Über die Entwicklung der Bildungssysteme in Europa berichtet die Europäische Kommission jährlich. Kern dieser Berichte sind die gemeinsam vereinbarten europäischen Indikatoren. Fünf dieser Indikatoren, die jeweils auch mit Benchmarks versehen sind, spielen für die berufliche Bildung eine Rolle. Die Entwicklung bei diesen Indikatoren war von 2016 bis 2017 insgesamt stabil und weitgehend unauffällig (European Commission 2018). Für ausführliche Informationen zu den Indikatoren und den damit verbundenen Benchmarks siehe BIBB-Datenreport 2015, Kapitel E1.
- Der europäische Benchmark zum Indikator Erwerb von tertiären Bildungsabschlüssen in der Gruppe der 30- bis 34-Jährigen liegt bei 40%. Er veränderte sich im EU-Durchschnitt von 39,1% im Jahr 2016 auf 39,9% im Jahr 2017 und hat somit beinahe die Zielmarke erreicht. Allerdings haben sich die teilweise großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten nicht verringert. 18 Staaten übertrafen auch 2017 den Benchmark. Deutschland lag bei 34% im Vergleich zu 29,7% im Jahr 2010. Dies ist Position 18 im Ländervergleich der EU-28. Generell gilt die Quote von tertiären Bildungsabschlüssen als ein wesentlicher Faktor für Wirtschaftswachstum und sozialen Fortschritt (European Commission 2018, S. 34). In der Regel wird ein tertiärer Bildungsabschluss, zu dem ebenfalls höhere berufliche Qualifikationen zählen, auch als vorteilhaft für die individuellen Beschäftigungsaussichten gesehen. Vergleicht man bei den 6 Spitzenreitern bei diesem Benchmark die Quote der tertiären Bildungsabschlüsse mit der Beschäftigungsquote Tabelle D1.2-1, dann zeigt sich folgendes Bild. Eines wird durch diese Gegenüberstellung deutlich. Die Höhe der Quote der tertiären Bildungsabschlüsse sagt nichts unmittelbar über die Beschäftigungsfähigkeit aus. Abgesehen von der Relevanz der wirtschaftlichen Stärke und der Robustheit des Arbeitsmarktes können Faktoren wie sog. Overeducation oder Passungsprobleme den scheinbaren Vorteil im Hinblick auf die Beschäftigungsfähigkeit relativieren. Hier liegt Deutschland mit 90,0% an zweiter Stelle, im Vergleich dazu liegen Irland mit 83,8% und Dänemark mit 82,8% beispielsweise im vorderen Mittelfeld. Besonders groß sind die Varianzen zwischen den Staaten auf Niveau 5 ISCED-2011, den sog. Shortcycle-Programmen, die häufig einen großen Praxisbezug haben. (Tertiäre Bildung erstreckt sich insgesamt über die Niveaus 5 bis 8; Bachelorprograme Niveau 6, Masterprogramme Niveau 7 sowie Doktorandenprogramme Niveau 8.) Die Daten der OECD339 zeigen die Aufteilung auf die 4 tertiären Bildungsniveaus, allerdings für die Altersgruppe der 25- bis-34-Jährigen (OECD 2018 Education at a Glance). Der Anteil der 25- bis-34-Jährigen, die gemäß OECD-Statistik über einen tertiären Abschluss verfügen, lag 2017 in Deutschland bei 31,0%, der Anteil derjenigen, die davon einen Abschluss auf Niveau 5 abgeschlossen haben, lag bei 0,3%. Im Vergleich zu Österreich, wo der Anteil der Absolventinnen und Absolventen eines tertiären Bildungsprogramms bei 40% lag und davon 15,8% ein Programm auf Niveau 5 absolviert haben. In Österreich zählen zu diesen Programmen auf Niveau 5 auch die beiden letzten Jahre der Höheren Berufsbildungsschulen, die zu einem schulischen Berufsbildungsabschluss und einer Studienberechtigung führen. Für Deutschland werden solche Doppelqualifikationen statistisch als „Post-sekundär, nicht-tertiär“ betrachtet und Niveau 4 zugeordnet. Zum Verständnis von „tertiärer Bildung“ in den internationalen Statistiken siehe BIBB-Datenreport 2017, Kapitel D1.
Tabelle D1.2-1: Gegenüberstellung der Quote der tertiären Bildungsabschlüsse und der Beschäftigungsquote 2017 (in %)
- Der Benchmark für die Beteiligung Erwachsener am lebenslangen Lernen liegt bei 15%. Der Benchmark umfasst sowohl non-formales als auch formales Lernen in den letzten 4 Wochen vor der Befragung bei 25- bis 64-Jährigen. Der europäische Durchschnitt lag 2017 bei 10,9%, und damit lediglich 0,1% Prozentpunkte über dem Wert von 2014. Der überwiegende Anteil der Weiterbildungsaktivitäten fand in beinahe allen Staaten im non-formalen Bereich statt, d. h., die Lernaktivitäten führen nicht zu einem formalen Abschluss.
Insgesamt war die Entwicklung seit 2012 über alle Länder hinweg recht stabil. Erneut haben die drei nordischen Staaten Schweden (30,4%), Finnland (27,4%) und Dänemark (26,8%) die höchsten Werte erreicht. Deutschland lag mit 8,4% (8,5% in 2016) im unteren Mittelfeld.
Vergleicht man die Werte des Benchmarks mit den Werten, die die Lernaktivitäten der letzten 12 Monaten erfassen, zeigen sich große Unterschiede bei dem Anteil der Lernenden sowie im Ranking der Länder, allerdings beziehen sich diese Daten auf das Jahr 2016.
Der EU-28-Durchschnitt lag hier bei 45,1%. Spitzenreiter waren die Niederlande (64,1%), Schweden (63,8%) und Österreich (59,9%). Deutschland erreichte mit 52,0% einen Platz im oberen Mittelfeld. - Die Verringerung des Anteils eines frühzeitigen Schul- und Ausbildungsabgangs ist ein zentrales Ziel im Rahmen der Benchmarks. Niedrige Anteile werden mit gesellschaftlichen Werten wie soziale Inklusion und der Möglichkeit zur aktiven Bürgerschaft verbunden. Aber auch im Hinblick auf die Integrationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler in den Arbeitsmarkt kommt diesem Benchmark eine besondere Bedeutung zu. Der Benchmark wurde auf 10% festgelegt und erfasst die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen, die 4 Wochen vor der Befragung weder in Aus- noch Weiterbildung waren und lediglich die Sekundarstufe I absolviert haben.
Tatsächlich sank der europäische Durchschnittswert kontinuierlich von 14,9% (2007) auf 12,7% (2012) und 10,6% im Jahr 2017. Hervorzuheben ist der Wert für Portugal, der sich innerhalb von 10 Jahren von 36,5% (2007) auf 12,6% im Jahr 2017 gravierend verbessert hat. Ähnliches gilt für Spanien (30,8% im Jahr 2007; 18,3% im Jahr 2017). Deutschland lag mit 10,1% (2007: 12,5%) leicht über dem Benchmark und damit im Vergleich zu anderen Ländern im unteren Mittelfeld. Besonders hoch war der Anteil der Abgängerinnen und Abgänger in der Gruppe der im Ausland Geborenen. Dieser lag in Deutschland bei 23,1% (EU-28-Durchschnitt: 19,4%). In der Gruppe derjenigen aus dem EU-Ausland sogar bei 25,2% (European Commission 2018, S. 30).
- Die Beschäftigungsquote der 20- bis 34-Jährigen, die die Schule oder Universität in den letzten 3 Jahren verlassen haben, soll in Europa bei 82% liegen. Nachdem dieser Wert im Jahr 2008 erreicht worden war, sank er nach der Wirtschafts- und Finanzkrise auf 75,9% im Jahr 2012 (bezogen auf Absolventinnen und Absolventen der Sek II und darüber). Im Jahr 2017 hat sich dieser Wert wieder weitgehend erholt, lag bei 80,2% und damit erneut höher als im vorangegangenen Jahr (78,4%). Differenziert man die Beschäftigungsquote nach den ISCED-Niveaus, ergibt sich folgendes Bild Tabelle D1.2-2.
Tabelle D1.2-2: Beschäftigungsquote differenziert nach ISCED-Niveaus 2017 (in %)
Die Beschäftigungsquote derjenigen, die erfolgreich ein tertiäres Bildungsprogramm absolviert haben, d. h. über einen höheren Berufsabschluss oder Hochschulabschluss verfügen, lag im EU-28-Durchschnitt bei 84,9% und somit höher als bei ISCED 3-4, zu denen absolvierte Programme der Sekundarstufe zählen, z. B. die duale Ausbildung oder ein allgemeinbildendes Bildungsprogramm. Zwar lag dieser Anteil in Deutschland ebenfalls leicht unter der Beschäftigungsquote derjenigen mit einem tertiären Abschluss, jedoch war dieser Wert im europäischen Vergleich sehr hoch (höher war er lediglich in Malta).
Dies dürfte insbesondere an den berufsbildenden Sekundarprogrammen liegen, denn dort lag der Beschäftigungsanteil in Deutschland sogar bei 91,3% (EU-28-Durchschnitt: 76,6%). Hier scheint der Transfer vom Bildungssystem in den Arbeitsmarkt im europäischen Vergleich besonders gut zu gelingen.
- Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit schlechten Leistungen bei den sogenannten Grundkompetenzen (Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften) soll die Marke von 15% nicht überschreiten.
Die neuesten verfügbaren Daten zu diesem Benchmark basieren auf der OECD-Erhebung PISA 2015. Im Vergleich zu den Daten aus 2012 ist im EU-Durchschnitt bei allen drei Grundkompetenzen der Anteil der schlechten Leistungen 2015 gestiegen: Lesekompetenz 19,7% (2012340: 17,8%), mathematische Kompetenz 22,2% (2012: 22,1%) und Kompetenz in Naturwissenschaften 20,6% (2012: 16,6%). Deutschland folgt diesem negativen Trend in den Bereichen Lesekompetenz und naturwissenschaftliche Kompetenz; wobei sich insbesondere die naturwissenschaftlichen Kompetenzen verschlechtert haben Tabelle D1.2-3.
Tabelle D1.2-3: Leistungen bei den sog. Grundkompetenzen in Deutschland 2012 und 2015 im Vergleich (in %)
4 Mitgliedsstaaten erreichen den Benchmark bei der Lesekompetenz (Estland, Finnland, Slowenien und Irland), 3 bei der Mathematikkompetenz (Dänemark, Finnland und Estland) und 2 im Bereich der naturwissenschaftlichen Kompetenzen (Estland und Finnland).
Die Quote derjenigen, die in allen 3 Kompetenzbereichen schlecht abschneiden, ist naturgemäß niedriger als die Einzelquoten der Kompetenzbereiche. Diese übergreifende Quote lag bei den EU-28-Staaten bei 12,3%. Diese Gruppe der Lernenden benötigt nach Auffassung der EU besondere Beachtung, da massive Probleme auf dem weiteren Bildungsweg und damit auch später im Hinblick auf die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten sind. Für Deutschland lag dieser Wert bei knapp unter 10%. Nach Auffassung der Europäischen Kommission müssen verstärkt die Rolle der jeweiligen nationalen Bildungspolitik, der Schulen sowie der Lehrenden bei der Frage Berücksichtigung finden, wie die Performance und die Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler verbessert werden kann (European Commission 2018, S. 47ff.).
Öffnet man den Blick auf die internationale Ebene, ist zu erkennen, dass die Länder mit den besten Ergebnissen beim Kompetenzerwerb in Asien zu finden sind. Betrachtet man beispielsweise den Anteil der Schülerinnen und Schüler, die zumindest in einem der drei Bereiche „top performer“ sind, liegen Singapur, Teile Chinas sowie Korea und Japan auf den ersten Plätzen vor Kanada, Finnland und Estland. Dieser Vergleich macht, wie die Quote der Absolventinnen und Absolventen tertiärer Bildung, deutlich, dass die Frage danach, wie ein Bildungssystem optimiert werden kann, sehr differenziert geprüft werden muss, denn es sind unterschiedliche bildungspolitische Ziele miteinander abzuwägen. Das Abschneiden bei internationalen quantitativen Systemvergleichen kann immer nur ein erstes Indiz für bildungspolitischen Handlungsbedarf sein.
(Ute Hippach-Schneider)