Auf dem Arbeitsmarkt treffen Arbeitnehmer/-innen, die ihre Arbeitskraft anbieten, und Arbeitgeber/-innen mit entsprechender Nachfrage aufeinander. Die Kompetenzanforderungen von Arbeitgeber/-innen kommen immer dann zum Vorschein, wenn diese neue Beschäftigte suchen. Sie beschreiben die zu besetzenden Stelle idealtypisch und suchen nach entsprechenden Personen, die diese Anforderungen mehr oder weniger erfüllen.
In Stellenanzeigen werden neben Fachwissen und „harten Fakten“ wie formale Qualifikationen ebenso persönliche und soziale Kompetenzen beschrieben. Formale Qualifikationen alleine reichen nicht aus, um konkrete und aktuelle Bedarfe der Betriebe abzubilden. Es geht im speziellen um die Frage, welche Eigenschaften und Voraussetzungen eine Person mitbringen muss, um sich erfolgreich auf eine Stelle bewerben zu können. Es werden also Handlungspotenziale einer Person mit den charakteristischen Kompetenzen, die einem Beruf zugeschrieben werden, für eine erfolgreiche Berufsausübung miteinander in Beziehung gesetzt.
In Deutschland gibt es aufgrund von einheitlichen Ausbildungsinhalten eine konkrete Erwartung für bestimmte Berufe im Hinblick auf die alltägliche Ausübung von Tätigkeiten oder die Kompetenzen der Fachkräfte. In Stellenanzeigen ist jedoch häufig noch eine tiefere Analyse möglich, da Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen ein sehr genaues Bild von aktuell benötigten Kompetenzen, Tätigkeiten und Anforderungen äußern.
Sie formulieren also Anforderungen an idealtypische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur Ausübung der Tätigkeiten in ihrem Betrieb. Damit bieten der Stellenbesetzungsprozess und vor allem die Stellenanzeigen die Möglichkeit, Entwicklungen und Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt sichtbar zu machen. Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen orientieren sich bei der Formulierung der gewünschten Qualifikationen an den Abschlüssen, die ihnen bekannt sind. Zusätzlich werden sie besonders relevante Kompetenzen und Kerntätigkeiten für Ihren Betrieb beschreiben. Wenn neue Anforderungen als bisher notwendig sind oder neue Technologien eingesetzt werden, sind diese auch im Stellenanzeigentext zu finden. Ebenso kann es passieren, dass für bestimmte Tätigkeiten Positionen mit neuen Berufsabschlüssen besetzt werden: Beispielsweise wird die Stelle des Mechanikers mit einem Mechatroniker besetzt oder die neue Anforderung an eine Pflegefachkraft wird der „sichere Umgang mit Tablets“ zur Erfassung von Vitalwerten der zu Pflegenden sein.
Genau solche Veränderungen von Kompetenzanforderungen in der Arbeitswelt wollen wir für die Qualifikationsentwicklungsforschung erfassen und auswerten. Die Stellenanzeigen können (sowohl im Querschnitt als auch im Zeitverlauf) nach Branche, Berufen, Qualifikationsstufen, Regionen und anderen Merkmalen differenziert ausgewertet werden. Die Veränderung von Berufsbildern und die daraus resultierende Anpassung von Lehrplänen und Ausbildungsordnungen sind wichtige Aufgaben für das BIBB und die Stellenanzeigen leisten hierbei einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung.
BIBB-Datenbank Stellenanzeigen
Die BA liefert dem BIBB seit 2011 alle Anzeigen der offenen Stellen, die am Stichtag 15. Oktober in ihrem Stellenportal der BA veröffentlicht sind. Das sind ca. 400.000 Anzeigen pro Jahr, darunter ca. 100.000 Stellenanzeigen für Ausbildungsplätze. Die gesamten Informationen zu einer Stelle werden vom suchenden Betrieb übermittelt. Neben dem kompletten Anzeigentext werden ebenso Metadaten geliefert. Hierbei werden der gesuchte Beruf (DKZ bzw. 5-Steller KldB2010), der Wirtschaftszweig des Unternehmens (5-Steller WZ2008), die Anzahl der Mitarbeiter/-innen sowie das gesuchte Ausbildungsniveau etc. angegeben. Neben dem Volltext der Anzeige erhält das BIBB diese Informationen in vercodeter Form, die dann quantitativ ausgewertet werden können und in dieser Kombination einzigartig sind. Um die Gesamtzahl der bisher vorliegenden Stellenanzeigen im BIBB analysieren zu können werden inzwischen maschinelle Informationsextraktionen genutzt.
Informationsextraktion und Klassifizierungsschemata
Ein Anwendungsbeispiel für die Analyse der Stellenanzeigen mithilfe der computerlinguistischen Spracherkennung und Text Mining ist die Untersuchung von Arbeitsmitteln in den Stellenanzeigen (vgl. Güntürk-Kuhl/Lewalder/Martin 2017). Hierbei wurden Arbeitsmittel aus Stellenanzeigen ausgelesen und können über Berufe und Branchen dargestellt werden. Das zugrunde liegende Extraktionsverfahren wird stetig aktualisiert und für einzelne Jahrgänge überarbeitet.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Analyse von Kompetenzen. Um mit der großen Menge an Kompetenzbegriffen aus den Stellenanzeigen sinnvoll umzugehen, ist es notwendig, ähnliche Begriffe zu aggregieren bzw. zusammenzufassen und ein Klassifizierungsschema zu erstellen. Das „Vier-Säulen-Prinzip“ des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) unterscheidet Fachkompetenzen, unterteilt in Wissen und Fertigkeiten, und personale Kompetenzen, unterteilt in Sozialkompetenz und Selbstständigkeit, als zentrale Begrifflichkeiten.
Für das automatisierte Extraktionsverfahren wurde in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Arbeitsmarktservice (AMS) dessen bereits existierendes Schema und sein Schlagwortkatalog genutzt und mit dem vorliegenden Ansatz verbunden, der ebenfalls Kompetenzen in Bereiche hierarchisch gliedert. Auf der obersten Ebene wird zwischen fachlich beruflichen, überfachlich beruflichen sowie Zertifikaten und Abschlüssen unterschieden. Hierdurch konnten Kompetenzen in den Anzeigen gefunden und über Musterverfahren weitere Kompetenzen herausgelesen werden.
Das BIBB-Kompetenzschema Schaubild C3.2-1 umfasst sowohl Kompetenzen im engeren Sinne, als auch im weiteren Sinne. Kompetenzen im engeren Sinne beinhalten Fachkompetenzen (sowohl die beruflichen, als auch bereichsübergreifende Kompetenzen wie Fremdsprachen oder EDV-Kenntnisse) und Personale Kompetenzen, die Sozialkompetenzen und andere persönliche Fähigkeiten und Einstellungen umfassen. Im Sinne des DQR umfasst Fachkompetenz hier sowohl „Wissen“ als auch „Fertigkeiten“. Mit den Angaben im Stellenanzeigentext ist es nicht immer möglich eine trennscharfe Unterscheidung vorzunehmen. Fachkompetenzen werden vor allem mit der Nennung des Berufes bzw. der Berufserfahrung hervorgehoben. Bei der Formulierung einer Fachkompetenz wird dann meistens eine Kombination aus beiden impliziert.316 Neben beruflichen Fachkompetenzen zählen auch die bereichsübergreifenden Kompetenzen zu den Fachkompetenzen. Diese Anforderungen liegen quer über verschiedene Berufe und sind Kompetenzen, die man für die Ausübung verschiedener Tätigkeiten einsetzen kann. Zum Beispiel Präsentationstechnicken, Fremdsprachen oder EDV-Kenntnisse. EDV- und IT-Kompetenzen haben hier eine gesonderte Stellung, da der thematische Schwerpunkt in der Analyse der Stellenanzeigen „Digitalisierung und die Auswirkung auf das Arbeitsleben“ diesen Kompetenzen eine Schlüssel-Rolle zukommen lässt. In vielen Berufen lassen sich Digitalisierungstendenzen abzeichnen und die Zunahme an EDV- und IT-Anforderungen könnte man an dieser Stelle gut nachzeichnen.
Die Kategorie Personale Kompetenz umfasst zum einen Sozialkompetenz, also die Fähigkeiten im Umgang mit anderen Menschen wie Teamfähigkeit oder Durchsetzungsvermögen, sowie drei Felder, die persönliche Einstellungen und Eigenschaften beschreiben. Besondere Fähigkeiten und Eignungen umfassen z. B. Musikalität oder Kreativität. Kognitive Fähigkeiten und Problemlösungskompetenz beschreibt z. B. die systematische Arbeitsweise, Konzentrationsfähigkeit oder Lernbereitschaft. Persönliche Einstellungen und Werte enthalten Kompetenzen wie Verantwortungsbewusstsein oder Zuverlässigkeit.
Kompetenzen im weiteren Sinne werden hier als Zertifikate und Abschlüsse, Berufserfahrung und Physische Anforderungen verstanden. In der Kategorie Zertifikate und Abschlüsse werden neben Berufsabschlüssen sowie Fort- und Weiterbildungen verschiedene Lizenzen und Zertifikate wie Führerscheine zusammengefasst. Die Kategorie Berufserfahrung ist als Kompetenzbündel zu verstehen. In dieser expliziten Formulierung stecken konkrete Erwartungen an die Bewerberinnen und Bewerber. Neben dem berufsspezifischen Fachwissen, Arbeitsabläufen sowie dem vertrauten Umgang mit typischen Arbeitsmitteln sind es auch die Sozialkompetenzen wie Umgang mit Kolleginnen und Kollegen oder Eigenständigkeit, die in dieser Anforderung stecken. Daher steht diese Kategorie (im weiteren Sinne) grafisch im Schema zwischen Fach- und Personalen Kompetenzen (Schaubild C3.2-1). In die Kategorie physische Anforderungen fallen körperliche Voraussetzungen wie „gutes Sehvermögen“ oder „Höhentauglichkeit“, die nicht erlernbar sind, aber als Voraussetzung für die Einstellung in bestimmte Berufe gefordert werden.
Schaubild C3.2-1: BIBB-Kompetenzschema
Erste Analysen
Einen ersten Überblick über die Verteilung der Kompetenzkategorien in den Stellenanzeigen bietet Schaubild C3.2-2.
Diese Auswertung zeigt, dass die bereichsübergreifenden Kompetenzen, also Anforderungen die nicht fachspezifisch sind, selten explizit in den Anzeigen erwähnt werden. EDV- und IT-Kenntnisse werden in 14% der Anzeigen genannt. Personale Kompetenzen hingegen finden sich in einer Vielzahl von Anzeigen wieder. Insbesondere „Persönliche Einstellungen und Werte“ werden in mehr als der Hälfte der Anzeigen angegeben. Gewünschte Kompetenzen aus dieser Kategorie sind Einsatzbereitschaft (34%), Zuverlässigkeit (26%) und Verantwortungsgefühl (11%). Fast in jeder zweiten Anzeige werden Sozialkompetenzen, also Kompetenzen im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen oder Kundschaft gewünscht. Relativ häufig werden Teamfähig (29%) und kommunikative Fähigkeiten (11%) angegeben. Kognitive Anforderungen werden in fast jeder dritten Stellenanzeige formuliert. Hierbei wird eine selbstständige (20%) oder systematische (5%) Arbeitsweise als Anforderung genannt. Besondere Fähigkeiten und Eignungen werden nur in etwa jeder zehnten Anzeige formuliert. Am häufigsten wird dabei handwerkliches Geschick (5%), Organisationstalent (4%) oder Kreativität (2%) genannt. Physische Anforderungen werden im Vergleich zu den anderen Kategorien selten angegeben, wobei vor allem die körperliche Belastbarkeit in 5% der Anzeigen ausdrücklich erwähnt wird. Fachkompetenzen oder Zertifikate werden hier nicht dargestellt, da diese selten explizit benannt werden, sondern über die Berufsbezeichnung miteingeschlossen werden. Schaubild C3.2-3 zeigt einen Überblick über die unterschiedlichen Kompetenzanforderungen in den einzelnen Berufssektoren auf.
„Persönliche Einstellungen und Werte“ werden in allen Berufssektoren häufig genannt. Die „bereichsübergreifenden Fachkompetenzen“ werden in IT- und naturwissenschaftlichen Berufen sowie den kaufmännischen und unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufen häufiger genannt als in den anderen Berufssektoren. Erwartungsgemäß werden die „EDV- und IT-Kenntnisse“ besonders häufig in diesem Berufssektor formuliert und ebenso in fast jeder dritten Anzeige der kaufmännischen und unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufen. „Sozialkompetenzen“ werden in kaufmännischen und unternehmensbezogenen, personenbezogenen sowie IT- und naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen häufiger angesprochen als in Produktionsberufen oder sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungsberufen. „Physische Anforderungen“, also körperliche Belastbarkeit, werden häufiger in den Produktionsberufen und den sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen erwähnt im Vergleich zu den übrigen Dienstleistungsberufen (vgl. Köhne-Finster u. a. 2020, URL: https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/16688).
Schaubild C3.2-2: Kompetenzverteilung in den Stellenanzeigen (Mehrfachnennungen in %)
Schaubild C3.2-3: Kompetenzkategorien nach Berufssektoren (in %)
Zusammenfassung
Bei all diesen Analysen muss bedacht werden, dass Stellenanzeigen nicht das gesamte Spektrum an Kompetenzanforderungen ausweisen317, sondern zuvorderst die wichtigsten, oder solche, die nicht schon Standard oder Selbstverständlichkeiten sind. Somit weisen die genannten Kompetenzen in Stellenanzeigen im Zeitverlauf jeweils auf neue und abweichende Anforderungen hin. Sobald das Extraktionsverfahren der Kompetenzen über alle Jahrgänge durchgelaufen und abgeschlossen ist und dem Schema zugeordnet wurden, steht ein belastbares Instrument zur Verfügung, mit dem zahlreiche Forschungsfragen der beruflichen Kompetenzanforderungen und Kompetenzentwicklungen beantwortet werden können.
(Betül Güntürk-Kuhl)
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Diese zumeist nur indirekte und nicht ausführliche Nennung der fachlichen Kompetenzen soll zukünftig durch die Zuspielung der fachlichen Kompetenzen aus den Ausbildungsordnungen ergänzt werden.
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Dies gilt vor allem für die fachlichen Anforderungen, die sich zumeist aus der Berufsnennung ergeben (siehe vorhergehende Fußnote). Hier dürften mit Blick auf die berufsbezogene Struktur des deutschen Arbeitsmarktes Unterschiede im internationalen Vergleich erkennbar sein.