BP:
 

Entwicklung von Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage

Um die Gesamtzahl der dualen Ausbildungsplätze, welche die Betriebe, Praxen und Verwaltungen zu Beginn der Planungsperiode als mögliches Ausbildungsangebot in Betracht ziehen, neu einzurichten oder wieder zu besetzen gedenken, jenseits des institutionell erfassten Ausbildungsplatzangebotes zu berücksichtigen, wird in PROSIMA ein latentes Angebotspotenzial geschätzt. Gegensätzlich dazu entspricht das Nachfragepotenzial der latenten Nachfrage nach Ausbildungsplätzen. Schaubild A2.2-1 zeigt für den Zeitraum von 2008 bis 2018 die Entwicklung der beiden Potenzialgrößen sowie der bei der BA institutionell erfassten Bewerber/-innen. Während beide Potenzialvariablen für die letzten 5 Jahre nahezu unverändert sind, lässt sich erkennen, dass die Unternehmen, Praxen und Verwaltungen zunehmend mehr Ausbildungsstellen bei der BA melden. Die Zahl der institutionell registrierten Ausbildungsinteressierten geht hingegen zurück. Dennoch sind seit dem Jahr 2015 sowohl mehr Bewerber/-innen als auch mehr Stellen bei der BA gemeldet, als Neuverträge zustande kommen. Dies verdeutlicht zum einen die Passungsproblematik auf dem Ausbildungsmarkt, zum anderen zeigt die Entwicklung aber auch, dass Ausbildungsverträge wahrscheinlicher werden, wenn eine der beiden Marktseiten das Ausbildungsinteresse institutionell erfassen lässt. Hier zeigt sich, dass es zunehmend die Unternehmen, Praxen und Verwaltungen sind, welche ihr Ausbildungsinteresse bei der BA hinterlegen, während die Zahl der gemeldeten Bewerber/-innen leicht rückläufig ist. Die leicht steigende Anzahl an Neuabschlüssen deutet jedoch darauf hin, dass die Bewerber/-innen auf die von der Angebotsseite gebotenen „Gelegenheiten“ zurückgreifen.

Die Ausbildungs- und Meldebereitschaft der Unternehmen, Praxen und Verwaltungen steht gewöhnlicherweise im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung (vgl. BIBB-Datenreport 2017, Kapitel A2). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019) geht im Jahreswirtschaftsbericht 2019 von einem Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes von 1% gegenüber 2018 aus. Andere Institute kommen zu etwas optimistischeren Ergebnissen. So prognostizieren die Deutsche Bundesbank (2018) und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ein Wachstum von 1,6% (Michelsen u. a. 2018), das ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München hingegen nur 1,1% (Wollmershäuser u. a. 2018). Als Grund werden vor allem die erhöhten Risiken in der Außenwirtschaft angeführt (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2019).33

Für das Prognosejahr 2019 wird das pessimistischere Wachstum der Bundesregierung herangezogen. Wie die Ex-Post-Analyse für 2018 gezeigt hat, ist es jedoch entscheidend, inwieweit sich das gehemmtere Wachstum auf die Ausbildungs- und Meldebereitschaft der Unternehmen, Praxen und Verwaltungen überträgt.

Angebotspotenzial und Nachfragepotenzial

Das Angebotspotenzial entspricht der latenten Gesamtzahl der dualen Ausbildungsplätze, welche die Betriebe, Praxen und Verwaltungen zu Beginn der Planungsperiode als mögliches Ausbildungsangebot in Betracht ziehen, neu einzurichten oder wieder zu besetzen gedenken – unabhängig davon, ob sie die Arbeitsverwaltung über ihre Absichten und Stellen informieren, wie intensiv sie suchen und wie erfolgreich sie bei der Akquisition von Auszubildenden sind.

Das Nachfragepotenzial entspricht gegensätzlich zum Angebotspotenzial der latenten Nachfrage nach Ausbildungsplätzen. D. h., hierzu werden alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen gerechnet, die sich zwischen dem 1. Oktober des Vorjahres und dem 30. September für eine duale Berufsausbildung interessierten. Im Unterschied zur Ausbildungsplatznachfrage zählen hierzu auch jene Personen, die ihr Ausbildungsinteresse noch vor dem 30. September wieder aufgeben oder auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.

Schaubild A2.2-1: Angebots- und Nachfragepotenzial, bei der BA gemeldete Stellen und Bewerber/-innen sowie neu abgeschlossene Ausbildungsverträge zum 30.09. von 2008 bis 2018

Tabelle A2.2-1 gibt die zentralen Kennzahlen des Ausbildungsstellenmarktes unter den geschilderten Nebenbedingungen wieder. Aufgrund der zwar positiven, jedoch im Vergleich zu 2018 schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung ist für das Jahr 2019 mit einem leichten Rückgang in der Anzahl der angebotenen Ausbildungsplätze von 589.100 im Jahr 2018 auf 586.100 im Jahr 2019 zu rechnen.34 Dabei werden vor allem die neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge von 531.400 im Jahr 2018 auf 522.70035 im Jahr 2019 zurückgehen, während die unbesetzten Ausbildungsplätze von 57.700 auf 63.400 jeweils leicht ansteigen.36 Dies liegt daran, dass das Angebotspotenzial im Vergleich zu 2018 nur geringfügig um 0,05% zurückgeht, während das Nachfragepotenzial um rund 2% zurückgeht. Die Ausbildungsplatznachfrage (erweiterte Definition) geht entsprechend ebenfalls leicht von rund 610.000 Personen im Jahr 2018 auf 596.800 Personen im Jahr 2019 zurück. Unter den unvermittelten Bewerbern/Bewerberinnen prognostiziert PROSIMA ebenfalls einen leichten Rückgang von 24.500 auf 24.000 Personen,37 wie bei der Anzahl an unvermittelten Bewerbern und Bewerberinnen in Alternativen, die von 54.100 (2018) um 4.100 auf 50.000 (2019) zurückgehen.

In beiden Angebots-Nachfrage-Relationen ändert sich das Verhältnis der angebotenen zu den nachgefragten Ausbildungsplätzen zugunsten der Ausbildungsnachfrager/-innen. So steigt die Relation von 96,6 auf 98,2 Ausbildungsstellen pro 100 Bewerber/-innen (erweiterte Definition) bzw. von 105,9 auf 107,2 Ausbildungsstellen pro 100 Bewerber/-innen (alte Definition).38

Die gesamten Schätzungen – insbesondere die der unversorgten Bewerber/-innen, wie auch die Schätzung der unbesetzten Ausbildungsplätze – sind für 2019 mit Unsicherheiten verbunden, die über die Grenzen der jeweilig ökonometrisch bestimmten Vertrauensintervalle hinausgehen. PROSIMA kann beispielsweise nicht zwischen Geflüchteten und Nicht-Geflüchteten unterscheiden (vgl. BIBB-Datenreport 2016, Kapitel A2.3). Gemäß den Vorausschätzungen im BIBB-Datenreport 2017, Kapitel C5 wird von einer etwa gleich hohen Anzahl an ausbildungsinteressierten Geflüchteten wie 2018 ausgegangen. Allerdings werden diese Bewerber/-innen nicht gesondert im Projektionskontext berücksichtigt, da davon ausgegangen wird, dass sie sich bereits in den Statistiken der Schulabgänger/-innen aus allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen befinden.

Tabelle A2.2-1: Einschätzung der Ausbildungsmarktentwicklung zum 30.09.2019 (Angaben in Tsd.)

Zudem wird für die Ergebnisse in Tabelle A2.2-1 angenommen, dass die Unternehmen, Praxen und Verwaltungen von ihrem bisherigen Ausbildungsverhalten nicht abweichen und beispielsweise noch mehr Ausbildungsstellen bei der BA melden, als sich dies aus der Entwicklung der Vergangenheit ablesen lässt. Die Ex-Post-Evaluation des Jahres 2018 hat aber auch gezeigt, dass die Unternehmen, Praxen und Verwaltungen mehr Ausbildungsverträge und mehr Ausbildungsplätze angeboten haben, als dies die wirtschaftliche Entwicklung vermuten ließ. Es ist derzeit unklar, ob diese gestiegene Ausbildungsbereitschaft als ein Sondereffekt zu betrachten ist oder andauert. Ein Grund, der für einen mittelfristigen Anstieg der Ausbildungsbemühungen sprechen könnte, sind die derzeitigen und voraussichtlich auch mittelfristig andauernden Rekrutierungsschwierigkeiten auf Fachkräfteebene (vgl. Kapitel C2). Die eigene Ausbildung kann in der angespannten Fachkräftesituation als strategisches Mittel der Betriebe wiederentdeckt werden, um den mittelfristigen Fachkräftebedarf in den Betrieben sicherzustellen.

Auch die konjunkturelle Entwicklung ist wie immer von Unsicherheiten geprägt. Die neusten Vorausschätzungen schwanken zwischen 1% und 1,6% Wachstum. PROSIMA orientiert sich in seiner Vorausschätzung am pessimistischen Vorausblick der Bundesregierung (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2019). Aus den genannten Gründen wurden erneut Sensitivitätsanalysen mit PROSIMA berechnet, um die Prognosen vor den veränderbaren Randbedingungen einordnen zu können. Diese zeigen Folgendes:

  • Um den Effekt der Ausbildungs- und Meldebereitschaft seitens der Unternehmen, Praxen und Verwaltungen zu simulieren, wird die Anzahl der gemeldeten Stellen auf das Vorjahresniveau (+17.000) gesetzt. Es zeigt sich, dass unter diesen Umständen auch das institutionell erfasste Ausbildungsangebot mit 589.200 Stellen auf dem Wert des Jahres 2018 verweilen würde. Aufgrund der weiterhin zurückgehenden Nachfrage nach Ausbildungsplätzen würde sich dies jedoch nicht nur in einer leicht steigenden Anzahl an neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen (um 2.500 auf 525.200), sondern auch in einem Anstieg der unbesetzten Stellen (um 700 auf 64.100) zeigen.
  • Um die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zu erhöhen, müsste auch gleichzeitig die Anzahl der bei der BA gemeldeten Bewerber/-innen sowie das Nachfragepotenzial steigen. Könnten diese auf dem Wert des Jahres 2018 (+17.000 gemeldete Bewerber/-innen) gehalten werden, würden die neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge nur auf 529.200 absinken. Da die gemeldeten Stellen derzeit jedoch bereits über der Anzahl der gemeldeten Bewerber/-innen liegen, hätte eine Steigerung der bei der BA gemeldeten Bewerber/-innen auch unabhängig von einer Erhöhung der gemeldeten Stellen einen positiven Effekt auf die Anzahl an neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen.
  • Pro 0,1 Prozentpunkte Wachstum erhöht sich das Ausbildungsplatzangebot um ca. 800 Plätze. Davon könnten bei sonst gleichbleibenden Rahmenbedingungen 600 neue Ausbildungsverträge entstehen, 200 der neu angebotenen Ausbildungsstellen blieben jedoch unbesetzt. Diese relativ geringe Sensitivität ist der begrenzten Nachfrage nach Ausbildungsplätzen geschuldet. Selbst wenn die Unternehmen, Praxen und Verwaltungen mehr Ausbildungsverträge schließen möchten, könnten sie das Potenzial aufgrund einer begrenzten Nachfrage nach Ausbildungsstellen nicht ausschöpfen.

Die Sensitivitätsanalysen zeigen, dass 2019 trotz pessimistischerer Wirtschaftsaussichten eine Erhöhung des Ausbildungsplatzangebotes möglich ist. Um die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zu steigern, ist es aber auch notwendig, das Nachfragepotenzial nach einer dualen Berufsausbildung zu erhöhen. Für die in Tabelle A2.2-1 ausgewiesenen Ergebnisse werden Personen, die sich im Fluchtkontext als Bewerber/-innen bei der BA registrieren lassen, nicht gesondert berücksichtigt. Die Größenordnung des Vorjahres von rund 38.300 würde aber auch nicht ausreichen, um den Rückgang an bei der BA registrierten Bewerber/-innen aufzufangen. Je mehr Bewerber/-innen allerdings bei der derzeitigen günstigen konjunkturellen Lage bei der BA registriert und somit auch als vermittlungsfähig eingestuft werden, desto höher ist die Anzahl der durch PROSIMA prognostizierten neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge.

Um die Zahl der vermittlungsfähigen Bewerber/-innen zu erhöhen, kann von staatlicher Seite beispielsweise auf die Möglichkeiten der Einstiegsqualifizierung hingewiesen werden. Zudem gilt es, über Sprachförderung und/oder schulische Nachqualifizierungsmaßnahmen junge Geflüchtete für die Aufnahme einer Berufsausbildung zu befähigen, um ihre Vermittlungschance in eine Berufsausbildung zu erhöhen. Die Unternehmen, Praxen und Verwaltungen können zudem durch Leistungen der Berufsausbildungsbeihilfe (BAB), der Assistierten Ausbildung (AsA) sowie ausbildungsbegleitende Hilfen (abH) in ihren Ausbildungsbemühungen unterstützt werden. Gleichzeitig müsste aber auch die Attraktivität einer dualen Berufsausbildung für Personen mit einer Hochschulzugangsberechtigung gesteigert bzw. der entsprechenden Zielgruppe verdeutlicht werden.

(Tobias Maier)

  • 33

    Wie jedes Jahr wird auch anhand von PROSIMA eine Prognose der konjunkturellen Entwicklung vorgenommen. Diese ist mit einem prognostizierten Wachstum von 2,2% optimistischer als die Prognose der anderen Institute.

  • 34

    Mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% liegt das Ausbildungsplatzangebot zwischen 569.400 und 602.800 angebotenen Stellen.

  • 35

    Das Vertrauensintervall liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% zwischen 509.400 und 536.000 neuen Ausbildungsverträgen. Größtenteils ist der Rückgang der Neuabschlüsse auf Industrie und Handel zurückzuführen. Hier nimmt die Zahl der Verträge von 309.800 im Jahr 2018 auf 299.600 im Jahr 2019 zu. Die Zahl der Neuabschlüsse im Handwerk steigt hingegen leicht von 145.300 im Jahr 2018 auf 146.700 im Jahr 2019 an.

  • 36

    Das Vertrauensintervall liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% zwischen 49.300 und 77.500 unbesetzten Ausbildungsplätzen.

  • 37

    Das Vertrauensintervall liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% zwischen 18.700 und 29.300.

  • 38

    Die Vertrauensintervalle liegen zwischen 95,1 und 101,3 (erweiterte Definition) und zwischen 104,1 und 110,3 (alte Definition).