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Kenntnisse über die schulische und berufliche Vorbildung der Geflüchteten, die in den letzten Jahren Schutz in Deutschland gesucht haben, liegen nicht für alle Personengruppen vor. Jedoch existieren zu erwachsenen Geflüchteten erste Anhaltspunkte – durch die Befragung von Asylbewerbern und -bewerberinnen im Prozess der Antragstellung seitens des BAMF sowie durch Studien zu Teilgruppen.

Die BAMF-Erhebung von Asylantragstellenden weist auf die Breite der Bildungsvoraussetzungen bei erwachsenen Asylantragstellern und -antragstellerinnen hin: Rund 38% der erwachsenen Antragsteller/-innen 2016 haben im Herkunftsland als höchste Bildungseinrichtung ein Gymnasium (21,6%) oder eine Hochschule (16,6%) besucht. Rund 31% haben hingegen maximal eine Grundschule (21,2%) besucht oder keine formelle Schulbildung (10,0%) erhalten. Für knapp ein Drittel war die Mittelschule die höchste besuchte Bildungseinrichtung (Neske/Rich 2016). Bedeutende Unterschiede existieren zwischen den Herkunftsländern: Bei Asylantragstellern und -antragstellerinnen aus Syrien und insbesondere aus dem Iran deuten der häufigere Besuch von Gymnasium bzw. Hochschule als höchster Bildungseinrichtung auf günstigere Bildungsvoraussetzungen hin als bei denjenigen anderer Herkunftsgruppen, die im Vergleich dazu häufiger maximal an einer Grundschulausbildung oder an keiner formellen Schulbildung teilgenommen haben, so bei denjenigen aus Afghanistan und Irak Schaubild C2.1-1.

Schulische Vorbildung und Schulabschlüsse

Eine weitere Differenzierung der schulischen und beruflichen Vorbildung in Bildungsteilnahme und -abschluss ermöglicht die IAB- BAMF-SOEP-Flüchtlingsstudie 2016 . Demnach haben rund 37% der erwachsenen Schutzsuchenden, die von 2013 bis Anfang 2016 nach Deutschland kamen, im Herkunftsland als höchste Bildungseinrichtung eine weiterführende Schule besucht, rund 31% eine Mittelschule. Rund 20% haben hingegen maximal eine Grundschule (10%) besucht oder keine formelle Schulbildung (9%) erhalten. Der Schulbesuch dauerte im Schnitt 6 Jahre bei denjenigen mit maximal Grundschulbesuch und durchschnittlich 9 bzw. 12 Jahre beim Besuch einer Mittelschule bzw. einer weiterführenden Schule. Insgesamt haben 55% der Geflüchteten 10 und mehr Jahre im allgemeinbildenden Schulsystem verbracht (Romiti u. a. 2016).

Schaubild C2.1-1: Schulbildung der Asylantragsteller und -antragstellerinnen – Höchste besuchte Bildungseinrichtung nach Herkunftsland

Einen schulischen Abschluss haben 58% der Befragten erreicht, rund jede/-r Fünfte einen Abschluss der Mittelschule (22%) und jede/-r Dritte einen weiterführenden Abschluss (32%). 33% der erwachsenen Schutzsuchenden haben keinen Schulabschluss: Jede/-r vierte Befragte mit Schulbesuch hat die Schule ohne Schulabschluss verlassen (24%), rund jede/-r Zehnte hat keine Schule besucht (9%). Differenzierungen nach den Herkunftsstaaten zeigen sich auch bei dieser Strichprobe dergestalt, dass Geflüchtete aus Syrien vergleichsweise häufiger über (weiterführende) Schulabschüsse verfügen als Geflüchtete aus Irak und Afghanistan (Romiti u. a. 2016).

Qualifikationen und berufliche Erfahrungen von Schutzsuchenden in Studien

Im Prozess der Asylantragstellung erfragt und erfasst das BAMF auf freiwilliger Basis Herkunft, Geschlecht und Alter der Antragstellenden sowie Bildungsabschlüsse und berufliche Qualifikationen – unabhängig davon, ob Dokumente oder Nachweise vorgelegt werden. Im ersten Halbjahr 2016 wurden rund 250.000 erwachsene Asylbewerber/-innen bei ihrer Asylerstantragstellung zu ihrer Qualifikation befragt. Die Antwortquote zur Schulbildung lag bei rund 80%. Zur Reichweite und Belastbarkeit der Daten u. a. aufgrund unterschiedlicher Bildungssysteme und Möglichkeiten des Schulbesuchs in den Herkunftsländern bzw. möglicher strategischer Antworten vgl. Neske/Rich 2016.

Die IAB-BAMF-SOEP-Studie 2016 zu Geflüchteten, angelegt als repräsentative Längsschnittstudie, hat rund 4.500 Geflüchtete untersucht, die mindestens 18 Jahre alt sind und vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Januar 2016 nach Deutschland zugezogen sind. Im ersten Schritt wurden rd. 2.350 Personen, die in rd. 1.800 Haushalten leben, von Juni bis Oktober 2016 u. a. zu ihrer Flucht und dem Integrationsprozess seit ihrer Ankunft in Deutschland Face to Face befragt. In die Stichprobe einbezogen sind Asylbewerber/-innen, deren Verfahren noch anhängig sind, sowie Geflüchtete, die das Asylverfahren abgeschlossen haben und die nach Genfer Flüchtlingskonvention bzw. nach Grundgesetz anerkannt sind, subsidiären Schutz oder einen Abschiebungsschutz erhalten haben siehe Kapitel C1 (Brücker u. a. 2016; Kroh u. a. 2016).

Zur Inanspruchnahme der Integrationskurse, der Angebote (vor-)beruflicher Bildung bzw. zur Teilnahme an dualen Ausbildungen vgl. Kapitel C3. Für internationale Vergleichsstudien zu Geflüchteten vgl. Kapitel D2.2

Differenziert nach Altersgruppen liegen zur schulischen (und auch zur beruflichen) Vorbildung von Geflüchteten kaum verlässliche Angaben vor.310 Erste Hinweise geben die Angaben von Geflüchteten bei der Registrierung als Asylbewerber/-in.311 Neben der großen Breite an Bildungsvoraussetzungen weisen die Befunde darauf hin, dass bei jüngeren Altersgruppen eine günstigere Bildungsteilnahme vorliegt als bei älteren Befragten. Demnach hat knapp die Hälfte (49%) der 18- bis unter 24-jährigen registrierten Asylantragsteller/-innen ein Gymnasium oder eine (Fach-)Hochschule besucht. Rund jede/-r Fünfte hat eine Grundschule oder keine Schule (21%) und 28% eine Mittel- oder Fachschule besucht (Brücker 2016). Als fast ebenso günstig erweisen sich die Bildungsvoraussetzungen der 25- bis 34-Jährigen, deutlich ungünstiger dagegen die der älteren Befragten Tabelle C2.1-1.

Tabelle C2.1-1: Asylantragsteller/-innen 2015: Schul- und Hochschulbesuch nach Altersgruppen (in %)

Schulische Vorbildung und schulische Abschlüsse erwachsener Geflüchteter weisen somit auf eine zweigipfelige Verteilung zwischen einer Gruppe schulisch (überwiegend) gut Gebildeter und einer kleineren Gruppe kaum bzw. wenig Beschulter hin. Die IAB-BAMF-SOEP- Studie zieht hieraus folgenden Schluss: „Die Bildungsstruktur der Geflüchteten unterscheidet sich (von) der deutschen Wohnbevölkerung weniger am oberen Ende des Qualifikationsspektrums, sondern zeichnet sich durch einen sehr viel kleineren Anteil in der Mitte und sehr viel größeren Anteil am unteren Ende des Qualifikationsspektrums aus“ (Romiti u. a. 2016, S. 48).

Berufliche Erfahrungen im Herkunftsland und berufliche Vorbildung

Die beruflichen Qualifikationen und Erfahrungen, die Geflüchtete mitbringen, differieren je nach Herkunftsland, Alter und Fluchtdauer (Brücker u. a. 2016). Nach der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von erwachsenen Geflüchteten 2016 hat knapp jede/-r dritte Geflüchtete (31%) eine Hochschule besucht (19%) oder an einer (formalen) betrieblichen oder beruflichen Ausbildung teilgenommen (12%). Rund 13% haben das Studium mit einem Hochschulabschluss beendet, und rd. 6% haben einen beruflichen Abschluss erworben (Romiti u. a. 2016). 69% der erwachsenen Geflüchteten haben vor der Einreise in Deutschland an keiner formalen beruflichen Ausbildung teilgenommen, rund 80% haben keinen beruflichen Abschluss Tabelle C2.1-2.

Tabelle C2.1-2: Berufliche Bildung von Geflüchteten 18 Jahre und älter (in %) Teilnahme Abschluss

Im Vergleich zum beruflichen Bereich fallen formale Bildungsteilnahme und Bildungsabschlüsse von Geflüchteten im allgemeinbildenden Bereich deutlich günstiger aus. Allerdings verfügt die große Mehrheit der Geflüchteten über Erwerbserfahrungen aus dem Herkunftsland.

  • Rund 3 von 4 Flüchtlingen, die seit 2013 nach Deutschland zugezogen sind, waren bereits im Herkunftsland erwerbstätig (73%; Brücker u. a. 2016). Davon arbeiteten rd. 30% als Arbeiter, 38% in einem Angestelltenverhältnis, 6% im Staatsdienst und rund 30% als Selbstständige (Vallizadeh u. a. 2016). Im Schnitt waren sie 6,4 Jahre im Herkunftsland erwerbstätig (Brücker/Rother/Schupp 2016).
  • Von den erwachsenen Asylerstantragstellern und -antragstellerinnen 2016 waren rd. 70% im Herkunftsland erwerbstätig, 64,1% gingen einer bezahlten Erwerbsarbeit nach, und 5,6% waren arbeitslos (Neske/Rich 2016). Bei ihrer letzten bezahlten Tätigkeit im Herkunftsland haben sie u. a. im Handwerk (14,9%), im Dienstleistungsbereich (9,4%) bzw. im Baugewerbe (7,7%) gearbeitet, aber auch Hilfstätigkeiten (7,9%) ausgeführt, oder sie waren im Handel (6,3%), in der Landwirtschaft (5,8%) bzw. im Kfz-Bereich (5,2%) beschäftigt (Neske/Rich 2016).

Auch Geflüchtete ohne formalen Ausbildungsabschluss verfügen daher oftmals über berufliche Erfahrungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die vor der Einreise in Deutschland „on the Job“, d. h. am Arbeitsplatz, erworben wurden. Ein institutionalisiertes Ausbildungssystem wie z. B. in Deutschland existiert in den Herkunftsländern der Geflüchteten oftmals nicht (mehr). Dies deutet darauf hin, dass ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht entsprechend zertifiziert sind (Brücker u. a. 2016) und dass sie nur zum Teil den Erwartungen am deutschen Arbeitsmarkt entsprechen dürften. Das Anerkennungsgesetz ermöglicht bei Vorlage einer formalen Qualifikation eine Prüfung der Gleichwertigkeit mit einem deutschen Abschluss (vgl. Kapitel D4). Im Rahmen des Projekts „Valikom“ werden Verfahren zur Bewertung und Validierung berufsrelevanter Kompetenzen erarbeitet, die außerhalb eines formalen Bildungssystems erworben wurden.312

  • 310

    Zur Vorbildung der Bewerber/-innen mit Fluchtmigrationshintergrund um Berufsausbildungsstellen vgl. Kapitel C3.1.

  • 311

    Freiwillige Selbstangaben der Asylantragsteller/-innen 2015 bei Registrierung, Beteiligungsquote 53%, gewichtet mit Bleibewahrscheinlichkeit (Brücker 2016).

  • 312

    Zum Projekt „Valikom“ vgl. https://www.validierungsverfahren.de/startseite/.