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Unbesetzte Ausbildungsplatzangebote

Die Zahl der gemeldeten (betrieblichen) Ausbildungsstellen, die bis zum Bilanzierungsstichtag 30. September nicht besetzt werden konnten, stieg in den vergangenen Jahren kontinuierlich an. Im Jahr 2018 setzte sich dieser Trend erneut fort: Bundesweit blieben 57.700 Ausbildungsstellen unbesetzt. Dies ist der höchste Wert seit 1994 und bedeutet im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um +8.700 bzw. +17,7%. Der Anteil der unbesetzten Ausbildungsstellen am offiziell errechneten betrieblichen Gesamtangebot lag bundesweit somit im Jahr 2018 bei 10,0% (+ 1,2 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr 2017).

Die Quoten erfolglos angebotener betrieblicher Ausbildungsplätze weisen wie bereits in den Vorjahren eine beträchtliche regionale Varianz auf. Während 2018 in den bayerischen Arbeitsagenturbezirken Passau, Schwandorf, Regensburg sowie in den Arbeitsagenturbezirken Greifswald, Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern), Bernburg (Sachsen-Anhalt), Potsdam (Brandenburg) und Jena (Thüringen) mehr als 20% aller betrieblichen Ausbildungsplatzangebote unbesetzt blieben, waren es in den Bezirken Hannover, Nordhorn (Niedersachsen), Kassel (Hessen) und Dortmund (Nordrhein-Westfalen) noch nicht einmal 3%. Da sich die regionalen Extreme verstärkt auf bestimmte Bundesländer konzentrierten, ließ sich auch auf der Ebene der Länder eine deutliche Spannweite bei der Quote der unbesetzten betrieblichen Ausbildungsplätze beobachten. Sie reichte von 16,3% in Mecklenburg-Vorpommern bis 4,7% in Hamburg Tabelle A1.1.1-2, Spalte 17.

Erfolglose Ausbildungsplatznachfrage

Die Zahl der Bewerber, die am 30. September 2018 bei der BA noch „als eine Ausbildungsstelle suchend“ gemeldet waren und die deshalb als erfolglose Ausbildungsplatznachfrager/-innen gelten, umfasste bundesweit 78.600 Personen. Dies sind knapp 1.600 bzw. 2,0% weniger als im Vorjahr. Ihr Anteil an der insgesamt ermittelten Ausbildungsplatznachfrage lag 2018 mit 12,9% zwar unter dem Vorjahreswert, aber weiterhin auf einem hohen Niveau Tabelle A1.1.1-2, Spalte 20.

Wie der Anteil des unbesetzten Ausbildungsplatzangebots, so variierte auch die Quote der erfolglosen Ausbildungsplatznachfrage beträchtlich zwischen den Regionen. Während in den nordrhein-westfälischen Arbeitsagenturbezirken Oberhausen (25,0%) und Hagen (24,9%) ein Viertel aller Ausbildungsplätze nachfragenden Jugendlichen bis zum Stichtag 30. September erfolglos eine Ausbildungsstelle suchten, waren es in den ostbayerischen Regionen Passau und Schwandorf noch nicht einmal 3%. Da sich die regionalen Extreme wiederum verstärkt auf bestimmte Bundesländer konzentrierten, ließ sich auch auf der Ebene der Länder eine deutliche Spannweite bei der Quote der erfolglosen Ausbildungsplatznachfrage beobachten. Sie reichte von 22,0% in Berlin bis 6,4% in Bayern Tabelle A1.1.1-2, Spalte 20.

Erfolglose Ausbildungsplatznachfrager/-innen sind inzwischen nicht mehr überwiegend junge Menschen ohne Abschlüsse bzw. mit niedrigen Schulabschlüssen. Bundesweit verfügten die meisten der 2018 zur erfolglosen Ausbildungsplatznachfrage gerechneten Personen über einen mittleren Schulabschluss (29.200 bzw. 37,1%). Weitere 21.600 bzw. 27,5% hatten eine Studienberechtigung (11.500 bzw. 14,6% eine Fachhochschulreife und 10.200 bzw. 12,9% das Abitur). In Nordrhein-Westfalen waren sogar 40,5% studienberechtigt. Bundesweit besaßen 2018 lediglich 22.400 bzw. 28,5% zur erfolglosen Ausbildungsplatznachfrage gerechneten Personen noch einen Hauptschulabschluss. Der Anteil der erfolglos Suchenden ohne (Hauptschul-)Abschluss betrug 1.700 Personen bzw. 2,1% Tabelle A1.1.2-1.

Tabelle A1.1.2-1: Von der Bundesagentur für Arbeit registrierte unbesetzte Ausbildungsstellen nach mindestens gefordertem Schulabschluss und noch suchende Bewerber/-innen nach tatsächlich mitgebrachtem Schulabschluss (Ergebnisse zum 30.09.2018)

Passungsprobleme

Passungsprobleme gelten bereits seit einigen Jahren als zentrale Herausforderung auf dem Ausbildungsmarkt (Matthes/Ulrich 2014; Matthes u. a. 2014; Matthes u. a. 2016; Granato/Milde/Ulrich 2018). Durch den erneut gestiegenen Anteil unbesetzter Ausbildungsplatzangebote und den anhaltend hohen Anteil erfolgloser Ausbildungsplatznachfrager/-innen nahmen die Passungsprobleme im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr noch einmal zu. Der „Index Passungsprobleme“ (IP)  erreichte bundesweit den Wert IP = 129,1 Tabelle A1.1.1-2, Spalte 24.

Passungsprobleme

Von einem Passungsproblem wird gesprochen, wenn es sowohl relativ viele unbesetzte Ausbildungsplatzangebote als auch relativ viele zum Bilanzierungsstichtag noch suchende Ausbildungsplatznachfrager/-innen gibt, d. h., wenn Besetzungs- und Versorgungsprobleme zusammenkommen. Quantitativ lässt sich das Ausmaß der Passungsprobleme durch Multiplikation der Erfolglosenanteile auf den beiden Seiten des Ausbildungsmarktes abbilden. Der „Index Passungsprobleme“ (IP) berechnet sich somit als Produkt aus dem Prozentanteil der unbesetzten Stellen am betrieblichen Ausbildungsplatzangebot und dem Prozentanteil der noch suchenden Bewerber/-innen an der Ausbildungsplatznachfrage.

Der Wertebereich variiert damit rechnerisch von 0% * 0% = 0 (keinerlei Passungsprobleme, da keine gemeldete Stelle unbesetzt bleibt und kein Nachfrager am Ende des Berichtsjahres noch sucht) bis hin zum nur rechnerisch, aber praktisch kaum möglichen Wert von 100% * 100% = 10.000 (alle gemeldeten Stellen bleiben unbesetzt und alle Nachfrager suchen am Ende des Berichtsjahres noch weiter). Durch die multiplikative Verknüpfung wird sichergestellt, dass der Indikator auch dann keine Passungsprobleme anzeigt, wenn zwar massive Besetzungsprobleme vorliegen, aber keine Versorgungsprobleme (im Extremfall 100% * 0% = 0), und umgekehrt, wenn keine Besetzungsprobleme existieren, aber die Versorgungsprobleme groß sind (im Extremfall 0% * 100% = 0).

Ein zentraler Grund für die zunehmenden Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt liegt in den in Kapitel A1.1.2 geschilderten regionalen und beruflichen Marktungleichgewichten. Einerseits gibt es viele Regionen und Berufe mit einem Überhang an Ausbildungsangeboten und – als Folge dessen – mit entsprechend vielen unbesetzten Ausbildungsplätzen. Andererseits existieren weiterhin spiegelbildlich viele Regionen und Berufe mit einem Nachfrageüberhang und – als Folge dessen – mit vielen erfolglos suchenden Jugendlichen. Auf übergeordneter Ebene (bundesweit, berufsübergreifend) summieren sich beide Phänomene zu relativ hohen Zahlen an erfolglosen Marktteilnahmen sowohl aufseiten der Betriebe als auch aufseiten der Jugendlichen.

Seit 2017 weist die BA-Ausbildungsmarktstatistik den Schulabschluss aus, den registrierte Ausbildungsplatzanbieter (mindestens) von Bewerbern/Bewerberinnen erwarten (Bundesagentur für Arbeit 2018a, Bundesagentur für Arbeit 2019b). Auch diese Statistik trägt dazu bei, die Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt zu beschreiben und zu verstehen. Betrachtet man nun für 2018 die Zahl bzw. die Anteile der unbesetzten Ausbildungsstellen differenziert nach dem erwarteten (Mindest-)Schulabschluss der Bewerber/-innen, so zeigt sich, dass bundesweit bei deutlich mehr als der Hälfte (34.500 bzw. 59,8%) der unbesetzten Ausbildungsstellen lediglich ein Hauptschulabschluss als Mindest-Zugangsvoraussetzung genannt wurde Tabelle A1.1.2-1, Zeile unten. In den Ländern Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz sind es sogar fast zwei Drittel. Bundesweit nur rund 5.400 bzw. 9,4% aller unbesetzten Ausbildungsstellen betrafen Plätze, bei denen eine Studienberechtigung (Fachhochschulreife oder eine allgemeine Hochschulreife) verlangt wurde.

Demnach besteht auf dem Ausbildungsmarkt eine beträchtliche Diskrepanz zwischen dem erwarteten (Mindest-)Schulabschluss für die unbesetzten Ausbildungsstellen und dem inzwischen erreichten Schulabschlussniveau der erfolglos suchenden Ausbildungsstellenbewerber/-innen Tabelle A1.1.2-1. Das tatsächlich erreichte Abschlussniveau übertrifft die Mindesterwartungen inzwischen deutlich. So wird zwar nur für 5.400 bzw. 9,4% der unbesetzten Stellen eine Studienberechtigung erwartet, es bringen aber 21.600 bzw. 27,5% der noch Suchenden eine solche Berechtigung mit. Um die Passungsprobleme zu verringern, müssten demnach die schulisch höher qualifizierten Jugendlichen bereit sein, stärker als bislang auf Ausbildungsstellen zuzugehen, für die aus Sicht der Betriebe gegebenenfalls auch ein niedriger Schulabschluss reicht.

Die meisten Betriebe dürften kein größeres Problem haben, ihre Plätze mit Jugendlichen zu besetzen, deren Schulabschluss höher ausfällt, als eigentlich erforderlich wäre. Denn viele Betriebe verbinden mit höheren Schulabschlüssen die Hoffnung auf eine höhere Lernfähigkeit und Produktivität ihrer Auszubildenden. Fraglich ist aber, ob Jugendliche mit höheren Schulabschlüssen ebenfalls so flexibel reagieren. Denn aus ihrer Sicht würde z. B. die Einmündung in einen typischen „Hauptschülerberuf“ bedeuten, dass sich ihre subjektiven „Kosten“, die sie durch ihre Investition in einen höheren Schulabschluss hatten, nicht amortisieren (vgl. dazu und zu möglichen Lösungsansätzen Ulrich 2019).

Wie der in Tabelle A1.1.2-1 integrierte Ländervergleich weiterhin verdeutlicht, wird das grundsätzlich vorhandene Ungleichgewicht zwischen erwarteter und mitgebrachter schulischer Vorbildung darüber hinaus von gravierenden Länderunterschieden überlagert.

  • So teilen z. B. Baden-Württemberg und Bayern das Problem, dass den vielen noch offenen Ausbildungsplätzen, die nicht mehr als einen Hauptschulabschluss voraussetzen, besonders wenige noch suchende Jugendliche gegenüberstehen, die einen Hauptschulabschluss mitbringen. Während es aber für Jugendliche mit höherer Vorbildung in Baden-Württemberg nur relativ wenig Plätze gibt, die eine entsprechende Mindestqualifikation voraussetzen, stehen in Bayern für noch suchende Jugendliche mit höherer schulischer Vorbildung rechnerisch noch ausreichend Plätze mit entsprechender Qualifikationserwartung gegenüber. Die Besonderheit Bayerns gegenüber Baden-Württemberg und anderen Ländern besteht darin, dass die zum Stichtag 30. September 2018 insgesamt noch vorhandene Nachfrage (6.500) bei Weitem nicht ausreicht, um das noch vorhandene Angebot (16.200) zu decken.
  • In Hamburg ist dies genau umgekehrt: Hier gibt es zum Stichtag 30. September mehr als dreimal so viele noch suchende Jugendliche (2.300) als noch unbesetzte Plätze (gut 600). Selbst auf die insgesamt nur wenigen unbesetzten Plätze, die nicht mehr als einen Hauptschulabschluss erfordern (200), entfallen sehr viele noch suchende Bewerber/-innen, die einen Hauptschulabschluss mitbringen (1.000). Im Gegensatz zu Baden-Württemberg und Bayern leidet Hamburg somit unter einem beträchtlichen Mangel an Ausbildungsplätzen für Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss.
  • Wie in Hamburg, so gibt es auch in Nordrhein-Westfalen viel mehr noch suchende Jugendliche (22.000) als noch unbesetzte Plätze (9.600). Für noch suchende Jugendliche mit Hauptschulabschluss (4.300) gibt es jedoch rechnerisch noch genügend Plätze, die nicht mehr als diesen Abschluss voraussetzen (5.100). Dagegen stehen den 8.900 noch Suchenden mit Studienberechtigung lediglich 1.500 Plätze gegenüber, die eine Studienberechtigung voraussetzen. Wollte man in Nordrhein-Westfalen mehr Jugendliche mit Studienberechtigung vermitteln, müssten diese Jugendlichen demnach – wie dies z. B. auch in Baden-Württemberg der Fall sein müsste – vermehrt auf Plätze zugehen, für die gegebenenfalls auch ein Hauptschulabschluss reichen würde. Im Gegensatz zu Baden-Württemberg würden damit aber viel stärker noch suchende Jugendliche mit Hauptschulabschluss verdrängt werden.

Angesichts der hier skizzierten Länderunterschiede liegt es nahe, über eine stärkere Förderung der regionalen Mobilität nachzudenken. Neuere Untersuchungen zeigen allerdings, dass bereits das heute zu beobachtende Mobilitätsverhalten der Jugendlichen beträchtlich zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage beiträgt (vgl. Kapitel A8.2). Mobilität kann zudem Probleme erzeugen, etwa wenn eine hohe Zahl von einpendelnden Jugendlichen wie z. B. in Hamburg die Ausbildungsmarktchancen der vor Ort lebenden Jugendlichen schmälert (Matthes/Ulrich 2017). Ohnehin fördern Jugendliche mit hoher regionaler Mobilitätsbereitschaft nicht zwangsläufig den Marktausgleich. Denn diese oft sehr selbstbewussten Jugendlichen konzentrieren ihre Ausbildungswünsche nicht selten auf Berufe, in denen es ohnehin keinen Mangel an Bewerbern/Bewerberinnen gibt. Damit kommt ihre regionale Mobilität Berufen mit überdurchschnittlich großen Besetzungsproblemen nur bedingt zugute. Flexibler zugunsten von insgesamt nur wenig nachgefragten Berufen scheinen sich Jugendliche zu verhalten, die in regionaler Hinsicht eher mobilitätsscheu sind; diese Jugendlichen sind, damit sie in ihrer Heimatregion bleiben können, offenbar stärker zu beruflichen Kompromissen bereit (Matthes/Ulrich 2018).