Wie die Ergebnisse der BA/BIBB-Bewerberbefragungen zeigen, mündeten Altbewerber/-innen in den vergangenen Jahren jeweils deutlich seltener in betriebliche bzw. duale Berufsausbildung insgesamt ein als Erstbewerber/-innen (vgl. Kapitel A8.1.1). Zudem ergaben die Erhebungen, dass Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund immer erheblich größere Schwierigkeiten hatten, einen Ausbildungsplatz zu finden, als diejenigen ohne Migrationshintergrund (vgl. Kapitel A8.1.2). Aus der Übergangsforschung ist bekannt, dass es von vielen verschiedenen Faktoren abhängt, ob Bewerbern und Bewerberinnen der Übergang in eine betriebliche bzw. duale Ausbildung gelingt oder nicht. Neben persönlichen Merkmalen und den schulischen Voraussetzungen der Bewerber/-innen spielt auch die Lage auf dem regionalen Ausbildungsmarkt eine entscheidende Rolle (vgl. Eberhard 2012). Von großer Bedeutung sind darüber hinaus aber insbesondere auch die Berufsinteressen der Bewerber/-innen: Je nachdem, welche Berufe in die Such- und Bewerbungsprozesse einbezogen werden, können sich die Aussichten auf eine betriebliche Ausbildungsstelle erheblich verbessern oder verschlechtern (vgl. Beicht/Walden 2012b, 2015). So ist in Dienstleistungsberufen die Wettbewerbssituation auf dem Ausbildungsmarkt insgesamt gesehen deutlich schwieriger als in Produktionsberufen. Zudem haben Bewerber/-innen erheblich schlechtere Chancen auf eine Ausbildungsstelle, wenn ihr Schulabschluss unterhalb der schulischen Qualifikation liegt, die üblicherweise in den von ihnen angestrebten Berufen erwartet wird.
Im Rahmen einer Sonderauswertung der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2016 wurde der Frage nachgegangen, ob sich die geringeren Chancen der Altbewerber/-innen und der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund bei der Ausbildungssuche durch ihre Berufsinteressen sowie die anderen bekannten Einflussfaktoren vollständig erklären lassen oder ob es darüber hinaus Nachteile gibt, die allein mit dem Status „Altbewerber/-in“ bzw. „Bewerber/-in mit Migrationshintergrund“ zusammenhängen. In die durchgeführten Analysen konnten ausschließlich Ausbildungsstellenbewerber/-innen einbezogen werden, für die genaue Angaben zu den im Such- und Bewerbungsprozess berücksichtigten BBiG/HwO-Berufen (im Folgenden als „Bewerbungsberufe“ bezeichnet) vorlagen.182
Berufsinteressen der Altbewerber/-innen
Zunächst soll betrachtet werden, ob und inwieweit sich die beruflichen Interessen der Alt- und Erstbewerber/-innen 2016 unterschieden haben.183 Ihre Bewerbungsberufe wurden hierzu unterteilt in Dienstleistungs- und Produktionsberufe.184 Die Auswertung ergab, dass Altbewerber/-innen bei der Suche nach dualer Ausbildung eine noch stärkere Präferenz für Dienstleistungsberufe hatten als Erstbewerber/-innen Tabelle A8.1.3-1. Während 61% der Altbewerber/-innen Ausbildungsstellen überwiegend in Dienstleistungsberufen suchten, waren es in der Gruppe der Erstbewerber/-innen nur 56%. Bei den übrigen 39% der Altbewerber/-innen und 44% der Erstbewerber/-innen handelte es sich bei den Bewerbungsberufen mindestens zur Hälfte um Produktionsberufe.
Mit einem Anteil von 67% wiesen Altbewerber/-innen, deren erstmalige Bewerbung bereits 3 Jahre oder länger zurücklag, eine besonders starke Präferenz für Dienstleistungsberufe auf. Altbewerber/-innen aus dem Vorjahr oder dem Vorvorjahr favorisierten dagegen Dienstleistungsberufe deutlich seltener (59%).
Tabelle A8.1.3-1: Anteil der Altbewerber/-innen und Erstbewerber/-innen mit Präferenz für Dienstleistungsberufe nach Geschlecht und Schulabschlüssen (Anteile in % bezogen auf die jeweilige Personengruppe)
Es ist bekannt, dass sich die Neigung zu Dienstleistungs- bzw. Produktionsberufen generell beträchtlich nach Schulabschluss und Geschlecht unterscheidet. Mit steigendem Schulabschluss werden immer häufiger Dienstleistungsberufe angestrebt, und Frauen favorisieren Dienstleistungsberufe generell wesentlich stärker als Männer. Dies spiegelte sich auch in den Berufsinteressen der Alt- und Erstbewerber/-innen 2016 wider. Allerdings gab es auch hier wiederum Unterschiede zwischen beiden Gruppen: So strebten Altbewerber/-innen insbesondere bei einem mittleren Schulabschluss häufiger Dienstleistungsberufe an als Erstbewerber/-innen und männliche Altbewerber neigten öfter zu Dienstleistungsberufen als männliche Erstbewerber.
Wie die Schulabschlüsse, über die Alt- und Erstbewerber/-innen 2016 verfügten, zum Anforderungsniveau in ihren Bewerbungsberufen passten,185 verdeutlicht Tabelle A8.1.3-2. Demnach hatten nur 25% der Altbewerber/-innen einen Schulabschluss, der für die von ihnen angestrebten Berufe eher zu niedrig war, und damit erheblich weniger als Erstbewerber/-innen mit 35%. Umgekehrt kam ein Schulabschluss, der für die Bewerbungsberufe eher zu hoch war, in der Gruppe der Altbewerber/-innen deutlich häufiger vor als in der Gruppe der Erstbewerber/-innen (19% vs. 12%). Auch hatten Altbewerber/-innen etwas öfter als Erstbewerber/-innen einen zu ihren Berufsinteressen passenden Schulabschluss (57% vs. 54%). Je länger der Zeitpunkt der erstmaligen Bewerbung zurücklag, umso seltener verfügten Altbewerber/-innen über einen eher zu niedrigen Schulabschluss. Ein eher zu hoher Schulabschluss war dagegen besonders oft zu verzeichnen, wenn die Erstbewerbung schon vor mindestens 3 Jahren erfolgte.
Tabelle A8.1.3-2: Schulabschlüsse der Altbewerber/-innen und Erstbewerber/-innen in Relation zum Anforderungsniveau in ihren Bewerbungsberufen (in %)
Berufsinteressen der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund
Wie aus früheren Analysen bereits bekannt ist, haben Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund eine stärkere Neigung zur Dienstleistungsberufen als diejenigen ohne Migrationshintergrund (vgl. Beicht/Walden 2015). Dies zeigte sich auch in der Sonderauswertung der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2016 Tabelle A8.1.3-3. Demnach favorisierten 61% der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund bei ihrer Ausbildungssuche Dienstleistungsberufe, während es in der Vergleichsgruppe 56% waren. Die übrigen 39% der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund und 44% derjenigen ohne Migrationshintergrund hatten dagegen ein überwiegendes oder mindestens gleich großes Interesse an Produktionsberufen.
Tabelle A8.1.3-3: Anteil der Bewerber/-innen mit und ohne Migrationshintergrund mit Präferenz für Dienstleistungsberufe nach Geschlecht und Schulabschlüssen (Anteile in % bezogen auf die jeweilige Personengruppe)
Eine besonders starke Präferenz für Dienstleistungsberufe hatten in der Gruppe der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund diejenigen mit einer türkisch-arabischen Herkunft mit einem Anteil von 66%. Eher selten strebten dagegen Bewerber/-innen mit einer Herkunft aus sonstigen Staaten hauptsächlich Dienstleistungsberufe an (51%).
Die bekannten Unterschiede, die es nach Schulabschluss und Geschlecht in der Neigung zu Dienstleistungs- bzw. Produktionsberufen gibt, waren auch in den Berufsinteressen der Bewerber/-innen mit und ohne Migrationshintergrund 2016 deutlich erkennbar. Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund favorisierten allerdings Dienstleistungsberufe bei einem mittleren und höheren Schulabschluss noch deutlich stärker als diejenigen ohne Migrationshintergrund. Besonders auffällig war dies in der Gruppe mit türkisch-arabischer Herkunft. Auch Bewerberinnen mit Migrationshintergrund hatten eine noch größere Präferenz für Dienstleistungsberufe als junge Frauen ohne Migrationshintergrund, und zwar wiederum am stärksten ausgeprägt bei einer türkisch-arabischen Herkunft.
Inwieweit die Schulabschlüsse der Bewerber/-innen mit und ohne Migrationshintergrund dem Anforderungsniveau in den von ihnen angestrebten Berufen entsprachen, geht aus Tabelle A8.1.3-4 hervor. 38% der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund hatten demnach einen Schulabschluss, der für ihre Bewerbungsberufe eher zu niedrig war, und damit deutlich mehr als diejenigen ohne Migrationshintergrund mit 30%. Besonders häufig hatten Bewerber/-innen südeuropäischer Herkunft einen für ihre Berufswünsche eher unzureichenden Schulabschluss (42%). Über einen zu den Berufsinteressen passenden Schulabschluss verfügten Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund dagegen erheblich seltener als die Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund (48% vs. 57%). Fast gleich oft kam in den beiden Bewerbergruppen ein für die angestrebten Berufe eher zu hoher Schulabschluss vor (14% vs. 13%).
Tabelle A8.1.3-4: Schulabschlüsse der Bewerber/-innen mit und ohne Migrationshintergrund in Relation zum Anforderungsniveau in ihren Bewerbungsberufen (in %)
Einmündungschancen unter Berücksichtigung der Berufsinteressen
In Tabelle A8.1.3-5 sind die Anteile der Altbewerber/-innen und Erstbewerber/-innen 2016, die bei ihrer Ausbildungssuche erfolgreich waren, differenziert nach beruflicher Präferenz für Dienstleistungs- bzw. Produktionsberufe ausgewiesen. Demnach mündeten bei einer Favorisierung von Dienstleistungsberufen Altbewerber/-innen etwas seltener als Erstbewerber/-innen in eine betriebliche Berufsausbildung (34% vs. 37%) bzw. duale (betriebliche und außerbetriebliche) Ausbildung insgesamt ein (38% vs. 40%). Eine starke Neigung zu Produktionsberufen führte für Altbewerber/-innen zwar zu einem etwas höheren Sucherfolg als ein überwiegendes Interesse an Dienstleistungsberufen. Jedoch erreichten sie bei Weitem nicht die hohen Einmündungsquoten der Erstbewerber/-innen, die hauptsächlich Produktionsberufe anstrebten (betriebliche Ausbildung: 37% vs. 50%, duale Ausbildung insgesamt: 44% vs. 54%). Der Erfolg bei der Suche nach betrieblicher bzw. dualer Ausbildung insgesamt wurde für Altbewerber/-innen generell immer geringer, je länger ihre erstmalige Bewerbung bereits zurücklag. Der Rückgang der Einmündungsquote fiel aber bei einer Favorisierung von Produktionsberufen noch deutlich stärker aus als bei einer Bevorzugung von Dienstleistungsberufen.
Die nach den beruflichen Präferenzen differenzierten Einmündungsquoten der Bewerber/-innen mit und ohne Migrationshintergrund können Tabelle A8.1.3-6 entnommen werden. Bei einer hauptsächlichen Neigung zu Dienstleistungsberufen mündeten Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu denjenigen ohne Migrationshintergrund erheblich seltener in eine betriebliche Ausbildung (29% vs. 38%) bzw. duale Ausbildung insgesamt (31% vs. 42%) ein. Bei einem überwiegenden Interesse an Produktionsberufen fielen die Unterschiede in den Einmündungsquoten zwischen beiden Bewerbergruppen aber noch beträchtlich größer aus (betriebliche Ausbildung: 27% vs. 53%, duale Ausbildung insgesamt: 30% vs. 58%). Während in der Bewerbergruppe ohne Migrationshintergrund eine Präferenz für Produktionsberufe zu einem erheblich höheren Sucherfolg führte als eine Favorisierung von Dienstleistungsberufen, fanden Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund sogar noch etwas seltener einen Ausbildungsplatz, wenn sie hauptsächlich Produktionsberufe – und nicht Dienstleistungsberufe – anstrebten. Die Differenzierung der Bewerbergruppe mit Migrationshintergrund nach Herkunftsregionen ergab, dass diejenigen mit türkisch-arabischer Herkunft besonders selten in eine betriebliche bzw. duale Ausbildung insgesamt einmündeten, und zwar unabhängig davon, ob sie Dienstleistungs- oder Produktionsberufe bevorzugten. Noch geringer war allerdings der Erfolg bei der Ausbildungssuche für Bewerber/-innen südeuropäischer Herkunft, wenn sie sich vor allem für Produktionsberufe interessierten.
Tabelle A8.1.3-5: Einmündungsquoten in betriebliche bzw. duale Berufsausbildung der Altbewerber/-innen und Erstbewerber/-innen mit Präferenz für Dienstleistungsberufe bzw. Produktionsberufe (in %)
Tabelle A8.1.3-6: Einmündungsquoten in betriebliche bzw. duale Berufsausbildung der Bewerber/-innen mit und ohne Migrationshintergrund mit Präferenz für Dienstleistungsberufe bzw. Produktionsberufe (in %)
Wie sich nun die unterschiedlichen Berufsinteressen im Zusammenspiel mit den anderen Einflussfaktoren auf die Ausbildungschancen der Altbewerber/-innen und der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund auswirkten, wurde im Rahmen multivariater Analysen (binäre logistische Regressionen) untersucht. Hierbei wurden – neben dem Altbewerberstatus und dem Migrationsstatus – das Geschlecht der Bewerber/-innen, der Schulabschluss, die letzten Schulnoten in Deutsch und Mathematik sowie wichtige Bedingungen der Ausbildungssuche (u. a. die Wettbewerbssituation auf dem Ausbildungsmarkt in der Wohnregion186) berücksichtigt.187 Zu den Bewerbungsberufen bzw. Berufsinteressen wurden 4 Variablen einbezogen: Überwiegendes Interesse an Dienstleistungs- oder Produktionsberufen, Schulabschluss in Relation zum Anforderungsniveau in den Berufen, Wettbewerbssituation auf dem Ausbildungsmarkt in den Berufen188, Interesse auch an anderen vollqualifizierenden Bildungsmöglichkeiten. Durch die Analysen war es möglich festzustellen, welche Merkmale der Bewerber/-innen, welche Eigenschaften ihrer Bewerbungsberufe und welche sonstigen Bedingungen der Ausbildungssuche einen eigenständigen Einfluss auf die Chance der Einmündung in betriebliche bzw. duale Ausbildung insgesamt hatten, da alle jeweils anderen einbezogenen Faktoren kontrolliert wurden. Vor allem ließ sich auf diese Weise klären, ob Altbewerber/-innen und Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund auch unter Berücksichtigung ihrer Berufsinteressen sowie aller anderen Einflussfaktoren geringere Chancen auf einen betrieblichen bzw. dualen Ausbildungsplatz hatten oder nicht.
Es wurden unterschiedliche Regressionsmodelle für die Einmündungschancen in betriebliche Berufsausbildung sowie in duale Ausbildung insgesamt gerechnet Tabelle A8.1.3-7. Hierbei gingen einmal der Altbewerberstatus sowie der Migrationsstatus als dichotome Variablen in die Analyse ein (Modelle 1 und 3) und einmal in der Differenzierung nach dem Zeitpunkt der erstmaligen Bewerbung der Altbewerber/-innen bzw. der regionalen Herkunft der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund (Modelle 2 und 4).
Tabelle A8.1.3-7: Einflüsse auf die Einmündungschancen der Ausbildungsstellenbewerber/-innen in betriebliche bzw. duale Berufsausbildung - Ergebnisse binärer logistischer Regressionsmodelle (durchschnittliche Marginaleffekte - AME)
Folgendes sind die zentralen Analyseergebnisse im Hinblick auf die Einmündungschancen der Altbewerber/-innen: Für die Gesamtgruppe der Altbewerber/-innen war unter Kontrolle der Merkmale ihrer Ausbildungsberufe sowie weiterer wichtiger Einflussgrößen die Wahrscheinlichkeit, bei der Suche nach einem betrieblichen Ausbildungsplatz erfolgreich zu sein, signifikant geringer als für Erstbewerber/-innen, und zwar um 4,8 Prozentpunkte (vgl. Modell 1). Eine Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Erstbewerbung zeigte allerdings, dass Altbewerber/-innen, die sich zum ersten Mal im Vorjahr beworben hatten, keine signifikant schlechteren Einmündungschancen in betriebliche Ausbildung aufwiesen (vgl. Modell 2).189 Dagegen fiel bei einer erstmaligen Bewerbung bereits vor 2 Jahren bzw. vor 3 oder mehr Jahren die Wahrscheinlichkeit, eine betriebliche Ausbildungsstelle zu erhalten, signifikant kleiner aus als für Erstbewerber/-innen, und zwar um 9,0 Prozentpunkte bzw. 14,5 Prozentpunkte.
Bei der Einmündung in die duale Ausbildung insgesamt war weder für die Gruppe der Altbewerber/-innen insgesamt, noch für diejenigen mit einer erstmaligen Bewerbung im Vorjahr oder Vorvorjahr ein Chancennachteil gegenüber der Gruppe der Erstbewerber/-innen nachweisbar (vgl. Modelle 3 und 4). Hier wiesen nur Altbewerber/-innen, die sich bereits vor 3 oder mehr Jahren erstmals beworben hatten, eine signifikant niedrigere Erfolgswahrscheinlichkeit auf (minus 11,0 Prozentpunkte).190
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die geringeren Aussichten der Altbewerber/-innen bei der Suche nach betrieblicher bzw. dualer Ausbildung insgesamt zumindest teilweise mit ihren spezifischen Berufsinteressen oder anderen in die Analyse einbezogenen Einflussfaktoren zusammenhingen. Vor allem in der Gruppe der Altbewerber/-innen, die sich bereits vor 3 oder mehr Jahren beworben hatten, blieben jedoch signifikante Chancenunterschiede zur Gruppe der Erstbewerber/-innen bestehen, die sich mit den berücksichtigten Faktoren nicht erklären lassen.
Für die Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund können die wesentlichen Analyseergebnisse wie folgt beschrieben werden: Bei der Suche nach einer betrieblichen Ausbildungsstelle hatte die Gesamtbewerbergruppe mit Migrationshintergrund auch unter Kontrolle der Merkmale ihrer Bewerbungsberufe sowie weiterer wichtiger Einflussgrößen im Jahr 2016 eine signifikant geringere Erfolgswahrscheinlichkeit als die Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund, und zwar um 11,6 Prozentpunkte (vgl. Modell 1). Bei Differenzierung nach den 4 regionalen Herkunftsgruppen zeigte sich, dass Bewerber/-innen türkisch-arabischer Herkunft die schlechtesten Aussichten aufwiesen: Für sie war es sogar um 16,4 Prozentpunkte weniger wahrscheinlich, in betriebliche Ausbildung einzumünden (vgl. Modell 2). Aber auch Bewerber/-innen südeuropäischer und osteuropäischer Herkunft hatten signifikant niedrigere Einmündungschancen als diejenigen ohne Migrationshintergrund (minus 13,3 bzw. 11,8 Prozentpunkte). Lediglich für Bewerber/-innen mit Herkunft aus sonstigen Staaten waren keine signifikanten Chancennachteile zu verzeichnen.
Bei der Einmündung in die duale Ausbildung insgesamt waren noch größere Chancenunterschiede festzustellen: So lag die Wahrscheinlichkeit, einen dualen Ausbildungsplatz zu erhalten, für Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund insgesamt sogar um 14,0 Prozentpunkte niedriger als für die Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund (vgl. Modell 3). Auch hier schnitten Bewerber/-innen türkisch-arabischer Herkunft am schlechtesten ab, eine Einmündung in duale Ausbildung war für sie um 18,7 Prozentpunkte unwahrscheinlicher als für diejenigen ohne Migrationshintergrund (vgl. Modell 4). Für Bewerber/-innen südeuropäischer und osteuropäischer Herkunft fielen die Chancen ebenfalls signifikant geringer aus (minus 16,0 bzw. 13,4 Prozentpunkte).
Die Analyseergebnisse zeigen somit, dass die schlechteren Chancen der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund bei der Suche nach betrieblicher bzw. dualer Ausbildung keinesfalls allein auf ihre spezifischen Berufsinteressen oder die anderen in der Analyse berücksichtigten Einflussfaktoren zurückzuführen sind. Vielmehr bleibt ein signifikanter Chancennachteil bestehen, der unmittelbar an den Migrationsstatus gebunden ist. Dies gilt nicht nur für die Gesamtgruppe der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund, sondern auch für die unterschiedenen regionalen Herkunftsgruppen, mit Ausnahme der Bewerber/-innen mit Herkunft aus sonstigen Staaten.
Fazit
Altbewerber/-innen hatten im Jahr 2016 im Vergleich zu Erstbewerbern und Erstbewerberinnen bei ihrer Ausbildungssuche häufiger eine Präferenz für Dienstleistungsberufe, in denen die Wettbewerbssituation auf dem Ausbildungsmarkt deutlich schärfer war als in Produktionsberufen. Die Schulabschlüsse der Altbewerber/-innen passten allerdings insgesamt besser zum Anforderungsniveau in den angestrebten Berufen als dies bei Erstbewerbern und Erstbewerberinnen der Fall war. Erfolgte die Erstbewerbung schon vor mehr als 2 Jahren, war der Schulabschluss der Altbewerber/-innen besonders häufig sogar eher zu hoch. Ein für die Bewerbungsberufe eher zu niedriger Schulabschluss kam dagegen umso seltener vor, je länger der Zeitpunkt der erstmaligen Bewerbung bereits zurücklag. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass Altbewerber/-innen oft noch nachträglich höherwertige Schulabschlüsse erworben hatten, um ihre Chancen in den angestrebten Berufen zu verbessern, oder auch, dass sie mit zunehmender Dauer der Ausbildungssuche ihre Berufswahlentscheidungen in Richtung weniger anspruchsvolle Berufe veränderten.
Altbewerber/-innen, die ein großes Interesse an Produktionsberufen hatten, mündeten insgesamt etwas häufiger in betriebliche bzw. duale Berufsausbildung ein als diejenigen mit einer Präferenz für Dienstleistungsberufe. Jedoch erreichten sie bei weitem nicht die hohen Einmündungsquoten, die Erstbewerber/-innen aufwiesen, wenn sie Produktionsberufe favorisierten. Der Erfolg bei der Ausbildungssuche fiel für Altbewerber/-innen mit zunehmender Dauer der Ausbildungssuche immer geringer aus, was bei einer Neigung zu Produktionsberufen aber noch viel ausgeprägter war als bei Bevorzugung von Dienstleistungsberufen. Für Altbewerber/-innen war es somit im Laufe eines langen Suchprozesses immer weniger von Vorteil, sich auf Produktionsberufe zu bewerben, obwohl die Wettbewerbssituation dort insgesamt gesehen deutlich günstiger war.
Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund hatten eine stärkere Neigung zu Dienstleistungsberufen als diejenigen ohne Migrationshintergrund. Die Passung von Bewerbungsberufen zu Schulabschlüssen fiel in der Bewerbergruppe mit Migrationshintergrund relativ ungünstig aus: Deutlich häufiger als in der Gruppe ohne Migrationshintergrund waren ihre Schulabschlüsse eher zu niedrig für die angestrebten Berufe. Dies dürfte vor allem daran gelegen haben, dass in Dienstleistungsberufen oftmals hohe Anforderungen an den Schulabschluss gestellt wurden, die Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund aber häufig nicht mehr als einen Hauptschulabschluss erworben hatten.
Bei der Einmündung in betriebliche oder duale Ausbildung insgesamt waren Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund, die eine Neigung zu Dienstleistungsberufen hatten, allerdings sogar noch etwas erfolgreicher als diejenigen, die Produktionsberufe favorisierten. Ganz anders war dies in der Gruppe ohne Migrationshintergrund: Hier wurde, wenn überwiegend Produktionsberufe angestrebt wurden, ein viel höherer Einmündungserfolg erreicht als bei einer Präferenz für Dienstleistungsberufe. Die Einmündungsquote der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund war daher bei einer Bevorzugung von Produktionsberufen nur halb so hoch wie in der Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund. Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund hätten ihre geringen Chancen in Dienstleistungsberufen somit auch durch eine stärkere Orientierung hin zu Produktionsberufen wohl nicht verbessern können.
In multivariaten Analysen wurde untersucht, ob sich für Altbewerber/-innen und Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund auch dann noch Chancennachteile beim Übergang in betriebliche bzw. duale Ausbildung insgesamt nachweisen ließen, wenn ihre Berufsinteressen und weitere wichtige Einflussfaktoren (z. B. Schulabschluss, Ausbildungsmarktlage in der Wohnregion) berücksichtigt wurden. Die Aussichten auf einen betrieblichen bzw. dualen Ausbildungsplatz waren für Altbewerber/-innen, die sich im Vorjahr erstmals beworben hatten, demnach nicht schlechter als die der Erstbewerber/-innen. Für Altbewerber/-innen, deren erstmalige Bewerbung bereits 2 oder mehr Jahre zurücklag, fielen die Einmündungschancen in betriebliche Ausbildung dagegen signifikant geringer aus. Bei der dualen Ausbildung insgesamt zeigten sich signifikant schlechtere Chancen für Altbewerber/-innen, die sich schon vor 3 oder mehr Jahren zum ersten Mal beworben hatten. Für diese Altbewerbergruppen waren die Einmündungschancen also auch unter ansonsten gleichen Bedingungen nachweisbar geringer als die der Erstbewerber/-innen.
Ein Grund hierfür könnte darin liegen, dass für Altbewerber/-innen, die schon lange nach einer Ausbildungsstelle suchen, die Erfolglosigkeit zum Stigma wird (vgl. Solga 2005, S. 189ff.) und sich dies in den betrieblichen Auswahlverfahren entsprechend ungünstig auswirkt. Ein negativer Effekt könnte aber auch vom höheren Lebensalter ausgehen: Je länger der Suchprozess andauert, desto älter sind die Bewerber/-innen und umso wahrscheinlicher sind sie dann bereits in einem Alter, in dem die Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz generell erheblich abnehmen. Denn Betriebe bevorzugen Bewerber/-innen, die aus ihrer Sicht für eine Ausbildung nicht zu jung, aber auch nicht schon zu alt sind (vgl. Imdorf 2012). Eine lang andauernde Ausbildungssuche sollte daher unbedingt vermieden werden. Nach 2 oder mehr Jahren erfolgloser Suche scheinen die Chancen für Altbewerber/-innen selbst dann immer weiter zu sinken, wenn sie noch nachträglich höherwertige allgemeine Schulabschlüsse erwerben oder sich zu weniger nachgefragten bzw. weniger anspruchsvollen Berufen umorientieren.
Für die Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund zeigten sich in den multivariaten Analysen, in denen die Berufsinteressen und weitere wichtige Einflussfaktoren auf den Übergangserfolg berücksichtigt wurden, insgesamt signifikant schlechtere Chancen, in eine betriebliche oder duale Ausbildung einzumünden. Dies galt nicht nur für die Gesamtbewerbergruppe mit Migrationshintergrund, sondern auch für die 3 größten regionalen Herkunftsgruppen, also die Bewerber/-innen osteuropäischer, südeuropäischer und türkisch-arabischer Herkunft. Sie alle hatten somit selbst unter ansonsten gleichen Bedingungen schlechtere Aussichten auf einen betrieblichen bzw. dualen Ausbildungsplatz als diejenigen ohne Migrationshintergrund. Die einzige Ausnahme bildeten die Bewerber/-innen aus sonstigen Staaten, die allerdings eine äußerst heterogene Gruppe darstellten.
Da die Chancennachteile der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund also nicht allein auf ihre geringeren schulischen Qualifikationen, ihre spezifischen Berufsinteressen oder Abweichungen bei den anderen einbezogenen Einflussfaktoren zurückgeführt werden konnten, müssen die Ursachen an anderer Stelle liegen. Vieles spricht dafür, dass die betrieblichen Auswahlverfahren bei der Besetzung der Ausbildungsstellen eine entscheidende Rolle spielen. Ungeklärt ist bisher aber, welches die genauen Zusammenhänge hierbei sind. Denkbar wäre, dass die Schulabschlüsse der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund für die Betriebe einen geringeren „Signalwert“ besitzen. Gute Schulabschlüsse würden dann weniger als Signal für ein hohes zu erwartendes Lern- und Leistungspotenzial anerkannt als bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (vgl. Becker 2011). Es wäre aber auch möglich, dass für Betriebe andere als unmittelbar leistungsbezogene Kriterien bei der Bewerberauswahl relevant sind. So könnte der Aspekt, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund eventuell von den Kunden nicht akzeptiert würden, ein wichtiges Entscheidungskriterium sein (vgl. Imdorf 2015). Zudem deuten verschiedene Studien darauf hin, dass es auch in den Betrieben selbst teilweise Vorbehalte gegenüber Jugendlichen mit Migrationshintergrund gibt (siehe Überblick in Beicht 2015).
(Ursula Beicht)
-
182
In 16% der Fälle fehlten in der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2016 genaue Angaben zu den Bewerbungsberufen. Darüber hinaus wurden in der Gruppe der Altbewerber/-innen auch nur Fälle berücksichtigt, für die der Zeitpunkt der erstmaligen Bewerbung bekannt war. Insgesamt konnten 1.898 Fälle in die Analysen einbezogen werden.
-
183
In der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2016 nannten die Befragten bis zu 6 BBiG/HwO-Berufe, die sie in ihren Such- und Bewerbungsprozess einbezogen hatten.
-
184
Die Differenzierung der Bewerbungsberufe erfolgte auf Basis der Klassifikation der Berufe 2010 und orientierte sich an der von der BA vorgenommenen Zuordnung der Berufe zu Berufssegmenten und Berufssektoren (Bundesagentur für Arbeit 2015a).
-
185
Die Bewerbungsberufe wurden entsprechend ihrer Auszubildendenanteile (Neuabschlüsse gemäß Berufsbildungsstatistik zum 31.12.2015) mit Studienberechtigung, mittlerem Schulabschluss und maximal Hauptschulabschluss in 4 Berufssegmente (oberes Segment, obere Mitte, untere Mitte, unteres Segment) unterteilt, und zwar in Anlehnung an die Vorgehensweise des Deutschen Bildungsberichts 2008 (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 285). Diese Niveaustufen wurden in der Auswertung als das üblicherweise erwartete schulische Qualifikationsniveau in den Berufen verstanden. Die (durchschnittlichen) Niveaustufen der Bewerbungsberufe wurden dann in Relation zu den vorhandenen Schulabschlüssen der Bewerber/-innen gesetzt.
-
186
Als Indikator für die Marktlage wurde die Zahl der Ausbildungsstellenangebote je 10 ausbildungsinteressierten Jugendlichen in den jeweiligen Arbeitsagenturbezirken herangezogen.
-
187
Die Auswahl der einbezogenen Variablen orientierte sich an dem ressourcentheoretischen Ansatz von Eberhard (2012) zur Erklärung der Übergangschancen von Ausbildungsstellenbewerbern und -bewerberinnen in duale Berufsausbildung.
-
188
Der hierzu gebildete Indikator gibt an, wie viele Ausbildungsplätze für je 10 an den betreffenden Berufen interessierten Jugendlichen im Durchschnitt bundesweit angeboten wurden.
-
189
Bereits in den bivariaten Auswertungen in Kapitel A8.1.1 zeigte sich hier kaum ein Unterschied: Altbewerber/-innen, die sich im Vorjahr erstmals beworben hatten, mündeten 2016 mit 39% fast ebenso häufig in betriebliche Ausbildung ein wie Erstbewerber/-innen (40%). Bezogen auf die duale Ausbildung insgesamt gab es zwischen diesen beiden Gruppen mit jeweils 43% überhaupt keine Abweichung der Einmündungsquoten.
-
190
Die geringeren Unterschiede bei der dualen Ausbildung insgesamt waren auf die außerbetriebliche Ausbildung zurückzuführen. Diese kam der Gruppe der Altbewerber/-innen stärker zugute als der Gruppe der Erstbewerber/-innen.