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Berufliche Bildung befindet sich in einem ständigen Wandlungsprozess. Dies wird auch in der jährlichen Aufstellung über neue und modernisierte Berufe dokumentiert (vgl. Kapitel A3.2). Im letzten Jahr hat die durch die Digitalisierung getriebene Dynamik der Neuordnungsaktivitäten deutlich zugenommen. Die Forderung nach einer schnelleren Bearbeitung der Ordnungsverfahren wurde erneut an unterschiedlichen Stellen deutlich formuliert. Im Folgenden wird diese Diskussion aufgegriffen. Es werden Grundprinzipien der Ordnungsarbeit der Berufsbildung beschrieben und aufgezeigt, an welchen Stellen Möglichkeiten für eine Beschleunigung der Verfahren möglich scheinen. Es sollte allerdings einleitend darauf hingewiesen werden, dass aus Sicht des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) eine Beschleunigung dieses Prozesses nicht zwingend erforderlich ist, weil sich das Verfahren in der Praxis bewährt hat und auch die Digitalisierung in diesem Kontext kein neues Phänomen darstellt. Vielmehr sind Aspekte der Digitalisierung in der Vergangenheit kontinuierlich in dem Maße in die Modernisierung der Berufsbilder eingeflossen, wie dies aus Sicht der betrieblichen Akteure sinnvoll erschien.

Ausbildungsordnungen orientieren sich an den Mindeststandards beruflicher Handlungskompetenz eines Berufes

Technikoffene Formulierungen von Ausbildungsordnungen und Flexibilitäts-Spielräume für die ausbildenden Betriebe sind bereits lange geltende Standards in den Ordnungsmitteln. Diese sind in Struktur und von der Formulierung her so angelegt, dass Betriebe die neuen Anforderungen, wie sie z. B. durch die Digitalisierung induziert werden, aufnehmen können (Bei der Wahl des betrieblichen Auftrags als Prüfungsinstrument ist dies sogar bis in die Struktur der Prüfung hinein möglich).

Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass Aktualität und Flexibilität mit geltenden Verordnungen nicht mehr hinreichend sichergestellt werden können, sollte eine Anpassung so rasch, aber auch so nachhaltig wie möglich erfolgen. Dabei sollte in Betracht gezogen werden, dass Innovationen auch bereits einen solchen Diffusionsgrad in den Betrieben erreicht haben, dass die Mehrzahl der ausbildenden Betriebe durch die Formulierung von Mindeststandards in der Ausbildungsordnung nicht überfordert wird. Ansonsten ist es angezeigt, Möglichkeiten der Flexibilisierung in Ordnungsmitteln und auch die regionale Abstimmung der Lernorte Betrieb, Berufsschule bzw. der überbetrieblichen Ausbildungsstätten stärker zu nutzen. Hinsichtlich der Prüfungsgestaltung haben auch die Kammerorganisationen einige Spielräume, aktuelle Entwicklungen im Rahmen der übergeordneten Prüfungsregelungen in die jährliche Abschlussprüfung aufzunehmen. Kommen die Ordnungsakteure im Konsens zu dem Schluss, dass eine Modernisierung oder gar seltener ein ganz neuer Beruf notwendig wird, stehen in Form von Wahl- und Zusatzqualifikationen, Schwerpunkten, Einsatzgebieten und Fachrichtungen unterschiedliche Strukturierungsmöglichkeiten zur Gestaltung der Ordnungsmittel zur Verfügung (Bretschneider/Schwarz/Schröder 2015). Diese sollten bewusst auch hinsichtlich ihres Flexibilisierungspotenzials ausgewählt werden. So können zum Beispiel Zusatz- oder Wahlqualifikationen für besondere Anforderungen innovativer Betriebe oder heterogener Ausbildungsbetriebe in einem Berufsfeld genutzt werden. Eine Veränderung des Berufes innerhalb solcher, teilweise modular gestalteter Berufsbilder ermöglicht die relativ unkomplizierte kurzzyklische Modernisierung, wie das Beispiel aus dem Jahr 2018 zum Ausbildungsberuf Chemikant/-in verdeutlicht. Bildungspolitische Akzente können über zeitgemäße Standardberufsbildpositionen für alle Berufsbilder gesetzt werden. Derzeit wird seitens der Ordnungsakteure an einer entsprechenden Modernisierung der Standardberufsbildpositionen unter besonderer Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in der Beruflichen Bildung (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2017) und Digitalisierung gearbeitet.

Ausbildungsordnungen sind Rechtsverordnungen und werden sequenziell erarbeitet und abgestimmt

Bislang verläuft der Prozess der Erarbeitung von Ausbildungsordnungen zumeist in einem festgelegten, aufeinander aufbauenden Prozess. Da es z. B. nicht möglich ist, die Prüfungsbestimmungen vor der inhaltlichen Ausgestaltung des Ausbildungsrahmenplans zu erarbeiten, wird dies auch in Zukunft nur in wenigen Punkten anders zu gestalten sein. Bausteine, z. B. eine für alle Ausbildungsregelungen verbindliche Musterausbildungsordnung oder Sammlungen von möglichen und justiziablen Formulierungsbeispielen sowie die Erarbeitung und Vereinbarung von taxonomischen Beschreibungen für unterschiedliche Kompetenzniveaus (Prakopchyk 2015), können ebenfalls zu einer Beschleunigung der Prozesse beitragen. Eine Verkürzung des Prozesses durch eine frühzeitige Abstimmung von Zwischenständen mit dem Bundesministerium für Justiz, parallel zum Verfahren, könnte den Prozess beschleunigen. Erste Schritte in diese Richtung wurden in der Vergangenheit bereits gemacht und die Erfahrungen hiermit werden kontinuierlich ausgewertet.

Neuordnungsverfahren in der Beruflichen Bildung sind geprägt durch Partizipation und Konsensfindung

Die Ordnungsarbeit auf der Grundlage des Berufsbildungsgesetzes ist durch den hohen Grad der Partizipation der Praxis und durch das Konsensprinzip geprägt. Neben den Koordinatorinnen und Koordinatoren seitens der Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sowie Vertreterinnen und Vertretern der zuständigen Bundesressorts sind die betrieblichen Sachverständigen die maßgeblichen Akteure bei der Erarbeitung des Verordnungsentwurfs. Sie legen auf der Basis ihrer betrieblichen Berufserfahrung fest, welche Inhalte zu vermitteln sind, welche Zeit für die Vermittlung dieser Inhalte durchschnittlich benötigt wird und welche davon besonders relevant für die Prüfung sind. Dies ist ein Beteiligungsverfahren, welches es zu bewahren gilt und bei dem besonders im Hinblick auf die Digitalisierung auch zukünftig darauf zu achten ist, dass auch kleine und mittelständige Unternehmen angemessen berücksichtigt werden. Gleichzeitig liegt hier auch ein Grund für eine Beschränkung in Bezug auf die Beschleunigung. Bei allen Akteursgruppen der beruflichen Bildung ist nur ein überschaubarer Kreis an Personen vorhanden, der die Prozesse adäquat begleiten kann. Auch die Freistellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Betrieben als Sachverständige für die Ordnungsverfahren ist oft nicht unproblematisch und hat Einfluss auf die Terminierung von Sitzungen. Eine bessere Personalausstattung und klare Vereinbarungen, bis hin zu gesetzlichen Regelungen zur betrieblichen Freistellung von Sachverständigen, sollten erwogen werden und könnten maßgeblich zu einer Beschleunigung der Prozesse beitragen. In der Vergangenheit wurden bereits Prozessoptimierung und digitaler Datenaustausch eingeführt. Neue Kommunikationsmedien eröffnen hier auch erweiterte Möglichkeiten, auch wenn zur Erarbeitung eines Konsenses eine 100%ige dezentrale Sitzungsgestaltung nicht zielführend erscheint.

Durch abgestimmte und verbindliche Verfahren zur Bedarfserhebung könnte der Prozess ebenfalls beschleunigt werden. Denkbar wäre die gesetzliche Verankerung eines regelmäßigen Monitoringzyklus im BBiG, wie dies zum Beispiel das neue Pflegeberufegesetz vorsieht. Hier wäre die Vereinbarung von Kriterien, die eine Modernisierung oder die Schaffung eines Berufes dringend erforderlich machen, denkbar, sowie die Einführung von verbindlichen Zeitfenstern für bildungspolitische Einigungsprozesse. Ergänzend wäre darauf zu achten, dass auch neuere in der Berufsbildung bislang nicht etablierte Technologien und Geschäftsmodelle erfasst und für die Berufsbildung erschlossen werden.

Fazit

Ein Blick in die vergangenen Jahre zeigt, dass die Herausforderungen der Ordnungsarbeit im Hinblick auf die Modernisierung von Berufen durchaus gemeistert wurden. In den letzten 10 Jahren wurden u. a. 67 der zu den MINT-Berufen des dualen Systems (siehe Kroll/Uhly 2016) gezählten Berufe modernisiert. Anforderungen der Digitalisierung wurden in diesem Zeitraum frühzeitig aufgegriffen. Zwischen dem offiziellen Antragsgespräch und der Verkündung im Bundesgesetzblatt lagen bei der überwiegenden Mehrzahl der 2018 in Kraft getretenen 25 Berufe deutlich weniger als 2 Jahre. Es wurden in der Regel 5 Sachverständigensitzungen benötigt, um die Ausbildungsordnung und den Ausbildungsrahmenplan im Detail und im Konsens abzustimmen. In einigen Fällen (z. B. bei den Verfahren der Metall- und Elektroberufe) wurden auch lediglich 3 Sitzungen benötigt. Hier gingen allerdings detaillierte Einigungsprozesse der Sozialpartner vor Beginn des Verfahrens voraus. Die Bearbeitungszeit bis zum Entwurf der Verordnung lag bei wenigen Monaten. Solche Zeitspannen sind für die Erarbeitung einer Ausbildungsordnung für einen Beruf, der jeweils zu Beginn eines Ausbildungsjahres zum 01.08. startet, zielführend und ausreichend.

Wünschenswert wäre es allerdings, wenn Betriebe und Schulen mit der Verkündung im Bundesgesetzblatt bereits auf Materialien zur Ausbildungsplanung, zumindest für das erste Ausbildungsjahr, zurückgreifen könnten. Hier ließe sich der Prozess durch eine parallele Erarbeitung von Umsetzungsmaterialien, wie z. B. der Reihe des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) „Ausbildung gestalten“ ab ca. der 3. Sitzung des Ordnungsverfahrens, und eine noch stärkere Verlagerung von Print- auf internetgestützte Informationsangebote ebenfalls beschleunigen. Um eine weitere Effizienzsteigerung in der Ordnungsarbeit zu erreichen, könnten die weiter oben skizzierten Handlungsoptionen auf politischer Ebene in Betracht gezogen werden. Dabei sollten Qualität und Umsetzbarkeit der Ausbildungsordnungen stets im Vordergrund stehen.

(Monika Hackel)