In der Rezeption des Berichts „Bildung auf einen Blick 2015“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durch die deutschen Medien wurde aufgegriffen, dass die Studienabbrecherzahlen in Deutschland zu hoch seien. Tatsächlich lässt sich aber in dem Bericht selbst sowie auch in dem ergänzenden Länderbericht ein Anstieg der Abbrecherzahlen nicht belegen. Er wird auch nicht explizit von der OECD bemängelt.
Zur Messung des Phänomens Studienabbruch gibt es verschiedene Messkonzepte, die auch zwischen den OECD-Mitgliedstaaten erheblich variieren. In einem Bericht für die EU-Kommission (European Commission 2015) wird daher davor gewarnt, die Daten ohne weitere Interpretation und Kommentierung zu vergleichen.
Für Deutschland gibt es Daten des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (ehemals Hochschulinformationssystem, HIS), die tatsächlich einen Anstieg der Studienabbruchquoten über die letzten Jahre belegen. In der Zwischenzeit stagniert die Zahl bei durchschnittlich 28 % der Studierenden in Bachelorstudiengängen (Heublein u. a. 2009; Heublein u. a. 2012).
Für die OECD-Berichterstattung sind 2 Kennzahlen von wesentlicher Bedeutung: Abschluss- und Erfolgsquoten. Den Berichten in den deutschen Medien lag offensichtlich der Irrtum zugrunde, dass die Abbruchquoten aus der Differenz der Abschlussquoten verschiedener Jahre gewonnen wurden.
Abschluss- und Erfolgsquoten, Studienabbruchquoten
Zur Berechnung von Abschluss- und Erfolgsquoten im tertiären Bildungsbereich gibt es verschiedene Methoden, die auf unterschiedlichen Messverfahren basieren (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2013, S. 84). Diese Unterschiede sind vor allem hinsichtlich der Berechnung von Studienabbruchquoten zu differenzieren.
Abschlussquoten (Graduation rates) im Tertiärbereich basieren auf der Grundgesamtheit bestimmter Alterskohorten der länderspezifischen Gesamtbevölkerung (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2013, S. 82). Netto-Abschlussquoten stellen den geschätzten prozentualen Anteil einer spezifischen Altersgruppe dar, der im Laufe des Lebens einen Abschluss im Tertiärbereich erwerben wird (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2015, S. 90). Es handelt sich um eine erwartete Wahrscheinlichkeit, dass Studierende im Laufe des Lebens einen Hochschulabschluss erlangen, wenn die aktuellen Abschlussquoten auch in Zukunft gelten. Die Berechnung bezieht sich auf die aktuelle Kohorte von Absolventen/ Absolventinnen nach Alter (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2015, S. 90). Zum Beispiel basiert die Schätzung für das Jahr 2015 auf der Gesamtzahl der Absolventen/Absolventinnen im Jahr 2013 sowie der Altersverteilung dieser Absolventen/Absolventinnen (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2015, S. 76). Gibt es keine aufgegliederten Daten zum Alter von Absolventen/Absolventinnen, werden Brutto-Abschlussquoten verwendet. Dazu definieren die Länder das typische Abschlussalter auf einer bestimmten Bildungsstufe. Die Zahl der Absolventen/Absolventinnen wird dann durch die Bevölkerung im typischen Abschlussalter geteilt (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2015, S. 90).
Abschlussquoten sind für die Berechnung für Studienabbruchquoten nicht geeignet, da sich diese auf die Grundgesamtheit bestimmter Alterskohorten beziehen. Somit befinden sich auch die Befragten in der Grundgesamtheit, die in ihrem Leben kein Studium angefangen haben und daher nicht als „Nichtgraduierte“ bzw. Studienabbrecher/ -innen bezeichnet werden können.
Erfolgsquoten (completion rates) hingegen werden auf Grundlage einer Eintrittskohorte und eines festgelegten Bildungslevels berechnet (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2013, S. 84). 2 Methoden zur Berechnung der Quoten im tertiären Bildungsbereich sind dabei zu unterscheiden (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2013a, S. 84): Erfolgsquoten der echten Kohortenmethode bilden den Anteil von Personen einer gegebenen Eintrittskohorte mit mindestens einem Bachelorabschluss innerhalb von n Jahren. Dagegen berechnet die Querschnitts-Kohortenmethode den Anteil der Studierenden mit (mindestens einem) Bachelorabschluss (während des Referenzjahres) an der Anzahl der Neueingeschriebenen n Jahre zuvor. N steht für die Anzahl der Jahre, um das Bildungslevel abzuschließen.
Für die Berechnung der Studienabbruchquoten werden folglich die Daten zu den Erfolgsquoten verwendet. Nicht erfolgreiche Abschlüsse (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2013, S. 84) definieren den Anteil von Studierenden einer Eintrittskohorte bzw. an der Anzahl der Neueingeschriebenen (n Jahre zuvor), die das tertiäre Bildungsniveau ohne Abschluss beenden.
Die letzten verfügbaren Zahlen zu Studienabbruchquoten der OECD stammen aus dem Jahr 2011 und wurden im Bericht „Bildung auf einen Blick 2013“ veröffentlicht. Deutschland rangiert in diesem Vergleich mit einer Abbruchquote von 25 % im unteren Mittelfeld der Vergleichsländer (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2013).328
Die Daten in Tabelle E2.1-1, über die regelmäßig von der OECD berichtet wird und die die jüngere Entwicklungsdynamik widerspiegeln, können um internationale Vergleichsdaten ergänzt werden, die für längere Zeiträume gelten und damit einen besseren Einblick in die grundlegende Funktionsweise von Bildungssystemen geben. Hierfür ist es nützlich, sich die Verteilung des Phänomens Studienabbruch über die gesamte Erwerbsbevölkerung anzuschauen. Hierzu wurden z. B. die Testpersonen im Rahmen der OECD-Studie zur Messung von Erwachsenenkompetenzen (PIAAC) befragt, ob sie ein Hochschulstudium abgebrochen haben. Die Daten basieren auf einer repräsentativen Stichprobe der Erwerbsbevölkerung und geben den Wert derjenigen an, die in ihrer Bildungs- und Erwerbsbiografie an einer Hochschule eingeschrieben waren und einen Studienabbruch angeben. Bei dieser Art der Messung ist der Wert für Deutschland mit knapp 15 % sehr niedrig Schaubild E2.1-1. Wir gehen davon aus, dass dieser im Vergleich niedrige Wert auch mit der großen Bedeutung der beruflichen Bildung in Deutschland zusammenhängt. Den Studienberechtigten stehen attraktive Alternativen zu einem Hochschulstudium zur Verfügung. Dies führt zu einer im internationalen Vergleich geringeren Studienanfängerquote und hat letztlich auch einen Einfluss auf den Anteil derjenigen, die ihr Studium ohne Abschluss abbrechen.
Tabelle E2.1-1: Studienabbrecherzahlen von 2004 bis 2011 in ausgewählten OECD-Ländern (Teil 1)
Tabelle E2.1-1: Studienabbrecherzahlen von 2004 bis 2011 in ausgewählten OECD-Ländern (Teil 2)
Schaubild E2.1-1: Anteil der 25- bis 64-jährigen erwachsenen Studienabbrecher/-innen an allen Erwachsenen 2011 (in %)
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http://dx.doi.org/10.1787/888932848495; die bei der OECD durch das Statistische Bundesamt gemeldeten Daten sind aufgrund einer anderen Berechnung in der Regel etwas höher als die Daten des DZHW.