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Unbesetzte Ausbildungsstellen

Wie bereits in den Vorjahren erhöhte sich 2017 erneut die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplatzangebote, die bis zum Bilanzierungsstichtag 30. September nicht besetzt werden konnten. Insgesamt blieben bundesweit 48.900 Ausbildungsstellen offen, so viele wie seit 1994 nicht mehr. Im Vergleich zum Vorjahr stieg ihre Zahl um 5.500 bzw. 12,6%. Bundesweit blieb damit zum Stichtag 30. September 8,8% des offiziell5 errechneten betrieblichen Ausbildungsangebots vakant. In Ostdeutschland lag der Anteil sogar bei 10,5%  Tabelle A1.1-1.

Besonders starke Besetzungsprobleme waren erneut im Handwerk zu verzeichnen. Bereits von 2009 bis 2015 hatte sich die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplatzangebote in diesem Bereich verdreifacht, wobei der Trend 2016 gestoppt werden konnte (vgl. Matthes u. a. 2017a). 2017 setzte sich der Negativtrend früherer Jahre jedoch erneut fort: Im Vergleich zu 2016 stieg die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze im Handwerk zum Stichtag 30. September bundesweit um 1.300 auf 15.300, ungeachtet der Tatsache, dass es zugleich gelang, mehr Ausbildungsverträge abzuschließen. Bundesweit blieb damit jedes zehnte betriebliche Ausbildungsplatzangebot im Handwerk unbesetzt Tabelle A1.1.2-1.

Auch im Bereich Industrie und Handel stieg 2017 die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze um 3.200 im Vergleich zum Vorjahr auf nunmehr 27.800. Damit blieben in diesem Bereich 8,6% des betrieblichen Ausbildungsplatzangebots vakant. In den freien Berufen nahm die Zahl der unbesetzten Plätze um 400 auf 2.600 zu. Im Vergleich zu allen anderen Zuständigkeitsbereichen ist der öffentliche Dienst nur in sehr geringem Ausmaß von Besetzungsproblemen betroffen. In diesem Sektor wurden 2017 nur 200 unbesetzte betriebliche Ausbildungsstellen gemeldet; das entspricht 1,4% des offiziell erfassten betrieblichen Angebots Tabelle A1.1.2-1.

Tabelle A1.1.2-1: Anteil unbesetzter Ausbildungsplatzangebote am betrieblichen Ausbildungsangebot nach Zuständigkeitsbereichen im Jahr 2017

Wie bereits in den Vorjahren weisen die Anteile unbesetzter betrieblicher Ausbildungsplatzangebote eine beträchtliche regionale Varianz auf. Dabei konzentrieren sich die regionalen Extreme verstärkt auf bestimmte Bundesländer. Während in den Arbeitsagenturbezirken Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern), Fürth (Bayern), Bernburg (Sachsen-Anhalt), Balingen (Baden-Württemberg) und Regensburg (Bayern) mehr als 20% aller betrieblichen Ausbildungsplatzangebote unbesetzt blieben, waren es in den Bezirken Hannover (Niedersachsen), Bremen-Bremerhaven, Herford (Nordrhein-Westfalen), Dortmund (Nordrhein-Westfalen) und Kassel (Hessen) noch nicht einmal 3% Tabelle A1.1.1-2 InternetTabelle A1.1.1-3 Internet.

Die Ausbildungsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) weist im Jahr 2017 erstmals auch den Schulabschluss aus, den registrierte Ausbildungsplatzanbieter (mindestens) von Bewerbern und Bewerberinnen erwarten (Bundesagentur für Arbeit 2017c). Betrachtet man die Zahl bzw. die Anteile der unbesetzten Ausbildungsstellen differenziert nach dem erwarteten (Mindest-)Schulabschluss der Bewerber/-innen, so zeigt sich, dass bei deutlich mehr als der Hälfte (30.000 bzw. 61%) der unbesetzten Ausbildungsstellen lediglich ein Hauptschulabschluss als Mindest-Zugangsvoraussetzung definiert wurde. Nur rund 4.000 bzw. 8,3% aller unbesetzten Ausbildungsstellen betrafen Plätze, bei denen eine Fachhochschulreife oder ein Abitur verlangt wurde.

Erfolglose Ausbildungsplatznachfrager/-innen

In Hinblick auf die erfolglose Ausbildungsplatznachfrage gab es 2017 im Vergleich zum Vorjahr kaum Veränderungen. Bis zum Stichtag 30. September waren bundesweit 80.200 Bewerber/-innen bei der BA als „noch suchend“ gemeldet, -400 bzw. -0,5% im Vergleich zu 2016. Der Anteil der erfolglosen Bewerber/-innen an der offiziell ermittelten Nachfrage lag 2017 mit 13,3% weiterhin auf einem vergleichsweise hohen Niveau.

Dabei gab es zwischen den Regionen eine große Spannweite bei der Quote der erfolglosen Ausbildungsplatznachfrage. Sie reichte von über 16% in den Ländern Schleswig-Holstein, Berlin, Brandenburg, Hamburg und Nordrhein-Westfalen bis unter 8% in den Ländern Bayern und Thüringen Tabelle A1.1.1-2 Internet. In den nordrhein-westfälischen Arbeitsagenturbezirken Oberhausen, Hagen, Bochum, Gelsenkirchen und Recklinghausen sowie im niedersächsischen Hameln lag die Quote über der 20-Prozentmarke; in den bayerischen Arbeitsagenturbezirken Deggendorf, Traunstein, Passau, Landshut-Pfarrkirchen und Schwandorf lag sie unter 5% Tabelle A1.1.1-3 Internet.

Erfolglose Ausbildungsplatznachfrager/-innen sind keineswegs nur junge Menschen mit niedrigen Schulabschlüssen. Betrachtet man die Aufteilung der noch suchenden Ausbildungsplatznachfrager/-innen differenziert nach ihren Schulabschlüssen, so wird deutlich, dass die meisten (30.700 bzw. 38,2%) der erfolglosen Ausbildungsplatznachfrager/-innen im Jahr 2017 über einen mittleren Schulabschluss verfügten. Weitere 22.800 bzw. 28,4% hatten eine Studienberechtigung (12.400 bzw. 15,4% Fachhochschulreife und 10.400 bzw. 13% Abitur). Lediglich 22.200 bzw. 27,6% der erfolglosen Nachfrager/-innen besaßen einen Hauptschulabschluss.

Passungsprobleme

Die erneute Zunahme der Besetzungsprobleme von Ausbildungsplätzen und das nahezu unveränderte Ausmaß der Versorgungsprobleme von Ausbildungsstellenbewerbern und -bewerberinnen führten dazu, dass sich die Passungsprobleme  auf dem Ausbildungsmarkt in Ost- und Westdeutschland weiter verschärften. Der „Index Passungsprobleme“ (IP) erreichte bundesweit den Wert IP = 116,9 (Ostdeutschland: IP = 135,6; Westdeutschland: IP = 113,6).

Passungsprobleme

Passungsprobleme liegen vor, wenn es sowohl relativ viele unbesetzte Lehrstellen als auch relativ viele zum Bilanzierungsstichtag noch suchende Bewerber/-innen gibt, d. h. wenn Besetzungs- und Versorgungsprobleme gleichzeitig auftreten (Matthes/Ulrich 2014).

Quantitativ lässt sich das Ausmaß der Passungsprobleme durch Multiplikation der Erfolglosenanteile auf den beiden Seiten des Ausbildungsmarktes abbilden. Der „Index Passungsprobleme“ (IP) berechnet sich als Produkt aus dem Prozentanteil der unbesetzten Stellen am betrieblichen Ausbildungsplatzangebot und dem Prozentanteil der noch suchenden Bewerber/-innen an der Ausbildungsplatznachfrage. Der Wertebereich variiert von 0% * 0% = 0 (keinerlei Passungsprobleme, da keine gemeldete Stelle unbesetzt bleibt und kein/-e Nachfrager/-in am Ende des Berichtsjahres noch sucht) bis hin zum rechnerischen (praktisch jedoch kaum möglichen) Maximalwert von 100% * 100% = 10.000 (alle gemeldeten Stellen bleiben unbesetzt und alle Nachfrager/-innen suchen am Ende des Berichtsjahres noch weiter). Durch die multiplikative Verknüpfung wird sichergestellt, dass der Indikator auch dann keine Passungsprobleme anzeigt, wenn zwar massive Besetzungsprobleme vorliegen, aber keine Versorgungsprobleme (im Extremfall 100% * 0% = 0), oder umgekehrt, wenn keine Besetzungsprobleme existieren, aber die Versorgungsprobleme groß sind (im Extremfall 0% * 100% = 0).

Regionale Ungleichgewichte sind ein zentraler Grund für die zunehmenden Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt. So verdeutlicht eine Gegenüberstellung der regionalen Anteile unbesetzter Ausbildungsplatzangebote und erfolgloser Ausbildungsplatznachfrager/-innen, dass es oftmals in Regionen mit besonders starken Besetzungsproblemen eher wenige Nachfrager/-innen gibt, die zum Abschluss des Ausbildungsjahres noch auf Ausbildungsplatzsuche sind Schaubild A1.1.2-1. In Regionen mit besonders starken Versorgungsproblemen stehen hingegen am Ende des Jahres nur noch wenige offene Ausbildungsstellen zur Verfügung. Bundesweit summieren sich beide Phänomene (hier Regionen mit noch vielen offenen Ausbildungsstellen, aber nur relativ wenigen noch suchenden Bewerbern/Bewerberinnen, dort Regionen mit einer hohen Zahl erfolglos suchender Bewerber/-innen, aber mit nur noch wenigen offenen Stellen) zu relativ hohen Zahlen von unbesetzten Plätzen und noch suchenden Ausbildungsplatznachfragern/-nachfragerinnen. 

Während in vielen Regionen entweder Besetzungsprobleme dominieren (wohingegen die Versorgungsprobleme eher gering sind) oder Versorgungsprobleme vorherrschen (wohingegen die Besetzungsprobleme eher gering ausfallen), gibt es auch Regionen, die bereits selbst in überdurchschnittlichem Maße von Besetzungs- und Versorgungsproblemen zugleich betroffen sind. Hierzu zählen vor allem ostdeutsche Arbeitsagenturbezirke, insbesondere die vorpommersche Region Greifswald, das mecklenburgische Schwerin und die brandenburgischen Bezirke Neuruppin und Potsdam Schaubild A1.1.2-1 und Tabelle A1.1.1-3 Internet.

Schaubild A1.1.2-1: Regionale Unterschiede in den Versorgungs-, Besetzungs- und Passungsproblemen 2017

Regionale Mobilität gilt als einer der Schlüsselfaktoren, um Passungsprobleme zu reduzieren. Neuere Untersuchungen zeigen, dass bereits das heute zu beobachtende Mobilitätsverhalten der ausbildungsinteressierten Jugendlichen beträchtlich zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage beiträgt (vgl. Matthes/Ulrich 2017). Einem nahezu vollständigen Ausgleich von regionalen Marktungleichgewichten durch regionale Mobilität sind jedoch Grenzen gesetzt. Zum einen sind viele Jugendliche ohne Ausbildungsstelle nur begrenzt zur Mobilität fähig (u. a. auch als Folge schlechter Verkehrsanbindungen) und gelangen somit nicht in die Regionen, in denen es mehr unbesetzte Ausbildungsplätze gibt. Zum anderen fördern Jugendliche mit hoher Mobilitätsbereitschaft nicht zwangsläufig den Marktausgleich, weil diese Jugendlichen ihre Ausbildungswünsche oft auch auf Berufe konzentrieren, in denen es ohnehin keinen Mangel an Bewerbern/Bewerberinnen gibt (vgl. Kapitel A8.2; Matthes/Ulrich 2017; Matthes u. a. 2017a und 2017b). 

Um Passungsprobleme wieder auf ein niedriges Niveau zu reduzieren, müssten auch berufliche Marktungleichgewichte verringert werden, denn ein weiterer zentraler Grund für die zunehmenden Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt liegt darin, dass Angebot und Nachfrage auf beruflicher Ebene nicht ausreichend zueinander finden. So gibt es Ausbildungsberufe, die unter starken Besetzungsproblemen leiden, und Ausbildungsberufe, in denen viele Ausbildungsplatznachfrager/-innen keinen Ausbildungsplatz finden Tabelle A1.1.2-2. Wie bereits in den Vorjahren waren von Besetzungsproblemen vor allem Berufe in der Gastronomie, dem Lebensmittelhandwerk und im Reinigungsgewerbe betroffen, während Versorgungsprobleme oftmals in Berufen im Mediensektor und im kaufmännischen Bereich auftraten (vgl. Matthes u. a. 2017a).

Tabelle A1.1.2-2: Berufe mit Besetzungs- und Versorgungsproblemen 2017

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    Mit dem Attribut „offiziell“ wird hier und im Folgenden darauf verwiesen, dass es sich um jenes Angebot und um jene Nachfrage handelt, die institutionell erfasst werden. Erfolglose Marktteilnehmer/-innen, die ihren Ausbildungswunsch nicht der Arbeitsverwaltung mitgeteilt hatten, sind in den offiziellen Größen nicht enthalten.