Die Aktivitäten im Kontext der beruflichen Orientierung finden auf unterschiedlichen Ebenen statt und sind sehr vielfältig. Neben den Regelangeboten, die in schulischen und außerschulischen Kontexten stattfinden, engagieren sich Bundesländer, Bundesministerien, aber auch Kommunen und weitere Akteure wie Stiftungen oder Verbände für die Initiierung und Weiterentwicklung berufsorientierender Maßnahmen. Die berufsorientierenden Angebote werden meist an den allgemeinbildenden Schulen umgesetzt, finden in einigen Fällen aber auch an außerschulischen Lernorten (Maßnahmen bei Bildungs- oder Jugendhilfeträgern, Überbetrieblichen Berufsbildungsstätten etc.) oder beruflichen Schulen (schulische Bildungsgänge am Übergang Schule – Beruf) statt.
Die Maßnahmen setzen jeweils an unterschiedlichen Stellen an. In den allgemeinbildenden Schulen werden Verfahren zur Kompetenzfeststellung bereits in der 7. Klasse durchgeführt. Die Ergebnisse der Kompetenzfeststellung sollen Anhaltspunkte für eine Förderung im Anschluss geben, vor allem aber von den Jugendlichen selbst im weiteren Berufsorientierungsprozess genutzt werden. In betrieblichen Phasen oder praktischen Erfahrungen in Werkbereichen können die Jugendlichen Berufsbilder, Berufsrealitäten oder berufliche Tätigkeiten kennenlernen. Neben den benannten Initiatoren von berufsorientierenden Angeboten sind zahlreiche Umsetzungs- und Netzwerkpartner beteiligt, wie zum Beispiel die örtlichen Arbeitsagenturen, kommunale Koordinierungsstellen, die regionale Wirtschaftsförderung, Sozialpartner und zuständige Stellen nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder auch Bildungs- und Jugendhilfeträger als Anbieter von Bildungsmaßnahmen des Sozialgesetzbuchs (SGB) II, III und VIII.
Datenbank mit Förderprogrammen von Bund und Ländern
Die Vielzahl an Bildungsangeboten und Förderprogrammen am Übergang Schule – Beruf wird vielfach vor dem Hintergrund einer Unübersichtlichkeit der Maßnahmen diskutiert – dies gilt nicht nur für den Bereich der Berufsorientierung. Um Fachkräften und Akteuren einen besseren Überblick über die vorhandenen Unterstützungsangebote zu bieten, stellt die Fachstelle für Übergänge in Ausbildung und Beruf (überaus) eine Datenbank mit Förderprogrammen von Bund und Ländern zur Verfügung. Die Programmdatenbank ist über das Portal www.ueberaus.de frei verfügbar, Informationen zu den Programmen können dort gezielt recherchiert und einzeln aufgerufen werden. Auf dieser Grundlage wird in diesem Kapitel ein Überblick über das vorhandene Angebot mit ihren fachlichen Schwerpunkten gegeben. Die statistischen Auswertungen basieren auf dem Datenbestand der Fachstelle im Januar 2018. Nicht inbegriffen sind die Regelinstrumente des Sozialgesetzbuches bzw. Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit (vgl. Kapitel A9.4). Während in diesem Kapitel weniger die konkrete Umsetzung einzelner Programme analysiert, sondern stärker Bezug auf die Gesamtheit der Programme genommen wird, widmet sich Kapitel C2.3 mit der Darstellung der Evaluationsergebnisse des Berufsorientierungsprogramms exemplarisch einem Einzelprogramm.
Programmdatenbank
Die über Befragungen der Ministerien und Ressorts sowie ergänzende Recherche gewonnenen Informationen der Programmdatenbank der Fachstelle überaus stehen der Fachöffentlichkeit für eigene Recherchen zur Verfügung (siehe www.ueberaus.de/programme). Da es aufgrund der starken Heterogenität der Maßnahmen kein allgemeingültiges Verständnis dessen gibt, was als Förderprogramm gilt, sind auf dem Portal auch die Kriterien erläutert, die für die Aufnahme der Förderaktivitäten in den Datenbestand des Portals maßgebend sind(siehe www.ueberaus.de/wws/24876190.php).
Programme im Handlungsfeld Berufsorientierung
Im Datenbestand der Fachstelle überaus lagen im Januar 2018 Informationen zu insgesamt 327 Programmen aus Bund und Ländern in den Handlungsfeldern am Übergang Schule – Beruf sowie zur Förderung der beruflichen Ausbildung vor. Davon bezogen sich 82 Programme auf das Handlungsfeld „Berufsorientierung“. Die Zahl der Programme im Kontext der Berufsorientierung hat sich damit in den letzten Jahren erhöht. Im März 2015 waren es noch 58 Programme von insgesamt 272 Programmen, die sich dem Thema Berufsorientierung widmeten. In Bezug auf die Zuordnung zu den Handlungsfeldern waren jeweils Mehrfachnennungen möglich. So waren rund ein Drittel (27) dieser 82 Programme aus dem Jahr 2017 ausschließliche Berufsorientierungsprogramme, die keinem anderen Handlungsfeld am Übergang Schule – Beruf zugeordnet wurden. Bei den anderen 55 Programmen wurde mindestens ein weiteres Handlungsfeld genannt (Berufsvorbereitung, Übergangsmanagement, Ausbildung oder Nachqualifizierung). Bei diesen war die Förderung der beruflichen Orientierung junger Erwachsener nicht das einzige Ziel; da es aber dennoch Bestandteil war, beziehen sich die folgenden Analysen auf alle 82 Programme, die berufsorientierende Angebote beinhalteten.
Schaubild C2.1-1 zeigt die Verteilung der 82 Programme zur Berufsorientierung auf den Bund und die Länder. 11 Programme wurden vom Bund gefördert. Die Anzahl an vorhandenen Programmen zur Berufsorientierung in den Ländern unterschied sich deutlich. Während in Baden-Württemberg 11 Programme berufsorientierende Maßnahmen beinhalteten, waren es in Niedersachsen lediglich 2. Allerdings darf nicht allein von der Anzahl der Programme (die mitunter von verschiedenen Ressorts initiiert werden) auf die Intensität oder Tiefe der Berufsorientierungsangebote geschlossen werden. So kann eine hohe Zahl an Programmen auch eine hohe Vielfalt von Angeboten oder eine Reaktion auf unterschiedliche Bedarfe bedeuten, aber auch Unübersichtlichkeit und Herausforderungen für die Koordinierung vor Ort mit sich bringen.
Schaubild C2.1-1: Anzahl der Berufsorientierungsprogramme 2017 in den Bundesländern und im Bund
Inhaltliche Ausrichtung der Programme – Anliegen und Angebote
Der eindeutige Auftrag der Programme zur Berufsorientierung lautet, Kompetenzen und Potenziale der jungen Erwachsenen festzustellen und ihnen bei der passenden Berufswahl behilflich zu sein. Mehr als drei Viertel der untersuchten Programme begleiteten Berufswahlprozesse, über 62% dienten der Feststellung von Kompetenzen und Potenzialen Schaubild C2.1-2. Im Vordergrund der Programmarbeit stand auch der Praxisbezug: Mehr als 40% der Programme verfolgten das Anliegen, Berufspraxis zu simulieren oder sogar den Einsatz in einem Betrieb zu erleben, beispielsweise in Form eines Praktikums. Auch längerfristige Ziele werden zum Teil bei der Konzeption von Berufsorientierungsprogrammen mitgedacht. So fanden sich in etwa einem Viertel der untersuchten Programme Hinweise zu dem erklärten Ziel, Ausbildungsabbrüche zu vermeiden, diesen vorzubeugen oder Matchingprozesse zu stärken. Einen spezifischen Berufsfeldbezug (z. B. Förderung des Handwerks oder der MINT-Branche) wiesen 13% (11) der 82 untersuchten Förderprogramme auf. Dass es – wenn zurzeit offenbar auch nur nachrangig – nicht alleine um die konkrete Arbeit an der Basis mit den Jugendlichen geht, zeigt auch das Ergebnis, dass ungefähr jedes vierte Programm beabsichtigte, Netzwerke zu bilden oder zu stärken (26%) oder Strukturen zu entwickeln (22%). Eine Vernetzung oder Kooperation der Lernorte verfolgten 12% der Förderprogramme, die Förderung von Mobilität lediglich 6%.
Zu den am häufigsten genannten Angeboten der Programme zählten „Beratung“ mit 74% sowie „individuelle Begleitung und Coaching“ mit 56% Schaubild C2.1-3. In 42% der Programme findet man auch Hinweise auf stärker theoretisch angelegte Trainings- oder Kursangebote, 32% der Konzepte beinhalteten eine Form von Qualifizierung, Unterweisung oder produktionsorientiertem Lernen. Auch konkrete Vermittlungsbemühungen gehörten zur Angebotsstruktur von knapp einem Drittel der Programme. Geringere Nennungen gab es bei den Themen „Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien“ (5%) und „Fort- und Weiterbildung von Lehr- und Fachpersonal“ (10%). In 6 Programmen (7%) war die „Ausgestaltung offen“, was bedeutet, dass eher Konzepte zur Umsetzung entwickelt und eingereicht werden konnten, ohne dass anhand eines Fachkonzeptes enge Rahmenvorgaben gemacht wurden.
Schaubild C2.1-2: Häufigste Anliegen der Berufsorientierungsprogramme (Mehrfachnennungen in %)
Schaubild C2.1-3: Im Rahmen der Berufsorientierungsprogramme am häufigsten geplante/realisierte Angebote (Mehrfachnennungen in %)
Adressaten der Programme
Auch wenn es bei Berufsorientierungsprogrammen maßgeblich darum geht, dass junge Erwachsene verschiedene Berufe kennenlernen und etwas über ihre Neigungen und Potenziale erfahren, so müssen die Jugendlichen nicht unbedingt selbst die Adressaten der Angebote zur Berufsorientierung sein. Möglich ist auch, sich mit geeigneten Angeboten bewusst an Zielgruppen zu wenden, die für die Berufswahl der jungen Erwachsenen eine wichtige Rolle spielen. Das können Eltern oder pädagogische Fachkräfte sein. Wenn diese adäquat auf ihre Beratungs- und Vorbildfunktion für die Jugendlichen vorbereitet sind, kann auch das den Berufswahlprozess positiv beeinflussen.
Dennoch adressierten 62% der aktuellen Förderprogramme aus Bund und Ländern zur Berufsorientierung Schülerinnen und Schüler (62%) Schaubild C2.1-4. Knapp ein Viertel der Initiativen (24%) richtete sich an allgemeinbildende Schulen als Institution. Konkrete Angebote für die pädagogischen Fach- und Lehrkräfte gab es nur bei 16% der Programme. 11 Programme (13%) richteten sich an die Eltern. Dabei lag das Hauptaugenmerk aber weiterhin eher auf den Jugendlichen, denn nur eine dieser 11 Initiativen richtete sich nicht gleichzeitig auch an die Jugendlichen selbst. Auf etwas höheren Rangplätzen standen junge Erwachsene mit besonderen Merkmalen: 21% der Programme waren für sozial benachteiligte Jugendliche konzipiert, 18% für Lernbeeinträchtigte. Auffällig ist, dass in 42% der Programmbeschreibungen oder Förderrichtlinien die Gruppe der Einwanderer und Geflüchteten Erwähnung fand. 4 Programme richteten sich explizit an „Alleinerziehende“ und ein Programm an „Menschen im Strafvollzug“. Ein Einbezug von Angeboten speziell für Betriebe war nur in 7 Programmen vorgesehen, in einem davon speziell für „KMU“.
Schaubild C2.1-4: Häufigste Adressaten der Angebote zur Förderung der Berufsorientierung (Mehrfachnennungen in %)
Fazit
Insgesamt ist das Angebot an Programmen zur Berufsorientierung gestiegen, auf die Bundesländer aber sehr unterschiedlich verteilt. Im Vordergrund der Programme stehen, wie zu erwarten war, die jungen Erwachsenen, wobei häufig noch bestimmte Personengruppen, wie z. B. Migrantinnen und Migranten oder sozial benachteiligte und lernbeeinträchtigte Jugendliche, fokussiert werden. Inhaltlich konzentrieren sich die Programme auf die Beratung, die Begleitung der Berufswahlprozesse sowie die Feststellung von Stärken und Neigungen der Jugendlichen. Strukturelle Aspekte und Bemühungen die verschiedenen Initiativen zusammenzuführen, dürften über andere Wege und Aktivitäten zum Tragen kommen, z. B. in den Bemühungen, die Angebote von Bund und Ländern auf kohärente Weise und im Sinne einer Bildungskette miteinander zu verknüpfen (vgl. Kapitel C2.2). Betriebe kommen im Rahmen der Förderprogramme als Praktikumsgeber ins Spiel, bleiben ansonsten aber weitestgehend außen vor, was sich bei anderen Initiativen, die eher die Verknüpfung von Schule und Wirtschaft fokussieren, anders darstellen dürfte.
(Frank Neises, Heike Zinnen)