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Aktuell werden Veränderungen in der Arbeitswelt zumeist unter dem Stichwort „Digitalisierung“ diskutiert, die Relevanz beruflicher Weiterbildung für die Bewältigung von gesellschaftlichen Transformationsprozessen wird bisher eher unzureichend berücksichtigt. Im Rahmen des Förderschwerpunktes „Innovative Ansätze zukunftsorientierter beruflicher Weiterbildung“ (InnovatWB) ist Digitalisierung ein zentrales Querschnittsthema333: 1) in Bezug auf den Einfluss von Digitalisierung auf Arbeit und (Weiter-)Bildung aus einer subjektorientierten Perspektive, 2) in Hinblick auf den Einsatz digitaler Medien zur Unterstützung selbstorganisierten Lernens im Prozess der Arbeit und 3) zur Professionalisierung des Weiterbildungspersonals (Ermittlung und Entwicklung von Medienkompetenz).

Förderschwerpunkt InnovatWB

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt mit dem Förderschwerpunkt „Innovative Ansätze zukunftsorientierter beruflicher Weiterbildung (InnovatWB)“ die Entwicklung konzeptioneller Ansätze und Strategien für die Gestaltung eines zeitgemäßen beruflichen Weiterbildungssystems. Über 3 Jahre wird der Förderschwerpunkt vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) administrativ und wissenschaftlich begleitet. Insgesamt werden 34 Forschungs- und Entwicklungsprojekte mit insgesamt ca. 15 Mio. € gefördert. Die bundesweiten Projektvorhaben gliedern sich in 3 Themenschwerpunkte: 

  • Arbeitskräfte und Qualifikationsentwicklung, 
  • Professionsentwicklung und Professionalisierung und 
  • Weiterbildungsforschung.

Für weiterführende Informationen siehe www.innovatwb.de

Digitalisierungsdiskurs: Zwischen Megatrend und empirischen Einzelbefunden 

Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung, mit der das BIBB vom BMBF betraut wurde, fand im Rahmen einer Clusterfallstudie334 (Dokumenten-/Literaturanalyse, Gruppendiskussion, Programmworkshops) zum Thema Digitalisierung im Frühjahr 2017 ein Expertenworkshop zum Thema „Digitalisierung im Kontext von Arbeit und Gesellschaft“ mit Vertretern und Vertreterinnen des BIBB sowie 3 InnovatWB-Projekten (DIGIND, DigiKo und Kompetenz 4.0)335, die sich schwerpunktmäßig mit Digitalisierungsfragen beschäftigen, statt. In diesem internen Workshop wurde die Frage nach einer Einbettung von beruflicher Weiterbildung in aktuelle Diskurse diskutiert und weitere übergreifende Fragestellungen in Bezug zu anderen Querschnittsthemen des Förderschwerpunkts InnovatWB (Professionalisierung des Weiterbildungspersonals, selbstorganisierte Lehr-/Lernsettings etc.) generiert. Es wurde deutlich, dass es bisher keinen einheitlichen, begrifflich klar definierten (wissenschaftlichen) Digitalisierungsdiskurs im Bereich der beruflichen Weiterbildung gibt. Vielmehr existiert eine große Bandbreite an unklaren Begriffen und eine Aneinanderreihung von Schlagworten wie bspw. Flexibilisierung, Big Data, Data Warehouse, digitale Transformation, Datenschutz. Die vielfältigen, überwiegend bildungspolitisch geprägten Diskurse lassen sich aufgrund der heterogenen Erscheinungsformen, branchenspezifischen Wirkungsfelder und kontextgebundenen Begriffsverständnisse schwer fassen oder gar systematisieren. Gleichzeitig werden unter dem Stichwort „Digitalisierung“ Themen wie Flexibilisierung und Entgrenzung der Arbeit behandelt, die bereits seit 30 Jahren relevant sind und durchaus wissenschaftlich bearbeitet werden. 2 Projekte befassten sich im Rahmen von Betriebsfallstudien explizit mit den Auswirkungen von Digitalisierung auf berufliche Tätigkeitsprofile und Qualifizierungsanforderungen in unterschiedlichen Branchen (z. B. Maschinen- und Anlagenbau, pharmazeutische und chemische Industrie, Logistik, Einzelhandel). Die Ergebnisse der Projekte zeigen, dass einerseits zunehmend höhere Qualifikationsanforderungen an Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gestellt werden, um der gestiegenen Komplexität und Abstraktion von Arbeitstätigkeiten gerecht zu werden. Andererseits werden durch die Standardisierung und Automatisierung von Produktionsprozessen und Arbeitsabläufen die Anforderungen an berufliche Handlungskompetenzen in einigen Tätigkeitsbereichen eher geringer.

Gerade bei sich ändernden und erhöhenden Tätigkeitsanforderungen wird die Beteiligung am Arbeitsmarkt noch stärker als bisher vom Erwerb und der kontinuierlichen Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen abhängen. Berufliche Weiterbildung ist darüber hinaus als Ressource eines gelingenden Transformationsprozesses zu verstehen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur selbstbewussten, eigenmächtigen Gestaltung von Veränderungen in der Arbeitswelt zu befähigen.

Anpassungsqualifizierung vs. selbstbestimmte Kompetenzentwicklung

Als zentral kristallisierte sich in der Clusterfallstudie die Frage nach den Lernerfordernissen heraus, sei es in Form von (Anpassungs-)Qualifizierung, Kompetenzentwicklung und der damit verbundenen Anerkennung oder individueller Chancengerechtigkeit. Ungeachtet der Frage, ob es sich bei Weiterbildung in Digitalisierungskontexten um eine Anpassungsqualifizierung oder Entwicklungsqualifizierung handelt, sind sich die Experten und Expertinnen einig, dass eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer/-innen zielführend und ausbaufähig ist.

Folgt man der Polarisierungsthese (Frey/Osborne 2013), werden zukünftig traditionelle Tätigkeiten für ausgebildete Facharbeiter/-innen wegfallen und gezielte Qualifizierungs- bzw. Weiterbildungsangebote erforderlich sein, sodass alternative Karriere- und Aufstiegswege gefragt sind. Aus Sicht der Experten und Expertinnen könnte auch das Erfahrungslernen obsolet werden. So wurde infrage gestellt, inwiefern bestimmte betriebliche Prozeduren zukünftig bei den Mitarbeitenden verinnerlicht sein müssen, insofern diese digitalisiert sind. Digitalisierung suggeriert, dass menschliche Arbeitsprozesse (Fach- und Erfahrungswissen) durch „zuverlässigere“ Maschinen ersetzt werden könnten. Ein Experte/eine Expertin betont, dass Weiterbildung im Zuge von Digitalisierungsprozessen an Bedeutung gewinnt, um letztlich eine Verbindung von notwendigen neuen Wissensbeständen bzw. Kompetenzen und beruflichem Erfahrungswissen herzustellen und somit die individuelle Gestaltungsfähigkeit für Prozesse der digitalen Transformation zu erhalten. Entgegen der verbreiteten Befürchtung, durch Digitalisierungsprozesse könnten zwischenmenschliche Kommunikation und Interaktion an Bedeutung verlieren, sind sich die Experten und Expertinnen einig, dass Teamarbeit und zwischenmenschliche Interaktionen im digitalen Zeitalter nach wie vor grundlegend sind, um effiziente Abläufe und verlässliche Arbeitsprozesse an relevanten Schnittstellen, bspw. in betrieblichen Produktionsprozessen oder im Dienstleistungssektor, zu gewährleisten.

Digitale Lernarrangements zur Unterstützung selbstorganisierten Lernens im Betrieb

Ferner wurde die Frage nach der Anerkennung informell und nicht formal erworbener Kompetenzen diskutiert. Berufliche Weiterbildung gestaltet sich immer weniger als formalisierter Prozess, sondern als integriertes Weiterbildungsangebot unter Einbezug von informellem und nicht formalem Lernen. Unklar ist jedoch, wie diese informellen und nicht formalen Lernprozesse identifiziert, abgebildet, gestaltet und letztlich auch jenseits des Betriebes anerkannt werden können. Hierzu sind aus Sicht der Experten und Expertinnen neben validen Kompetenzerfassungsinstrumenten innovative Lehr-/Lernarrangements erforderlich, die selbstorganisiertes Lernen im Prozess der Arbeit ermöglichen und an reale betriebliche Lernanlässe anknüpfen. Auch die Rolle des heterogenen, für die Weiterbildung verantwortlichen Personals, das je nach Unternehmensgröße unterschiedlich institutionell aufgestellt ist, befindet sich im Wandel: Neben den Aufgaben verschieben sich auch die Rollenzuschreibungen und -verständnisse der Weiterbildungsverantwortlichen. Bisher standen überwiegend fachliche Kompetenzen im Fokus, inzwischen werde die Relevanz von pädagogischen methodisch-didaktischen Kompetenzen in der Praxis jedoch erkannt und aufgegriffen (bspw. „Train the Trainer“-Formate oder Schulungen). In vielen Unternehmen findet aktuell ein Umdenken statt, von der spezifischen Fachexpertise hin zu Lehr-/Lernkompetenz und Gestaltung (onlinebasierter) Lehr-/Lernarrangements. Ebenfalls beachtenswert sei die Lernumgebung von Weiterbildung, da ein hoher Anteil bereits als „on the job training“, im Prozess der Arbeit, stattfindet. Aufgrund der beobachteten Entwicklung hin zu prozessorientierten, selbstgesteuerten Weiterbildungsformaten verschieben sich neben den Aufgaben auch die Rollenzuschreibungen und -verständnisse der Weiterbilder/-innen – Stichwort: Lernbegleitung. 

Die aus Perspektive der Experten und Expertinnen formulierten Anforderungen an die Gestaltung selbstorganisierter Lernprozesse finden sich auch in der betrieblichen Weiterbildungspraxis wieder: Einerseits wird darunter digitalisiertes, verhältnismäßig isoliertes Lernen verstanden, andererseits wird damit erfahrungsgeleitetes, informelles Lernen im Sinne unternehmensinterner Vernetzung von Expertinnen und Experten verbunden. Insgesamt spielt der Einsatz digitaler Medien als Voraussetzung für selbstorganisiertes Lernen (bspw. MOOCs336, YOUTUBE) für unternehmensinternen Wissenstransfer bzw. Vernetzung in Experten-Communitys (bspw. VIDEOBLOGS, SOCIAL MEDIA) sowie für Lernbegleitung (bspw. VIRTUAL CLASSROOMS) eine zunehmend wichtige Rolle.

Weiterbildungsanbieter als Dienstleister für die Gestaltung digitaler Lernumgebungen

Die beschriebenen Anforderungen an digital unterstützte berufliche Bildungsprozesse wirken sich unmittelbar auf die Weiterbildungsanbieter aus. Die Befunde der InnovatWB-Projekte zeigen, dass sich das Selbstverständnis von Weiterbildungsorganisationen in Bezug auf ihre Rolle im Rahmen der pädagogischen Leistungsentwicklung verändern muss. Um zeitgemäße Lernlösungen für unternehmensspezifische Bedarfe entwickeln zu können, sollten sie nicht mehr nur als „Anbieter“ fungieren, sondern müssen sich zunehmend als Partner in der dialogischen Entwicklung von digitalen Lernumgebungen verstehen. Dies wirkt sich zwangsläufig auf die Rolle des pädagogischen Personals aus, das neben der eigentlichen Kursleitertätigkeit viel mehr in den Prozess der Angebotsplanung und des Angebotsdesigns eingebunden ist. Gerade für in der beruflichen Weiterbildung Tätige heißt das zudem, sich kontinuierlich mit technologischen Neuerungen und innovativen Lernformaten auseinanderzusetzen.

Fazit

Zusammenfassend zeichnet sich ab, dass der Digitalisierungsdiskurs sowohl in der Forschung zu und in der Praxis von beruflicher Weiterbildung umfassend geführt wird. Allerdings können zum aktuellen Zeitpunkt kaum belastbare Aussagen dahingehend getroffen werden, in welchem Umfang und in welcher Form sich Digitalisierung als Inhalt und digitale Lernarrangements als Werkzeug in der Weiterbildungslandschaft etablieren. Es zeigt sich aber, dass durch die Auseinandersetzung mit Digitalisierung seit längerem in der Berufs- und Erwachsenenbildung diskutierte Fragestellungen wie bspw. Lernförderlichkeit von Arbeit („Lernen im Prozess der Arbeit“), (betriebliche) Partizipation und Selbstbestimmung wieder stärker in den Fokus rücken und aufgegriffen werden. Darüber hinaus scheinen sich vor allem Weiterbildungsanbieter in dem Zusammenhang vertieft damit zu beschäftigen, welche neuen Anforderungen bezogen auf die inhaltliche und didaktische Gestaltung ihrer Weiterbildungsangebote, die Kompetenzen ihres Bildungspersonals und ihre Rolle in (regionalen) Bildungsnetzwerken daraus abzuleiten sind.

(Claudia Zaviska, Christian Vogel)
 

  • 333

    Hierbei ist anzumerken, dass es sich bei InnovatWB um kein „Digitalisierungsprogramm“ handelt, jedoch nahezu alle der 34 Projektvorhaben berufliche Weiterbildung vor dem Hintergrund von Digitalisierungsprozessen reflektieren.

  • 334

    Als Teil der wissenschaftlichen Begleitung des Förderschwerpunktes wurden verschiedene thematische Clusterfallstudien durchgeführt, um übergeordnete Befunde vertiefend zu diskutieren und wissenschaftlich aufzubereiten.

  • 335

    DIGIND – Demografische Entwicklung, sozio-ökonomischer Strukturwandel und Digitalisierung der Arbeitswelt: Eine empirische Studie zu neuen Arbeitsformen, Qualifikationsanforderungen und Weiterbildung(sbedarfen) in der Industrie; DigiKo – Digitalisierung in der beruflichen Weiterbildung in einer Gesellschaft langen Lebens – eine qualitative Studie zum Wandel von Weiterbildung; Kompetenz 4.0 – Kompetenzverschiebungen und -entwicklung im Digitalisierungsprozess: Betriebsfallstudien.

  • 336

    MOOC = Massive Open Online Course