Das Berufsorientierungsprogramm (BOP) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wurde 2008 zunächst mit einer Erprobungsphase eingeführt und im Jahr 2010 aufgrund der sehr positiven Evaluationsergebnisse vorzeitig verstetigt. Seitdem gehört neben den sogenannten Werkstatttagen auch eine Potenzialanalyse zum festen Bestandteil des Programms (vgl. Kunert 2014, S. 30). Die Besonderheit des BOP besteht in der Kombination einer breiten praktischen Erprobung der eigenen Kompetenzen sowie Reflexion der eigenen Fähigkeiten und Interessen in Bezug auf spätere berufliche Anforderungen. Kernziel des BOP ist, die Berufswahlkompetenz der Schülerinnen und Schüler zu stärken und dadurch eine gut überlegte und selbstbestimmte Berufswahlentscheidung zu unterstützen.
Im Jahr 2017 ist die programmbegleitende Evaluation nach einer Laufzeit von knapp 5 Jahren zum Abschluss gekommen. Sie gibt differenziert Auskunft darüber, inwieweit die mit dem Programm intendierten Zielsetzungen erreicht werden. Im Zentrum der Untersuchung standen Fragen der Umsetzung und die Wirkungen des Programms auf die Berufswahlkompetenz der Jugendlichen. Darüber hinaus wurden auch Einflüsse auf die schulische Motivation und die Übergänge in Ausbildung sowie auf die Entwicklung schulischer Berufsorientierungskonzepte in den Blick genommen. Im Folgenden werden zentrale Ergebnisse der Evaluation vorgestellt und Schlussfolgerungen für die weitere Programmgestaltung abgeleitet.
Forschungsdesign und Untersuchungs-gegenstand: Berufswahlkompetenz
Das Forschungsdesign zeichnet sich durch einen komplexen Methodenmix aus, der gewählt wurde, um durch vielfältige Perspektiven die Aussagekraft und Qualität der Ergebnisse abzusichern. Neben der wiederholten Analyse von Prozessdaten aus dem BOP-Antragsportal umfasste die Evaluation folgende 7 Untersuchungsbausteine:
Qualitativer Untersuchungsblock
- Beobachtungen der Durchführung von Potenzialanalysen und Werkstatttagen
- Qualitative Interviews mit Schülerinnen und Schülern an den beobachteten Standorten und mit einer Kontrollgruppe (Panel-Untersuchung mit Befragung zu 4 Zeitpunkten)
- Qualitative Befragungen von beteiligten Bildungsträgern, Netzwerkpartnern, Lehrkräften und Eltern
Quantitative Befragungen
- Jährliche Trägerbefragungen zu verschiedenen Schwerpunktthemen
- Mehrfache Befragungen von Schulen zur Umsetzung von BOP und Berufsorientierung
- Quantitative Längsschnitt-Befragung von Schülerinnen und Schülern zu 3 Zeitpunkten (Interventions- und Kontrollgruppe)
- Einmalige Querschnittsbefragung von Abgangsklassen (Interventions- und Kontrollgruppe)
Für die Evaluation des BOP wurde ein von Ratschinski 2014 beschriebenes Modell zur Berufswahlkompetenz weiterentwickelt. Danach setzt sich Berufswahlkompetenz aus den 3 Teilkompetenzen Identität, Adaptabilität und Resilienz zusammen Schaubild C2.3-1. Berufliche Identität beinhaltet die Kompetenz, berufliche Rollenmuster in das Selbst zu integrieren. Sie umfasst damit nicht allein die Verbindlichkeit der Berufsbindung, sondern auch, dass die Festlegung auf einen Beruf realistischen und anerkannten Maximen folgt und selbstverantwortlich und selbstständig erreicht wurde (d. h. z. B., dass sie nicht primär durch Tradition oder die Familie vorgegeben wurde). Adaptabilität ist eine allgemeine Kompetenz, biografische Übergänge zu meistern. Bezogen auf die Berufswahl berücksichtigt sie sich verändernde Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt und daraus resultierende berufsbegleitende Anpassungsleistungen. Resilienz wurde in das Modell aufgenommen, da der unmittelbare Einstieg in eine Ausbildung nicht immer reibungslos verläuft und die Berufswahl damit die Überwindung von Hindernissen und die Aufrechterhaltung positiver Erwartungshaltungen einschließt (vgl. Ratschinski 2014, S. 3).
Schaubild C2.3-1: Modell der Berufswahlkompetenz
Zentrale Ergebnisse der Evaluation
Grundsätzlich hat sich bestätigt, dass die Vorgaben und Standards des Programms in der Regel (gut) eingehalten werden und dass das BOP einen positiven Einfluss auf die Entwicklung von Berufswahlkompetenz der Schülerinnen und Schüler hat. Wenn einzelne Untersuchungsbausteine letzteres nicht über einen Kontrollgruppenvergleich zeigen können, liegt dies daran, dass auch Jugendliche der Kontrollgruppe an umfangreichen Maßnahmen der Berufsorientierung teilgenommen haben. Kontrollgruppen ohne Berufsorientierung waren nicht zu identifizieren. Die Komplexität der Evaluation erschwert somit teilweise die Interpretation der gewonnenen Daten, auch da sich die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungsbausteine nicht immer decken. Dennoch lassen sich einige zentrale Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für die zukünftige Programmgestaltung ableiten, die im Folgenden erläutert werden.
BOP als strukturgebendes Leitprogramm
Die Evaluation bescheinigt dem BOP die Rolle eines bundesweiten Leitprogramms, das der schulischen Berufsorientierung eine Struktur gegeben und eine frühzeitige Auseinandersetzung mit Fragen der Berufsorientierung angeregt hat. Das BOP ist Teil der Initiative Bildungsketten (vgl. Kapitel C2.2) und hat die Etablierung der Wirkungskette Potenzialanalyse – Werkstatttage (oder andere Formen des Praxislernens) – Schülerbetriebspraktikum – Übergang in Ausbildung oder weiterführende Schule maßgeblich unterstützt Schaubild C2.3-2.
Die BOP-Instrumente Potenzialanalysen und Werkstatttage bzw. Berufsfelderkundungen sind auch über die Bund-Länder-BA-Vereinbarungen in fast allen Ländern weiterhin fester Bestandteil der Berufsorientierung. Sie sind zunehmend verbindlich in schulischen Berufsorientierungskonzepten verankert und geben Impulse, schulische Berufsorientierung systematisch mit externen Maßnahmen zu verknüpfen (vgl. Ratschinski u. a. 2017, S.119f.). Die entsprechenden Instrumente auf Landesebene orientieren sich in der Regel an den Qualitäts- und Durchführungsstandards des BOP.
Schaubild C2.3.-2: Phasen der Berufsorientierung
Jungen mit Ausbildungswunsch profitieren am meisten
Das Programm wirkt nicht bei allen Schülerinnen und Schülern im gleichen Maß. Am meisten vom BOP profitieren die männlichen Teilnehmer, die auch schon im Vorfeld eine duale Berufsausbildung angestrebt oder erwogen haben. Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich sowohl in der subjektiven Zufriedenheit der Schülerinnen und Schüler mit dem BOP als auch bei den Wirkungen des BOP im Kontrollgruppenvergleich.
Schaubild C2.3-3 zeigt, wie Schülerinnen und Schüler nach Teilnahme an den Instrumenten Potenzialanalyse und Werkstatttage das BOP und seine Wirkung subjektiv unterschiedlich bewerten (vgl. Ratschinski u. a. 2017, S. 95f.).
Schaubild C2.3-4 veranschaulicht am Beispiel des Wissens über den Wunschberuf, dass sich auch einzelne, im Kontrollgruppenvergleich gezeigte Wirkungen des BOP geschlechtsspezifisch unterscheiden. Unter den am BOP teilnehmenden Mädchen (Interventionsgruppe/IG) ist dieses Wissen zwischen der 7. und 9. Klasse kaum anders angestiegen als in der Kontrollgruppe (KG). Unter den Jungen ist der Anstieg in der Interventionsgruppe hingegen signifikant höher (vgl. Sommer 2017, S. 24/25).
Schaubild C2.3.-3: Genderspezifische Bewertung des BOP
Schaubild C2.3.-4: Genderspezifische Wirkung des BOP auf das Wissen über den Wunschberuf
Auch die qualitativen Interviews bestätigen, dass Jungen häufiger profitieren als Mädchen (vgl. Struck 2017, S. 32). Darüber hinaus zeigt sich im qualitativen Untersuchungsmodul besonders deutlich, dass eine Ausbildungsbereitschaft seitens der Jugendlichen sowie die richtigen (individuell passenden bzw. subjektiv als interessant wahrgenommenen) Berufsfelder zur Wirksamkeit des BOP beitragen (vgl. ebd., S. 59f.). Befragt wurden Schülerinnen und Schüler (IG und KG) in 4 Befragungswellen beginnend mit einem Erstgespräch vor der Teilnahme am BOP bis hin zu Follow-up-Erhebungen 6 Monate nach Abschluss der Schule. An der vierten Befragungswelle haben noch 174 Jugendliche teilgenommen. Einer davon ist „Andreas“, ein Beispiel für einen idealtypischen Verlauf des BOP mit Einmündung in eine duale Berufsausbildung:
In diesen Fällen erleichtert die Teilnahme am BOP den Ausbildungsinteressierten auch die Auswahl des Praktikums und verstärkt gleichzeitig dessen Wirkung. Ein solcher Effekt ließ sich auch in der Querschnittsbefragung von Schülerinnen und Schülern der Abgangsklassen feststellen.
Andreas (C-4007) ist 18 Jahre alt und hat nach dem Erreichen des Hauptschulabschlusses (nach Klasse 10) eine duale Ausbildung als Tischler begonnen. Diese gefällt ihm „sehr gut“, „weil der Betrieb Spaß macht und das Klima gut ist.“ Zuvor hatte er 10 Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz als Tischler verschickt und dabei 8 Zusagen erhalten. Seine Entscheidung für diesen Betrieb erklärt Andreas wie folgt: „Weil ich da schon Ferienjob und Praktikum gemacht habe. Ich kannte den Betrieb daher gut.“ Dies ist sein Wunschausbildungsberuf: „Der Beruf Tischler gefällt mir. Ich arbeite gerne und viel mit Holz.“ Den Beruf hat er in den Werkstatttagen für sich entdeckt: „Wir waren in der [Name des Trägers, der die Werkstatttage durchführte] und da gab es einen Kurs mit Holz und da habe ich mich angemeldet. Danach habe ich ein Praktikum gemacht und jetzt mache ich die Ausbildung.“ An die Werkstatttage und insbesondere an den Bereich Holz kann er sich noch sehr gut erinnern: „Man konnte mal schön da reinschnuppern, was man da so macht. Wir haben da ein Mensch-ärgere-Dich nicht-Spiel aus Holz gebaut und einen Playboy-Hasen aus Holz gebaut und ein Handyhalter und die haben uns gezeigt, wie man mit den Werkzeugen umgeht. Was ist was und wofür benutzt man das. Also das war sehr informativ für mich.“ Nach den Werkstatttagen hat er 5 Praktika als Tischler gemacht, und weil ihm die Werkstatttage so sehr bei der Berufswahl geholfen haben, bezeichnet er sie zudem als Schlüsselmoment für seine Berufswahlentscheidung.
Weniger deutlich werden die Wirkungen des BOP durch das Bildungsniveau und die Schulformen beeinflusst. Zwar stimmen Schülerinnen und Schüler je nach Schulform unterschiedlich der Aussage zu, dass die Werkstatttage auf dem Weg zu einem passenden Beruf eine große Hilfe waren, und Schülerinnen und Schüler aus Förderschulen und bildungsfernen Familien bewerten die Werkstatttage signifikant hilfreicher (vgl. Ratschinski u. a. 2017, S. 11). Mit Blick auf die Messwerte zur Berufswahlkompetenz kommt man allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen. Sowohl die qualitativen als auch die quantitativen Analysen zeigen, dass es „schulformen- und bildungstypische Einflüsse (gibt), aber keine einfachen oder immer gleichen Muster. Erst ihr Zusammenspiel bedingt die gruppenspezifische Gesamtwirkung des BOP“ (ebd.).
Binnendifferenzierung und Vielfalt der Aufgabenstellungen als Erfolgsfaktoren
Die erhobenen Daten weisen darauf hin, dass die Entwicklungen der Berufswahlkompetenz stärker sind, wenn die Schülerinnen und Schüler nicht „nur“ am BOP teilnehmen, sondern wenn sie das BOP persönlich annehmen und das Angebot als für sie passend empfinden (vgl. Sommer 2017, S. 41). Dies hängt von den individuellen Faktoren (z. B. dem Geschlecht) und von der Programmumsetzung, wie z. B. von Anforderungsniveau und der Vielfalt der Aufgabenstellungen, ab.
Schaubild C2.3-5 zeigt, wie die Entwicklung von Adaptabilität (als einer der 3 Dimensionen von Berufswahlkompetenz) damit in Zusammenhang steht, wie Schülerinnen und Schüler den Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellungen während der Werkstatttage wahrgenommen haben. Wird dieser von den Jugendlichen als individuell genau passend empfunden, erhöhten sich die Werte mehr als doppelt so stark wie in den Fällen, in denen die Schwierigkeit der Aufgaben nur „eher“ passte (vgl. Sommer 2017, S. 45). In diesen Fällen haben die Schülerinnen und Schüler eine höhere Kompetenz, sich im Prozess des lebenslangen Lernens an wandelnde berufliche Anforderungen anzupassen.
Auch die Entwicklungen der beiden anderen Dimensionen von Berufswahlkompetenz, Identität und Resilienz, stehen in signifikantem Zusammenhang damit, inwieweit der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben als individuell passend-schwer wahrgenommen wurde (ohne Abbildung). Da die Schülerinnen und Schüler auch innerhalb einer Klasse mit unterschiedlichen Kompetenzen in das BOP hineingehen, kann die Wirksamkeit des Programms also durch eine Binnendifferenzierung erhöht werden.
Eine Anpassung der Potenzialanalysen und Werkstatttage an die individuellen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler ist jedoch nicht nur in Hinblick auf den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben gefordert. Ähnliche Tendenzen zeigen sich hinsichtlich der Art und Vielfalt der Aufgabenstellungen. Hier empfiehlt das Evaluationsteam auf der Basis von qualitativen und verschiedenen quantitativen Analysen, in jedem Berufsfeld immer Aufgabenstellungen zu kombinieren, in denen Handlungsabläufe nachvollzogen werden müssen, und solchen, die eigenständige Arbeit, Planung und Kreativität erfordern (vgl. z. B. Ratschinski u. a. 2017, S. 47). Eine solche Mischung ist besonders wichtig, wenn alle Schülerinnen und Schüler gefordert werden und sich als kompetent erleben sollen.
Schaubild C2.3.-5: Einfluss der Passgenauigkeit von Aufgaben in den Werkstatttagen
Kommunikative Begleitung der Schülerinnen und Schüler
Ebenso wichtig wie die Aufgabenstellungen selbst haben sich vorbereitende und reflektierende Gespräche rund um die Instrumente des BOP herausgestellt (vgl. Ratschinski u. a. 2017, S.122). Dies beginnt bei der Einführung des Themas „Beruf“ im schulischen Kontext. So erweist sich die Durchführung der Potenzialanalyse bereits in Klasse 7 in solchen Fällen als sinnvoll, in denen vorher in der Schule eine Hinführung zu den Themen „berufliche Ziele“ und „Bedeutung der Kompetenzen für die Berufsausübung und Berufswahl“ erfolgt ist (vgl. ebd. S. 124). Wichtig ist überdies, Ziele und Kompetenzmerkmale der Potenzialanalyse vorab und in Bezug auf jede Aufgabenstellung transparent und nachvollziehbar zu erläutern. Die Befragungen und Beobachtungen vor Ort haben gezeigt, dass dies in der Realität nicht immer der Fall ist. Die methodischen, sozialen und personalen Kompetenzen, aber auch Bezüge zur Berufswahlorientierung bleiben vielen Schülerinnen und Schülern zu abstrakt. Die Potenzialanalyse wird subjektiv als weniger hilfreich für die spätere Berufswahl empfunden und macht immerhin einem Drittel der Schülerinnen und Schüler wenig bis gar keinen Spaß (vgl. ebd. S. 34).
Entscheidend ist aber auch die Qualität der Rückmeldegespräche. Zwar führen 90% der Träger nach eigenen Angaben immer individuelle Rückmeldegespräche nach der Potenzialanalyse, immerhin 40% tun dies auch nach den Werkstatttagen. Die Gespräche dauern jedoch in der Regel nicht länger als 10 bis 15 Minuten (im Mittel 20 Minuten, vgl. ebd., S. 37f.). Bedenklich aber ist, dass die Schülerinnen und Schüler sich eher in der passiven Rolle sehen. „Die haben gesagt, dass ich gut bin…, die haben mich besser bewertet, die haben Positives über mich geschrieben…“ (ebd. S. 38). Selbstreflexion, die Lernprozesse anregt, setzt aber eine systematische Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdeinschätzung, eigene Schlussfolgerungen und das Verstehen der gegebenen Rückmeldungen voraus. Dieser Schritt scheint in vielen Fällen nicht zu erfolgen. Das Evaluationsteam empfiehlt, die Potenzialanalyse mit einem selbst erarbeiteten Ergebnis der Schülerinnen und Schüler abzuschließen. Das würde es den Jugendlichen auch erleichtern, sich bei späteren Entscheidungen im Berufswahlprozess (z. B. Werkstatttage, Schülerbetriebspraktika) darauf zu beziehen (vgl. ebd. S. 123).
Die Evaluationsergebnisse zeigen auch, dass die Auswahl der Berufsfelder stärker pädagogisch begleitet werden könnte, um so den Anteil der Schülerinnen und Schüler zu erhöhen, die das Angebot der Berufsfelder für sich als passend und hilfreich empfinden und die Erfahrung aus den Werkstatttagen bewusst für den weiteren Orientierungsprozess nutzen. Die Wahl der Berufsfelder wird zwar in der Regel nach der Potenzialanalyse in unterschiedlicher Form thematisiert, allerdings zumeist nur in Form einer Abfrage. Und nicht immer wird den Schülerinnen und Schülern überhaupt die Wahl gelassen bzw. diese dann tatsächlich berücksichtigt. Perspektivisch muss an dieser Stelle aber auch über eine Erweiterung des Angebotsspektrums und des Zielfokus über die duale Berufsausbildung hinaus nachgedacht werden (vgl. ebd. S. 130).
Schulen und Eltern müssen stark in die Reflexion und Kommunikation einbezogen werden. Z. B. hat sich gezeigt, dass es sich positiv auf die Entwicklung der beruflichen Identität auswirkt, wenn Schülerinnen und Schüler ihren Eltern ausführlich von den Erfahrungen im BOP berichtet haben Schaubild C2.3-6. Empfohlen wird eine Weiterentwicklung der Elternarbeit, bei der die Berufsbildungsstätten Eltern nicht nur über die Umsetzung des BOP und ggf. über Ergebnisse informieren, sondern ihnen auch Hilfestellungen bieten, um die familiäre Kommunikation zum Thema Berufswahl anlässlich des BOP zielführend zu gestalten.
Schaubild C2.3.-6: Zusammenhang zwischen familiärer Kommunikation und Identitätsentwicklung
Fazit und Ausblick
Auch das BOP unterliegt den eingangs geschilderten historischen Einflüssen und Veränderungsprozessen. Zunächst richtete sich das Programm ausschließlich an die Jugendlichen, die eine duale Berufsausbildung im Anschluss an den allgemeinbildenden Schulbesuch anstreben. Für diese Jugendlichen konnte die Evaluation eine hohe Wirksamkeit belegen, insbesondere in den Fällen, in denen sich das Angebot der Berufsfelder mit den Interessen der Jugendlichen deckte. Das war bei den Jungen häufiger der Fall als bei den Mädchen.
Die Ansprüche an das BOP und die Ausgangsbedingungen haben sich wie beschrieben verändert. In der Regel nehmen vollständige Klassen oder Jahrgangsstufen am BOP teil, und das Programm steht auch Schulen mit einer Sekundarstufe II offen. So steht die weitere Perspektive der Jugendlichen zum Durchführungszeitpunkt häufig noch gar nicht fest. Denn die Entwicklung einer solchen Perspektive bzw. die Entwicklung von Berufswahlkompetenz soll mit dem Programm ja überhaupt erst unterstützt werden. Eine einseitige Ausrichtung auf duale Ausbildung wäre deswegen kontraproduktiv. Auch die Bund-Länder-BA-Vereinbarungen beinhalten eine zunehmende Öffnung des BOP oder vergleichbarer Maßnahmen für alle Schulformen und beziehen damit ein breiteres Interessenspektrum der Teilnehmenden ein.
Vor diesem Hintergrund müssen im BOP zukünftig verschiedene Bildungswege und Berufsperspektiven stärker mitgedacht werden. Das kann sowohl das Aufgreifen unterschiedlicher Karrierewege in den aktuell existierenden Berufsfeldern als auch das Überdenken bzw. Ausweiten des aktuellen Angebots bedeuten. Dennoch ist es weiterhin möglich, mit dem BOP Interesse an einer dualen Ausbildung zu wecken oder eine Auseinandersetzung mit der Frage anzuregen, ob eine duale Ausbildung den eigenen Kompetenzen und Interessen mehr entspricht als eine schulische Ausbildung oder ein Studium.
Grundsätzlich hat sich gezeigt, dass die Entwicklung von Berufswahlkompetenz komplexen Einflussfaktoren unterliegt und sich die Wirkung des BOP immer in einem sehr individuellen Wechselspiel dieser Faktoren entfaltet. Eine Rolle spielen dabei z. B. die familiäre Situation und Kommunikation, die Bildungshintergründe und -perspektiven der Schülerinnen und Schüler, lokale Rahmenbedingungen, geschlechtsspezifische Rollenmuster und die Art der Umsetzung des BOP beim Träger. Ebenso variiert die Wirkung des BOP je nach Einbettung des BOP in den schulischen Kontext und Vernetzung mit komplementären Angeboten der Berufsorientierung vor, während und nach dem BOP.
Trotzdem liefern die Ergebnisse der Evaluation klare Hinweise darauf, wie durch eine „gute“ Umsetzung der bestehenden Instrumente die individuelle Passfähigkeit für alle erhöht werden kann. Wichtige Ansatzpunkte der Umsetzung liegen zum Beispiel bei der Binnendifferenzierung und Vielfalt von Aufgabenstellungen und in der Verbesserung der kommunikativen Begleitung der Schülerinnen und Schüler durch die Bildungsträger, die Schulen und die Eltern. An diesen Stellschrauben muss angesetzt werden, wenn alle „Zielgruppen“ gleichermaßen vom Angebot profitieren sollen und das BOP auch zukünftig eine Vorreiterrolle bei der Weiterentwicklung von Berufsorientierung leisten soll.
(Carolin Kunert, Jörn Sommer – Interval GmbH)