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2016 stieg der Anteil der unbesetzten Ausbildungs­stellen erneut an; mit 43.500 unbesetzten Stellen wurde ein neuer Höchststand seit 1995 erreicht. Zu beachten ist jedoch, dass der Anteil der nicht besetzten Stellen am betrieblichen Angebot stark zwischen den einzelnen Regionen Deutschlands sowie den Berufen variiert (vgl. Kapitel  A1.1.3). Analysen des BIBB-Qualifizierungspanels zeigen außerdem, dass Kleinstbetriebe und mittelständische Betriebe zunehmend mit Rekrutierungsproblemen zu kämpfen haben, während sich die Lage für Großbetriebe etwas zu entspannen scheint (vgl. Kapitel A7.3).

Was die Ursachen von Besetzungsproblemen sind, ist nicht leicht zu beantworten. So dürften neben Berufswahlentscheidungen aufseiten der Jugendlichen oder dem Rekrutierungsverhalten von Betrieben auch strukturelle Veränderungen eine Rolle spielen (z. B. Zunahme der Ausbildungsstellenbewerber und -bewerberinnen mit Studienberechtigung, Veränderungen im Meldeverhalten der Betriebe). Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zur Berufswahl kommen zu dem Schluss, dass eine Verringerung in der Varianz der Ausbildungsbedingungen bei gleichzeitiger Steige­rung der Attraktivität von Ausbildungsberufen (z. B. Erhöhung der Ausbildungsvergütung, Verbesserung der Ausbildungsqualität) helfen könnte, Besetzungsprobleme zu reduzieren (Granato u. a. 2016). Aber auch eine bessere schulische Vorbereitung der Jugendlichen auf das Thema Ausbildungsplatzsuche mit starker Ausrichtung auf die Ausbildungsmarktlagen für Berufe vor Ort könnte hilfreich sein (Eberhard/Ulrich, in Vorbereitung). Potenziale könnten aber auch auf betrieblicher Ebene bestehen, da Jugendliche bei ihrer Ausbildungsstellensuche neben dem Ausbildungsberuf auch den Betrieb in ihre Entscheidung einbeziehen. Unter Umständen kann es für Jugendliche wichtiger sein, eine Ausbildung in einem bestimmten Betrieb zu beginnen, als in einem konkreten Beruf ausgebildet zu werden (Schank 2011).

Um der Frage nachzugehen, welche Bedeutung der Betrieb für Jugendliche bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle hat, wurde das Thema im Rahmen der BA/BIBB-Bewerber­befragung 2016 (siehe Kapitel A8.1) aufgegriffen. Rund 2.000 Ausbildungsstellenbewerber und -bewerberinnen wurden zunächst zur Bedeutung des Betriebs bei ihrer Ausbildungsstellensuche gefragt. Anschließend wurden sie gebeten anzugeben, was sie sich von ihrem künftigen Ausbildungsbetrieb wie sehr wünschen („wünsche ich mir gar nicht“, „eher nicht“, „egal“, „eher“, „sehr“). Vorgelegt wurden ihnen 17  Betriebsmerkmale, die sich in verschiedenen früheren Studien als relevant erwiesen haben (vgl. Schank 2011; Ebbinghaus u. a. 2016; Beicht/Krewerth 2008). Die Betriebsmerkmale lassen sich den Kategorien Sicherheit (z. B. gute Übernahmechancen), monetäre Aspekte (z. B. hohe Ausbildungsvergütung), Image und Standort (z. B. gute Anbindung zum öffentlichen Personennahverkehr [ÖPNV]) und allgemeine Rahmenbedingungen (z. B. gutes Betriebsklima) zuordnen.

Schaubild A8.1.3-1: Bedeutung des Ausbildungsbetriebs bei der Ausbildungsstellensuche aus Sicht von Bewerbern und Bewerberinnen (Angaben in %)

Schaubild A8.1.3-2: Was sich Bewerber/-innen von ihrem künftigen Ausbildungsbetrieb wünschen (Angaben in %)

Was wünschen sich Jugendliche von ihrem zukünftigen Ausbildungsbetrieb?

Schaubild A8.1.3-1 zeigt, dass die Frage nach dem Ausbildungsbetrieb für Jugendliche im Zuge der Ausbildungsstellensuche bedeutsam ist. Gefällt der Betrieb den Ausbildungsstellenbewerbern und -bewerberinnen besonders gut, sind die meisten zu Kompromissen beim Ausbildungsberuf bereit. Welche Aspekte einen Betrieb für die Jungendlichen attraktiv machen, stellt Schaubild A8.1.3-2 dar. Schaubild A8.1.3-2 stellt die Bewertungen der 17  Aspekte durch die befragten Ausbildungs­stellenbewerber und -bewerberinnen anhand von Per­­zentilwerten dar: Je höher die Werte ausfallen, desto stärker wünschen sich die Befragten, dass das Merkmal auf ihren künftigen Ausbildungsbetrieb zutrifft.

Deutlich wird, dass Betriebe für Jugendliche dann besonders attraktiv sind, wenn diese das „Potenzial eines langfristigen Arbeitgebers“ haben (Eberhard/Ulrich 2017). So favorisieren sie ein gutes Betriebsklima, sichere Arbeitsplätze und sehr gute Übernahmechancen. Dass der Betrieb gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist oder in der Nähe des Wohnorts der Befragten liegt, ist für sie ebenfalls sehr wichtig. Neben einem guten Image spielen zudem besonders die Vereinbarkeit von Freizeit und Ausbildung, eine moderne Ausstattung, aber auch bestimmte monetäre Aspekte wie eine finan­zielle Unterstützung, etwa durch einen Fahrkostenzuschuss oder die Bezahlung von Überstunden, eine Rolle. Nachrangig ist für die Befragten, ob der Betrieb zu Beginn der Ausbildung materielle Anreize wie z. B. ein iPhone oder einen Dienstwagen anbietet oder ob der Betrieb in sozia­len Netzwerken wie z. B. Facebook, Xing oder Twitter vertreten ist. Ebenfalls vergleichsweise wenig Wert legen die Bewerber und Bewerberinnen darauf, zusammen mit vielen anderen Auszubildenden im Betrieb ausgebildet zu werden; ein Merkmal, das vor allem Großbetriebe kennzeichnet.

Unter Berücksichtigung soziodemografischer Merkmale der Jugendlichen zeigen sich nur marginale Unterschiede nach Geschlecht, Migrationshintergrund oder Alter. Lediglich bei der differenzierten Betrachtung nach Schulabschlüssen zeigen sich Studienberechtigte bei einigen Merkmalen anspruchsvoller als Bewerber und Bewerberinnen mit mittleren Abschlüssen oder mit maximal Hauptschulabschluss, was mit ihrer stärkeren Marktposition zu erklären ist (vgl. Eberhard/Ulrich 2017).

Stellen Jugendliche, die Großbetriebe bevorzugen, andere Ansprüche an ihren künftigen Ausbildungsbetrieb?

Im Rahmen der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2016 wurden die Jugendlichen auch gefragt, welche Rolle die Betriebsgröße bei ihrer Ausbildungsstellensuche spielt. 38% der Befragungsteilnehmenden stimmten der Aus­sage (eher) zu, dass sie eine Ausbildung in einem möglichst großen Unternehmen favorisieren würden Schaubild A8.1.3-3. Schaubild A8.1.3-4 illustriert die Wünsche der Befragten in Abhängigkeit davon, ob sie eine Ausbildung im Großbetrieb favorisieren. Im Großen und Ganzen variie­ren die Wünsche zwischen den beiden Gruppen kaum. Gleichwohl zeigen sich Befragte mit einer Präferenz zum Großbetrieb leicht anspruchsvoller. Dies betraf insbesondere Merkmale, die Großbetriebe charakterisieren (z. B. Bereitstellung von Zusatzangeboten, hohe Ausbildungs­vergütung, Bekanntheit des Betriebs, moderne Ausstattung, viele Auszubildende).

Schaubild A8.1.3-3: Bedeutung der Betriebsgröße bei der Ausbildungsstellensuche (Angaben in %)

Schaubild A8.1.3-4: Wünsche der befragten Bewerber/-innen an ihren künftigen Ausbildungsbetrieb unter Berücksichtigung der Präferenz für Großbetrieb (Angaben in %)

Weicht die betriebliche Realität von den Ansprüchen der Jugendlichen ab?

Rund 43% der Befragten waren zum Befragungszeitpunkt in eine betriebliche Ausbildung eingemündet. Sie wurden nicht nur nach ihren Wünschen an den Ausbildungsbetrieb, sondern auch danach befragt, inwieweit die 17  vorgelegten Merkmale auf ihren jetzigen Ausbildungsbetrieb zutreffen. Schaubild A8.1.3-5 stellt Wunsch und Wirklichkeit für die betrieblichen Merkmale dar. Die betriebliche Realität wurde ebenfalls über eine Perzentilskala von 0 („trifft gar nicht zu“) bis 100 („trifft sehr zu“) abgebildet. Deutlich wird, dass die Realität meist hinter den Wünschen der Jugendlichen zurückbleibt. Allerdings trifft dies eher auf jene Aspekte zu, denen die Jugend­lichen eine vergleichsweise geringe Bedeutung beimessen (z. B. materielle Anreize, Zusatzangebote, hohe Ausbildungsvergütung). Größere Abweichungen zeigen sich lediglich bei den als wichtig erachteten Aspekten der finanziellen Unterstützung sowie der Vereinbarkeit von Freizeit und Ausbildung. Die für die Jugendlichen entscheidenden Merkmale „gutes Betriebsklima“, „sehr gute Übernahmechancen“ sowie „sichere Arbeitsplätze“ sahen sie als überwiegend erfüllt an.

Weiter wird aus Schaubild A8.1.3-5 ersichtlich, dass es einige wenige Merkmale gibt, die tatsächlich besser erfüllt wurden, als es von den Jugendlichen gewünscht wurde. So waren Betriebe bekannter und hatten ein besseres Image, als dies von den Jugend­lichen gewünscht wurde.

Schaubild A8.1.3-5: Abweichungen zwischen den Ansprüchen der befragten Jugendlichen an betriebliche Merkmale und der betrieblichen Realität (Angaben in %)

Schaubild A8.1.3-6: Abweichungen zwischen den Ansprüchen der befragten Auszubildenden im Großbetrieb an betriebliche Merkmale und der betrieblichen Realität (Angaben in %)

Werden die Ansprüche in Großbetrieben besser erfüllt?

Schaubild A8.1.3-6 vergleicht die Ansprüche der Jugendlichen, die eine Ausbildung in einem Betrieb mit mehr als 250 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen begonnen hatten, mit deren wahrgenommener Ausbildungsrealität. Auffällig ist, dass die Wünsche in Bezug auf einige Merkmale oft übertroffen wurden. So verfügen Großbetriebe häufig über eine moderne Ausstattung, es mussten keine unbezahlten Überstunden geleistet werden, der Betrieb war bekannt, genoss ein gutes Image und war häufiger in sozialen Netzwerken vertreten. Etwas zurück blieb die Erreichbarkeit: Großbetriebe liegen seltener als gewünscht in Wohnortnähe und sind seltener gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden. Auch wurden seltener materielle Anreize geboten, als sich die Jugendlichen dies gewünscht hatten.

Insgesamt zeigte sich aber hier das auch für alle geltende einheitliche Bild: Die Wünsche, die am stärksten geäußert wurden, konnten in der Realität auch am besten erfüllt werden.

Fazit

Ausbildungsstellenbewerber und -bewerberinnen äußerten sehr bodenständige Wünsche, die sich primär auf die Stimmung im Betrieb und die Zeit nach der Ausbildung beziehen. Ihnen geht es vor allem um eine langfristige Bindung an den Betrieb und um ein gutes Arbeitsklima. Dies gilt unabhängig vom Geschlecht oder den Schulabschlüssen und variiert auch nicht damit, ob Jugendliche eine Ausbildung im Großbetrieb anstreben oder nicht. Großbetriebe scheinen die Wünsche der Befragten jedoch etwas besser realisieren zu können. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Betriebe insbesondere mit den von den Jugendlichen favorisierten Aspekten „Betriebsklima“, „Übernahmechancen“ und „Sicherheit des Arbeitsplatzes“ punkten können. Bei der Rekrutierung von Auszubildenden sollte daher auf diese Aspekte verwiesen werden, anstelle mit materiellen Anreizen zu werben. Eine bessere Verkehrsanbindung oder eine finanzielle Unterstützung der Auszubildenden könnten jedoch auch Wege sein, um gezielt Jugend­liche – unabhängig von der Betriebsgröße  – für sich zu gewinnen.

(Julia Gei, Verena Eberhard)