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Der folgende Abschnitt stellt aktuelle Entwicklungen der beruflichen Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund dar. Auf der Grundlage der Berufsbildungsstatistik werden Ergebnisse zur Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen ausländischer Staatsangehörigkeit berichtet. Danach werden Untersuchungsergebnisse zur Teilhabe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund  an beruflicher Ausbildung vorgestellt.

Die Ausbildungsanfängerquote ausländischer Jugendlicher lag 2016 mit 27,6% erneut deutlich unter derjenigen deutscher Jugendlicher (55,8%) (vgl. Kapitel A5.8, Tabelle A5.8-5, Schaubild A5.8-1). Die Differenz zwischen den männlichen Ausbildungsanfängern mit deutschem und ausländischem Pass war deutlich höher als die zwischen den weiblichen Ausbildungsanfängern. So lag 2016 die Ausbildungsanfängerquote männlicher Jugendlicher deutscher Nationalität mit 66,2% mehr als doppelt so hoch wie die der männlichen Jugendlichen ausländischer Nationalität mit 28,7%. Die Differenz zwischen den weiblichen Ausbildungsanfängern fiel geringer aus (Ausbildungsanfängerinnen: deutsche Nationalität, 44,9%; ausländische Nationalität, 26,3%). Im Vergleich zum Vorjahr zeigt sich bei deutschen Ausbildungsanfängern und -anfängerinnen ein geringfügiger Rückgang um rund 9.440 Personen (-2,2%) von 421.803 auf 412.362. Bei ausländischen Ausbildungsanfängern und -anfängerinnen im dualen System zeichnet sich für 2016 im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um 14,7%, d. h. um 5.046 Personen von 34.431 auf 39.477 ausländische Anfänger/-innen ab (vgl. Kapitel A5.8). Demnach ist bei ausländischen Jugendlichen nach einem deutlichen Rückgang im Jahr 2015 (26,0%) gegenüber 2014 (31,1%) im Jahr 2016 wieder ein leichter Anstieg zu verzeichnen (27,6%). Die Zahl der Anfänger/-innen mit ausländischem Pass nahm 2016 gerade bei männlichen Jugendlichen zu (Ausbildungsanfänger 2015 bis 2016: männlich: +4.344; weiblich +705). Während die Ausbildungsanfängerquote weiblicher Jugendlicher ausländischer Nationalität seit 2015 stagniert (2015: 26,2%, 2017 26,3%), hat sich die männlicher ausländischer Jugendlicher im Vergleich zum Vorjahr erhöht (2015: 25,8%, 2016: 28,7%) Schaubild A5.8-1. Dies ist zum Teil auf den Anstieg männlicher Ausbildungsanfänger mit einer Staatsangehörigkeit aus einem nichteuropäischen Asylherkunftsland um 1.823 Personen gegenüber dem Vorjahr (2015: 2.915) zurückzuführen. Insgesamt lag die Zahl der Ausbildungsanfänger/-innen mit einer Staatsangehörigkeit aus einem nichteuropäischen Asylherkunftsland 2016 bei 5.997 und war damit doppelt so hoch wie 2015 (2.925; Uhly 2017a). 

Da amtliche Statistiken keine Antwort auf Fragen zum Übergang junger Menschen mit Migrationshintergrund in berufliche Ausbildung geben können, wird hierfür auf Stichprobenerhebungen wie die BA/BIBB-Bewerberbefragung 2016 zurückgegriffen.

Nach der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2016 (vgl. Erläuterung in Kapitel A8.1.2) sind 29% der bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) registrierten Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund  in eine duale Berufsausbildung eingemündet, und zwar 26% in eine betriebliche und 2% in eine außerbetriebliche Ausbildung. Dagegen waren es bei denjenigen ohne Migrationshintergrund 47% (42% in betriebliche und 5% in außerbetriebliche Ausbildung) (vgl. Kapitel A8.1.2). Deutliche Unterschiede treten bei einer Differenzierung nach der ethnischen Herkunft auch innerhalb der Gruppe der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund auf. Während die Einmündungsquote in eine betriebliche Berufsausbildung bei einer Herkunft aus osteuropäischen bzw. GUS-Staaten bei 28% und aus südeuropäischen Staaten bei 24% lag, betrug sie bei einer Herkunft aus der Türkei bzw. einem arabischen Staat lediglich 21% (vgl. Kapitel A8.1.2, Schaubild A8.1.2-4).

Migrationshintergrund

Berufsbildungsstatistik, Schulstatistik und integrierte Ausbildungsberichterstattung erfassen nicht den Migrationshintergrund, sondern die Staatsangehörigkeit. Auf dieser Datenbasis sind nur Aussagen zu Personen differenziert nach der Staatszugehörigkeit möglich.

Der Begriff „Migrationshintergrund“ erlaubt eine Differenzierung der Personen aus einem Zuwanderungskontext. Das in empirischen Erhebungen erfasste Merkmal Migrationshintergrund ist in der Regel ein Konstrukt aus mehreren Variablen, das auf je unterschiedliche Weise operationalisiert wird. Es ist daher erforderlich, die für die Definition von Migrationshintergrund jeweils verwendeten Kriterien und die Begründung ihrer Auswahl offenzulegen (Settelmeyer/Erbe 2010).

In den empirischen Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) werden meist die aktuelle Staatsangehörigkeit und die Muttersprache (bzw. die erste/-n erlernte/-n Sprache/-n), teilweise auch das Geburtsland und in Deutschland verbrachte Zeiten erhoben (Beicht 2015; Settelmeyer/Erbe 2010).

Auch unter Berücksichtigung des Schulabschlusses waren Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund am Jahresende 2016 seltener in einer betrieblichen Ausbildung. Bei maximal einem Hauptschulabschluss waren 21% der Bewerber/-innen mit und 31% derjenigen ohne Migrationshintergrund in eine betriebliche Ausbildung übergegangen bzw. 24% der Bewerber/-innen mit und 40% der Bewerber/-innen ohne Migrationshintergrund in eine duale (betrieblich oder außerbetrieblich) Ausbildung eingemündet. Besonders sichtbar sind die Differenzen bei einem mittleren Abschluss: Während (knapp) die Hälfte der Bewerber/-innen ohne Migrationshintergrund (48%) bei einem mittleren Abschluss in eine betriebliche Ausbildung eingemündet ist, waren dies bei denjenigen mit Migrationshintergrund nur 28%. Auch eine (Fach-)Hochschulreife wirkte sich bei der Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund erheblich stärker aus: 31% der studienberechtigten Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund gegenüber 43% der Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund sind 2016 in eine betriebliche Ausbildung eingemündet (Beicht 2017).

Im Vergleich zum vergangenen Jahrzehnt haben sich 2016 die Aussichten der Bewerber/-innen mit einem Migrationshintergrund nicht verbessert: Sie mündeten 2016 genauso selten wie 2004 in eine betriebliche Ausbildung ein (2016: 26%, 2004: 25%). Dagegen gingen Bewerber/-innen ohne Migrationshintergrund deutlich häufiger als 2004 in eine betriebliche Ausbildung über (2016: 42%, 2004: 36%) (vgl. Kapitel A8.1.2). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Schulabschlüsse (Beicht 2017). Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund haben 2016 erneut nicht von dem sich entspannenden Ausbildungsmarkt profitiert. Neben dem Stillstand beim Übergang in eine betriebliche Ausbildung konnten sie auch deutlich seltener als die einheimische Vergleichsgruppe bzw. als im Jahr 2004 ein Angebot einer außerbetrieblichen Ausbildung nutzen (vgl. Kapitel A8.1.2, Schaubild A8.1.2-3).

Jugendliche mit Migrationshintergrund benötigen eine längere Zeit für die Einmündung in eine Berufsausbildung (vgl. BIBB-Datenreport 2016, Kapitel A4.9). Darauf deutet unter anderem das höhere Durchschnittsalter der Ausbildungsanfänger/-innen mit ausländischem im Vergleich zu denjenigen mit deutschem Pass hin. Das Durchschnittsalter der ausländischen Ausbildungsanfänger/-innen lag 2016 bei 21,2 Jahren, das der deutschen Vergleichsgruppe bei 19,3 Jahren (vgl. Kapitel A5.8, Tabelle A5.8-3). Auch der höhere Anteil von Jugendlichen ohne deutschen Pass, die sich 2016 im Übergangsbereich befanden, weist in diese Richtung. Nach den vorläufigen Daten der integrierten Ausbildungsberichterstattung waren bei Berücksichtigung aller Bildungssektoren (Berufsausbildung, Erwerb der Hochschulreife (Sek  II), Studium) von allen nicht deutschen Bildungsanfängern und -anfängerinnen 2017 rund 35% im Übergangsbereich und damit deutlich mehr als im Durchschnitt aller Ausbildungsanfänger/-innen (14,4%) (vgl. Kapitel A4.1, Tabelle A4.1-2, Schaubild A4.1-4). 

Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund (MH) verblieben, so die BA/BIBB-Bewerberbefragung 2016, am Jahresende häufiger als Bewerber/-innen ohne Migrationshintergrund in Schule oder in einer teilqualifizierenden Maßnahme (mit MH 29%, ohne MH 22%). Zudem befanden sie sich am Ende des Jahres deutlich häufiger außerhalb des Bildungssystems, d. h. sie jobbten, waren erwerbstätig oder waren arbeitslos (mit MH 33%, ohne MH 20%) (vgl. Kapitel A8.1.2, Schaubild A8.1.2-5). Noch häufiger traf dies auf Bewerber/-innen aus südeuropäischen (36%) bzw. osteuropäischen/GUS-Staaten zu (35%), wohingegen Bewerber/-innen aus der Türkei bzw. arabischen Staaten mit 37% in Schule bzw. Teilqualifizierung verblieben (vgl. Kapitel A8.1.2, Schaubild A8.1.2-6). 

Unter Berücksichtigung wichtiger Faktoren wie des Bewerbungsverhaltens, der schulischen Voraussetzungen, der Herkunftsregion aber auch der Ausbildungsberufe, auf die sich die Jugendlichen beworben haben, lässt sich auf der Grundlage der BA/BIBB-Bewerberbefragung belegen, dass Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu denjenigen ohne Migrationshintergrund eine signifikant geringere Einmündungswahrscheinlichkeit in eine betriebliche Berufsausbildung haben. Ihre Erfolgswahrscheinlichkeit lag 2016 um 11,6 Prozentpunkte unter der der Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund (vgl. Kapitel A8.1.3, Schaubild A8.1.3-7). Diese Ergebnisse weisen, wie die anderer Untersuchungen, in die gleiche Richtung: Junge Menschen mit einem Migrationshintergrund münden trotz engagierter Suchaktivitäten und längerer Übergangsprozesse seltener in eine betriebliche bzw. vollqualifizierende Ausbildung (alle Formen) ein. Weder ungünstigere schulische Voraussetzungen bzw. Schulleistungen oder metakognitive Fähigkeiten bzw. Berufspräferenzen oder Suchstrategien noch die bisher untersuchten kulturellen und sozialen Ressourcen bzw. die soziale Herkunft bzw. Unterstützungsangebote im Übergangsprozess oder die regionale Ausbildungsmarktlage können die geringeren Einmündungschancen junger Menschen mit einem Migrationshintergrund bzw. bestimmter Herkunftsgruppen in eine nicht akademische berufliche Ausbildung abschließend erklären (Beicht/Walden 2015; für einen Überblick siehe Beicht 2015). 

Dies wirkt sich auch auf ihre Platzierung in der beruflichen Ausbildung aus. Jugendliche mit Migrationshintergrund münden beispielsweise erheblich seltener in ihren Wunschberuf ein. Zudem erweisen sich die Rahmenbedingungen ihrer betrieblichen Ausbildung oftmals als ungünstiger (vgl. BIBB-Datenreport 2016, Kapitel A4.9). Sie werden beispielsweise häufiger in Ausbildungsberufen mit einer höheren Vertragslösungsquote ausgebildet. Dies spiegelt sich auch in der Vertragslösungsquote von Auszubildenden ausländischer Nationalität wider. Diese lag 2016 nach der Probezeit bei 23,1% und damit rund 6  Prozentpunkte über der Vertragslösungsquote Auszubildender deutscher Nationalität (16,8%). In der Probezeit betrug die Vertragslösungsquote bei einer ausländischen 10,9%, bei einer deutschen Staatsangehörigkeit 8,3% (vgl. Kapitel A5.6, Tabelle A5.6-4). Werden u. a. die ungünstigeren Schulabschlüsse von Auszubildenden ausländischer Nationalität und die Ausbildungsberufe berücksichtigt, so zeigen sich bei dualen Auszubildenden mit ausländischem Pass im Vergleich zu denjenigen mit deutschem Pass kaum mehr Unterschiede in der Höhe der Vertragslösungen (Rohrbach-Schmidt/Uhly 2014). 

Ein Berufsabschluss hat gerade im Hinblick auf eine dauerhafte Integration in das Erwerbsleben eine herausragende Bedeutung. Junge Erwachsene mit Migrationshintergrund erlangen deutlich seltener einen Berufsabschluss (vgl. Kapitel A11.1). Der Anteil junger Erwachsener (20 bis 34 Jahre) mit Migrationshintergrund, der in Deutschland aufgewachsen ist und keinen Berufsabschluss hat, d. h. nicht formal qualifiziert ist (vgl. Erläuterung in Kapitel A11.1), war 2016 mit 19,9% mehr als doppelt so hoch wie bei der Vergleichsgruppe (Deutsche ohne Migrationshintergrund: 8,8%) (vgl. Kapitel A11.3Tabelle A11.3-1). Bei den jungen Erwachsenen dieser Altersgruppe ohne eigene Migrationserfahrung, deren Familien aus der Türkei stammen, lag die Quote der Personen ohne Berufsabschluss mit 25,1% noch höher. Junge Frauen mit Migrationshintergrund, aber ohne eigene Migrationserfahrung, waren seltener als die männliche Vergleichsgruppe ohne formalen Berufsabschluss (weiblich: 18,5%, männlich: 20,9%). Dies traf auch auf die Gruppe junger Frauen türkischer Herkunft ohne eigene Migrationserfahrung zu (weiblich: 23,4%, männlich: 26,6%). Bei der Gruppe junger Erwachsener mit eigener Migrationserfahrung, d. h. derjenigen, die selbst nach Deutschland zugewandert sind, war die Quote der formal Ungelernten mit 31,4% noch höher, dies galt vor allem bei einer Herkunft aus der Türkei (54,1%) (vgl. Kapitel A11.3, Tabelle A11.3-1). 

Bisherige Ergebnisse weisen darauf hin, dass insbesondere der schwierige Zugang zu einer beruflichen Erstausbildung die Teilhabe junger Menschen mit Migrationshintergrund an beruflicher Ausbildung erschwert (vgl. BIBB-Datenreport 2016, Kapitel A4.9). Daher benötigen sie insbesondere beim Übergang von der Schule in die Ausbildung Unterstützung. Als erfolgreich haben sich hier Ansätze bewährt, die Jugendliche im Übergang kontinuierlich begleiten, wie beispielsweise Mentoring-Programme oder die Berufseinstiegsbegleitung, worauf vorliegende Untersuchungsergebnisse hinweisen (Beicht 2015). Eine Unterstützung benötigen sie auch während ihrer Ausbildung, um trotz ungünstigerer Rahmenbedingungen bei Ausbildungsbeginn die Ausbildung erfolgreich abschließen zu können. Programme, die Auszubildende im Verlauf der Ausbildung begleiten, erweisen sich hier ebenso als erfolgsversprechend wie Maßnahmen, die an den Auszubildenden und am Ausbildungsbetrieb ansetzen (z. B. assistierte Ausbildung).

(Mona Granato)