Personen, die über keinen formal qualifizierenden Berufsabschluss (nicht formal Qualifizierte, nfQ) verfügen, sind auf dem Arbeitsmarkt deutlich benachteiligt (vgl. Schmillen/Stüber 2014; Söhnlein/Weber/Weber 2016). Aus diesem Grund ist es bildungspolitisch wünschenswert, dass diesen Personen das Nachholen eines Berufsabschlusses gelingt. Dies betrifft vor allem junge Erwachsene, die noch ein langes Berufsleben vor sich haben und noch offen für eine längere Ausbildungsphase sein könnten. Um die Hintergründe zu ermitteln, welche diese Personen von einem erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung abgehalten haben und sie auch zukünftig an einer Nachqualifizierung hindern könnten, müssen bildungsrelevante Merkmale der betroffenen Personengruppe identifiziert werden, die sie von denjenigen aus ihrer Altersgruppe mit abgeschlossener Berufsausbildung unterscheiden. Zur Beantwortung dieser Fragestellung werden Daten benötigt, die die Lebens- und Bildungsverläufe junger Erwachsener in ihrer Komplexität abbilden und bildungsrelevante Einflussfaktoren bereitstellen. Eine solche Datenquelle liefert das Nationale Bildungspanel (NEPS, vgl. Erläuterung in Kapitel A8.3), welches es ermöglicht, Bildungswege nachzuzeichnen und auch weitere Entwicklungen abzubilden. An dieser Stelle erfolgt zum einen eine Beschreibung der beruflichen bzw. Arbeitsmarksituation der Gruppe der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss und zum anderen ein Vergleich mit Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung anhand zentraler Merkmale des soziodemografischen Hintergrunds.235
Stichprobe junger Erwachsener ohne Berufsabschluss im Nationalen Bildungspanel – National Educational Panel Study (NEPS)
Die Ergebnisse basieren auf den Daten des Nationalen Bildungspanels (National Educational Panel Study – NEPS): Startkohorte Erwachsene, doi:10.5157/NEPS:SC6:5.1.0. Für Informationen zum NEPS siehe Erläuterung in Kapitel A8.3 und https://www.lifbi.de/ sowie Blossfeld/Roßbach/von Maurice (2011). Für die hier thematisierte Fragestellung wird auf die Startkohorte 6 zurückgegriffen, für welche, aufbauend auf der ALWA-Studie des IAB236 von 2007, seit 2009 Personen der Geburtsjahrgänge 1944 bis 1986 im Rahmen des NEPS befragt und getestet wurden. Interessierende Variablen sind beispielsweise umfassende soziodemografische Merkmale und Informationen zu Bildungs- und Berufsverläufen und deren Rahmenbedingungen.
An der vierten NEPS-Erhebungswelle, die von Herbst 2011 bis Frühjahr 2012 stattfand, nahmen ca. 14.000 Befragte teil, darunter 3.172 Personen zwischen 25 und 35 Jahren. Von diesen sind 369 (12 %) der Gruppe derjenigen zuzuordnen, die (noch) keinen formal qualifizierenden beruflichen Abschluss erworben haben und sich zu diesem Zeitpunkt auch nicht in einer vollqualifizierenden schulischen, beruflichen oder hochschulischen Ausbildung oder einer Bildungsmaßnahme des Übergangsbereichs befanden. Weitere 136 Personen befanden sich zum Befragungszeitpunkt noch in Ausbildung und werden in den folgenden Analysen nicht mitberücksichtigt. Die Vergleichsgruppe bilden die verbleibenden 2.667 Personen, die zum Befragungszeitpunkt bereits einen formal qualifizierenden Berufsabschluss erworben haben. Schaubild A11.4-1 zeigt die soziodemografischen Merkmale der Stichprobe für die beiden Gruppen. Abweichungen zu amtlichen Daten, wie sie in Kapitel A11.2 und Kapitel A11.3 dargestellt werden, sind auf Selbstselektionseffekte zurückzuführen. Diese betreffen besonders die Verteilung nach Schulabschlüssen, da an freiwilligen Befragungen wie dem NEPS in der Regel ein überproportionaler Anteil höher gebildeter Personen teilnimmt.
Die aus Schaubild A11.4-1 und Kapitel A11.2 ersichtlichen bildungsbezogenen Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Berufsabschluss zeigen sich auch bei Betrachtung der Herkunftsfamilie. So verfügen die Eltern von jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss ebenfalls häufiger über keinen Berufsabschluss (26 % der Väter und 44 % der Mütter gegenüber 9 % bzw. 17 % in der Vergleichsgruppe) und keinen Schulabschluss (10 % der Väter und 21 % der Mütter gegenüber 2 % bzw. 4 % in der Vergleichsgruppe). Haben die Eltern einen Schulabschluss erworben, so handelt es sich bei den Eltern der nfQ im Schnitt um niedrigere Abschlüsse.
Auch bezüglich der beruflichen Situation zeigen sich Unterschiede: Die Eltern von jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss üben im Durchschnitt Berufe mit geringerem Prestige und sozioökonomischen Status aus als die Eltern der Befragten aus der Vergleichsgruppe. Zudem geben junge Erwachsene ohne Berufsabschluss seltener an, dass ihre Eltern in ihrer Jugend erwerbstätig waren (90 % gegenüber 96 % in der Vergleichsgruppe hinsichtlich der Väter und 62 % gegenüber 70 % hinsichtlich der Mütter). Wie bei den Bildungsabschlüssen zeigt sich damit auch bezüglich der beruflichen Situation eine Art familiäre Tradition. Denn die Befragten ohne Berufsabschluss sind im Durchschnitt selbst auch in deutlich weniger prestigeträchtigen Berufen beschäftigt. Zudem waren in dieser Gruppe zum Zeitpunkt der Befragung lediglich 60 % erwerbstätig, in der Vergleichsgruppe 85 %. Als arbeitslos bezeichneten sich von den Personen ohne Berufsabschluss 27 %, in der Vergleichsgruppe taten dies 6 %. Im Falle einer Arbeitslosigkeit dauert diese bei den Personen ohne Berufsabschluss schon deutlich länger an (bei mehr als der Hälfte der Befragten länger als 24 Monate) als in der Vergleichsgruppe (nur knapp 22 % länger als 24 Monate, die Hälfte weniger als 8 Monate). Im Falle bestehender Erwerbstätigkeit dauerte diese zum Befragungszeitpunkt in beiden Gruppen durchschnittlich bereits seit ca. 3,5 Jahren an.
Schaubild A11.4-1: Soziodemografische Variablen (in %)
Unterschiede finden sich hingegen hinsichtlich der beruflichen Stellung. So sind unter den Personen ohne Berufsabschluss 35 % als Arbeiter/-innen beschäftigt, und 41 % befinden sich im Angestelltenverhältnis. In der Vergleichsgruppe befinden sich 68 % im Angestelltenverhältnis, und 14 % sind Arbeiter/-innen. Auffällig ist auch, dass es in der Gruppe ohne Berufsabschluss einen höheren Anteil an Selbstständigen gibt (10 % gegenüber 8 % in der Vergleichsgruppe) und mehr Personen, die sich als freie Mitarbeiter/-innen bezeichnen (5 % vs. 2 %). Schaubild A11.4-2 zeigt die Verteilung der beiden Gruppen nach der Berufsfeldklassifikation von Blossfeld.237 Diese teilt Berufe anhand von Wirtschaftssektor und Qualifikationsniveau in 12 Kategorien ein.
Es zeigt sich deutlich, dass Personen ohne Berufsabschluss vor allem in den Kategorien „einfacher“ Tätigkeiten überproportional vertreten sind, am stärksten in einfachen Dienstleistungsberufen. Hier arbeitet ein Drittel der erwerbstätigen Befragten ohne Berufsabschluss. In diese Kategorie fallen vor allem Reinigungs- und Gastronomie-tätigkeiten. NfQ finden sich – zu geringeren Anteilen – aber auch in qualifizierten Tätigkeiten, wobei diese Anteile unter denen der befragten Personen mit Berufsabschluss liegen. Ausnahmen bilden die qualifizierten manuellen und dienstleistungsbezogenen Tätigkeiten, in denen Personen mit und ohne Berufsabschluss etwa gleich häufig repräsentiert sind. Deutlich höher ist der Anteil der Personen mit Berufsabschluss aber in qualifzierten kaufmännischen Tätigkeiten sowie in Semiprofessionen.
Da Informationen zum Niveau der ausgeübten Tätigkeit nur für aktuell erwerbstätige Personen erfasst werden konnten und somit in der Gruppe der nfQ für mehr als ein Drittel der Befragten keine Informationen verfügbar sind, soll für alle Befragten außerdem die erste ausgeübte Erwerbstätigkeit in den Blick genommen werden. Bereits beim Einstieg in den Arbeitsmarkt waren die Personen ohne Berufsabschluss gegenüber Personen mit abgeschlossener Ausbildung benachteiligt und übten ihre erste Erwerbstätigkeit in Berufen mit deutlich geringerem Prestige und sozioökonomischen Status aus. Auch mit Blick auf die Berufsfeldklassifikation von Blossfeld fallen Unterschiede auf Schaubild A11.4-3, die im Wesentlichen in dieselbe Richtung weisen wie die Ergebnisse bezüglich der aktuellen Erwerbstätigkeit.
Rund die Hälfte der befragten nfQ ging in ihrer ersten Erwerbstätigkeit einer einfachen Tätigkeit nach, wobei der Dienstleistungssektor mit knapp einem Viertel abermals den größten Anteil ausmacht. Im manuellen Sektor ist dahingegen der Anteil nfQ in qualifizierten Tätigkeiten höher als in den anderen Sektoren. Bezüglich der Dauer der ersten Erwerbstätigkeit unterscheiden sich die Gruppen mit durchschnittlich 2,5 bis 3 Jahren nicht, wobei diejenigen ohne Berufsabschluss mit 21,6 Jahren im Mittel ein Jahr früher ins Erwerbsleben starteten als die Vergleichsgruppe mit Berufsabschluss.
Sicherlich zum Teil auf die berufliche Situation zurückzuführen sind die beobachtbaren Gruppenunterschiede in den finanziellen Verhältnissen. Personen ohne Berufsabschluss verfügen im Mittel über ein deutlich geringeres Haushalts-Nettoeinkommen als die Vergleichsgruppe. Dementsprechend zeigen sie sich gegenüber Personen mit Berufsabschluss unzufriedener mit ihrem Lebensstandard und geben auch eher an, dass der Besuch von Kursen und Lehrgängen für sie zu teuer sei, ebenso wie Vorhaben zum Erwerb eines (zusätzlichen) Abschlusses.238
Neben den finanziellen Hindernissen in Bezug auf Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen können weitere potenzielle Hindernisse in der häuslichen Situation begründet liegen, wie etwa der Aufwand für Betreuungstätigkeiten. So lässt sich festhalten, dass Personen ohne Berufsabschluss häufiger mit Kindern zusammenleben (46 %) als in der Vergleichsgruppe (36 %). Betrachtet man nur diejenigen, die mit Kindern zusammenleben, fällt auf, dass in der Gruppe ohne Berufsabschluss 71 % der Befragten mit mehr als einem Kind und ein Viertel sogar mit mehr als 2 Kindern zusammenleben. Ferner gab in dieser Gruppe knapp ein Fünftel an, in der Zeit vor der Befragung eine Person gepflegt zu haben.
Schaubild A11.4-2: Aktuell ausgeübter Beruf (Berufsfeldklassifikation nach Blossfeld) (in %)
Schaubild A11.4-3: Erster ausgeübter Beruf (Berufsfeldklassifikation nach Blossfeld) (in %)
Fazit
Es zeigen sich auch über soziodemografische Merkmale hinaus einige Unterschiede im Vergleich von jungen Erwachsenen mit und ohne Berufsabschluss. Personen ohne Berufsabschluss scheinen in vielen Aspekten deutlich schlechtere Ausgangschancen zu haben. Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt zeigen sich in höherer Arbeitslosigkeit und einem niedrigeren beruflichen Status. Die skizzierte Situation der nfQ weist auf mögliche strukturelle Hindernisse für zukünftige Aus- oder Weiterbildungsversuche hin, die es bei der Gestaltung von Nachqualifizierungsangeboten zu berücksichtigen gilt. Darüber hinaus müssen aber auch potenziell hinderliche Faktoren in der Person und dem sozialen Umfeld der Betroffenen, wie z. B. Bildungseinstellungen und (mangelnde) soziale Ressourcen, in den Blick genommen werden, ebenso wie die Potenziale dieser Zielgruppe, an denen für die Nachqualifizierung angeknüpft werden kann.
Eine weitere Ausdifferenzierung der Gruppe junger Erwachsener ohne Berufsabschluss nach Merkmalen des Bildungs- und Arbeitsmarkterfolgs kann dabei helfen, Faktoren zu identifizieren, die zur Kompensation der schlechten Ausgangschancen beitragen und somit auch im Fokus von Interventionen für diese Zielgruppe stehen könnten. Die Daten des NEPS werden diesbezüglich mit jeder Befragungswelle um weitere relevante Merkmale ergänzt, die über die bisher bekannten Rahmenfaktoren hinausgehen.
(Annalisa Schnitzler, Julia Raecke)
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Im Rahmen des durch das BMBF geförderten Pilotprojekts „NEPS-BB“ wertet das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) kontinuierlich die Daten des NEPS in Hinblick auf berufsbildungspolitische Fragestellungen aus. Ziel des Projekts ist es unter anderem, die Situation und die Potenziale junger Erwachsener ohne Berufsabschluss zu untersuchen.
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Siehe: http://fdz.iab.de/de/FDZ_Individual_Data/ALWA.aspx#ALWA.
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Informationen zu dieser Klassifikation unter https://metadaten.bibb.de/klassifikation/8.
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Allerdings wurde diese Frage nur von knapp 40 % der Stichprobe beantwortet.