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Beim kaufmännisch betriebswirtschaftlichen Ausbildungsberuf der Industriekaufleute handelt es sich um einen generalistisch angelegten „Querschnittsberuf“, der in allen Branchen der Industrie ausgebildet wird. Mit 17.829 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen liegen die Industriekaufleute in der Rangliste der Neuabschlüsse für 2017 an fünfter Stelle (Bundesinstitut für Berufsbildung 2018). Die Auszubildenden erhalten Einblicke in alle wesentlichen Funktionsbereiche des Unternehmens, wie beispielsweise Beschaffung, Marketing, Vertrieb, Finanzbuchhaltung, Produktion oder Personalwesen. Im 3. Ausbildungsjahr wird die berufliche Handlungsfähigkeit in einem spezifischen Einsatzgebiet über 8 bis 10 Monate erweitert und vertieft (Bundesgesetzblatt 2002, § 3 Abs. 1). Der digitale Wandel zeichnet sich im kaufmännischen Bereich insbesondere durch einen höheren Automatisierungsgrad bis hin zu einer intelligenten Vernetzung von Menschen, Ressourcen, Informationen und Objekten auf Basis von cyber-physischen Systemen (CPS)316 aus, was wiederum zu einer selbstständigen Kommunikation untereinander verbundener Systeme führt. Damit sind umfassende Gestaltungsspielräume für die Unternehmen hinsichtlich ihrer Geschäfts- und Produktionsprozesse sowie der Unternehmensorganisation und Geschäftsmodelle verbunden, woraus sich auch Konsequenzen für die Tätigkeits- und Qualifizierungsanforderungen an Industriekaufleute ergeben.

Digitalisierungs- und Vernetzungsansätze in der betrieblichen Praxis 

Digitale Technologien kommen im Tätigkeitsfeld der Industriekaufleute bereits seit vielen Jahren zum Einsatz, und dafür notwendige Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten wurden bereits im Rahmen des letzten Neuordnungsverfahrens im Jahre 2002 in der Ausbildungsverordnung verankert (Rein 2003). Durch den eher schleichenden Digitalisierungsprozess hin zu den Technologien neuerer Generation kommt es zwar nicht zu einem revolutionären Wandel im Einsatzgebiet der Industriekaufleute, jedoch teilweise zu deutlichen Veränderungen in der Arbeitsweise und den Prozessen, wie z. B. in der Kommunikation, im Datenaustausch und in der Datenanalyse. Dabei sind der Einsatz und die Verwendung der Technologien vielfältig. Wie sowohl die qualitativen Interviews als auch die quantitative Untersuchung (siehe Erläuterung in Kapitel C4.1) ergeben haben, setzen Unternehmen oftmals unterschiedliche einsatzgebietsspezifische Programme ein, zum Beispiel Systeme der Warenwirtschaft oder Lagerverwaltung in der Logistik, des Kundenbeziehungsmanagements im Vertrieb und elektronische Bewerberportale in der Personalwirtschaft. Das Ausmaß der Vernetzung der Systeme reicht dabei von der reinen internen Vernetzung bis hin zum Datenzugriff von außen durch externe Partner, wie z. B. im Falle von Lieferanten, die auf die Lieferantenmanagementsysteme bzw. Beschaffungsplattformen ihrer Kunden zugreifen. Bemerkenswert ist, dass sich in den Untersuchungen Unternehmenssteuerungssysteme, sogenannte Enterprise-Ressource-Planning-Systeme (ERP-Systeme)317, in ihrer Bedeutung als Technologie im kaufmännischen Bereich deutlich hervorheben. In einer zentralen Datenbank werden Betriebsdaten gespeichert und verarbeitet, wodurch die Unternehmen die Möglichkeit haben, aus einem System heraus sämtliche Geschäftsabläufe zu planen und abzuwickeln. Die quantitativen Ergebnisse zeigen, dass große Unternehmen ERP-Systeme fast flächendeckend einsetzen (97%) und auch bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) eine weite Verbreitung vorherrscht (81%), wenngleich in dieser Unternehmensgruppe 13% angeben, die Technologie weder zu nutzen noch den Einsatz zu planen.

Daraus folgt, dass mit den digitalen Technologien neuerer Generation verbundene Aspekte, die in besonderer Weise Einfluss auf die kaufmännischen Tätigkeiten nehmen, insbesondere die Themen Vernetzung, Automatisierung und der Umfang der digital verarbeiteten Daten sind. Die reine Anzahl der eingesetzten Technologien ist jedoch nicht ausschlaggebend dafür, wie „digitalisiert“ ein Unternehmen ist bzw. welchen „Digitalisierungsgrad“ es hat. Viel entscheidender ist, in welchem Ausmaß die technologischen Möglichkeiten der einzelnen EDV-Systeme ausgeschöpft werden.

Tätigkeitsveränderungen

Mit der zunehmenden Automatisierung und Vernetzung geht eine Veränderung in den Tätigkeiten der Industriekaufleute einher. So zeigen die Untersuchungsergebnisse, dass insbesondere Routinetätigkeiten, wie Verwaltungstätigkeiten, Belegerfassung, Abwicklung einfacher Bestellvorgänge oder Rechnungserstellung und -bearbeitung, an Bedeutung verlieren. Vieles davon wird automatisiert durch einen elektronisch festgelegten Arbeitsablauf abgewickelt oder durch Auslagerung von anderen Personen übernommen. Dies führt dazu, dass Industriekaufleute vermehrt Aufgaben der Kontrolle übernehmen. Vor allem dann, wenn ein Problem oder ein Sonderfall auftritt, greifen Industriekaufleute ein, um eine Lösung zu finden. Während Routinetätigkeiten somit im Berufsprofil von Industriekaufleuten an Bedeutung verlieren, gewinnen andere Tätigkeiten an Stellenwert dazu Schaubild C4.2-1. So übernehmen Industriekaufleute z. B. häufig Schnittstellen- und Koordinationsaufgaben bei bereichsübergreifenden Themen, sind stark in Projekte eingebunden oder übernehmen Aufgaben im internationalen Kontext. Durch die Veränderung von Geschäftsprozessen kommen zudem zusätzliche Dienstleistungen für Kunden hinzu, deren Abwicklung häufig – so die qualitativen Ergebnisse – von Industriekaufleuten übernommen werden. 

Schaubild C4.2-1: Zukünftige Bedeutung der Aufgaben und Tätigkeiten von Industriekaufleuten (in %)

In welchem Maße sich die Tätigkeiten verschieben und welche Aufgaben Industriekaufleute übernehmen, ist jedoch betriebsabhängig. Insbesondere zeigt sich dies im Rahmen der angesprochenen Projektarbeit. So gibt es Betriebe, in denen Industriekaufleute kleine oder mittelgroße Projekte komplett eigenverantwortlich vorbereiten, planen und durchführen, zum Teil sogar selbst generieren. In anderen Betrieben übernehmen sie lediglich Teilverantwortungen für einzelne Projektschritte und Assistenzfunktionen. 

Ein weiterer Bedeutungszuwachs zeigt sich insbesondere auch in der Analyse und Kontrolle von Daten. Somit gewinnt auch das Thema „Big Data“ im Berufsprofil der Industriekaufleute an Relevanz. „Big Data“ umfasst neben einem sehr großen Datenvolumen auch die Vielfalt der Daten, Datenquellen und -strukturen, eine unterschiedliche Aussagekraft und Qualität von Daten, eine hohe Geschwindigkeit der Datenverarbeitung und -verbreitung, Veränderungsdynamik sowie Wertschöpfungspotenziale (Bachmann/Kemper/Gerzer 2014). Daraus erwachsen aus Sicht der befragten Interviewpartner Aufgaben, die Datenmengen zu filtern und handhabbar zu machen, unter Berücksichtigung von Herkunft, Kontext und Aussagekraft einzuordnen und zu verstehen sowie Entscheidungen abzuleiten. Beispielsweise recherchieren Industriekaufleute – insbesondere im Bereich Marketing und Personalwirtschaft – auf „Social-Media-Plattformen“ Daten und kombinieren diese auf geeignete Weise, sodass sie hinterher für betriebsinterne Zwecke verarbeitet werden können. Dazu gehört die Bewertung der Daten und Quellen, ebenso wie die Aufbereitung und Visualisierung der Ergebnisse. In welchem Umfang Industriekaufleute derartige Aufgaben übernehmen, wird jedoch von den Betrieben und Fachabteilungen unterschiedlich gehandhabt. Entschieden wird dies dabei oft in Abhängigkeit der Datenstruktur.

Künftige Kompetenzanforderungen

Analog zu den Tätigkeitsverschiebungen verändern sich aus Sicht der befragten Personen auch die Kompetenzanforderungen. Diese beziehen sich vorrangig auf die Bereiche IT-Know-how, Umgang mit Daten, Projektmanagement, Kommunikationsfähigkeiten, Sozialkompetenzen, Selbstkompetenzen sowie internationale Kompetenzen Schaubild C4.2-2.

Schaubild C4.2-2: Zukünftige Bedeutung der Kompetenzen von Industriekaufleuten (in %)

Unter den Kategorien IT-Know-how und Umgang mit Daten lassen sich verschiedene Kompetenzen zusammenfassen, die von den Befragten in unterschiedlichem Ausmaß als notwendig erachtet werden. Darunter fällt z. B. das Thema Datenschutz sowie Daten- und Mediensicherheit, dass in den Augen vieler in Zukunft noch an Relevanz gewinnen wird. Dieser Bedeutungszuwachs geht unweigerlich mit der zunehmenden Vernetzung zwischen internen Bereichen, aber insbesondere auch mit der internetbasierten Anbindung an externe Systeme einher. Des Weiteren werden aufgrund der steigenden Menge und Komplexität der Daten sowie der zunehmenden Auswertungsmöglichkeiten von den meisten Befragten auch Recherche- und Analysefähigkeiten als in der Bedeutung zunehmende Kompetenz erachtet. Daneben wird von Industriekaufleuten erwartet, dass sie problemlos mit verschiedenen digitalen Medien umgehen und diese im richtigen Kontext nutzen, Office-Programme reibungslos anwenden, ein hohes Verständnis für digitale Abläufe und Abhängigkeiten im System im Sinne von Vernetzungen und Schnittstellen aufbringen sowie mögliche Folgen und Auswirkungen bestimmter Vorgehensweisen verstehen und in ihrem Tun berücksichtigen. Einfache Programmierkenntnisse werden dagegen betriebsspezifisch als unterschiedlich bedeutsam für die Industriekaufleute angesehen.

Aufgrund der zunehmenden Projektarbeit werden Grundkenntnisse des Projektmanagements sowie Fähigkeiten zur Kollaboration und Kooperation als notwendig angesehen. Da Industriekaufleute noch stärker als bisher Schnittstellenfunktionen ausfüllen, z. B. zwischen Fachbereichen vermitteln oder koordinieren, wird zudem erwartet, dass sie Prozessdenken und -verständnis mitbringen ebenso wie die Fähigkeit des vernetzten Denkens.

Mit dem weiter oben beschriebenen Zuwachs an Dienstleistungen gehen nach Ansicht mehrerer Interviewpartner auch ein gestiegener Anspruch an Kundenorientierung und damit eng verbunden höhere Erwartungen an Sozialkompetenzen einher, insbesondere in Bezug auf die Kommunikationsfähigkeiten. Auch die durch digitale Technologien ermöglichten Einzelanfertigungen (Losgröße 1) führen zu einem erhöhten Gesprächsbedarf zur Abstimmung des Auftrags sowie ggf. bei Reklamationen. Zunehmend kommen hierbei auch unterschiedliche Medienkanäle zum Einsatz, die beherrscht werden müssen.

Zusätzlich zu den bereits genannten Kompetenzen attestieren alle Befragten steigende Anforderungen an Selbstkompetenzen, die vor allem aus einer zunehmenden Veränderungsdynamik und Komplexität erwachsen. Im Vordergrund stehen hierbei die Fähigkeit zur Selbststeuerung, Flexibilität, Spontanität, Selbstvertrauen und Disziplin, aber auch der eigenverantwortliche Umgang mit den eigenen Kräften und Ressourcen.

In Abhängigkeit davon, wie international ein Betrieb aufgestellt ist, werden zusätzliche Anforderungen in Bezug auf internationale Kompetenzen an Industriekaufleute gestellt, wie z. B. vertiefte Fremdsprachenkenntnisse (vorrangig Englisch) und das Bewusstsein für unterschiedliche, kulturelle Gepflogenheiten.

Qualifikationsbedarf 

Die Unternehmen begegnen den Veränderungen mit unterschiedlichen Rekrutierungsstrategien. Von einem großen Teil der Betriebe wird die Berufsausbildung zum Industriekaufmann/zur Industriekauffrau weiterhin als notwendige und sinnvolle Voraussetzung für den betrieblichen Einsatz erachtet. Als Grund hierfür geben sie an, dass Industriekaufleute als Generalisten ausgebildet werden und somit über einen Gesamtüberblick der Unternehmensstruktur und -abläufe verfügen. Auch die bundeseinheitlichen Fortbildungen behalten zukünftig einen Stellenwert bei der Karriereentwicklung der Industriekaufleute, da dadurch insbesondere eine Spezialisierung in einem Bereich ermöglicht wird.

Ein anderer Teil der Betriebe setzt hingegen verstärkt auf den Einsatz von Bachelorabsolventen und -absolventinnen. Einzelne Befragte begründen dies damit, dass Bachelorabsolventen und -absolventinnen komplexe Zusammenhänge schnell erfassen können sowie über die nötigen Selbstkompetenzen verfügen. Jedoch werden die geringen praktischen Erfahrungen als Mangel angesehen. 

Welche Anpassungen aufgrund der Digitalisierung im Berufsprofil der Industriekaufleute notwendig oder möglich sind, muss in einem weiteren Projektschritt analysiert und mit Partnern aus der Praxis und Politik diskutiert werden. Bisher lässt sich anhand der Untersuchungsergebnisse sagen, dass aufgrund der technikoffen formulierten Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten viele der erforderlichen Tätigkeiten und Kompetenzen in der Ausbildungsordnung der Industriekaufleute von 2002 bereits beachtet werden. In einem weiteren Projektschritt ist jedoch zu prüfen, inwieweit diese Formulierungen hinsichtlich Umfang, Kontext und Taxonomie den zukünftigen Ansprüchen genügen. In den Interviews wird deutlich, dass die Fachkräfte vor allem in den Bereichen Umgang mit Daten, Softwarenutzung, Projektmanagement, Englischkenntnisse sowie Persönlichkeitsbildung stärker qualifiziert werden müssen. Neben der Bereitstellung von neuen Qualifikationsmöglichkeiten wird noch stärker als bisher Eigeninitiative der Fachkräfte erwartet, die in der Bereitschaft und Fähigkeit, sich neue Erkenntnisse und Methoden anzueignen, ihren Niederschlag findet.

Welche hemmenden und förderlichen Faktoren sich für die Gestaltung der Berufsbildung im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung ergeben, sollen im nächsten Projektschritt herausgearbeitet werden. Auf Umsetzungsebene zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Lernortkooperation als ein aussichtsreicher Faktor für die Gestaltung der Berufsbildung gesehen wird. Im Zusammenspiel von Berufsschule und Betrieb sollten auf Basis der sich ändernden Tätigkeiten und Kompetenzanforderungen die Schnittstellen und Zuständigkeiten überdacht und neu justiert werden, um eine optimale Verortung der inhaltlichen und zeitlichen Vermittlung hierzu notwendiger Lehr- und Lerninhalte zu gewährleisten. Als förderlich werden hierbei eine engere Zusammenarbeit und ein regelmäßiger Austausch zwischen Berufsschulen und Betrieben angesehen. Hemmnisse ergeben sich jedoch aus der zum Teil mangelnden Technikausstattung der Berufsschulen und dem damit einhergehenden Qualifikationsbedarf der Berufsschullehrer/-innen.

Auf struktureller Ebene ergeben sich Herausforderungen durch die große Heterogenität zwischen den Ausbildungsbetrieben hinsichtlich ihres Technologieeinsatzes, des Vernetzungs- und Automatisierungsumfangs, Tätigkeitszuschreibungen und Verantwortlichkeiten im Personaleinsatz der Industriekaufleute sowie der Qualifizierungs- und Rekrutierungsstrategien. Hier ist des Weiteren noch zu prüfen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um keine Betriebe aus dem Ausbildungsgeschehen abzuhängen, aber auch die Qualität und Zukunftsausrichtung der Ausbildung zu gewährleisten. Auch die Verzahnung zwischen der Berufsausbildung und den einschlägigen Fortbildungsabschlüssen ist zu überdenken.

(Gabriele Jordanski, Inga Schad-Dankwart)

  • 316

    Kennzeichen dieser Systeme ist eine Verknüpfung von realen, physischen Objekten und Prozessen mit informationsverarbeitenden, virtuellen Objekten und Prozessen über offene, teilweise globale und jederzeit miteinander verbundene Informationsnetze. Hierbei werden mithilfe von Sensoren Daten über Situationen der physikalischen Welt erfasst, interpretiert und für netzbasierte Dienste verfügbar gemacht (Geisberger/Broy 2012, S. 9).

  • 317

    Bei ERP-Systemen handelt es sich um betriebswirtschaftliche Software in Form eines übergreifenden, verbindenden Systems, welches zur Steuerung sämtlicher in einem Unternehmen ablaufender Produktions- und Geschäftsprozesse eingesetzt werden kann (Hesseler/Görtz 2007).