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Der fortschreitende digitale Wandel ist mit vielen Fragen zur Zukunft der Arbeit sowie der Aus- und Weiterbildung verbunden. Die Zukunft von Arbeit und Lernen hängt davon ab, wie der digitale Wandel gestaltet und erreicht werden kann, dass Jugendliche durch Berufsbildung für eine digitalisierte Arbeitswelt gerüstet und ältere Beschäftigte dem Wandel durch Weiterbildung gewachsen sind. Die Frage, wie die Voraussetzungen für Arbeitsplatzsicherheit und Arbeitsmarktfähigkeit durch lebensbegleitendes Lernen und durch auf individuelle Berufswege angepasste Aus- und Weiterbildung geschaffen werden, sollte beantwortet werden. In Anbetracht einer sich ständig und immer schneller verändernden Berufswelt stellt sich die Aufgabe, durch eine fundierte Aus- und Weiterbildung die Voraussetzung und Basis für ein „Innovationspotenzial“ zu schaffen, mit dem alle Veränderungen während der Berufslaufbahn – auch solche, die man heute noch gar nicht kennt – aktiv angenommen und umgesetzt werden können.

Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz werden angesichts sich laufend verändernden Fachwissens und neuer Arbeits- und Beschäftigungsstrukturen immer wichtiger. Auch Kreativität, kritisches Denken, Teamfähigkeit, Kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit sind Schlüsselkompetenzen der Zukunft. Sie zu beherrschen lernt man am besten, indem man sie schon im Zuge der betrieblichen Ausbildung praxisnah erwirbt. Dass dabei neben fachlichen Bezügen und technischen Entwicklungen auch andere Bereiche wie rechtliche Fragen, etwa im Zusammenhang mit neuen Arbeitsformen und -normen und Datenschutzregeln, oder auch Aspekte der Nachhaltigkeit und ethische Fragen im Hinblick auf den Umgang mit riesigen Datenmengen eine Rolle spielen, zeugt von der Komplexität des Wandels.

Als Folge dieses fortschreitenden technologischen Wandels werden heute schon künstliche Welten (Virtual Reality) geschaffen, physische und digitale Welten (Mixed Reality) miteinander vermischt und sogar die Abbildung einer erweiterten Realität (Augmented Reality) weltweit genutzt. Vieles, was heute noch Einzelfall ist und utopisch klingen mag, könnte bald in der Breite zum Einsatz kommen:

  • Um das Einkaufen von Produkten im stationären Handel ohne Schlangestehen zu ermöglichen, können durch intelligente Kameras, Gewichtssensoren in Regalfächern und Algorithmen alle Abläufe des Einkaufs erfasst werden; ein Quick Response-Code (QR-Code) aus der Smartphone-App dient zum Bezahlen. Solche kassenlosen Bezahlsysteme zählen zu den radikalsten Umwälzungen im Einzelhandel, seit James Ritty 1879 die Registrierkasse erfand und in den 1980er-Jahren Barcodes eingeführt wurden.
  • Sprachanalysetechnologien und Chat-Roboter, die in der Lage sind, intelligent mit Menschen zu interagieren, Fragen während eines Bewerbungsprozesses anzupassen und sogar die Eignungsfähigkeit vorherzusagen, werden für die Rekrutierung von Arbeitskräften genutzt.
  • Computerprogramme (Chatbots), die mithilfe der hinterlegten Algorithmen mit Kunden einen Dialog führen, kommen beispielsweise in der Finanzwirtschaft zum Einsatz und sind in der Lage, Anfragen, die eine große Gleichartigkeit hinsichtlich ihrer Anliegen aufweisen, aufgrund bestimmter Schlüsselwörter zu beantworten.

Angesichts immer neuer Informationstechnologien stellen sich Fragen hinsichtlich ihrer Nutzungsmöglichkeiten, ihrer Praxisrelevanz und ihrer praktischen Umsetzbarkeit und damit ihrer Bedeutung für Betriebe und Fachkräfte. Mögliche Entwicklungen sind von der Infrastruktur in den Betrieben – zum Beispiel was die Kompatibilität unterschiedlicher in Entwicklung, Produktion und Verwaltung verwendeter Dateiformate betrifft – abhängig. Neben digital operierenden Firmen gibt es weiterhin „bodenständige“ Betriebe, in deren Breite Digitalisierung nur schleppend vorankommt. Um mehr über die tatsächliche Nutzung und Verbreitung von Digitalisierung zu erfahren, auf der Grundlage fundierter Daten Zukunftsfragen der Berufsbildung zu beantworten und die mit der Digitalisierung verbundenen Entwicklungen für die Arbeits- und Berufswelt zu beurteilen, ist vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) gemeinsam mit seinen Partnern eine Vielzahl an Untersuchungen und Analysen unternommen worden. 

Eine die vielfältigen Ergebnisse umfassende Erkenntnis ist, dass Aus- und Weiterbildung eine wichtige Rolle bei der Gestaltung unserer Zukunft spielt und einer der Motoren und Garanten dafür sein kann, technologische Umwälzungen sowohl vorausschauend als auch begleitend zu gestalten und dadurch sowohl junge Menschen als auch ältere Beschäftigte in die Entwicklungen einzubinden. Die Verankerung der beruflichen Bildung in den Betrieben und in der Arbeitswelt ist die beste Voraussetzung dafür, dass dieser Wandel bedarfsgerecht gestaltet werden kann und weiterhin gelingt. Für die Berufsbildung bieten sich daraus neue Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten, für Wirtschaft, Sozialpartner und Politik Herausforderungen, Beschäftigung und soziale Sicherung zu erhalten, ohne Flexibilität und Innovationskraft zu hemmen.

Um sich verändernde Qualifikationsanforderungen einschätzen zu können, ist im Rahmen der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsprojektionen (Kapitel C2) der Einfluss von Digitalisierung auf Arbeit für den Zeitraum 2015 bis 2035 untersucht worden. Neben der Basisprojektion, die das Fortbestehen bisheriger Entwicklungen und Zusammenhänge voraussetzt, werden auch zentrale Ergebnisse zu anderen denkbaren Entwicklungen vorgestellt, die in Form von Szenarien berechnet und zu den Ergebnissen der Basisprojektion ins Verhältnis gesetzt werden können. Zusätzlich wird der Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern und Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen sowie Hochschulen und die Nachfrage nach Pflegekräften modelliert. Zentrale Ergebnisse der Projektionen und Unterschiede werden dargestellt, um den möglichen Einfluss der Digitalisierung auf zukünftige Entwicklungen am Arbeitsmarkt zu verdeutlichen.

Anhand der Daten des BIBB-Qualifizierungspanels wurden Veränderungen in Betrieben und betrieblicher Ausbildung durch Digitalisierung untersucht (Kapitel C3). In Bezug auf Technologienutzung in der Ausbildung und Investitionen der Betriebe in digitale Technologien werden der Stand der Digitalisierung in den Betrieben und Veränderungen im Zeitverlauf dargestellt. Dabei wird die Annahme zugrunde gelegt, dass sich durch die Veränderung der betrieblichen Arbeitsorganisation entlang zunehmend automatisierter, globaler Wertschöpfungsketten auch Ausbildungsinhalte und Anforderungen an die duale Berufsausbildung entsprechend verändern. 

Wie sich Digitalisierung auf die Gestaltung von Berufsbildern auswirkt, wurde im Rahmen der BMBF/BIBB-Initiative „Berufsbildung 4.0 – Fachkräftequalifikationen und Kompetenzen für die digitale Arbeit von morgen“ anhand von 14 anerkannten Ausbildungsberufen verschiedener Branchen und Wirtschaftszweige unter Berücksichtigung ordnungspolitischer Fragestellungen analysiert. Dabei wurde bewusst ein sehr heterogenes Sample von Berufen betrachtet, darunter auch Berufe, die bislang weniger in der Diskussion waren, um detaillierte Erkenntnisse in unterschiedlichen Branchen und Berufsbereichen zu gewinnen. Im vorliegenden Schwerpunktkapitel werden Ergebnisse zu 7 der 14 Berufe vorgestellt (Kapitel C4). Bezogen auf diese Berufsbereiche lässt sich festhalten, dass Digitalisierung in den Betrieben und an den Arbeitsplätzen ungleichzeitig ankommt. Dabei wird deutlich, dass Veränderungen am Arbeitsmarkt durch eine Reihe von Faktoren wie konjunkturelle und demografische Einflüsse, Passungsprobleme, Einflüsse der Akademisierung und des technologischen Wandels bestimmt werden. Hinzu kommt, dass der Digitalisierungsgrad der Betriebe je nach Beruf in Tiefe und Breite unterschiedlich ist, und es gibt weiterhin ein Nebeneinander von eher konventionellen und von digitalisierten Betrieben. Es zeigt sich aber auch, dass Digitalisierung in der Berufsbildung kein neues Phänomen ist, sondern seit Längerem bereits aufgrund von Bedarfen der betrieblichen Praxis in Ausbildungsordnungen berücksichtigt wurde. Frühe Beispiele hierfür sind Mediengestalter/-in, Technischer Produktdesigner/Technische Produktdesignerin oder Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel. Über alle Berufe hinweg stellt die Fähigkeit zu lernen – sowohl im Sinne einer selbstständigen Erweiterung der Expertise im Hinblick auf das Handeln im Rahmen der Fachaufgaben eines Berufs als auch im Hinblick darauf, bereits Gelerntes auf neuartige Kontexte übertragen zu können – eine zentrale Kompetenzanforderung dar. Auch berufsspezifisches Können und Wissen, Prozess- und Systemverständnis, digitale Kompetenzen sowie Kreativität, Flexibilität und Spontaneität zählen künftig zu den wichtigsten berufsübergreifenden Kernkompetenzen. Darüber hinaus gibt es zwischen den untersuchten Berufen teilweise erhebliche Unterschiede. 

Wie sich das Lernen und die Anforderungen an die Medienkompetenz der Ausbilder/-innen durch Digitalisierung, die Mediatisierung der Gesellschaft und das Informationsverhalten junger Menschen verändern, ist Gegenstand des Beitrags zu digitalen Kompetenzen für die berufliche Bildung (Kapitel C5). Entwickelt wurde ein Modell, das eine differenzierte und berufsfeldübergreifende Betrachtung der medienpädagogischen Kompetenz von Bildungspersonal zulässt. In diesem Modell, das die Komponenten Mediendidaktik, Medienerziehung und Medienintegration umfasst, werden Kompetenzen beschrieben, die Lehrende in der Berufsbildung entwickeln sollten, um die berufliche Handlungskompetenz von Auszubildenden unter Verwendung digitaler Medien und deren Medienkompetenz zu fördern. 

Das Kapitel C6 spannt den Bogen über unterschiedliche Förderinitiativen des BMBF im Kontext der Digitalisierung der Berufsbildung. Der Beitrag zur Weiterentwicklung beruflicher Lernorte (Kapitel C6.1) widmet sich dem Thema neuer Technologien in überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Dargestellt werden sowohl die Förderung digitaler Ausstattung als auch Pilotprojekte zur Analyse der Auswirkungen der Digitalisierung auf die überbetriebliche Ausbildung, deren erste Ergebnisse exemplarisch vorgestellt werden. 

Im Rahmen der vom BIBB betreuten Förderprojekte wird die JOBSTARTER-Förderlinie „Aus- und Weiterbildung in der Wirtschaft 4.0“ mit einschlägigen Projektbeispielen vorgestellt (Kapitel C6.2). In diesem Kontext wird auch die Entwicklung und Erprobung von Zusatzqualifikationen in der Ausbildung und namentlich der Zusatzqualifikation „Digitale Fertigungsprozesse“ behandelt. 

Im Förderschwerpunkt InnovatWB (Kapitel C6.3) steht die Digitalisierung in der beruflichen Weiterbildung im Fokus; es zeigt sich, dass sich Digitalisierung noch nicht flächendeckend in der betrieblichen Weiterbildungspraxis widerfindet und belastbare Aussagen oder Prognosen schwierig sind. 

Kostenfrei zugänglichen digitalen Lehr- und Lernmaterialen (Open Educational Ressources – OER) wird ein großes Potenzial hinsichtlich einer innovativen Veränderung der Bildungsmedien und damit der Bildungslandschaft zugesprochen (Kapitel C6.4). Dies bezieht sich auch auf das Feld der beruflichen Bildung und wird unter anderem durch ein Förderprogramm des BMBF unterstützt.

Am Ende des Schwerpunktkapitels gibt Prof. Dr. Friedrich H. Esser, Präsident des BIBB, einen Ausblick auf künftige Herausforderungen in Zeiten der Digitalisierung (Kapitel C7).

Der bewusste Umgang mit Daten ist ein immer wichtiger werdendes Kompetenzmerkmal betrieblicher Facharbeit, so sein Fazit. Digitalisierte Arbeit von morgen erfordert ein gewandeltes Rollenverständnis der Akteure auf Steuerungsebene, hat Auswirkungen auf Monitoring, Prüfungswesen und Rahmenbedingungen, auf Anforderungen an das Ausbildungspersonal und auf die Gestaltung von Karrierewegen im dualen System.

(Monika Hackel, Gunther Spillner)