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Im Vorherigen wurden Annahmen für eine QuBe-Bevölkerungsprojektion dargelegt, die zu erwartende Bevölkerungsentwicklung aufzeigt sowie die Branchenstimuli im Zuge einer höheren Nachfrage nach Gütern und Produkten durch Geflüchtete benennt. Zudem wurde die Qualifikationsstruktur der Geflüchteten geschätzt. Diese Informationen sind nun zu einem Gesamtbild zusammen­zufügen, das sich aufgrund des bisherigen Kenntnisstandes zur langfristigen Entwicklung des Arbeitsmarktes nach Qualifikationen und Berufen ergibt.

Kapitel A8.1.4 hat gezeigt, dass die Zahl der anerkannten Geflüchteten, d. h. derjenigen, die aller Voraussicht nach langfristig in Deutschland bleiben, zu über zwei Dritteln keinen beruflichen Abschluss oder eine Hochschulzugangsberechtigung aufweisen. Aufgrund der jungen Altersstruktur (ca. 31,3 % sind unter 20 Jahren, weitere 41,6 % sind unter 35 Jahren) ergibt sich ein großes Qualifizierungspotenzial. Vor dem Hintergrund der steigenden Nachfrage nach Erwerbstätigen, die direkt durch die Zuwanderung Geflüchteter ausgelöst wird, ergibt sich auch die Notwendigkeit, die Geflüchteten entsprechend zu qualifizieren. Denn nachweislich gelingt die Integration in Erwerbstätigkeit besser, je qualifizierter eine Person ist (Hausner u. a. 2015).

In der Schätzung zur Qualifikationsstruktur wurde die Anzahl der Personen, die womöglich eine vollqualifizierende Berufsausbildung aufweisen, mit Personen zusammengefasst, die eine Hochschulzugangsberechtigung haben. Der Anteil derjenigen Geflüchteten, die als nicht formal Qualifizierte bezeichnet wurden, jedoch einen formalen Zugang für eine (Fach-)Hochschulausbildung haben, ist deshalb als gering einzustufen. Der Großteil der nicht formal Qualifizierten wird deshalb entweder durch schulische Vorbildung eine entsprechende Ausbildungsreife erlangen müssen oder steht – nach dem An­eignen ausreichender deutscher Sprachkennt­nisse – direkt für eine Berufsausbildung zur Verfügung.

Die Organisationsstruktur des dualen Systems gewährleistet, dass Unternehmen, Praxen und Verwaltungen Ausbildungsplätze in den Berufen zur Verfügung stellen können, in denen sie Fachkräftebedarfe sehen. Über den Ausbildungsmarkt können die jungen Geflüchteten dann, sofern sie als ausbildungsreif erachtet werden (vgl. Kapitel A2), in den Berufen eine Ausbildung beginnen, in denen auch vonseiten der Wirtschaft Bedarf gesehen wird. Aufgrund der Höhe der punktuellen Zuwanderung Geflüchteter und der damit einhergehenden starken mittelfristigen Erhöhung der Ausbildungsplatznachfrage ist jedoch nicht davon auszugehen, dass alle Geflüchteten – selbst bei Erlangung der Ausbildungsreife – von der Wirtschaft mit Ausbildungsplätzen versorgt werden können. Zur umfangreichen beruflichen Qualifizierung der Geflüchteten müssen deshalb auch mehr (schulische) Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Hier stellt sich die Frage, in welchen Berufen eine Qualifikation für die deutsche Volkswirtschaft wie auch für die Geflüchteten selbst hilfreich sein könnte. Aufgrund der Dauer einer Berufsausbildung von bis zu 3,5 Jahren sowie der vorher wahrscheinlich notwendigen Dauer zur Erlangung der Ausbildungsreife (z. B. durch Sprachförderung) von ein bis zwei Jahren ist davon auszugehen, dass der Großteil der in 2015 angekommenen Geflüchteten vermutlich erst in den Jahren 2019 bis 2020 mit einem Berufsabschluss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen wird. Um die dann notwendigen Qualifikationsbedarfe der Wirtschaft zu antizipieren, bedarf es deshalb einer langfristigen Voraussicht auf das berufsspezifische Angebot und die berufsspezifische Nachfrage nach Arbeitskräften in Deutschland.

Tabelle A8.1.5-1 gibt einen Überblick über die Er­gebnisse der berufsfeldspezifischen Engpässe der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen. Da es sich um die Ergebnisse der 3. Projektionswelle mit einem Ausgangsdatenbestand des Jahres 2011 handelt, werden Überhänge und Engpässe lediglich indiziert. Die Punkte in den ersten beiden hellblauen Spalten zeigen für das Jahr 2030 das Verhältnis von Erwerbspersonen, die unter Berücksichtigung einer beruflichen Flexibilität für die Ausübung des Berufsfeldes zur Verfügung stehen, in Re­lation zu den benötigten Erwerbstätigen. Ein grüner Punkt signalisiert, dass das Angebot über 5 % höher ist als der Bedarf. Ein schwarzer Punkt signalisiert einen lediglich geringen Überhang von 0 % bis 5 %. Liegt das Arbeitsangebot bis zu 5 % unter dem Bedarf, wird dies mit einem orangenen Punkt gekennzeichnet, ist das Angebot über 5 % unter Bedarf, ist der Punkt rot.

Die erste hellblaue Spalte in Tabelle A8.1.5-1 be­trachtet die Relation zwischen Angebot und Bedarf auf Personenebene, ohne Berücksichtigung der Arbeitszeit. In der zweiten hellblauen Spalte wird das von den Erwerbspersonen gewünschte Arbeitsangebot in Stunden (Arbeitsvolumenpotenzial ) in Relation zu den notwendigen Arbeitsstunden gesetzt. Dabei zeigt sich in den meisten Berufsfeldern ein Rückgang des Arbeitskräfteengpasses, was bedeutet, dass Arbeitgeber ihren Arbeitskräftebedarf stillen könnten, wenn die Arbeitszeit der Beschäftigten erhöht werden würde. Trotz einer allgemeinen Entspannung zeigen sich bei einigen Berufen weiterhin Engpässe. Bei den Berufen „Techniker/-in“, „Designer/ -in, Fotograf/-in, Reklamehersteller/-in“, den „Gesundheitsberufen ohne Approbation“ und den „Berufen in der Körperpflege“ liegt das Arbeitsangebot im Jahr 2030 auch in Stunden unterhalb des Bedarfs. Bei den „Fahr-, Flugzeugbau, Wartungsberufen“, den „Bauberufen, Holz-, Kunststoffbe- und -verarbeitung“, den „technischen Sonderkräften“, den „Werbefachleuten“ und im „Finanz-, Rechnungswesen, Buchhaltung“ ist der rechnerische Überhang nur gering.

Arbeitsvolumenpotenzial

Das Arbeitsvolumenpotenzial ist ein hypothetisches Kon­strukt, das angibt, wie groß das Arbeitsangebot, gemessen in Stunden, tatsächlich ist. Zur Berechnung dieses Kon­strukts wird im Mikrozensus, einer 1-Prozent-Stichprobe der Wohnbevölkerung Deutschlands, auf die Zahl der gewünschten wöchentlichen Arbeitsstunden zurückgegriffen, sofern diese über den regelmäßig tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden liegen (Zika u. a. 2012, S. 8).

Rechnerische Engpässe bedeuten allerdings nicht, dass sich die Lücken nicht eventuell mit dem bereits insgesamt bestehenden Arbeitskräfteangebot schließen lassen. So könnte sich z. B. die berufliche Flexibilität der Erwerbs­personen anpassen und Personen ihre Arbeitskraft vermehrt in Engpassberufen anbieten, wenn es lohnenswert erscheint. Die Lösung eines berufsfeldspezifischen Engpasses ist umso einfacher, je einfacher der Zugang in das Berufsfeld für Personen mit einem fachfremden Berufsabschluss oder ohne formale berufliche Qualifizierung ist. Die beiden rechten Spalten in Tabelle A8.1.5-1 indizieren den Anteil an Personen mit einem fachfremden Berufsabschluss bzw. ohne formale berufliche Qualifikation im Jahr 2011. Das rote Kreuz steht für einen Anteil von weniger als 10 % fachfremd Qualifizierter oder Ungelernter unter den Erwerbstätigen.250 Der rosa Punkt indiziert einen Anteil zwischen 10 % und unter 20 %, der graue Punkt einen Anteil zwischen 20 % und unter 30 % und der schwarze Punkt einen Anteil von über 30 %.

Unter Berücksichtigung des beruflichen Zugangs ergibt sich für Engpassberufe ein differenzierteres Bild: In den „Fahr-, Flugzeugbau, Wartungsberufen“, bei den Berufsfeldern „Techniker/-in“, den „technischen Sonderkräften“, den „Werbefachleuten“, im Bereich „Finanz- und Rechnungswesen, Buchhaltung“ sowie in den Berufsfeldern „Designer/-in, Fotograf/-in, Reklamehersteller/-in“ sind viele Personen mit einem fachfremden Berufsabschluss erwerbstätig, hingegen nur sehr wenige ohne beruflichen Abschluss. Der Zugang in diese Berufsfelder ist somit für Quereinsteiger/-innen offen, setzt praktisch aber einen Berufsabschluss voraus. In den „Gesundheitsberufen ohne Approbation“, den „sozialen Berufen“ und den „Berufen in der Körperpflege“ ist auch der Zugang für Personen ohne eine fachbezogene Berufsausbildung geringer. Lediglich in den „Bauberufen, Holz-, Kunststoffbe- und -verarbeitung“ ist der Anteil an nicht formal qualifizierten Erwerbstätigen etwas höher, hingegen ist der Anteil fachfremder Personen mit Berufsabschluss geringer.

Insgesamt zeigt sich, dass zu erwartende Arbeitskräfteengpässe in den Berufsfeldern nicht durch die Rekrutierung von nicht formal Qualifizierten lösbar sind. Bevor jedoch Rückschlüsse auf entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen bei Geflüchteten zu ziehen sind, muss zusätzlich beachtet werden, dass die Ergebnisse der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen auf einer Bevölkerungsprojektion fußen, die langfristig von einer geringeren und im Schnitt älteren Bevölkerung ausgeht, als dies unter den Annahmen der jüngsten Zuwanderung der Fall ist (vgl. Kapitel A8.1.3). Es ist zu erwarten, dass sich die Ergebnisse unter Berücksichtigung der QuBe-Bevölkerungsprojektion ändern können.251 Unter Berücksichtigung der Branchen- und Berufsfeldstruktur Tabelle A8.1.5-2 kann unter Bezug auf die durch Zuwanderung entstehenden zusätzlichen Erwerbstätigkeitseffekte aber bereits aus den vorliegenden Erkenntnissen geschlossen werden, welche Berufe durch die Aufnahme von Geflüchteten stärker nachgefragt werden.

Durch die stärkere Nachfrage nach Wohnungen werden insbesondere die Baubranche und damit der Bedarf an „Bauberufen, Holz-, Kunststoffbe- und -verarbeitung“ von 2016 bis 2020 verstärkt zunehmen. Auch nach diesem Zeitpunkt wird noch eine erhöhte, jedoch auch zurückgehende Nachfrage nach diesen Berufen bestehen. Auch die Nachfrage nach „Verwaltungsberufen im öffentlichen Dienst“ und „Lehrenden Berufen“ wird steigen. In beiden Berufsfeldern werden bei gleichbleibender Ausbildungsleistung aber auch genügend Erwerbspersonen zur Verfügung stehen. Ähnliches gilt für die „Kaufmännischen Büroberufe“, die durch mehrere Branchen nachgefragt werden (Maier u. a. 2014a). Etwas kritischer ist hingegen die steigende Nachfrage in den Branchen „Gesundheitswesen“ und „Heime und Sozialwesen“ zu sehen, da hierdurch vor allem die Nachfrage nach Gesundheitsberufen ohne Approbation steigt – ein Berufsfeld, in dem auch langfristig Engpässe erwartet werden Tabelle A8.1.5-1.

Tabelle A8.1.5-1: Berufsfeldspezifische Engpässe in der 3. Projektionswelle der BIBB-IAB-Projektionen

Tabelle A8.1.5-2: Die häufigsten Berufsfelder in den Branchen mit Erwerbstätigenwachstum aufgrund der Zuwanderung Geflüchteter

Schlussfolgerungen

Ausgehend von der derzeitigen Branchen- und Berufsstruktur sowie den bislang zu erwartenden langfristigen Arbeits- und Fachkräfteengpässen auf Grundlage der Ergebnisse der 3. Welle der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen können folgende Schlussfolgerungen für die berufsspezifische Qualifikation junger Geflüchteter gezogen werden:

  • Aufgrund der Unsicherheit langfristiger Schätzungen empfiehlt es sich zunächst, dass die Geflüchteten über schulische Nachqualifikationen und Sprachförderung so qualifiziert werden, dass Unternehmen, Praxen und Verwaltungen sie bei der Besetzung ihrer freien Ausbildungsplätze berücksichtigen können.
  • Geflüchteten, die nicht über den Ausbildungsmarkt versorgt werden können, sollte eine Alternative geboten werden. Unter Berücksichtigung der persönlichen Neigungen und Eignungen kann eine Orientierung an den Berufsfeldern vorgenommen werden, in denen das Arbeitsangebot in Stunden langfristig unter dem Bedarf liegt bzw. in denen der Anteil an qualifizierten Quereinsteigern und an nicht formal Qualifizierten gering ist. Dabei handelt es sich vor allem um die größeren Berufsfelder „Techniker/ -innen“ und „Gesundheitsberufe ohne Approbation“, aber auch um die kleineren Berufsfelder „Berufe in der Körperpflege“ sowie „Designer/-innen, Fotografen/Fotografinnen, Reklamehersteller/-innen“.252
  • Das kurz- bzw. mittelfristig zu erwartende Wachstum der Baubranche aufgrund von Niedrigzins, Infra­strukturausbau und Wohnbedarf von Geflüchteten wird auch den Bedarf an Bauberufen erhöhen. Daher kann auch eine Berufsausbildung in den Bauberufen als sinnvoll erachtet werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die ersten in diesen Berufen qualifizierten Geflüchteten wahrscheinlich erst in den Jahren 2019 und 2020 zur Verfügung stehen werden. Gemäß der Nachfrage nach Wohn- und Nichtwohnbauten wäre dies ein Zeitpunkt, in dem der zu erwartende Bauboom langsam wieder abklingen könnte.253 Es empfiehlt sich deshalb, den Wachstumspfad und die Beschäftigungsmöglichkeiten im Baugewerbe genau zu beobachten.254

(Tobias Maier, Caroline Neuber-Pohl – Bundesinstitut für Berufsbildung, Michael Kalinowski, Lara Quack  – Fraunhofer-Institut für Angewandte Informations­technik, Marc-Ingo Wolter, Anja Sonnenburg – Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung, Doris Söhnlein, Gerd Zika – Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung)

  • 250

    Personen in Schulbildung/Ausbildung/Studium sind in der Darstellung heraus­gerechnet.

  • 251

    Die Ergebnisse der 4. Projektionswelle der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen liegen im August 2016 vor.

  • 252

    Das Berufsfeld „Techniker/-innen“ stellt ca. 2,5 % der Erwerbstätigen in 2011, das Berufsfeld „Gesundheitsberufe ohne Approbation“ ca. 6,2 %, die „Berufe in der Körperpflege“ 1,1 % und „Designer/-innen, Fotografen/Fotografinnen, Reklamehersteller/ -innen“ nur 0,7 % der Erwerbstätigen in 2011 (Quelle: Mikrozensus und Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes; Berechnungen des BIBB).

  • 253

    Es sei denn, er verzögert sich, weil die Kapazitäten der Unternehmen nicht ausreichen, um die möglichen Aufträge zeitnah auszuführen.

  • 254

    Die Stufenausbildung der Bauwirtschaft ermöglicht theoretisch auch während der Ausbildung einen Wechsel des Ausbildungsberufs innerhalb der Bauwirtschaft (z. B. vom Hoch- zum Tiefbau) unter Anerkennung der vorherigen Ausbildungsschritte.