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Es zeigt sich, dass es hinsichtlich der untersuchten Tätigkeitsdimensionen Ermessensspielraum, Problemlösen und betriebliches Lernen größere Unterschiede zwischen den betrachteten Ländergruppen gibt. Entsprechend dürften auch die Zielvorstellungen und die Umsetzungsformen beruflicher Kompetenzentwicklung variieren. Die Befunde zum Ermessensspielraum korrespondieren mit Annahmen, die aus den Überlegungen zu betrieblichen Tätigkeitsprofilen im Vergleich zwischen liberalen und koordinierten Marktwirtschaften abgeleitet werden könnten. In den sogenannten koordinierten Marktwirtschaften könnte die stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer/-innen – z. B. durch Mechanismen der Mitbestimmung – unter anderem dazu führen, dass Fachkräfte auf mittlerem Qualifikationsniveau in stärkerem Maße ihre Qualifikationen und Kenntnisse vor dem Zugriff durch andere Belegschaftssegmente, wie z. B. dem Management schützen (vgl. z. B. die verschiedenen Überlegungen bei Lam/Marsden 2017). Unterschiede zwischen Japan und Korea könnten auf die stärkere Bedeutung von Gewerkschaften in Japan als in Korea zurückgeführt werden (Stichwort: family coordinated market economies). 

Überraschender als Befunde zum Ermessensspielraum sind die Befunde zum komplexen Problemlösen und zum Lernen im betrieblichen Kontext. Beides sind bedeutsame Dimensionen des spezifisch deutschsprachigen Konstrukts der beruflichen Handlungskompetenz, die wiederum an die Existenz berufsfachlich strukturierter Arbeitsmärkte gekoppelt ist. Über die Gründe, warum diese beiden Tätigkeitsdimensionen in den anderen Beispielen der Ländergruppen der liberalen und gemischten Ökonomien stärker ausgeprägt sind, kann nur spekuliert werden. Denkbar wäre, dass die stärkere Strukturierung der betrieblichen Abläufe und der beruflichen Arbeitsmärkte entsprechende Lern- und Problemlöseprozesse weniger häufig erforderlich macht. Andererseits könnte der Befund aber auch als ein Zeichen geringerer Dynamik interpretiert werden. 

So oder so zeigt sich, dass in vergleichender Perspektive hinter gleichnamigen Berufen bedeutende Unterschiede im Hinblick auf die konkreten Tätigkeiten vermutet werden können. Das hat Auswirkung auf die Ziele und Prozesse der Kompetenzentwicklung genauso wie z. B. auf die hochaktuelle Diskussion zu Fragen der Zukunft bestimmter Berufe und dem Verschwinden von Berufen im Zuge der Digitalisierung. Mitunter sind gleiche Berufe in verschiedenen Ländern in unterschiedlichem Ausmaß Gegenstand der Substitution durch Technologien und künstlicher Intelligenz.

(Philipp Grollmann, Viktor Ulbrich, Frederik Hugo)