Das Arbeitsangebot nach Qualifikationen
Auf der Qualifikationsseite zeigt sich ein zunehmender Trend zur Akademisierung Schaubild A10.2.1-1. Zwischen den Jahren 2014 und 2035 werden ca. 20,2 Mio. Personen den Arbeitsmarkt altersbedingt verlassen, jedoch nur 18,8 Mio. neu hinzukommen. Rund 34,5 % dieses Neuangebots verfügen über einen akademischen Abschluss (6,5 Mio.) und 48,8 % (9,2 Mio.) über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Allerdings werden nur 19,1 % (3,8 Mio.) der bis 2035 aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Personen Akademiker/-innen sein und 59,7 % (12,1 Mio.) eine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Somit werden im mittleren Qualifikationsbereich im Jahr 2035 rund 2,9 Mio. Personen weniger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen als im Jahr 2014, wohingegen die Zahl an Akademiker/-innen im gleichen Zeitraum um rund 2,6 Mio. steigt.
Schaubild A10.2.1-1: Entwicklung des Neuangebotes an Erwerbspersonen und aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Personen 2014 bis 2035 (in Mio. Personen)
Die Arbeitsnachfrage nach Anforderungsniveaus
Mit der Einführung der KldB 2010 liegt mit dem erfassten Anforderungsniveau erstmalig eine Kennzahl für die Komplexität einer ausgeübten Tätigkeit vor. Während in früheren Projektionen (z. B. Maier u. a. 2014a) lediglich der „Bedarf“ an Personen mit einem bestimmten Qualifikationsniveau betrachten werden konnte und damit implizit unterstellt wurde, dass alle Personen qualifikationsadäquat arbeiten, ist es nunmehr möglich, das Arbeitsangebot an Qualifikationen mit den tatsächlichen Arbeitsanforderungen an die Arbeitskräfte zu vergleichen. Bei „niveauadäquater“ Erwerbstätigkeit sollten Personen ohne beruflichen Abschluss in Helfertätigkeiten, Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung in fachlich ausgerichteten Tätigkeiten, Personen mit Meister-/Techniker-/Fortbildungsabschluss in komplexen Spezialistentätigkeiten und Akademiker/-innen mit einem Magister/Master/Diplom in hochkomplexen Tätigkeiten erwerbstätig sein.215
Tabelle A10.2.1-1 gibt zunächst einen Überblick über die Verteilung der Erwerbspersonen nach Qualifikationsniveaus im Jahr 2013 auf die entsprechenden Anforderungsniveaus unter der Berücksichtigung von Erwerbslosigkeit.
Anforderungsniveau
Mit der Klassifikation der Berufe 2010 (KldB 2010) wurde erstmalig das Anforderungsniveau erfasst. Es handelt sich dabei um die Klassifikation des Niveaus der mit einem Arbeitsplatz verbundenen Tätigkeiten in eine der 4 Kategorien Helfertätigkeiten, fachlich ausgerichtete Tätigkeiten, komplexe Spezialistentätigkeiten oder hochkomplexe Tätigkeiten. Das Anforderungsniveau ist spezifisch für einen bestimmten Beruf und wird neben der für die Ausübung dieses Berufs erforderlichen formalen Qualifikation auch durch informelle Bildung und/oder Berufserfahrung bestimmt. Jedoch ist es unabhängig von der tatsächlichen formalen Qualifikation einer einen bestimmten Beruf ausübenden Person.
Während Akademiker/-innen im Jahr 2013 vor allem in hochkomplexen Tätigkeiten anzutreffen waren, waren Personen in Bildung, ohne abgeschlossene Berufsausbildung, Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung sowie mit Meister-/Techniker-/Fortbildungsabschluss am häufigsten in fachlich ausgerichteten Tätigkeiten erwerbstätig. In den komplexen Spezialistentätigkeiten finden sich hingegen unterschiedliche Qualifikationsgruppen. So übten 38,0 % der Erwerbstätigen mit Meister-/Techniker-/Fortbildungsabschluss bzw. 10,9 % der Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung eine komplexe Spezialistentätigkeit aus. Personen mit einem Meister-/Techniker-/Fortbildungsabschluss oder einem akademischen Abschluss waren zudem mit lediglich 2,1 % bzw. 2,2 % am geringsten von Erwerbslosigkeit betroffen. Gleichzeitig zeigt sich, dass nur 38,6 % der Helfertätigkeiten von Personen ohne Berufsabschluss ausgeübt wurden. Auffällig ist zudem, dass fast 41,5 % aller komplexen und 18,3 % der hochkomplexen Tätigkeiten von Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung verrichtet wurden.
Tabelle A10.2.1-1: Verteilung der Erwerbspersonen zwischen Qualifikations- und Anforderungsniveaus in 2013 (in Mio. Personen)
Vergleich von Angebot und Nachfrage nach Qualifikationen
Fasst man jeweils Arbeitsangebot im tertiären Bereich und Arbeitsnachfrage nach Spezialisten- und hoch-komplexen Tätigkeiten zusammen, wird das Angebot die Nachfrage nach Arbeitskräften voraussichtlich ab dem Jahr 2023 übersteigen Schaubild A10.2.1-2. Hingegen nimmt das Angebot an Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung stärker ab als der Bedarf an fachlich ausgerichteten Tätigkeiten. Der Bedarf an Helfertätigkeiten geht weniger stark zurück als das Angebot an Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung; diese Personengruppe bleibt am stärksten von Erwerbslosigkeit betroffen Tabelle A10.2.1-1.
Wie sich die Erwerbstätigkeit nach Qualifikationsstufen zukünftig entwickeln wird, hängt neben der Qualifikationsstruktur des Arbeitsangebots maßgeblich davon ab, auf welche Qualifikationsniveaus Arbeitgeber zukünftig bei der Besetzung eines Arbeitsplatzes zurückgreifen. Vergangene Studien haben gezeigt, dass höhere formale Bildungsabschlüsse negativ mit der Erwerbslosenquote korreliert sind (Hausner u. a. 2015). Es stellt sich daher die Frage, in welcher Form das wachsende Angebot an Personen mit akademischen Abschlüssen vom Arbeitsmarkt aufgenommen werden wird.
So zeigt Tabelle A10.2.1-1 bereits für das Jahr 2013 einen gewissen Verdrängungseffekt, da Personen mit Berufsabschluss mit 47,2 % die Mehrheit der Erwerbstätigen in den Helfertätigkeiten stellen. Wenn sich wie gezeigt das Qualifikationsniveau des Arbeitsangebotes in Zukunft weiter erhöht, ist auch denkbar, dass Arbeitgeber ihre Einstellungsverhalten entsprechend anpassen.
Da das künftige Einstellungsverhalten der Unternehmen infolge der Akademisierung derzeit jedoch kaum zu beurteilen ist, werden im Folgenden 2 mögliche Entwicklungsszenarien miteinander verglichen: Im Szenario „konstantes Einstellungsverhalten“ wird angenommen, dass sich die Verteilung der Erwerbstätigen nach Qualifikationsstufen auf die Anforderungsniveaus nach 2013 nicht ändert. Es wird also davon ausgegangen, dass wie im Jahr 2013 weiterhin 6 % der Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung oder 62,8 % der Personen mit akademischem Abschluss in hochkomplexen Tätigkeiten arbeiten Tabelle A10.2.1-1. Hingegen wird im Szenario „angepasstes Einstellungsverhalten“ davon ausgegangen, dass sich die Qualifikationsstruktur der Erwerbslosen aus dem Jahr 2013 bis zum Jahr 2035 nicht ändert. Danach würde das höhere Angebot an Akademikern und Akademikerinnen vom Arbeitsmarkt aufgenommen, und diese würden auch im Jahr 2035 wie im Jahr 2013 lediglich 8,5 % der Erwerbslosen stellen Tabelle A10.2.1-1. Mit 51,9 % sind Personen mit Berufsausbildung hingegen weiterhin in der Mehrheit unter den Erwerbslosen. Unter dieser Annahme lässt sich mithilfe eines Randsummenanpassungsverfahrens ebenfalls die Qualifikationsstruktur der Erwerbstätigen bis zum Jahr 2035 bestimmen.
Schaubild A10.2.1-3 zeigt einen Vergleich der Nachfrage nach Qualifikationen entsprechend den beiden Einstellungsszenarien („konstantes Einstellungsverhalten“ und „angepasstes Einstellungsverhalten“).
Schaubild A10.2.1-2: Arbeitskräftebedarf nach Anforderungsniveau und Arbeitskräfteangebot nach Qualifikationen 2005 bis 2035
Schaubild A10.2.1-3: Erwerbstätige und Erwerbspersonen nach Qualifikationsniveaus in Mio. Personen – konstantes und angepasstes Einstellungsverhalten 2005 bis 2035
Bei „konstantem Einstellungsverhalten“ würde das Arbeitsangebot an Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung den „Bedarf“ mittelfristig übersteigen, könnte ihn jedoch ab 2026 nicht mehr decken. In abgeschwächter Form gilt dies auch für Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, da der „Bedarf“ an diesem Personenkreis konstant gehalten wird. Hingegen würde im tertiären Bereich, der sowohl Personen mit Meister-/Techniker-/Fortbildungsabschluss und mit akademischem Abschluss umfasst, das Angebot den „Bedarf“ um ca. 2,5 Mio. Personen übersteigen.
Im Szenario „angepasstes Einstellungsverhalten“, welches von einer gleichbleibenden Qualifikationsstruktur der Erwerbslosen ausgeht, würden Arbeitsplätze mit hochkomplexen Tätigkeiten zukünftig vermehrt von Personen mit akademischen Abschlüssen besetzt – zum Nachteil der Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung oder Fortbildungsabschluss, die dann im Vergleich zum Jahr 2013 verstärkt in fachlich ausgerichteten Tätigkeiten erwerbstätig wären Tabelle A10.2.1-2. Im Ergebnis zeigt sich unter dieser Prämisse trotz einer Bildungsexpansion und eines starken Rückgangs des Angebots auf der mittleren Qualifikationsebene ein rechnerisch ausgeglichener Arbeitsmarkt nach formalen Qualifikationsniveaus. Da die Zahl der Erwerbslosen insgesamt abnimmt, wären 2035 die Erwerbslosigkeitsrisiken für alle Qualifikationsgruppen geringer. Denkbar ist jedoch auch, dass sich vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung der Wirtschaft die Tätigkeitsanforderungen an die Erwerbspersonen wandeln und daraus eine veränderte Nachfrage nach formalen Qualifikationen resultiert.
Tabelle A10.2.1-2: Mögliche Verteilung der Erwerbspersonen nach Qualifikationsstufen auf die Anforderungsniveaus bei einem „angepassten Einstellungsverhalten“ im Jahr 2035
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Bachelorabsolventen/-absolventinnen sind auf derselben Qualifikationsstufe wie Personen mit Meister-/Techniker-/Fortbildungsabschluss einzuordnen.