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Nicht nur in Deutschland sind Studienabbrüche ein kon­trovers diskutiertes (Untersuchungs-)Feld. Auch für andere Länder lohnt sich eine vertiefte Analyse des Phänomens:

  • Australien ist ein Beispiel für ein Land mit einem Bildungssystem angelsächsischer Prägung, einer starken Berufsbildung und einer langen Tradition der Bewegung zwischen diesen beiden Systemen.
  • Frankreich ist ein Beispiel für eine starke schulische Ausrichtung der Berufsbildung und ein paralleles, hierarchisiertes System beruflicher und akademischer Abschlüsse.
  • Italien ist ein Beispiel für eine hohe Zahl an Studien­abbrechern/-abbrecherinnen und einer stark ver­schulten Berufsbildung als Teil des allgemeinbildenden Schulsystems flankiert von einer sehr heterogenen regionalen Angebotslandschaft beruflicher Bildung – innerhalb und zwischen beiden Subsystemen gibt es überwiegend keine systematisch aufeinander horizontal oder vertikal abgestimmten Angebote.

Die 3 Länder unterscheiden sich auch hinsichtlich der relativen Bedeutung, die die Berufsbildung in den Ländern einnimmt. Während in Australien im Jahr 2012 nur 19 % der Erwerbstätigen (25- bis 64-Jährigen) mit Sekundar­abschluss einen beruflichen Abschluss angeben, sind es in Italien 32 %, in Frankreich 30 % und in Deutschland 56 % (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2014). Unterschiede bestehen allerdings zwischen den beruflichen Abschlüssen, ihren Inhalten und der Bedeutung, die sie auf den nationalen Arbeitsmärkten haben.

Australien


Stellenwert der Berufsbildung in Schule und Hochschule

Erst in den 1980er- und 1990er-Jahren gewann die Berufsbildung in Australien einen höheren Stellenwert. Aufgrund von konjunkturellen Problemen und Arbeitslosigkeit und eines anschließenden Konjunkturbooms wurde die Berufsbildungspolitik zu einer nationalen Angelegenheit. Davor waren insbesondere die 6 Einzelstaaten für die Berufsausbildung zuständig. Überdies wurden Fachkräfteengpässe in Australien lange Zeit durch eine gezielte Einwanderungspolitik gelöst (Hellwig/Deissinger/Herdrich 2016; Ruth/Grollmann 2009).

Mit der Herausbildung einer nationalen Berufsbildungspolitik entstand auch ein eigener Bildungsbereich, der in den letzten Jahrzehnten von verschiedenen Agenturen überwacht wird. Eine Besonderheit Australiens im Gegensatz zu anderen angelsächsisch geprägten Berufsbildungssystemen ist die hohe quantitative Bedeutung geordneter betrieblicher Ausbildung in dualen Strukturen. Die berufliche Bildung hat auch insgesamt an Bedeutung gewonnen.

Seit Ende der 1990er-Jahre sind ungefähr 40 % der Ler­nenden im Sekundarbereich und in postsekundären Bildungsinstitutionen in berufsbildende Ausbildungsgänge eingeschrieben. Davon findet ein beträchtlicher Anteil im Rahmen der o. g. betrieblichen Ausbildungsverhältnisse statt.

Angebotsformen der beruflichen Aus- und Weiterbildung
In Australien gibt es keine klare Unterscheidung zwischen beruflicher Erstausbildung und beruflicher Weiterbildung. Teilweise findet die Berufsbildung bereits in der Sekundarstufe II statt, der Großteil der Berufsbildung ist allerdings im postsekundären Bereich am Anschluss an die Pflichtschulzeit angesiedelt.

Das System ist sehr differenziert organisiert und beinhaltet vollständige umfassende Qualifikationen und modulare Angebote (sog. „training packages“) sowie vollzeitschulische und betrieblich-duale Angebote („apprenticeships“ und „traineeships“). Kurse werden als Teilzeit- und berufsbegleitende Angebote sowie als Vollzeitausbildung organisiert. Das Angebotsspektrum ist auch deswegen differenziert, weil die Institutionen und ihre Strukturen zwischen den 6 verschiedenen Bundesstaaten und 3 Territorien variieren.

Für diese sehr differenzierten Angebotsformen gibt es einen Australischen Qualitätsrahmen für die Aus- und Weiterbildung (AQF), der die Qualität der Angebote sichern soll und in dessen Rahmen die Angebote staatlich anerkannt werden.

Der Großteil der beruflichen Aus- und Weiterbildung wird an den australischen Technical and Further Education Colleges angeboten (TAFE). Zusätzlich wird berufliche Aus- und Weiterbildung auch von privaten Bildungsanbietern organisiert. Überdies existieren überbetriebliche Bildungsstätten, die z. B. von regionalen Branchenzusammenschlüssen organisiert werden. Bildungsanbieter können nach nationalen Standards als sogenannte Registered Training Organisations (RTOs) anerkannt werden.

Nach der Sekundarstufe I gehen ca. ein Viertel bis ein Drittel der Jugendlichen direkt in berufsbildende Ausbildungsgänge über. Häufig sind die Lernenden in Berufsausbildungsgängen älter als in Deutschland, so liegt die Zahl der 25- bis 44-jährigen Lernenden in Berufsbildungsgängen im Jahr 2006 bei 35 % und der über 44-jährigen bei 18 %, d. h., die berufliche Ausbildung kann an ganz unterschiedliche biografische Phasen anschließen, an Schule oder Studium, Erwerbstätigkeit oder Erwerbslosigkeit (Ruth/Grollmann 2009).

Studienabbrecher/-innen im Hochschulbereich
Circa 40 % der Schulabsolventen/-absolventinnen setzen ihre Ausbildung an einer der australischen Universitäten mit dem Ziel eines Bachelorabschlusses fort. In der Regel werden ca. 75 % der Studienanfänger/-innen dieses Erststudium mit einem Bachelorabschluss beenden. Die restlichen 25 % verteilen sich auf Studienabbrecher /-innen und solche Studierenden, die bis zum Abschluss mehr als 9 Jahre benötigen. In der Analyse von Studienabbrüchen kommt in Australien der sozialen Herkunft eine besondere Bedeutung zu. Die folgenden Faktoren spielen für den Studienabbruch eine besondere Rolle: Teilzeitstudium, Fernstudium, Alter (älter als 25 Jahre), Leistungen am Ende der Schullaufbahn.

Besonders hoch sind die Abbruchraten im ersten Jahr des Studiums: Hier werden in den letzten Jahren auf der Ebene einzelner Institutionen Werte von 15 % bis 28 % angegeben. Die einzelnen Hochschulen variieren sehr stark. Insbesondere an städtischen etablierten Universitäten sind die Abbruchquoten konstant gering. Hohe Abbruchquoten in den letzten Jahren werden insbesondere mit der nachfrageorien­tierten Öffnung der Hochschulpolitik seit 2012 in einen Zusammenhang gebracht (Edwards/McMillan 2015).

Absolventen/Absolventinnen und Studien­abbrecher/-innen und Einmündung in die berufliche Aus- und Weiterbildung
Das staatlich geordnete System der beruflichen Aus- und Weiterbildung ist stark an den Bedarfen verschiedener Studierendengruppen ausgerichtet. Das spiegelt sich in einer differenzierten Altersstruktur genauso wie z. B. im Erwerbsstatus der Lernenden wider. Entsprechend sind Angebotsformen unterschiedlicher Länge und inhaltlicher Tiefe üblich.

Traditionell wird das Berufsbildungssystem auch genutzt, um Qualifikationen einzuholen, die hinterher an den Universitäten angerechnet werden können beziehungs­weise den Zugang ermöglichen (Brückenkurse). Um­gekehrt gibt es aber seit jeher auch eine Bewegung von Hochschulabsolventen/-absolventinnen in Richtung der beruflichen Aus- und Weiterbildung: Absolventen/Absolventinnen des Hochschulstudiums (in der Regel mit Bachelorabschluss) besuchen Kurse an den Colleges, um damit arbeitsmarktgängige Qualifikationen zu erwerben (sog. „reverse transfer“) (Moodie 2008).

Über dieses Phänomen gibt es nur wenige belastbare Daten. Das soll sich mit Einführung eines „Unique Student Identifier“ für die Bildungsstatistik in Zukunft ändern (Edwards/McMillan 2015).

Jüngeren Schätzungen zufolge ist die Anzahl derjenigen, die zunächst Ausbildungsangebote an berufsbildenden Institutionen absolvieren, um dann ein Hochschulstu­dium anzustreben, genauso hoch wie die Anzahl derjenigen, die im Anschluss an ein Hochschulstudium Angebote an einer berufsbildenden Institution wahrnehmen. Für Lernende mit Hochschulabschluss werden Möglichkeiten der Anrechnung von Lernleistungen („University to TAFE“) angeboten, die in der Regel auf Vereinbarungen zwischen der jeweiligen abgebenden und der aufnehmenden Institution beruhen.

Frankreich

Stellenwert der Berufsbildung in Schule und Hochschule
Die Berufsbildung hat sich seit den 1990er-Jahren stark entwickelt. Der Anteil auf niedrigem Qualifikationsniveau stagniert, während der Anteil der Schüler und Schülerinnen auf den höheren Qualifikationsniveaus zunimmt (Martinot 2015). 2013 haben 138.000 Studierende ihren Abschluss über ein berufsbildendes Angebot im Hochschulbereich erworben. Im gleichen Zeitraum waren 39.100 Lehrlinge in öffentlichen Ausbildungseinrichtungen (z. B. Ausbildungszentren, „Centre de formation d’apprenti“ oder berufliche Gymnasien) eingeschrieben (Direction de l’évaluation 2015).

Angebotsformen der beruflichen Aus- und Weiterbildung
Orientiert man sich an dem französischen Qualifikationsrahmen, befinden sich Angebote der beruflichen Aus- und Weiterbildung auf allen Qualifikationsniveaus. Mehr als ein Viertel der Lehrlinge („apprentis“) sind Studierende im Hochschulbereich (Cahuc 2014). 40 % der 25- bis 34-Jährigen mit Hochschulabschluss haben ausschließlich einen kurzen 2-jährigen Studiengang an einer Fachhochschule gewählt (Organisation for Economic Co-operation and Development 2015). Die Fachhochschulen vergeben einen zweijährigen Abschluss, das „Diplôme Universitaire de Technologie (DUT)“ (Fachhochschulabschluss), der von den Arbeitgebern traditionell hoch geschätzt wird. Der Abschluss kann mit einem zusätzlichen Studienjahr zu einem berufsbildenden Abschluss („licence professionnelle“ bzw. beruflicher Bachelor) führen.

Weiterbildung ist in Frankreich in erster Linie berufliche Weiterbildung. Die wichtigsten Ziele sind, den Zugang zu Qualifikationen zu vereinfachen, Menschen nachhaltig im Arbeitsleben zu festigen und die Eingliederung in das Berufsleben. Wichtigste Anbieter von beruflicher Weiterbildung sind die dem Bildungsministerium unterstehenden Bildungsverbünde („Groupements d’établissements“, Greta). Die 193 Greta sind öffentliche Bildungseinrichtungen (Sekundarstufe I, Sekundarstufe II allgemeinbildender, technologischer oder berufsorientierter Ausrichtung), die sich aufgrund ihrer geografischen Nähe zusammenschließen (Direction de l’évaluation 2014). Neben den Greta wird beruf­liche Weiterbildung im öffentlichen Hochschulsektor angeboten. 2012 waren 481.000 Teilnehmer/-innen („stagiaires“) in einer beruflichen Weiterbildung des öffentlichen Hochschulsektors (Universitäten einschl. Fachhochschulen, Ingenieurschulen, Conservatoire na­tional des arts et métiers CNAM) eingeschrieben, d. h. 68  Mio. Lehrstunden für einen Umsatz von ca. 405  Mio. € (Grille 2015) Tabelle E2.2-1.

Studienabbrecher/-innen im Hochschulbereich
Verschiedene französische Analysen weisen darauf hin, dass die Aufnahme eines Hochschulstudiums nicht unbedingt mit dem Ziel des Erwerbs eines Hochschulabschlusses verknüpft ist. Endrizzi und Sibut (2015) zufolge können der Wahl eines Hochschulstudiums 5 unterschiedliche Motive zugrunde gelegt werden: sich für einen Beruf qualifizieren (berufliches Wissen), wissenschaftliches Wissen erwerben (intellektuelles Vorhaben), sich orientieren (Sabbatical-Vorhaben), einen Abschluss erwerben (pragmatisches Vorhaben) oder ein Statut als Studierende/-r erwerben (soziales Vorhaben). Wenige Studienverläufe gestalten sich linear (Fouquet 2013).

Der Erfolg im Studium hängt von der Spezialisierung bei dem Abitur und dem Alter der Abiturienten/Abiturientinnen ab (Fouquet 2013; Maetz 2015). In Frankreich gibt es 3 Arten von Abitur: allgemeines Abitur, technologisches Abitur und berufliches Abitur. 60 % der Abiturienten/Abiturientinnen mit beruflichem Abitur, 50 % der Abitu­rienten/Abiturientinnen mit technologischem Abitur und 20 % der Abiturienten/Abiturientinnen mit allgemeinem Abitur führen ihr Studium nach dem ersten Jahr nicht fort. In der Kohortenuntersuchung Génération 2004 stellt das französische Berufsbildungsforschungszentrum CEREQ fest, dass der Zugang zum Hochschulstudium und der Erfolg weiterhin von der sozialen Herkunft abhängig sind (Mora 2014). Weitere Gründe für Studienabbrüche sind eine schlechte Orientierung bzw. Wahl und Schwierigkeiten, sich dem universitären Leben anzupassen. Letzteres trifft insbesondere auf die Absolventen/Absolventinnen eines beruflichen Abiturs zu (Fouquet 2013).

Abbrüche im Hochschulbereich finden meistens in dem ersten Jahr nach dem Erwerb des Abiturs statt. Von 100 Studierenden im ersten universitären Studienjahr 2011/2012 verließen 32,2 % die Universität nach einem Jahr, 26,3 % wiederholten das Jahr, und 41,4 % waren für das zweite Jahr zugelassen (Fouquet 2013). Im Vergleich dazu wurden bei den Fachhochschulen und Ingenieurschulen ca. 72 % der Studierenden zum zweiten Jahr zugelassen.

Absolventen/Absolventinnen und Studien­abbrecher/-innen und Einmündung in die berufliche Aus- und Weiterbildung
Im Rahmen der ersten 3 Jahre eines Hochschulstudiums findet eine Orientierung zwischen unterschiedlichen Angeboten statt. „Abbrüche bedeuten nicht Misserfolg“: Viele Studierende setzen ihr Studium im Rahmen von nicht universitären Studiengängen in einem beruflichen Gymnasium („Section de Technicien Supérieur [„STS“]), einer Ingenieurschule, „business school“, Gesundheitsschule oder Kunstschule fort (Maetz 2015). Weniger als 27 % der Studierenden, die 2009 ihr Studium an einer Universität erstmals aufgenommen hatten, haben nach 3 Jahren, d. h. in der Regelzeit, ihren Bachelor (licence) erhalten. 39 % haben den Bachelorabschluss nach 3 bis 4 Jahren erhalten (Maetz 2015). Die Erfolgsquote bei Studierenden der Fachhochschule liegt allgemein höher: 64,5 % der Studierenden erhalten innerhalb von 2 Jahren ihren Abschluss, DUT (Maetz 2015).

Italien

Stellenwert der Berufsbildung in Schule und Hochschule
Berufsbildung hat in Italien – trotz zahlreicher Reforminitiativen in den vergangenen 15 Jahren – kein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Jeder Schüler/Jede Schülerin soll nach Möglichkeit zum Abitur geführt werden. Dies ist nicht nur der Wunsch der italienischen Familien, der sich an den seit Jahrzehnten steigenden Einschreibungen an den Gymnasien ablesen lässt, sondern spiegelt sich auch in den Reformen der Bildungsgänge und der Berufsberatung wider (Blöchle 2015a; Blöchle/Kurz 2007). Selbst an den staatlichen Sekundarschulen mit berufsbildendem Fächeranteil (istituto tecnico und istituto professionale) wird in erster Linie für die Studierfähigkeit ausgebildet, da auch diese Schulen wie die Gymnasien ausschließlich zu einer allgemeinen Hochschulreife führen. Die als „echt“ geltende, weil stärker an den Bedarfen des Arbeitsmarktes und der Vermittlung praktischer Berufskompetenz orientierte Berufsausbildung im regionalen System spielt systemisch nur eine Rolle als Auffangbecken für Schulabbrecher/-innen, auch wenn die Schülerzahlen in den vergangenen Jahren leicht angestiegen sind. Bildungsangebote auf postsekundärer Ebene mit anerkanntem Abschluss als Alternative zu einem Hochschulstudium wurden erstmals im Jahr 2000 entwickelt, aber auch diese sind bislang nur eine Nische im System. Berufliches Lernen findet in Italien noch immer primär nicht formalisiert on the Job statt. Dazu zählen auch die oft als Lehrverträge bezeichneten Apprendistato-Verträge (Blöchle 2015a).

Angebotsformen der beruflichen Aus- und Weiterbildung
Etwa 90 % der in der Statistik gezählten beruflichen Abschlüsse werden in Italien an einem der beiden Schul­typen des nationalen Bildungsministeriums, dem istituto tecnico und dem istituto professionale, mit einem etwa 50-prozentigen Anteil berufsbildender Fächer erworben. Dort wird nach vorwiegend gymnasialer Didaktik in 5  Schuljahren auf das Abitur vorbereitet. Bis 2009 konnte nach 3 Schuljahren noch an dem istituto professionale ein erster berufsqualifizierender Abschluss erworben werden. Seit 2010 ist dies nur noch innerhalb der Bildungsplanung der Regionen möglich (istruzione e formazione professionale, IeFP). Das Angebot solcher Bildungsgänge ist in den Regionen allerdings sehr ungleich verteilt oder gar nicht vorhanden. Etwa 6 % der Jugendlichen befanden sich 2010 in einem solchen Bildungsgang (Blöchle 2015a, S. 3).

Seit dem Jahr 2011 können Bildungseinrichtungen mit Unternehmen unter dem formalen Dach des sog. apprendistato Bildungsabkommen schließen und junge Menschen nach dualem Prinzip gemeinsam zu einem anerkannten Abschluss des Bildungssystems führen (von 3-jährigen regionalen Berufsqualifikationen bis zur Promotion). Dazu gibt es im Land erste zaghafte Umsetzungsversuche. Von einer systemischen Verbreitung sind diese allerdings noch weit entfernt.

Die wenigen Angebote auf postsekundärer, nicht tertiä­rer Ebene, die sog. „Höhere Berufsbildung“ (istruzione e formazione tecnica superiore, IFTS – einjährig) und die erst seit Kurzem ins Leben gerufenen sog. „Höheren Technischen Institute“ (istituti tecnici superiori, ITS – zweijährig), können sowohl der beruflichen Aus- wie der Weiterbildung dienen.

Praxisnahe berufliche Ausbildung findet primär im Rahmen des ersten Arbeitsvertrages und in der Regel nicht formalisiert statt. Seit dem Versuch einer zunehmenden Formalisierung und der Verpflichtung zur Erstellung individueller Bildungspläne sinken auch die Zahlen des bekanntesten Einstiegsarbeitsvertrages, dem sog. apprendistato professionalizzante (Isfol 2015). Neben dem staatlich-regionalen Bildungssystem existiert ein großer Markt privater Weiterbildungsanbieter, auf dem auch die Universitäten ein sehr aktiver Akteur sind (Blöchle 2015b). Inhaltlich aufeinander abgestimmte Angebote im Sinne eines strukturierten beruflichen Aus- und Fortbildungssystems gibt es in Italien nicht. Sämtliche Berufsbildungsgänge – staatliche und regionale – stehen mehr oder weniger isoliert neben- bzw. übereinander (Blöchle 2015a, S. 4).

Berufsbildung im postsekundären und tertiären Bereich
Der Erwerb formaler Berufsqualifikationen auf postsekundärer Ebene außerhalb des akademischen Systems war in Italien bis zum Jahr 2000 nicht möglich und ist auch 15 Jahre nach der Entwicklung des ersten Angebotes (noch immer) nicht üblich (Blöchle 2015a, S. 10).

Das erste Angebot im postsekundären Bereich auf gesamtstaatlicher Ebene unter regionaler Verantwortung wurde 1999 entwickelt. Konzipiert wurde die sog. „Höhere Berufliche Bildung“ (istruzione e formazione tecnica superiore, IFTS) als ein flexibles Ausbildungsmodell im Verbund von mindestens 4 Akteuren, die sich als Konsortium zusammenschließen (Schule, Bildungsträger, Universität, Unternehmen). Verantwortlich sind die Regionen, die entsprechend der wirtschaftlichen Bedarfslage in ihrem Territorium eines oder mehrere der insgesamt 20 Berufsbilder mit nationalen Mindeststandards auf EQR-Niveau 4 auswählen und ein entsprechendes Angebot planen. Die Dauer beträgt 2  Semester (800 bis 1.000 Stunden). Zugangsvoraussetzung ist der erfolgreiche Abschluss einer 4-jährigen regionalen Berufsausbildung (IeFP), der Abschluss des 12. Schuljahres des Gymnasiums oder die Zertifizierung informell oder nonformal erworbener äquivalenter Kompetenzen (conferenza stato regioni 20/12/2012). Es handelt sich bei diesen Angeboten also gleichermaßen um Weiterqualifizierungen für Absolventen/Absolventinnen der 4-jährigen regionalen Berufsausbildungen als auch um berufliche Erstausbildungsmaßnahmen für Gymnasiasten ohne jegliche berufliche Vorbildung und ggf. auch Studienabbrecher/-innen (Blöchle 2015a, S. 10).

Etwa 10 Jahre nach der sog. „Höheren Beruflichen Bildung“ (IFTS) wurden die „Höheren Technischen Institute“ (istituti tecnici superiori, ITS) ins Leben gerufen. Zur Gründung eines ITS müssen sich ebenfalls mehrere Akteure zusammenschließen. Geplant werden können Bildungsgänge auf der Grundlage von 17 Berufsbildern, für die national einheitliche Mindeststandards formuliert wurden. Diese sollen entsprechend der regionalen Bedarfslage ausgestaltet werden (Blöchle 2015a, S. 11). Die Bildungs­gänge haben eine Dauer von 4 Semestern (1.800 bis 2.000  Stunden) und wurden auf EQR-Niveau 5 eingestuft. Zugangsvoraussetzung zu den ITS ist die Hochschulreife (Conferenza stato regioni 2012); sie stellen auch ein alternatives Angebot zum Hochschulstudium dar.

Der bereits seit 1955 existierende Arbeits-/Ausbildungsvertrag, das sog. apprendistato, war zwar schon damals als duales Modell gedacht, ist in der Praxis aber nie als solches umgesetzt worden. Das apprendistato war nie ein formalisierter Ausbildungsgang (keine Ausbildungsstandards, keine Prüfungen, kein Erwerb einer Qualifikation des nationalen oder regionalen Systems), sondern in erster Linie ein Arbeitsvertrag für Berufseinsteiger/-innen. Die Berufsprofile werden in den nationalen Tarifverträgen der jeweiligen Branche beschrieben, und allein der Arbeitgeber bestimmt, wann der/die Auszubildende eine bestimmte Qualifikationsstufe erreicht hat (Blöchle 2015a, S. 11).

Mittlerweile wurde dieses Modell (sog. apprendistato professionalizzante) um 2 weitere Apprendistato-Typen erweitert, die den Erwerb schulischer und hochschulischer Qualifikationen mit intensiven Praxisphasen möglich machen. Bislang existieren diese beiden Typen allerdings überwiegend auf dem Papier, sie machen aktuell nur etwa 3 % der Apprendistato-Verträge aus (Isfol 2015).

Diese beiden neuen Modelle ermöglichen den Erwerb von Bildungsabschlüssen teilweise oder gänzlich nach dualem Prinzip, die bislang nur über einen vollzeitschulischen Bildungsgang mit allenfalls kürzeren Praxisphasen im Rahmen von Praktika erworben werden konnten. Dafür schließt die Bildungseinrichtung, die traditionell zu dem entsprechenden Bildungsabschluss führt, ein formales Abkommen mit einem Unternehmen und entwickelt für den Schüler, Auszubildenden, Studierenden oder Promovenden einen individuellen Bildungsplan (Blöchle 2015a). Der Praxisanteil im Betrieb beträgt zwischen 40 % und 50 % (Conferenza stato regioni 2012).

Studienabbrecher/Studienabbrecherinnen im Hochschulbereich
Die Abbruchquoten unter den italienischen Erwerbs­tätigen liegen mit 34,1 % im europäischen Vergleich am höchsten (Schnepf 2014, S. 23). Auch die Abbruchquoten an den Hochschulen sind mit 55 % (2005) im inter­nationalen Vergleich sehr hoch. Nach den stark gestiegenen Studierendenzahlen seit der Liberalisierungsphase im Bildungswesen in den 1970er-Jahren sind die Einschrei­bungen der jungen Italiener/-innen an einer Hochschule zwischen 2008 und 2012 wieder signifikant gesunken und liegen (wie in Deutschland) unter dem OECD-Durchschnitt (Organisa­tion for Economic Co-operation and Development 2014).

Italienische Studien haben folgende Einflussfaktoren für Studienabbrüche identifiziert: Eine gute Arbeits­marktsitua­tion führt zu mehr Studienabbrüchen, da die Studenten/Studentinnen von dieser profitieren wollen und den direkten Weg auf den Arbeitsmarkt suchen (Di Pietro 2006, S. 628). Weitere Gründe sind der Bildungsstand der Eltern, finanzielle Aspekte der Familien und Studenten/Studentinnen (Aina 2012, S. 453 f.) sowie zu wenig staatliche Fördermittel für Studierende (Di Pietro 2006, S. 628).

Absolventen/Absolventinnen und Studien­abbrecher/Studienabbrecherinnen und Einmündung in die berufliche Aus- und Weiterbildung
Obwohl der bis zum Jahr 2000 inexistente postsekundäre, nicht akademische Bereich in den vergangenen Jahren sukzessive ausgebaut worden ist, besucht diesen nach wie vor nur eine Minderheit von wenigen Prozenten (Almadiploma 2015). Von einer Umorientierung vom Studium zu den neuen postsekundären Bildungsgängen kann also eher nicht ausgegangen werden.

Daten zu Einmündungen von italienischen Studien­ab­brechern/-abbrecherinnen in Programme der beruflichen Aus- und Weiterbildung liegen nicht vor. Über speziell für diese Zielgruppe zugeschnittene Angebote im postsekundären Bereich ist ebenfalls nichts bekannt. Die seit rund 15 Jahren bestehenden Angebote der höheren Berufsbildung IFTS und ITS werden zwar zahlreicher, spielen systemisch aber nach wie vor kaum eine Rolle. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass Studienabbrecher/-innen in der Regel ein Arbeitsverhältnis aufnehmen, wenn sie sich gegen die Weiterführung des Hochschulstudiums entscheiden.

Um eine Berufstätigkeit bzw. berufliches Lernen mit einem Hochschulstudium zu verbinden, wurde in den vergange­nen Jahren die Möglichkeit geschaffen, über den Weg eines Apprendistato-Vertrages zu einem Hochschulabschluss zu gelangen (sog. apprendistato di alta formazione e ricerca). In diesem Modell schließt die Hochschule mit einem Unternehmen ein Ausbildungsabkommen und formuliert einen individuellen Bildungsplan. Das Lernen und Arbeiten in der Praxis beträgt mindestens 6  Monate und richtet sich an junge Menschen zwischen 17  und 29  Jahren. Bislang haben allerdings nur vereinzelt Universitäten und Unternehmen erste Erfahrungen mit diesem Modell gesammelt (Isfol 2015).

Tabelle E2.2-1: Entwicklung der Auszubildendenzahlen in beruflicher Ausbildung (apprentissage) nach Qualifikationsniveau im nationalen Qualifikationsrahmen (NQR)