Das Wichtigste in Kürze
- Die Ausrichtung beruflicher Lehr- und Lernprozesse an Kompetenzen erfordert eine präzise Beschreibung von Kompetenzen auf Basis fundierter Kompetenzmodelle. Erst dann können beschriebene Kompetenzen valide gemessen und somit das Erreichen von Bildungszielen im Kontext z. B. von Prüfungen, Lernstands- und Förderbedarfserhebungen und der Messung informell erworbener Kompetenzen überprüft werden. Werden Kompetenzmodelle einer empirischen Prüfung unterzogen und auf dieser Basis weiterentwickelt, können die Modelle wertvolle Hinweise für die Gestaltung von Ordnungsmitteln und Ausbildungsmaterial liefern.
- Während der letzten zehn Jahre ist ein Anstieg der im deutschen Kontext veröffentlichten Studien zur Erforschung und Erprobung von Instrumenten und Verfahren zur Messung von Kompetenzen in der beruflichen Erstausbildung zu verzeichnen. Dagegen sind Kompetenzmessungen in beruflichen Fortbildungen bislang nur vereinzelt verfügbar.
- Die BIBB-Studie zur fachlichen Kompetenzentwicklung in der zweijährigen vollzeitschulischen Fortbildung zum/zur Techniker/-in belegt große Leistungsunterschiede zwischen den Fortzubildenden aufgrund unterschiedlicher beruflicher Erfahrungen zu Beginn ihrer Fortbildung. Die Studie zeigt, dass die Unterschiede im Verlauf der Fortbildung nicht ausgeglichen werden. Diese Ergebnisse sprechen für die Notwendigkeit vorbereitender oder begleitender Unterstützungsangebote für diejenigen Fortzubildenden, die mit eher ungünstigen Voraussetzungen die Fortbildung aufnehmen.
- In verschiedenen Berufsbildungsprogrammen wie den Modellversuchen des BIBB zur Förderung berufsspezifischer nachhaltigkeitsorientierter Kompetenzen in der Aus- und Weiterbildung und im Rahmen der Forschungsinitiative ASCOT wurden berufliche Kompetenzmodelle entwickelt und empirisch überprüft. Damit stehen Modelle, Testverfahren und vereinzelt didaktische Ansätze zur Verfügung, die auf authentischen, arbeitsplatzbezogenen Kompetenzanforderungen basieren und die für die Entwicklung kompetenzorientierter Berufsprofile für das berufliche Prüfungswesen und für die Gestaltung von Lehr-/Lernkonzepten genutzt werden können.
- Ein wichtiger Schritt in Richtung der Gewährleistung einer Transferierbarkeit dieser Instrumente, Modelle und Lehr-/Lernumgebungen in die Praxis stellt die aktuell laufende BMBF-geförderte Forschungs- und Transferinitiative ASCOT+ dar (Laufzeit 2019 bis 2022).
- Um prospektiv die Veränderungen von Arbeitsangebot und -nachfrage und ihre Passung abschätzen zu können, sind kompetenzorientierte Klassifikationen erforderlich, die den Prognosekonzepten und Erfassungsinstrumenten zugrunde gelegt werden. Sie sind besser geeignet, die Veränderungen der Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt abzuschätzen als qualifikationsbasierte Konzepte wie z. B. Zertifikate und Berufsabschlüsse. Es wurde eine Kompetenzklassifikation auf Basis von Daten der Erwerbstätigkeitsbefragungen vorgenommen, die zukünftig als kompetenzorientiertes Analyseinstrument zur Prognose von Fachkräfteangebot und -nachfrage in Deutschland (Fachkräftemonitoring) eingesetzt wird.
- Für die Qualifikations- bzw. Kompetenzentwicklungsforschung liegt ein Klassifikationsschema und ein darauf aufbauendes Verfahren maschineller Informationsextraktionen zur Analyse von Kompetenzanforderungen in Stellenanzeigen vor. Es ermöglicht, regelmäßig die von der BA dem BIBB zur Verfügung gestellten Stellenanzeigen im jährlichen Zeitvergleich für die Beobachtung der Veränderungen von Kompetenzanforderungen in Berufsprofilen breitflächig zu nutzen.
- Die Digitalisierung zeigt starke Effekte in Bezug auf die verschiedenen Formen betrieblichen Kompetenzerwerbs. Zur Schließung von Kompetenzlücken investieren Unternehmen in die Weiterbildung. Zunehmend gewinnt das informelle Lernen im Prozess der Arbeit an Bedeutung. Es wird immer wichtiger, dass die Belegschaft neben fachlichen und digitalen Kompetenzen vor allem auch über soziale Kompetenzen wie Verantwortung, Selbstständigkeit, Flexibilität und Kommunikation verfügt.
- Die Implementierung innerbetrieblicher Lernprojekte mit und für heterogene Beschäftigtengruppen stellt eine komplexe und anspruchsvolle Aufgabe insbesondere für Fachkräfte mit Leitungsfunktionen dar. Es bedarf einer neuen professionellen Rolle für Personen, die arbeitsintegrierte Kompetenzentwicklung initiieren, gestalten und begleiten. Die Befähigung für die Ausübung dieser Rolle beruht auf Erfahrung mit dieser Art von „LernArbeit“, die mit wissenschaftlicher Weiterbildung und Reflexion zu verbinden sind.
- Betriebe führen verstärkt ein Kompetenzmanagement als Instrument zur Steuerung und Verknüpfung verschiedener Aktivitäten zur Qualifikationsbedarfsdeckung ein. Die systematische Verwendung von Instrumenten des Kompetenzmanagements ist in den Unternehmen jedoch sehr unterschiedlich. In Betrieben, die Kompetenzmanagement systematisch einsetzen, scheint dies in jedem Fall zur Verstärkung von Aus- und Weiterbildung und zur verbesserten Gestaltung innerbetrieblichen Lernens im Rahmen der Arbeitsprozesse zu führen. Auch bei der Besetzung innerbetrieblicher Positionen und bei der externen Personalrekrutierung richten Betriebe ihre Personalinstrumente an Kompetenzen aus.
Fazit und Ausblick
Der Erwerb umfassender beruflicher Handlungskompetenz gilt dem Anspruch nach seit den 1990er-Jahren als Leitziel beruflicher Bildung. Damit ist ein Kompetenzverständnis verbunden, das neben beständig wachsenden fachlichen Anforderungen auch soziale Kompetenzen wie Team- und Kooperationsfähigkeiten und personale Kompetenzen wie selbstregulative und reflexive Fähigkeiten einschließt. Die veränderten Arbeitsanforderungen im Rahmen laufender Digitalisierungsprozesse weisen darauf hin, dass sich diese Entwicklung kontinuierlich verstärkt und insbesondere den sozialen und personalen Kompetenzen eine wachsende Bedeutung zukommt.
Des Weiteren zeichnet sich ab, dass Betriebe zunehmend verschiedene Optionen nutzen, um Qualifizierung und Kompetenzentwicklung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker betriebsspezifisch auszurichten. Dies erfolgt über betriebsspezifische Kompetenzmodelle, der systematischen Erfassung von Kompetenzbeständen und daran anschließenden Maßnahmen der Kompetenzentwicklung, die in hohem Maße als Lernen im Arbeitsprozess und als Lernen über mit der Arbeit verbundenen Lernformen erfolgt. Zudem lässt sich beobachten, dass die Betriebe verstärkt eigene betriebsspezifische Entwicklungs- und Karrierepositionen entwickeln und nicht mehr nur die traditionellen Aus- und Fortbildungsberufe im System der beruflichen Bildung nutzen.
Wenn sich dieser Trend weiterhin verfestigt, werden in Betrieben berufliche Aus- und Weiterbildung, die Organisation und Gestaltung betrieblicher Lern- und Qualifizierungsprozesse, deren Verknüpfung mit Maßnahmen der Personalentwicklung und -rekrutierung zunehmend über eine an Kompetenzen orientierte Steuerung und Koordination erfolgen. Damit würde das Kompetenzmanagement zu einem fundierenden Prinzip betrieblicher Steuerung und Koordination der Prozesse von Qualifikationsbedarfsdeckung werden.
Diese Entwicklungen stellen auch das System der Berufsbildung vor besondere Herausforderungen, da zumindest die Gefahr besteht, dass die berufliche Aus- und Weiterbildung für die Betriebe an Bedeutung verlieren könnte. Stattdessen besteht die Möglichkeit, dass Betriebe stärker als bisher ihre Qualifizierung und Kompetenzentwicklung an den eigenen betriebsspezifischen Kompetenzmodellen ausrichten. Inwieweit beispielsweise der Rückgang der betrieblichen Ausbildung damit im Zusammenhang stehen könnte, ist bislang empirisch nicht ausreichend untersucht. Insgesamt liegen zu den Handlungen und Entscheidungen der Betriebe im Hinblick auf Kompetenzmanagement noch wenig empirisch gestützte Analysen vor, sodass sich für die betriebliche Berufsbildungsforschung hier wichtige Forschungsaufgaben stellen.
Hinsichtlich berufsbildungs- und ordnungspolitischer Handlungsbedarfe erscheinen verstärkte Anstrengungen notwendig, um betriebliche Qualifizierungs- und Kompetenzentwicklungsprozesse sowie die berufliche Bildung in Form von Aus- und Fortbildung wechselseitig aufeinander zu beziehen, was dem Anspruch nach bereits seit Längerem erfolgt. Eine wichtige Voraussetzung dafür wäre, bestehende Aus- und Fortbildungsordnungen neben ihrer fortlaufenden Modernisierung auch kompetenzorientiert zu formulieren. Es ist davon auszugehen, dass so verbesserte Möglichkeiten geschaffen werden, betriebliche und berufliche Lernleistungen auf Basis vergleichbarer Ziele und Standards des Kompetenzerwerbs wechselseitig aufeinander zu beziehen. Kompetenzbasierte Standards sind zudem notwendig, um informell erworbene Kompetenzen zu erfassen und zu validieren. Auf diese Weise können Kompetenzentwicklungsprozesse über den betrieblichen Kontext hinaus auch für die beruflichen Entwicklungswege der Beschäftigten genutzt werden. Hierzu bedarf es nicht nur kompetenzorientierter Aus- und Fortbildungsordnungen, sondern auch der kompetenzorientierten Ausrichtung von Verfahren der Kompetenzerfassung und -messung für Prüfungen und für die Validierung von Kompetenzen. Die vom BMBF geförderte Forschungs- und Transferinitiative ASCOT+ soll hierbei unterstützend wirken. In Bezug auf die Validierung von Kompetenzen aus informellen Kontexten werden in der Transferinitiative ValiKom derzeit Möglichkeiten einer systemrelevanten Anerkennung von informell erworbenen Kompetenzen erprobt, die nur dann eine gewünschte Breitenwirkung haben werden, wenn sie gesetzlich verankert werden.
Insgesamt wird an verschiedenen Stellen deutlich, dass die seit den 1990er-Jahren laufende Entwicklung weiter voranschreitet und Kompetenzen statt Qualifikationen zur Grundlage der komplexen Steuerung- und Koordinationsprozesse zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem werden. Wobei sich auch das Verständnis von Qualifikationen gewandelt hat. So werden Qualifikationen im DQR als gebündelte oder zertifizierte Kompetenzen verstanden. Insgesamt werden Kompetenzen in Gestalt von Kompetenzbündeln zu Qualifikationen, wenn sie anhand von Standards bewertet werden und über Zertifikate eine breit anerkannte Wertigkeit im Beschäftigungssystem jenseits des einzelnen Betriebes erlangen. Auf diese Art und Weise sichern sie für die Einzelnen auch berufliche Entwicklungswege.
(Agnes Dietzen)