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Über die Entwicklung der Bildungssysteme in Europa wird seitens der Europäischen Kommission in jährlichem Turnus berichtet. Kern dieser Berichte sind die gemeinsam vereinbarten europäischen Indikatoren. 5 der Indikatoren, die auch mit Benchmarks versehen sind, spielen für die berufliche Bildung eine Rolle.

Im Folgenden wird zunächst die aktuelle Entwicklung der Indikatoren dargestellt, um anschließend am Beispiel des Indikators zu den tertiären Bildungsabschlüssen deutlich zu machen, dass die quantitative Erfassung internationaler Bildungsdaten einer qualitativen Unterfütterung bedarf, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.

Zum Stand der europäischen Benchmarks

Die Entwicklung der Daten für die europäischen Benchmarks von 2014 bis 2015 ist weitgehend unauffällig (European Commission 2016 und European Commission 2015). Ausführliche Informationen zu den Benchmarks finden sich im BIBB-Datenreport 2015, Kapitel E1).

  • Der europäische Benchmark zum Erwerb von tertiären Bildungsabschlüssen in der Gruppe der 30- bis 34-Jährigen liegt bei 40 %. Er veränderte sich von 37,9 % im Jahr 2014 auf 38,7 % im Jahr 2015. Belgien, Estland, Spanien, Kroatien, Luxemburg und Österreich weisen leicht niedrigere Werte aus als im Vorjahr. Bemerkenswert ist der Zuwachs in Dänemark um 3,5 % von 2014 auf 2015 (47,6 %). Nach der kleinen Delle 2014 stieg der Wert für Deutschland wieder leicht um 0,7 % auf 32,3 % und bleibt auf dem vergleichsweise niedrigen Niveau.

Das Verständnis von tertiärer Bildung in der ISCED-Klassifikation 2011 – Beispiele für Programme

Mit der ISCED-Klassifikation werden die institutionellen Bildungsprogramme und Bildungswege systematisiert und dadurch die Bildungssysteme vergleichbar gemacht. Gemäß der ISCED-2011-Klassifikation schließt tertiäre Bildung sowohl akademische als auch höhere berufliche Bildung mit ein.353 Im Gegensatz zur Vorgängerversion (ISCED 97) umfasst der „klassische“ Tertiärbereich nunmehr 3 anstelle von vormals 2 Stufen und spiegelt damit die Bologna-Struktur der Hochschulbildung wider. Auf Niveau 6 ist das Bachelorstudium (sowie diverse Kurzstudien), auf Niveau  7 das Masterstudium (sowie Diplomstudium und postgraduale universitäre Lehrgänge) und schließlich auf Niveau 8 das Doktoratsstudium angesiedelt. Darüber hinaus ist mit dem neuen Niveau 5 eine Stufe für Kurzprogramme, die sog. Short-Cycle-Programme, eingeführt worden, die eine typische Dauer von 2 Jahren haben.

Die Daten über den Bereich der tertiären Bildung sind insbesondere relevant für die Frage nach einer zunehmenden Akademisierung vs. einer „Tendenz zur „Verberuflichung“ (vocational drift) und sollen dafür ein Hinweis sein, ob die Bildungssysteme der Staaten für die steigenden Anforderungen der Arbeitsmärkte ausreichend gerüstet sind.

Insbesondere in Irland und Frankreich sind die Anteile auf Level 5 vergleichsweise hoch. In Irland gibt es eine insgesamt andere Verteilung im tertiären Bildungsbereich. Während für den Studierendenanteil im Bereich der Short-Cycle-Programme (Level 5) in Deutschland keine statistisch relevanten Zahlen vorliegen, liegt er in Irland bei knapp 21 %. Der Anteil der Studierenden auf Niveau 7 (Master-Level) liegt dagegen deutlich unter dem in Deutschland, der Anteil auf Niveau 6 dagegen leicht darüber Tabelle D1.1-1.

Neben den akademischen Kurzstudiengängen, den Higher Certificates, werden dem Level 5 die Programme zugerechnet, die zu einem sogenannten Post-Leaving Certificate (PLC) führen, als berufsqualifizierend definiert sind und zu dem Bereich der sogenannten Further Education gehören. Die Programme kombinieren allgemein- und berufsbildende Inhalte mit Betriebspraktika. Dieser Bereich ist im Grunde der Berufsbildungsbereich in Irland. Das Angebot der PLCs richtet sich sowohl an die Absolventen/Absolventinnen des Sekundarbereichs als auch an Erwachsene. Wichtigste Anbieter sind die Further Education Colleges (FEC), sie werden nicht zu den Hochschuleinrichtungen gezählt. Die Programme decken eine breite Palette von Fachrichtungen ab, beispielsweise Buchhaltung, IT, Gesundheit, Erziehung etc. Die PLCs fungieren auch als Durchlässigkeitsinstrument. Bei einer Kooperation zwischen einem FEC und einem Institute of Technology (IoT; hochschulische Einrichtung) ist es einem Absolventen/einer Absolventin möglich, mit einem PLC in das zweite Jahr eines Hochschulprogramms, d. h. eines Bachelorstudiengangs, einzusteigen. Es stellt damit eine Höherqualifizierungsoption dar mit gleichzeitiger Anrechnung von Lernleistungen bzw. Lernergebnissen. Im Jahr 2013 verfügten 7 % der Neuzugänge in hochschulische Einrichtungen über eine solche Qualifikation. Politisches Ziel ist, diesen Anteil zu erhöhen (McMahon 2016).

In Frankreich liegt der Anteil der zweijährigen Kurzstudiengänge auf Level 5 zwar vergleichsweise hoch, jedoch die Quote der auf Bachelorniveau Studierenden deutlich unter der Deutschlands (39,9 % versus 58,8 %). Dabei handelt es sich insbesondere um die beiden zweijährigen Programme BTS (Brevet de Techniciens Supérieurs) und DUT (Diplôme Universitaires de Technologie). Die Zielrichtung der beiden Programme ist unterschiedlich: Die BTS bereiten in erster Linie auf den Übergang in den Arbeitsmarkt vor, die Programme werden als hochschulisch deklariert, werden jedoch außerhalb von Hochschuleinrichtungen angeboten. Die DUT sind in der Praxis häufig vergleichbar mit den ersten 2 Jahren eines nicht universitären Bachelorstudiums, denn üblicherweise fügen die Absolventen/Absolventinnen das einjährige Programm zum beruflichen Bachelor (Licence professionnelle, LP) an. 66,2 % der Studierenden an einem Institut Universitaire de Technologie verfügen über eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung (baccalauréat général). Für die BTS sieht dies anders aus. In der Section de technicien supérieurs verfügen 36,0 % der Studierenden über ein berufliches Bac, lediglich 21,8 % über ein Bac général (Ministère de l’Éducation nationale de l’Enseignement supérieur et de la Recherche 2016354, Zugriff: 12.09.2016).

Insgesamt haben die Programme die Funktion, eine berufliche Qualifizierung oder eine Höherqualifizierung auf Bachelorniveau zu ermöglichen. Teilweise eröffnen sie die Durchlässigkeit von einer beruflichen Sekundarbildung in den Hochschulbereich.

Die Programme auf Level 5 in Irland und Frankreich sind mit einem Teil ihrer Funktionen insofern attraktiv, als sie die Möglichkeit eröffnen, in ein Hochschulprogramm weiterzugehen und dabei Lernleistungen angerechnet zu bekommen. Diese Durchlässigkeitsfunktionen sind im Hinblick auf individuelle Bildungschancen außerhalb der klassischen Bildungsverläufe sicher sinnvoll. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit eine Einordnung als „tertiäre Bildung“ in jedem Fall gerechtfertigt erscheint. Das Level 5 ist ein Sammelbecken für höchst unterschiedliche Bildungsprogramme. Eine missverständliche Gleichsetzung von Hochschulbildung oder gar universitärer Bildung mit tertiärer Bildung kann zu Fehlinterpretationen der internationalen Bildungsstatistik führen. Zu den Auswirkungen der ISCED-Umstellung auf die Daten Österreichs siehe BIBB-Datenreport 2016, Kapitel E1.2

  • Der Benchmark für die Beteiligung Erwachsener am lebenslangen Lernen liegt bei 15 %. Der europäische Durchschnitt bleibt 2015 wie im Vorjahr unverändert bei 10,7 %. Insgesamt ist die Entwicklung seit 2012 über alle Länder recht stabil, mit Ausnahme Frankreichs, Luxemburgs und Ungarns, bei denen es eine Veränderung in der nationalen Statistik gab. Sieht man sich allerdings die Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen an, fallen die hohen Werte der 3 nordischen Länder Dänemark, Schweden und Finnland auf. Dieser liegt 2015 für Dänemark bei 23,6 %, dem mit großem Abstand höchsten Wert in der EU in dieser Altersgruppe. In Schweden liegt er bei 20,8 %, in Finnland bei 15,6 %. In allen Altersgruppen zusammen liegt in Dänemark die Beteiligung bei 31,3 %, in Schweden bei 29,4 %, in Finnland bei 25,4 %. Der Wert für Deutschland liegt im Jahr 2015 bei 8,1 % (2014: 7,9 %), in der speziellen Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen bei lediglich 3,1 %.
  • Die Verringerung des Anteils eines frühzeitigen Schul- und Ausbildungsabgangs ist ein besonders zentrales Ziel. Mit ihm werden gesellschaftliche Werte wie soziale Inklusion und die Möglichkeit zur aktiven Bürgerschaft verbunden, aber auch im Hinblick auf die Integration in den Arbeitsmarkt kommt diesem bildungspolitischen Aspekt eine besondere Bedeutung zu. Der Benchmark wurde auf 10 % festgelegt. Tatsächlich sinkt der europäische Durchschnittswert kontinuierlich von 13,9 % (2010) auf 12 % (2013), 11,1 % (2014) und 11 % (2015). Hervorzuheben ist der Wert für Portugal, der sich von 20,5 % im Jahr 2012 über 17,4 % (2014) auf 13,7 % im Jahr 2015 kontinuierlich verringert hat. In vielen Ländern dagegen hat sich der Wert leicht verschlechtert. Deutschland liegt 2015 leicht über dem Benchmark mit 10,1 % (9,5 %; 2014).

Tabelle D1.1-1: Teilnehmende an tertiären Bildungsprogrammen nach ISCED-Level, 2013

  •  Die Beschäftigungsquote der 20- bis 34-Jährigen, die die Schule oder Universität in den letzten 3 Jahren verlassen haben, soll in Europa bei 82 % liegen. Nachdem dieser Wert im Jahr 2008 erreicht war, sank er nach der Wirtschafts- und Finanzkrise bis auf 74,6 % im Jahr 2012. Für 2015 hat sich dieser Wert wieder leicht erholt und liegt bei 75,8 % und damit geringfügig unter dem des Vorjahres (2014: 76,1 %). 7 Länder überschreiten den Benchmark im Jahr 2015: Malta: 94,8 % (+2,5 % gegenüber 2012), Deutschland: 88,9 % (+1,8 %), Österreich: 86,7 % (-3,5 %), Niederlande: 86,6 % (+1,0 %), Schweden: 85,5 % (+2,8 %), Vereinigtes Königreich: 85,1 % (+4,7 %), Luxemburg: 83,5 % (+0,7 %).
  • Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit schlechten Leistungen bei den sogenannten Grundkompetenzen (Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften) soll die Marke von 15 % nicht überschreiten. Hierzu liegen für 2015 keine neuen Daten vor (vgl. BIBB-Datenreport 2015, Kapitel E1).

(Ute Hippach-Schneider)