BP:
 

In der medialen Diskussion um vorzeitig gelöste Ausbildungsverträge steht meist der Vergleich von Lösungsquoten über den Zeitverlauf oder über Branchen und Berufe im Vordergrund. Dies liegt u. a. in der verfügbaren Datenlage begründet. Die Berufsbildungsstatistik z. B. kann Aussagen vor allem zum Anteil gelöster Verträge treffen und diese bspw. nach Zuständigkeitsbereichen und Berufen, Regionen und soziodemografischen Merkmalen differenzieren (vgl. Kapitel A5.6). Eine Betrachtung der Gründe vorzeitiger Vertragslösungen oder der Konsequenzen, die eine Vertragslösung für den Einzelnen nach sich zieht, benötigt andere Datenquellen. Hier bieten sich Befragungen zu Bildungs- und Erwerbsverläufen an. Dabei ist besonders von Interesse, was auf die Vertragslösung folgt, also ob die vorzeitige Beendigung einer Ausbildungsepisode auch die Abkehr vom dualen Ausbildungssystem bedeutet oder ob erneut eine duale Ausbildung aufgenommen wird. Alternativ würden ein Wechsel ins vollzeitschulische Ausbildungssystem oder ins Studium ebenfalls die Fortsetzung des beruflichen Qualifizierungsweges ermöglichen. Ob die Vertragslösung im Einzelfall negative Folgen hat, hängt also auch vom weiteren Verlauf ab. Vorhandene Studien zeigen durchaus unterschiedlich geartete Bildungsverläufe nach einer Vertragslösung, auch in Abhängigkeit von der schulischen Vorbildung und weiterer soziodemografischer Variablen (vgl. z. B. Lettau 2017). 

Viele derartige Befragungen haben allerdings die Schwäche, dass die Lebensphasen rückblickend erhoben werden, was sie anfällig für Verzerrungen durch Erinnerungsfehler macht. Zum anderen ist die Befragungsstichprobe meist aus Personen verschiedener Geburtsjahrgänge zusammengesetzt, die sich in unterschiedlichen Jahr(zehnt)en im Ausbildungssystem befanden und damit unter unterschiedlichen Voraussetzungen am Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt und im Bildungssystem teilgenommen haben. Ein weiterer Nachteil ist, dass die Befragungsstichprobe sich gegebenenfalls nur auf einzelne Regionen oder Kammerbereiche bezieht. 

Diesem Mangel wird in den nachfolgend berichteten Ergebnissen begegnet, indem Auszubildende eines einzelnen Schülerjahrgangs in den Blick genommen werden, die ihre erste Ausbildungsepisode im dualen Berufsbildungssystem vorzeitig beendet haben. Dabei wird der Frage nachgegangen, was die Ausbildungsepisoden vor der Vertragslösung kennzeichnet und welche Gründe für die vorzeitige Vertragslösung genannt werden. Außerdem wird ein erster Blick auf die Bildungsverläufe nach der Ausbildung geworfen. Neben der Fokussierung auf einen Schülerjahrgang zur Sicherstellung einer einheitlichen gesellschaftlichen und ökonomischen Gesamtsituation sollen dabei auch Verzerrungen durch Erinnerungsfehler vermieden werden. Dazu werden Daten benötigt, die die gesamte Komplexität von Bildungs- und Lebensverläufen abbilden und die Entwicklung im Zeitverlauf fortlaufend erfassen. Eine solche Datenquelle liefert das NEPS, in dem eine Vielzahl von Einflussfaktoren und Verlaufsmerkmalen im Längsschnitt erfasst werden und auf dessen Basis Übergangsprozesse und Ausbildungsverläufe analysiert werden können. 

Von den 665 Personen mit vorzeitig beendeter Ausbildungsepisode in der NEPS-Stichprobe gaben 48% an, die vorzeitige Beendigung der Ausbildungsepisode sei von ihnen selbst ausgegangen Schaubild A8.3-1. Bei 29% erfolgte die Beendigung laut eigener Angabe im beiderseitigen Einvernehmen und die übrigen nannten eine Kündigung durch den Betrieb. Von denjenigen, denen durch den Betrieb gekündigt wurde, gaben knapp 8% an, dass der Grund die Schließung des Betriebs gewesen sei. Die im Folgenden dargestellten Analysen beziehen sich, soweit nicht anders angegeben, auf die gesamte Stichprobe der Personen mit vorzeitig beendeter Ausbildungsepisode, unabhängig davon, von welcher Seite die Vertragslösung initiiert wurde. 

Nationales Bildungspanel – National Educational Panel Study (NEPS)

Diese Arbeit nutzt Daten des NEPS Startkohorte Klasse 9, doi:10.5157/NEPS:SC4:10.0.0. Die Daten wurden von 2008 bis 2013 als Teil des Rahmenprogramms zur Förderung der empirischen Bildungsforschung erhoben, welches vom BMBF finanziert wurde. Seit 2014 wird NEPS vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e. V. (LIfBi) an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg in Kooperation mit einem deutschlandweiten Netzwerk weitergeführt. Das NEPS erhebt Längsschnittdaten zu Bildungserwerb, Bildungsprozessen und Kompetenzentwicklung in formalen, nicht formalen und informellen Kontexten über den gesamten Lebensverlauf. Dazu wurden sechs Startkohorten vom Säugling bis zu Erwachsenen im Rentenalter mit insgesamt mehr als 50.000 Personen gezogen. Diese werden jährlich befragt und auf ihre Kompetenzen hin getestet. Weitere Informationen zum NEPS sind unter https://www.lifbi.de/ und bei Blossfeld/Roßbach/von Maurice (2011) zu finden.

Für die hier thematisierte Fragestellung wird auf die Startkohorte 4 zurückgegriffen, für die 2010 ca. 15.000 Neuntklässler/-innen an allgemeinbildenden Schulen174 erstmals befragt und getestet wurden. Bis einschließlich der zehnten Befragungswelle (2016/2017) gaben 665 Personen für ihre erste, duale Ausbildungsepisode (wobei keine dual Studierenden berücksichtigt sind) an, diese vorzeitig beendet zu haben. Diese Stichprobe setzt sich aus 53% männlichen und 47% weiblichen Befragten zusammen; 5% können zum Ausbildungsbeginn keinen Schulabschluss vorweisen, 43% verfügen über den Hauptschulabschluss, 40% über die mittlere Reife und 12% über die Hochschulreife.175 In die Auswertungen fließen Daten der Erhebungswellen 2011/2012 bis 2016/2017 ein. 

Schaubild A8.3-1: Initiative der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses (in %)

Manche Personen hatten die Ausbildungsepisode zum Zeitpunkt der Befragung bereits beendet, sodass ihnen Fragen zum aktuellen Ausbildungsverlauf nicht gestellt wurden. Für diese Fragen liegen Angaben deshalb nur von etwas über der Hälfte der Stichprobe vor, nämlich von denjenigen, die sich zum Befragungszeitpunkt noch in der Ausbildung befanden und diese erst im weiteren Verlauf vorzeitig beendeten. Jene Gruppe wurde u. a. nach der voraussichtlichen Gesamtdauer ihrer Ausbildung gefragt. Von ihnen gaben 60% an, diese Episode, die sie letztendlich aber nicht zu Ende führten, werde bei ihnen voraussichtlich drei Jahre dauern. Ein weiteres knappes Viertel gab eine voraussichtliche Ausbildungsdauer von dreieinhalb Jahren an. 5% der gesamten Stichprobe gaben an, sie hätten ihre Ausbildungszeit aufgrund von vorherigen Qualifikationen verkürzen können.    

Zufriedenheit mit der gewählten Ausbildung und Gründe für die Vertragslösung

Die Auszubildenden, die zum Befragungszeitpunkt ihre Ausbildungsepisode noch nicht beendet hatten, sondern dies erst im weiteren Verlauf taten, wurden auch zu ihrer Zufriedenheit mit den beiden Lernorten Ausbildungsbetrieb und Berufsschule befragt. Diese lag auf einer Skala von 0 bis 10 im Mittel zwischen 7 und 8, wobei mehr als drei Viertel in der oberen Hälfte der Antwortskala ankreuzten, also eher zufrieden als unzufrieden waren. Darüber hinaus wurde diese Gruppe während ihrer noch laufenden Ausbildungsepisode um eine Stellungnahme zu der Aussage gebeten, es handele sich beim aktuellen Ausbildungsberuf um ihren Wunschberuf. Knapp zwei Drittel der Befragten stimmten dieser Aussage eher oder völlig zu, wobei der größere Teil letztere Kategorie nannte. Nur knapp jede/-r Siebte lehnte die Aussage eher oder völlig ab. Von denjenigen, die die Ausbildungsepisode zum Zeitpunkt der Befragung bereits beendet hatten und sich somit rückblickend äußerten, stimmte mehr als ein Viertel der Aussage eher oder völlig zu.

Die Zustimmung, dass es sich bei dem Ausbildungsberuf um den Wunschberuf handele, korreliert negativ mit der Häufigkeit der Nennung des Ausbildungsberufs als Abbruchgrund, d. h., dass Personen, die ihren Ausbildungsberuf als ihren Wunschberuf bezeichnet hatten, seltener angaben, sie hätten die Ausbildungsepisode vorzeitig beendet, weil der Beruf nicht ihren Vorstellungen entsprach. Das Argument, dass der Beruf nicht den eigenen Vorstellungen entsprach bzw. nicht der Wunschberuf war, führt mit 60% die Rangliste der angegebenen Gründe für die Vertragslösung an. Schaubild A8.3-2 zeigt diese Rangliste, wobei Mehrfachnennungen möglich waren. Befragt wurden hier diejenigen Personen, bei denen die Lösung des Ausbildungsvertrags aus eigenem Antrieb oder im Einvernehmen mit dem Ausbildungsbetrieb erfolgte. Von gut der Hälfte der Befragten und somit als zweithäufigster Grund wurden Konflikte im Ausbildungsbetrieb oder in der Berufsschule angegeben. 39% gaben an, dass ihnen in der Ausbildung zu wenig von den Ausbildungsinhalten vermittelt wurde. Fast ein Viertel nannte finanzielle Gründe, d. h., dass sie mit ihrem aktuellen oder nach der Ausbildung zu erwartendem Gehalt nicht zufrieden waren. Gut jede/-r Fünfte gab an, einen neuen Ausbildungsplatz in Aussicht gehabt zu haben. 18% nannten persönliche Gründe (wie gesundheitliche). Lediglich jede/-r Siebte gab an, die Ausbildung sei zu schwierig gewesen.

Je nach Schulabschluss zeigen sich Unterschiede in der Bedeutsamkeit der Beweggründe für die Vertragslösung. So gaben fast drei Viertel der Befragten mit Hochschulreife den Ausbildungsberuf als Grund für die Beendigung der Ausbildungsepisode an, von den Befragten mit mittlerer Reife taten dies noch zwei Drittel und von den Befragten mit Hauptschulabschluss lediglich 54%. Befragte mit Hauptschulabschluss gaben doppelt so häufig fachliche Schwierigkeiten an wie diejenigen mit Hochschulreife. Auch Konflikte und persönliche Gründe wurden jeweils am häufigsten in der Gruppe mit Hauptschulabschluss genannt. Finanzielle Gründe hingegen wurden deutlich häufiger von Personen mit mittlerer Reife genannt als von den beiden anderen Gruppen.

Schaubild A8.3-2: Von Auszubildenden genannte Gründe für eine Vertragslösung (Mehrfachnennungen möglich); Zustimmung in %1

Nach der Vertragslösung

In Bezug auf den weiteren Verlauf nach der vorzeitigen Beendigung der ersten Ausbildungsepisode zeigen die Daten Folgendes: In der vorliegenden Stichprobe begann jede/-r Zweite erneut eine duale Ausbildung, wobei dies bei einem Zehntel dieser Gruppe in Form einer außerbetrieblichen Ausbildung erfolgte. Bei rund einem Drittel derjenigen, die abermals eine duale Ausbildung aufnahmen, erfolgte der Beginn der neuen Ausbildung innerhalb der ersten vier Monate nach der Lösung des ersten Ausbildungsvertrags. Diese Dauer hängt allerdings auch vom zeitlichen Abstand zwischen Vertragslösung und Beginn des neuen Ausbildungsjahrs ab. Bei ca. jedem/jeder Vierten dauerte es bis zur erneuten Aufnahme einer dualen Ausbildung ein Jahr oder länger. Jede/-r Vierte bis Fünfte wählte für die neue Ausbildungsepisode denselben oder einen sehr ähnlichen Beruf wie in der vorherigen Ausbildungsepisode; bei weiblichen Auszubildenden traf dies etwas häufiger zu als bei den männlichen. Im Vergleich zur ersten Episode bezeichneten in ihrer zweiten dualen Ausbildungsepisode mehr Personen den Ausbildungsberuf als Wunschberuf. Dabei fiel der Zuwachs in der Gruppe, die aufgrund des für sie nicht passenden Berufs ihre erste Ausbildungsepisode beendet hatte, größer aus als in der Gruppe, die nicht den Ausbildungsberuf als Grund für die Vertragslösung genannt hatten.

Weitere 14% nahmen im Anschluss an die Vertragslösung statt einer dualen eine andere Form der Ausbildung wie eine berufsfachschulische Ausbildung oder ein Studium auf. Die Option Studium wurde allerdings nur von einer Minderheit gewählt, was sich unter anderem durch die Notwendigkeit einer Hochschulzugangsberechtigung für diesen Bildungsweg erklären lässt. Von den Befragten mit Hochschulreife, die nach der Vertragslösung erneut eine vollqualifzierende Bildungsepisode begannen, nahm fast jede/-r Zweite erneut eine duale Ausbildung auf, während rund ein Drittel ein Studium begann. 

Insgesamt nahmen somit rund 64% der Befragten nach ihrer vorzeitig beendeten ersten dualen Ausbildungsepisode erneut eine Form der vollqualifizierenden Ausbildung auf. Bei rund einem Fünftel schloss sich dabei die nächste Ausbildungsepisode nahtlos an die vorherige, vorzeitig beendete an.

Fazit

Die hier dargestellten Analysen geben Aufschluss über die Gründe für eine vorzeitige Lösung des Ausbildungsvertrags aus Sicht der Auszubildenden. Über die Schulabschlüsse hinweg sind es vor allem die mangelnde Passung zwischen den beruflichen Inhalten und den eigenen beruflichen Vorstellungen sowie die Ausbildungsbedingungen in Form von Konflikten und unzureichender Vermittlung der Ausbildungsinhalte. Interessant ist, dass diejenigen Auszubildenden, die noch vor ihrer Vertragslösung befragt werden konnten, zu einem großen Teil keine generelle Unzufriedenheit mit beiden Lernorten geäußert hatten.

Neben diesen Erkenntnissen sind auf der Grundlage der dargestellten Analysen erste Aussagen über (Aus-)Bildungsverläufe im Anschluss an eine vorzeitige Lösung des Ausbildungsvertrags möglich. Die Ergebnisse untermauern, dass für einen großen Teil derjenigen, die ihre erste duale Ausbildungsepisode nicht zu Ende geführt haben, die Vertragslösung nicht den Ausstieg aus dem Bildungssystem bedeutet. Die meisten entscheiden sich dabei für die erneute Aufnahme einer dualen Ausbildung, zum Teil auch im gleichen Ausbildungsberuf wie zuvor.

(Annalisa Schnitzler)

  • 174

    Nicht berücksichtigt werden bei den Analysen Förderschüler/-innen, da im Rahmen des NEPS die Jugendlichen aus Förderschulen anders befragt wurden als jene aus den übrigen allgemeinbildenden Schulen und daher nur für einen Teil der relevanten Merkmale Daten vorliegen.

  • 175

    Ein Zehntel der Stichprobe machte allerdings keine Angabe zum erzielten Schulabschluss.