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Auch wenn BBiG und HwO den Begriff „Inklusion“ nicht verwenden, begründen beide Gesetze einen rechtlichen Rahmen, der die Einbeziehung behinderter Menschen in das allgemeine System qualifizierter dualer Berufsausbildung vorsieht. Mit ihrem Dreiklang aus Priorität der Ausbildung in staatlich anerkannten Ausbildungsberufen (§ 64 BBiG/§ 42k HwO), Anwendung von Nachteilsausgleich bei Durchführung und Prüfung der Ausbildung (§ 65 BBiG/§ 42l HwO) und Ausbildungsgängen, die ausschließlich bei besonderer Art und Schwere der Behinderung vorgesehen sind, wenn eine Ausbildung gemäß § 5 BBiG nicht oder nicht unmittelbar möglich ist (§ 66 BBiG/§ 42m HwO), sind die beiden für die duale Berufsausbildung in Deutschland maßgeblichen Gesetze inklusionsorientiert angelegt.

Zu den – von den zuständigen Stellen (in der Regel Industrie- und Handelskammern, Handwerks- und Landwirtschaftskammern) aufgrund ihrer Regelungskompetenz zu erlassenden – Ausbildungsregelungen für behinderte Menschen führt das Gesetz aus, dass diese den Empfehlungen des Hauptausschusses des BIBB entsprechen sollen. Zudem sollen die Ausbildungsinhalte unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des allgemeinen Arbeitsmarktes aus den Inhalten anerkannter Ausbildungsberufe entwickelt werden. Mit der vom BIBB-Hauptausschuss 2009 beschlossenen Rahmenregelung besteht eine grundlegende Empfehlung, die bundeseinheitliche Qualitätsstandards z. B. zu Ausbilderschlüssel, betrieblichen Phasen, Förderplan und einer rehabilitationspädagogischen Zusatzqualifikation der Ausbilder/-innen beim Erlass der regionalen Ausbildungsregelungen für Fachpraktiker-Ausbildungsberufe sicherstellen soll. Auf der Grundlage dieser Rahmenregelung sind berufsspezifische Musterregelungen u. a. für Fachpraktiker/-in im Verkauf, Fachpraktiker/-in für Metallbau, Fachpraktiker/-in Hauswirtschaft und Fachpraktiker/-in für Medientechnologie Druckverarbeitung, für Buchbinderei und für Medientechnologie Druck beschlossen worden. 

Das BIBB und sein Ausschuss für Fragen behinderter Menschen (AFbM) verfolgen den Ansatz, durch Information und fachlichen Austausch über die verschiedenen Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs dessen Umsetzung in der Praxis zu fördern und dadurch mehr behinderten Menschen eine reguläre duale Berufsausbildung und einen entsprechenden Berufsabschluss zu ermöglichen. Zugleich richtet sich das fachliche Bemühen darauf, durch die Ausrichtung der Fachpraktiker-Ausbildungen auf die Berufsausbildung im staatlich anerkannten Bezugsberuf Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit sicherzustellen.

Mit Blick auf die berufsbildungspolitisch und berufsbildungspraktisch relevanten Kategorien „Anschlussfähigkeit“ und „Durchlässigkeit“ begleitet und berät das BIBB auch Initiativen und Aktivitäten zur Annäherung der beruflichen Bildung in den Werkstätten für behinderte Menschen an die duale Berufsausbildung. Dazu zählt derzeit die Mitwirkung im Projektbeirat des vom BMBF geförderten und von der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Sonderpädagogik V der Julius-Maximilians-Universität Würzburg durchgeführten Forschungsprojekts „Evaluation harmonisierter Bildungsrahmenpläne in der Beruflichen Bildung von Werkstätten für behinderte Menschen – EvaBi“37. Für eine qualitative, inklusionsorientiere Berufsbildung behinderter Menschen an allen Lern- und Beschäftigungsorten ist die Qualifizierung und Professionalisierung der Fachkräfte eine entscheidende Stellschraube.

Wesentlich für den Erfolg von entsprechenden Ordnungsmitteln wie der kompetenzorientierten Fortbildungsprüfungsordnung „Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung“ ist deren Umsetzung in der Praxis. Dort, im jeweiligen konkreten Aufgabenfeld, stellen sich für die Qualifizierungsanbieter, die zuständigen prüfenden Stellen und deren Prüfungsausschüsse sowie die fortgebildeten Fachkräfte vielfältige unterschiedliche Fragen. Die neue „Orientierungshilfe Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung“ des BIBB bietet hierfür umfangreiche Informationen, Anregungen und Hinweise zu Prüfungsinhalten und Prüfungsanforderungen, der curricularen Gestaltung von Qualifizierungsangeboten und Methodik (vgl. Vollmer/Mettin/Frohnenberg 2019). 

Die von Digitalisierung betroffenen Prozesse und die damit einhergehenden Veränderungen wirken sich auch auf die Berufsbildung und die Teilhabe am Arbeitsleben von behinderten Menschen aus. Für diese bieten sie vielfältige Chancen und zugleich Risiken. Entsprechende Fragen untersucht das aktuelle BIBB-Forschungsprojekt „Chancen und Risiken des technologischen Wandels für die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung“. Das BIBB begleitet und berät auch diesbezüglich Initiativen und Ansätze. So wirkt es u. a. im Beirat des im Rahmen der BMBF-Förderrichtlinie „Inklusion durch digitale Medien in der beruflichen Bildung“ geförderten Projekts „IvÜFA – Entwicklung einer inklusiven virtuellen Übungsfirma“38 und im Beirat des vom BMAS geförderten Projekts „KI.ASSIST – Assistenzdienste und Künstliche Intelligenz für Menschen mit Schwerbehinderung in der beruflichen Rehabilitation“39 fachlich mit.

Die Datenlage ist mit Blick auf die berufliche Bildung behinderter Menschen grundsätzlich schwierig. Da das Merkmal „Behinderung“ in der Berufsbildungsstatistik nicht erfasst wird, liegen nur Zahlen zu behinderten Menschen vor, die in ausschließlich für behinderte Menschen zugänglichen Fachpraktiker-Berufen (nach § 66 BBiG/§ 42m HwO) ausgebildet werden. Für Daten zu den Ausbildungsverträgen nach § 66 BBiG/§ 42m HwO siehe die Kapitel A1.2, A5.2, A5.4 und A5.5.1. So wünschenswert auch differenzierte Daten zur Teilhabe behinderter Menschen an beruflicher Bildung wären, so ist nach heutigem, insbesondere auch durch die VN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung geprägtem Verständnis Behinderung kein Personenmerkmal, sondern entsteht in der Wechselwirkung mit Umwelt und Gesellschaft (vgl. BIBB-Datenreport 2013, Kapitel A4.10).

(Kirsten Vollmer)