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Zurzeit stehen keine Datenquellen zur Verfügung, welche die Qualifikationsstruktur der Flüchtlinge repräsentativ und detailliert erfassen. Aufgrund der hohen Auswanderungszahlen und der humanitären Beweggründe der Flucht wird vermutet, dass nicht nur eine bestimmte Qualifikationsgruppe, sondern ein Querschnitt der Bevölkerung aus den Herkunftsländern das Land verlässt. Es wird für die Analyse deshalb angenommen, dass sich die Qualifikationsstruktur der Geflüchteten entsprechend der Qualifikationsstruktur der Herkunftsländer zusammensetzt.

Die Qualifikationsstruktur der Herkunftsländer wird über die Daten der Weltbank (Barro-Lee-Daten) und ILO-Daten angenähert. Die Qualifikationsdaten werden mit der Zahl der eingegangenen Asylanträge bis zum 31.  Dezember 2015 gewichtet.243 Schaubild A8.1.4-1 gibt die daraus geschätzte Qualifikationsstruktur der anerkannten Geflüchteten in 2015 nach Altersgruppen wieder. Von den 137.136 anerkannten Flüchtlingen könnten rund 13 % eine Berufsausbildung (oder eine Hochschulzugangsberechtigung) aufweisen, knapp 6 % einen akademischen Abschluss. Der Anteil an Personen mit einem Fachschulabschluss bzw. einem äquivalenten Abschluss dürfte hingegen mit knapp 2 % relativ gering sein. Rund 79 % der anerkannten Flüchtlinge dürften über keinen beruflichen Abschluss verfügen, allerdings liegt dies zum Großteil auch daran, dass rund 31,5 % der Geflüchteten nicht älter als 19 Jahre sind.

Legt man die Sonderauswertungen der zwischen 2011 und 2014 zugewanderten Personen aus den häufigsten Herkunftsländern244 in den Mikrozensus 2012 bis 2014 zugrunde,245 so wäre zu erwarten, dass zwischen 24 % und 28 % der über 15-Jährigen in naher Zukunft eine Ausbildung aufnehmen.246 In Schaubild A8.1.4-1 ist der mögliche Anteil der Personen in schulischer, beruflicher oder akademischer Ausbildung anhand der gestrichelten Balken aufgezeichnet. Von allen im Jahr 2015 anerkannten Geflüchteten wären den Schätzungen zufolge in naher Zukunft rund 45 % in Bildung.247 35 % der anerkannten Flüchtlinge würden hingegen nicht in das Bildungssystem einbezogen und wohl auch langfristig ohne Berufsabschluss bleiben.248 Bei der Herangehensweise handelt es sich lediglich um eine Annäherung an die tatsächliche Qualifikationsstruktur. Jedoch scheinen Ergebnisse der BAMF-Flüchtlingsstudie 2014 die Ergebnisse zu stützen. So bewegt sich der Anteil der repräsentativ befragten Syrer, Iraker und Afghanen, die „(noch) keine Berufsausbildung/Studium“ aufweisen, zwischen 57,5 % (Syrien) und 73,2 % (Irak). Zwischen 26,8 % (Irak) und 42,5 % (Syrien) der Befragten haben „eine Berufsausbildung/ein Studium abgeschlossen, laufend oder abgebrochen“ (Worbs/Bund 2016, S. 5).249

Daten zur Qualifikationsstruktur der Geflüchteten

Die Qualifikationsstruktur der Geflüchteten wird anhand zweier Datenquellen geschätzt.

Bei den Daten der Weltbank handelt es sich um die soge­nannten Barro-Lee-Daten, die eine Unterteilung der Bevölkerung nach Alter, Geschlecht und den 3 Qualifika­tionsstufen „primary“, „secondary“ und „tertiary education“ vornehmen. Aufgrund teilweise lückenhafter Erhebungen in den Herkunftsländern der Geflüchteten wurden zur Konstruktion des Datensatzes ebenfalls Schätzverfahren angewendet, indem ältere Datenbestände und Qualifika­tionsstrukturen von Nachbarstaaten als Hilfsgrößen herangezogen wurden (Barro/Lee 2010).

Eine detailliertere und aktuellere Information zur Qualifikationsstruktur liefern die Erhebungen der International Labour Organisation (ILO). Jedoch konzentrieren sie sich vor allem auf Erwerbspersonen, sodass hier eher eine positive Selektion gegenüber Höherqualifizierten vorliegt. Ist, wie z. B. im Falle Syriens, der Anteil der Frauen unter den Erwerbspersonen sehr gering, sind diese aber im Schnitt höher qualifiziert als die Männer, so kann von einer starken Positivselektion ausgegangen werden. In diesen Fällen wurde für die Anpassung der Daten nicht nach Geschlecht unterschieden, sondern nur sichergestellt, dass die Qualifikationsstruktur der entsprechenden Altersgruppen der Geflüchteten im Schnitt der Qualifikationsstruktur der Altersgruppen aus den ILO-Statistiken der Länder entsprachen. Neben der Aktualität liegt der Vorteil der ILO-Daten darin, dass sie in den Qualifikationsstufen eine Unterscheidung nach „lower secondary“ und „upper secondary“ ausweisen, was eine Differenzierung zwischen schulischen und beruflichen Qualifikationen ermöglicht.

Für Länder, für die keine ILO-Daten vorhanden sind (z. B. Kategorie „Sonstige“), wird nur der Barro-Lee-Datensatz herangezogen. Für die sonstigen Länder wird die Qualifikationsstruktur von Subsahara Afrika angenommen.

Direkte Befragungen der Geflüchteten (Republic of Turkey Prime Ministry Disaster and Emergency Managment Presidency 2013; Worbs/Bund 2016) kommen hinsichtlich der Qualifikationsstruktur zu ähnlichen Ergebnissen.

Schaubild A8.1.4-1: Geschätzte Qualifikations- und Altersstruktur der in 2015 anerkannten Flüchtlinge

  • 243

    Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylgeschäftsstatistik 12/2015.

  • 244

    Ohne die Staaten des Westbalkans sind dies: Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Syrien, Eritrea und Nigeria.

  • 245

    An dieser Stelle sei Herrn Herter-Eschweiler vom Statistischen Bundesamt für die Berechnungen gedankt.

  • 246

    Ein Wert von hochgerechnet ca. 28 % ergibt sich, wenn Personen aus dem Westbalkan herausgerechnet werden.

  • 247

    Insgesamt wären dies rund 61.700 Personen, wovon 41.300 nicht älter als 19  Jahre wären. Rund 20.400 wären über 19 Jahre und könnten sich noch im Jahr 2016 für eine Berufs- oder Hochschulbildung interessieren (vgl. Schaubild A2.3-3).

  • 248

    Es wurde davon ausgegangen, dass 27 % der über 15-Jährigen in naher Zukunft in Bildung sind. Die Teilnahme am Bildungssystem garantiert jedoch noch nicht, dass auch all diese Personen langfristig einen Berufsabschluss erreichen können. Es muss auch hier mit Abbrüchen gerechnet werden.

  • 249

    Eine Studie, die bereits im Sommer 2013 in türkischen Flüchtlingscamps durch­geführt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass ca. 24,7 % der Personen über 6 Jahre die Sekundarstufe beendet haben, 13,2 % haben das Abitur, und 7,8 % haben studiert (Republic of Turkey Prime Ministry Disaster and Emergency Managment Presidency 2013, S. 27). Brücker (2016) kommt anhand freiwilliger Selbstangaben der registrierten Asylbewerber 2015 zu der Erkenntnis, dass das Niveau der beruflichen Bildung geringer ist als das der Schulbildung.