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Passung von Arbeitsangebot und -nachfrage auf fachlicher Ebene

Bei der Passung zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage spielen neben dem zu erfüllenden Anforderungsniveau und der daraus resultierenden geforderten Qualifikation auch die berufsfachlichen Spezialisierungen und Kompetenzen der Erwerbspersonen eine wichtige Rolle. Um herauszufinden, in welchen Berufsfeldern zukünftig Arbeitskräfteengpässe oder -überhänge vorliegen werden, ist es notwendig, den Bedarf dem entsprechend zur Verfügung stehenden Arbeitsangebot auf der Ebene von Berufen gegenüberzustellen. Die bisher verwendeten 54  BIBB-Berufsfelder (Tiemann u. a. 2008) wurden in der vierten Projektionswelle an die KldB 2010 angepasst und zu 50 BIBB-Berufsfeldern (Tiemann 2016) zusammengefasst.216

Berufsfelder

Für die Projektion des zukünftigen Arbeitskräftebedarfs und -angebots sind die Daten aus dem Mikrozensus auf Basis der Klassifikation der Berufe (KldB 2010) für den ausgeübten Beruf und ab 2005 auch für den erlernten Beruf verwendet worden. Der Detaillierungsgrad der Angaben im Mikrozensus zum ausgeübten Beruf bzw. zur Aus- oder Weiterbildungsfachrichtung auf der Basis der Klassifizierung der Berufe ist allerdings für längerfristige Qualifikations- und Arbeitsmarktprojektionen zu feinmaschig. Projektionen, die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt in einem Zeitrahmen von bis zu 15 Jahren umfassen, sind auf der Ebene von Einzelberufen wissenschaftlich seriös nicht umsetzbar. Daher wurde auf der Basis der 144 Berufsgruppen (3-Steller) der KldB 2010 eine Verdichtung zu 50 Berufsfeldern vorgenommen (Tiemann 2016).

Der Bedarf an Erwerbstätigen eines Berufsfeldes wird insbesondere durch das Wachstum der Branche und den spezifischen Mix von Berufen innerhalb des Berufsfeldes determiniert. Durch die Tertiarisierung wird der Bedarf an Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor weiterhin ansteigen, wohingegen besonders im „verarbeitenden Gewerbe“ und „Baugewerbe“ Beschäftigung abgebaut wird.

Dieser Trend wird ebenfalls die Entwicklung des zukünftigen Arbeitskräfteangebots kennzeichnen. So wird der Anteil der sekundären Dienstleistungsberufe, wie zum Beispiel der „Medien-, Geistes- und sozialwissenschaftlichen, künstlerischen Berufe“, im Neuangebot der Erwerbspersonen zukünftig ansteigen. Dagegen wird das Neuangebot in typischen Berufen der dualen Berufsausbildung wesentlich geringer ausfallen und kann daher die kumulierten Abgänge bis 2035 nicht kompensieren (Maier/Wolter/Zika 2016a).

Es ist zu berücksichtigen, dass sich Angebot und Nachfrage keinesfalls vollkommen unabhängig voneinander entwickeln. So können beispielsweise Lohnanpassungen dazu führen, dass Erwerbspersonen aus ihrem erlernten Beruf in einen anderen, besser entlohnten Beruf wechseln. Hier spielen die zu erwartenden Lohnentwicklungen der Berufsfelder und die u. a. daraus bedingte berufliche Flexibilität, aber auch der Offenheitsgrad eines Berufsfeldes eine Rolle. Das heißt, je einfacher es für Fachfremde ist, in einem Berufsfeld Fuß zu fassen, desto einfacher können Engpässe über berufliche Mobilität gelöst werden (vgl. BIBB-Datenreport 2016, Kapitel A8.1.5). Unter Fortschreibung der bisher beobachtbaren Verhaltensweisen und Zusammenhänge zeigt sich aber, dass Passungsprobleme zwischen Angebot und Nachfrage auf fachlicher Ebene zunehmen werden. Bei einer rein rechnerischen Bilanzierung von Angebot und Nachfrage auf Personenebene ergeben sich in 22 von insgesamt 50  Berufsfeldern im Jahr 2035 Arbeitskräfteengpässe.217

In Schaubild A10.2.2-1 sind jeweils für die Jahre 2015 und 2035 vergleichend die Berufsfelder mit den 10 häufigsten Arbeitsangebotsengpässen in Personen und den 10 häufigsten -überhängen dargestellt. Dabei sind mögliche berufliche Mobilitäten des Arbeitsangebots bereits berücksichtigt. Mit einer rechnerischen Arbeitskräftelücke von 270.300 Personen werden die Engpässe bis 2035 in den „Pflege- und Gesundheitsberufen ohne Approbation“ am stärksten ausgeprägt sein. Dies ist der Fall, obwohl ein Großteil der in diesem Berufsfeld Ausgebildeten auch in diesem Berufsfeld erwerbstätig ist. Darüber hinaus sind ebenfalls die Berufsfelder „Metall-, Anlagenbau, Blechkonstruktion, Installation, Montierer/-innen“, „Bauberufe, Holz-, Kunststoffbe- und -verarbeitung“ sowie „Fahr-, Flugzeugbau-, Wartungsberufe“ betroffen. Es handelt sich hier um Berufsfelder, die über ihren eigenen Bedarf hinaus ausbilden; die hohe Abwanderung von Arbeitskräften in andere Berufsfelder führt jedoch dazu, dass das Angebot den Bedarf langfristig nicht decken kann. Ebenso zeigen sich Arbeitskräfteengpässe in Berufsfeldern mit hohen Anteilen von An- und Ungelernten wie den „Reinigungs- und Entsorgungsberufen“ oder den Bereichen „Packer/-innen, Lager-, Transportmitarbeiter/ -innen“, aber auch in den Berufsfeldern „Hotel-, Gaststättenberufe, Hauswirtschaft“, „Köche/Köchinnen“ und „Getränke, Genussmittelherstellung, weitere Ernährungsberufe“, die bereits aktuell Besetzungsprobleme aufweisen (vgl. Kapitel A1.1), werden langfristig Arbeitskräfteengpässe zunehmen.

Dem gegenüber stehen Berufsfelder, für die im Jahr 2035 ein deutliches Überangebot an Arbeitskräften projiziert wird. Dazu zählen insbesondere „Büroberufe und Personalwesen“, wo sich der bereits aktuell vorhandene Arbeitskräfteüberhang mehr als verdoppeln und 2035 rechnerisch rund 477.300 Personen betragen wird. Außerdem wird vorwiegend in akademisch geprägten Berufen wie z. B. den „Lehrenden Berufen“ oder den „IT- und naturwissenschaftlichen Berufen“ das Arbeitskräfteangebot den Bedarf deutlich übersteigen. Hierbei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass die vorgestellte Basisprojektion noch keine möglichen zusätzlichen Dynamiken hin zu einer digitalisierten Wirtschaft oder einer verstärkten Integration von Geflüchteten beinhaltet.218 Darüber hinaus werden für kaufmännische und wirtschaftswissenschaftliche Berufe Arbeitskräfteüberhänge projiziert.

Schaubild A10.2.2-1: Die am stärksten ausgeprägten Arbeitskräfteengpässe und -überhänge in den Berufsfeldern in Personen 2015 und 2035

Gewünschte Arbeitszeiten und benötigte Arbeitsstunden

Im Vorangegangenen wurden Angebot und Nachfrage nur auf Personenbasis in Relation gesetzt. Zusätzlich kann mit dem Arbeitsvolumenpotenzial das gewünschte Arbeitsangebot in Stunden den benötigten Arbeitsstunden gegenübergestellt werden Schaubild A10.2.2-2. Dabei zeigt sich, dass die Arbeitgeber in einigen der Berufsfelder mit identifizierten Personenengpässen ihren Bedarf an Arbeitsstunden stillen könnten, wenn die angebotene gewünschte Arbeitszeit der Erwerbstätigen auch genutzt werden würde. Schaubild A10.2.2-2 verdeutlicht, dass vor allem in Berufen mit einem hohen Anteil an Teilzeitarbeit wie den „Verkaufsberufen (Einzelhandel)“, den Berufen „Packer/-in, Lager-, Transportarbeiter/-in “ sowie „Hotel-, Gaststättenberufe, Hauswirtschaft“ und in den „Reinigungs- und Entsorgungsberufen“ zwar ein leichter Engpass nach Personen projiziert wird, gleichzeitig aber auch ein (teilweise deutliches) Mehrangebot nach Stunden existiert. Dagegen kann selbst unter Einbeziehung der gewünschten Arbeitszeit u. a. in „Metall-, Anlagenbau, Blechkonstruktion, Installation, Montierer/-innen“, „Bauberufe, Holz-, Kunststoffbe- und -verarbeitung“, „Getränke, Genussmittelherstellung, übrige Ernährungsberufe“ und insbesondere in den „Pflege- und Gesundheitsberufen ohne Approbation“ die Arbeitsnachfrage sowohl in Personen als auch in Stunden langfristig nicht gedeckt werden. Dies gilt ebenfalls für die Berufe der „Techniker/-innen“ sowie der „Technischen Sonderkräfte“, wo die relative Differenz zwischen Angebot und Nachfrage jedoch etwas schwächer ausgeprägt ist. 

Schaubild A10.2.2-2: Bilanzierung auf Berufsfeldebene nach Personen und Stunden im Jahre 2035

Arbeitsvolumenpotenzial

Das Arbeitsvolumenpotenzial ist ein hypothetisches Kon-strukt, das angibt, wie groß das Arbeitsangebot, gemessen in Stunden, tatsächlich ist. Zur Berechnung dieses Kon-strukts wird im Mikrozensus auf die Zahl der gewünschten wöchentlichen Arbeitsstunden zurückgegriffen, sofern diese über den regelmäßig tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden liegen (Zika u. a. 2012, S. 8). In der vierten Welle des QuBe-Projektes wurde das Arbeitsvolumenpotenzial der Erwerbstätigen des Jahres 2013 als konstant betrachtet (Maier u. a. 2016b).

Fazit

Die Ergebnisse der Basisprojektion der vierten Welle der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen lassen Trends erkennen und zeigen Passungsprobleme auf, mit denen der Arbeitsmarkt zukünftig konfrontiert werden könnte. Durch die neuen Klassifikationen der Berufe 2010 und die damit verbundene Neuordnung der BIBB-Berufsfelder kann mit der vierten Projektionswelle erstmals das Anforderungsniveau der Tätigkeiten auf der Bedarfsseite ausgewiesen werden. Dabei hat sich gezeigt, dass sich die Komplexität einer Tätigkeit nicht direkt in die formalen Qualifikationsniveaus überführen lässt. Unter der Voraussetzung, dass die Unternehmen zukünftig an der derzeitigen Qualifikationsstruktur innerhalb der einzelnen Anforderungsniveaus festhalten („konstantes Einstellungsverhalten“), würden sich ab 2026 Engpässe bei Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung abbilden. Bei Personen mit Meister-/Techniker-/Fortbildungs- oder akademischem Abschluss (tertiärer Bereich) würde dagegen im Jahr 2035 ein Überangebot von 2,5 Mio. Erwerbspersonen vorliegen. Wenn die Unternehmen dagegen ihre Rekrutierungsentscheidungen anpassen und vermehrt auf Personen mit höheren formalen Bildungsabschlüssen zurückgreifen („angepasstes Einstellungsverhalten“), würde die Arbeitsnachfrage in allen Qualifikationsstufen durch das Angebot gedeckt werden können. Der Bedarf würde sich dabei dem Angebot annähern. Komplexe Spezialistentätigkeiten würden dadurch in einem steigenden Maße von Personen mit akademischen Abschlüssen ausgeübt werden.

Der Akademisierungstrend spiegelt sich auch in einer Betrachtung auf Berufsebene wider. In Berufsfeldern, in denen die Fachkräftequalifizierung auch über die (Fach-)Hochschulen erfolgen kann, wird das Angebot langfristig ausreichen, um die Nachfrage zu decken. Dagegen werden bis 2035 in 22 von 50 Berufsfeldern Engpässe entstehen. Diese können allerdings, unter Einbeziehung der von den Erwerbspersonen angebotenen Arbeitsstunden, teilweise relativiert werden. Bis zum Ende des Projek­tionszeitraumes werden dagegen sowohl auf Personen- als auch auf Stundenbasis u. a. Engpässe in den Bau- und Metallberufen sowie den „Pflege- und Gesundheitsberufen ohne Approbation“, aber auch den „Technischen Berufen“ vorliegen. Dabei sind unterschiedliche Lösungswege möglich. Während die Erwerbstätigen in den „Pflege- und Gesundheitsberufen ohne Approbation“ eine hohe Berufstreue aufweisen und eine stärkere Investition in die Ausbildung dort sinnvoll erscheint, werden in den Bereichen „Bauberufe, Holz-, Kunststoffbe- und -verarbeitung“ und „Metall-, Anlagenbau, Blechkonstruktion, Installation, Montierer/-innen“ trotz eines Rückgangs an ausgebildeten Fachkräften immer noch mehr Personen einen Berufsabschluss in diesen Berufsfeldern aufweisen, als dort Arbeitskräfte benötigt werden. Aufgrund der höheren beruflichen Flexibilität gilt es, deshalb z. B. auch vor allem die ausgebildeten Fachkräfte langfristig zu binden.

(Stefanie Steeg, Stefan Winnige, Tobias Maier – Bundesinstitut für Berufsbildung, Gerd Zika – Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung)

  • 216

    Es wurden Berufsfelder im Ernährungsgewerbe („Back-, Konditor-, Süßwarenherstellung“, „Fleischer“, „Getränke-, Genussmittelherstellung, übrige Ernährungsberufe“), im Textilbereich („Textilverarbeitung, Lederherstellung“) und in der Logistik („Warenprüfer/-innen“, „Versandfertigmacher/-innen“, „Packer/-innen, Transportarbeiter/-innen“) zusammengefasst. 

  • 217

    Weitere Informationen zu Entwicklungen nach Berufsfeldern finden sich auch im QuBe-Datenportal: https://www.bibb.de/de/qube_datenportal.php

  • 218

    Das Wirtschaft 4.0-Szenario im Rahmen der vierten Welle, in dem eine beschleunigte Digitalisierung der Wirtschaft angenommen wird, zeigt, dass neben den „IT- und naturwissenschaftlichen Berufen“ und den „Lehrenden Berufen“ insbesondere die Sozialberufe, Sicherheits- und Wachberufe sowie die Medien- und geisteswissenschaftlichen Berufe von einer fortschreitenden Digitalisierung profitieren (Wolter u. a. 2016). Der Bedarf an Erwerbstätigen im Jahr 2035 fällt beispielsweise in den „Lehrenden Berufen“ um rund 50.000 Personen höher aus als im Basisszenario. Grund dafür ist die wachsende Bedeutung von Bildung und Weiterbildung, da Kompetenzen laufend weiterentwickelt werden müssen. Die Digitalisierung stellt daher einen Weg dar, um drohende Ungleichgewichte zu beheben.