistungen – im Tief- und im Hochbau – zwischen 2016 und 2020 erfolgen können, wird deshalb auch davon abhängen, ob für die kurze Zeitperiode genügend qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen. Denn wenn Betriebe Bauaufträge aus Kapazitätsgründen verschieben oder gar ablehnen müssen, wird die Baubranche unter ihren theoretischen Möglichkeiten bleiben, und Projekte müssen verschoben werden, sodass die tatsächliche Zahl an Erwerbstätigen in der kurzen Frist geringer ausfällt, dafür möglicherweise aber auch länger anhält als in Tabelle A8.1.3-1 dargestellt.

Die Erhöhung der Bevölkerungs- wie auch der Haushaltszahl wird auch für zusätzliche Erwerbstätigkeit im Einzelhandel sorgen. Dabei wird der Konsum von Gütern (wie z. B. Nahrungsmittel, Möbel, Innenausstattung) stärker sein als die Nachfrage nach Dienstleistungen (z. B. Versicherungen, Freizeit und Kulturdienstleistungen) (vgl. Sonnenburg/Stöver/Wolter 2015, S. 7). Zudem wird mit zunehmender Integration der Geflüchteten in die Erwerbsarbeit auch ein steigender Nachholbedarf nach Gütern (wie z. B. Kfz) zum Tragen kommen.

Aufgrund der notwendigen Aufnahmeleistungen des Staates wird die Erwerbstätigkeit vor allem in den Branchen zunehmen, in denen die Ausgaben des Staates direkt oder indirekt wirksam werden. Dazu zählen die öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung, das Grundstücks- und Wohnungswesen und vor allem das Bildungswesen. Aufgrund der Zunahme des Kreises an (gesetzlich) Versicherten wird auch das Gesundheitswesen an Erwerbstätigkeit zulegen. Es ist aber nicht zu erwarten, dass auch die Kosten für das Gesundheitswesen im gleichen Maße steigen. Da die Geflüchteten verglichen mit der vorhandenen Bevölkerung jung und vor allem männlich sind, sind die Ausgabensteigerungen der Krankenkassen wahrscheinlich unterproportional zum Bevölkerungsanstieg. Sollte die Zahl der Geflüchteten tatsächlich wie angenommen bis zum Jahr 2020 zurückgehen, so werden die spezifischen Erwerbstätigkeitseffekte in den Branchen geringer, stattdessen überwiegen die demografischen Effekte mit einem größeren Verwaltungsapparat aufgrund einer höheren Bevölkerungs- und Haushaltszahl und einer höheren Bildungsnachfrage aufgrund einer insgesamt jüngeren Altersstruktur.

Tabelle A8.1.3-1: Zu erwartende zusätzliche Nachfrage nach Erwerbstätigen in den Branchen aufgrund der Zuwanderung Geflüchteter bis 2035