BP:
 

In der Berufs- und Weiterbildungsforschung gilt arbeitsintegrierte Kompetenzentwicklung inzwischen als integraler Bestandteil von betrieblicher Bildungsarbeit und beruflich-betrieblicher Weiterbildung. Gleichwohl bildet die arbeitsintegrierte Kompetenzentwicklung weitaus seltener den Gegenstand von Forschungsarbeiten als die aus dem betrieblichen Arbeitsprozess ausgelagerte Weiterbildung. Hier hat das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „informelles Lernen als Innovationsmotor“ (iLInno) angesetzt, welches mit Mitteln des BMBF im Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ gefördert wurde und dessen Ergebnisse 2018 veröffentlicht wurden (vgl. Molzberger 2018).

Projekt iLlnno

In diesem Forschungs- und Entwicklungsprojekt sind die Bedingungen für Kompetenzentwicklungen in kleinen und mittleren Unternehmen fallspezifisch als Voraussetzung der Möglichkeit arbeitsprozessintegrierter Kompetenzentwicklung untersucht worden. Das Projekt steht in einer spezifischen Tradition der Berufs- und Weiterbildungsforschung, die betriebliche Kompetenzentwicklung nicht auf eine Anpassungsfunktion an technologische, arbeitsorganisatorische oder produktbezogene Anforderungen reduziert, sondern den sozialen Raum betrieblich organisierter Arbeit als relevanten Lernort der Beschäftigten eines Unternehmens und ihrer Berufsbiografien begreift. Im Forschungsdesign von iLInno erfolgen Datenerhebung und -analyse im Wechsel mit betrieblichen Erprobungen, sodass schrittweise empirisch abgesicherte Schlussfolgerungen zur Implementierbarkeit von komplexen betrieblichen Lernprojekten gezogen werden können. 

Im Projekt  iLInno wurde auf Basis von Fallstudien ein arbeitsintegriertes Weiterbildungskonzept erprobt sowie ein Modell zur Begleitung von Kompetenzentwicklung durch betriebliche Weiterbildungsverantwortliche entworfen. Besonderheit dieses arbeitsintegrierten Weiterbildungskonzeptes sind verschiedenartige Lernkonstellationen, in denen an betrieblichen Aufgaben gelernt wird. Altersgemischte, qualifikationsgemischte und abteilungsübergreifende Tandems bearbeiten ein sogenanntes „Gemeinsames Neues Drittes“ (GeNeDri). Dieser Lerngegenstand ist ein sächliches oder prozessbezogenes Innnovationsbeispiel im betrieblichen Kontext. Die Mitarbeitenden bearbeiten die Aufgabe unter Rückgriff auf ihr jeweiliges berufliches Erfahrungswissen, welches sie rekombinieren. Dadurch entsteht neues berufliches Erfahrungswissen.

Neben diesem Weiterbildungskonzept begründet iLInno ein Modell professioneller Handlungsbefähigung für betriebliche Weiterbildungsverantwortliche, die in die Lage versetzt werden, Kompetenzentwicklungsprozesse von Beschäftigten mithilfe des GeNeDri-Konzepts zu initiieren und zu begleiten. 

An der interdisziplinären Verbundgruppe, bestehend aus der Professur für Erziehungswissenschaft/Berufs- und Weiterbildung (Leitung) und dem Lehrstuhl Konstruktion/Engineering Design, ist auch das Zentrum für Weiterbildung der Bergischen Universität Wuppertal beteiligt. Drei regionale Unternehmenspartner der Metallbranche, KS SYSTEC Dr. Schmidbauer GmbH & Co. KG, die Profilator GmbH & Co. KG sowie das KNIPEX-Werk C. Gustav Putsch KG, gehören dem Projektverbund ebenfalls an. Als regionale Umsetzungspartner sind die Aurubis AG, die Thielenhaus Technologies GmbH, die Rausch GmbH & Co. KG, die Wirtschaftsförderung Wuppertal sowie das Bergische Fachkräftebündnis eingebunden.

Prinzipien der Entwicklungsarbeit in iLInno

Die Entwicklungs- und Forschungsarbeit im Verbundprojekt iLInno steht in der Tradition der Handlungs- und Verwendungsforschung und hat drei Aufgaben: (1) eine praxisbezogene Begleitung der betrieblichen Bildungsarbeit, (2) die empirische Erfassung entsprechender Voraussetzungen und Bedingungen für Neuerungen in den betrieblichen Praktiken sowie (3) die Produktion von Forschungswissen. 

Für die Entwicklungsarbeit wurden prinzipielle Vereinbarungen getroffen, die in der berufs- und arbeitspädagogischen Forschungs- und Entwicklungsarbeit unter anderem für Verfahren der Kompetenzanalyse in Betrieben entwickelt wurden (vgl. Dehnbostel 2015). Sie stehen auch im Kontext einer mitgestaltungsorientierten, arbeitnehmernahen Weiterbildung und Personalentwicklung (vgl. Dobischat/Düsseldorff 2018). Dazu zählen wichtige Prinzipien wie das Prinzip der Partizipation – u. a. eine Zielbestimmung der GeNeDri-Projekte – und der Einbindung der Mitbestimmungsorgane. Ein weiteres Prinzip ist die Differenzierung. Sie bedeutet, dass die Lernkonstellationen bedarfsgerecht gebildet werden, z. B. abteilungsübergreifend, qualifikationsgemischt oder altersgemischt. Die Prinzipien der Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit verlangen, dass die GeNeDri-Projekte und die Grundsätze der Unternehmensführung bzw. Personalentwicklung miteinander vereinbar sind. Das Prinzip der Transparenz unterstreicht, dass die Ziele der Lernprojekte in verschiedenen Veranstaltungen wie etwa Beschäftigtenversammlungen und mithilfe verschiedener Kommunikationsmedien innerhalb des Unternehmens nachvollziehbar dargestellt und bekannt gemacht werden. Das Prinzip der Verlässlichkeit bedeutet, dass die vereinbarten Kommunikationswege und Absprachen verbindlich eingehalten werden. Dass die Teilnahme an den Lernprojekten und Angeboten zur Begleitung der Kompetenzentwicklung freiwillig sind, keine Eintragung in die Personalakten erfolgt und Datenschutz gewährleistet ist, gewährleistet das Prinzip der Legitimation. 

Lernförderliche Arbeit und kompetenzförderlicher Betrieb

Betriebe sind hoch relevante Lernorte – wenngleich keine Bildungseinrichtungen. Im Projektverlauf wurden von den in der Arbeitswissenschaft entwickelten Kriterien lernförderlicher Arbeit drei Bedingungen abgeleitet und zugespitzt, die für den Erfolg betrieblicher Lernprojekte grundlegend sind: (1) subjektive Relevanz betrieblicher Arbeitsaufgaben, (2) erlebter Handlungsspielraum und (3) Anerkennung der beruflichen Fachlichkeit. 

Wichtige Voraussetzung für die Implementierung ist, dass der Betrieb durch die Beschäftigten überhaupt als Raum individueller Kompetenzentwicklung wahrgenommen wird. Aber nicht alle betrieblichen Prozesse sind geeignet. Unterstützungsprozesse der betrieblichen Prozessarchitektur eignen sich besser als Leistungs- und Führungsprozesse, denn sie verlaufen ohne Kundenkontakt und bieten Handlungsspielraum. Nur indirekt tragen sie zur betrieblichen Wertschöpfung bei, indem sie Leistungsprozesse ermöglichen. Aufgrund dieser Charakteristika eignen sich Unterstützungsprozesse gut für die Umsetzung von Konzepten arbeitsprozessintegrierter Kompetenzentwicklung. Sie gewähren jene Spielräume der Gestaltung und Mitbestimmung, die notwendig sind, um Kompetenz vertiefen oder erweitern zu können. 

Handlungsstrategien Beschäftigter

Soll der Betrieb als Lernort angemessen gestaltet werden, so setzt dies voraus, dass innerhalb dieses sozialen Raumes keine stereotypen Eigenschaftszuschreibungen bezogen auf einzelne oder Gruppen von Beschäftigten reproduziert werden. Für die Umsetzung von betrieblichen Lernprojekten in verschiedenartigen Konstellationen (altersgemischt, qualifikationsgemischt etc.) ist eine Haltung des verstehenden Nachvollzugs von Kompetenzentwicklungsbedingungen und -geschichte(n) entscheidend. Für die GeNeDri-Erprobungen wurden Situationsdeutungen, Strategien und Bilanzen der Beteiligten in Einzelinterviews, Gruppendiskussionen und Beobachtungen von Teilnehmenden rekonstruiert. Es konnte herausgefunden werden, dass Beschäftigte die Möglichkeiten arbeitsintegrierter Kompetenzentwicklung im Format der Lernprojekte sehr unterschiedlich nutzen: als Sprungbrett für eine betriebliche Aufstiegsqualifizierung, zur interessengeleiteten Selbstbehauptung im betrieblichen Alltag, zur Bewahrung organisationaler Beständigkeit, als Raum für berufliche Persönlichkeitsentwicklung oder als Weg berufsgruppenübergreifender Professionalisierung. Dabei kommt es zu neuen Überschneidungen zwischen beruflichen und betrieblichen Einheiten und Profilen.

Professionalisierung und Verwissenschaftlichung betrieblicher Bildungsarbeit

Die Implementierung von gegenständlichen und prozessbezogenen Lernprojekten in heterogenen Konstellationen stellt eine komplexe und anspruchsvolle Aufgabe dar, die vor dem Hintergrund des aktuellen technologischen und strukturellen Wandels mit einer Professionalisierung von weiterbildenden Fachkräften mit Leitungsfunktion einhergehen muss. Es entsteht die neue Figur der betrieblichen Weiterbildungsverantwortlichen, die arbeitsintegrierte Kompetenzentwicklung initiieren, gestalten und begleiten. Im Projekt iLInno hat sich gezeigt, dass ihre  professionelle Handlungsbefähigung auf eigenen Erfahrungen mit dieser Art von „LernArbeit“ basiert. Zusätzlich haben die betrieblichen Weiterbildungsverantwortlichen des Forschungs- und Entwicklungsprojektes iLInno eine wissenschaftliche Weiterbildung in diesem Bereich durchlaufen. Der wechselseitig verknüpfte Zugang zu beruflichem Handeln und forschungsgeleiteter Wissensgenerierung ist dementsprechend sowohl Ausgangs- als auch Zielpunkt eines einzurichtenden weiterbildenden Zertifikatsstudiums an der Bergischen Universität. 

(Gabriele Molzberger  – Bergische Universität Wuppertal)