In der beruflichen Bildung nimmt die Entwicklung beruflicher Kompetenzen eine zentrale Rolle ein, deren Bedeutung in der Vergangenheit stetig zugenommen hat. So definiert die KMK das Erlangen von Handlungskompetenz als Leitziel der schulischen Berufsausbildung (vgl. Kultusministerkonferenz 1996, 2007, 2011, 2017) und so stellt das BBiG seit seiner Novellierung im Jahr 2005 die Schaffung beruflicher Handlungsfähigkeit (§ 1 Abs. 3 BBiG) als zentrales Ziel der Berufsausbildung dar. Trotz dieser zunehmenden Kompetenzorientierung in der beruflichen Ausbildung besteht bis dato kein einheitliches Verständnis darüber, wie die von Auszubildenden zu erwerbenden beruflichen Kompetenzen definiert werden (vgl. Hartig 2008; Zlatkin-Troitschanskaia/Seidel 2011). Ebenso wenig herrscht Konsens darüber, wie diese Kompetenzen zuverlässig gemessen werden können. Zudem besteht Unklarheit darüber, welche Verfahren zur Messung beruflicher Kompetenzen in Deutschland derzeit zur Verfügung stehen bzw. im Einsatz sind.
Ein verlässlicher Nachweis über die von Auszubildenden erworbenen Kompetenzen ist jedoch notwendig, um ihnen nach Abschluss ihrer Ausbildung einen zuverlässigen Nachweis über ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten ausstellen zu können und ihnen so den Zutritt zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Gleichzeitig können Kompetenzmessverfahren bereits während der Ausbildung als Lernstandskontrollen eingesetzt und zur bedarfsorientierten Förderung der Auszubildenden eingesetzt werden. Nicht zuletzt können zuverlässige Nachweise über die Kompetenzen der Auszubildenden auch für nationale und internationale Vergleiche herangezogen werden und somit zur im Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) geforderten Transparenz und Vergleichbarkeit europäischer Abschlüsse beitragen.
Eine 2019 veröffentlichte systematische Überblicksstudie des BIBB hat die derzeit in Deutschland verfügbaren bzw. eingesetzten Verfahren zur Kompetenzmessung in der beruflichen Ausbildung in einem Überblick zusammengestellt. Hierfür wurden Veröffentlichungen aus den Jahren 2001 bis 2017 systematisch erfasst und ausgewertet.
Die Analyse der betrachteten Veröffentlichungen hat gezeigt, dass ein erheblicher Anteil der einbezogenen Veröffentlichungen (53%) neueren Datums ist und aus den Jahren 2014 oder später stammt, was mit der Veröffentlichung der Ergebnisse der von 2010 bis 2015 gelaufenen Forschungsinitiative ASCOT (Technology-based Assessment of Skills and Competences in Vocational Education and Training) des BMBF zu erklären ist (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2015b).
Systematische Überblicksstudie zu Methoden der Kompetenzerfassung in der beruflichen Erstausbildung in Deutschland
Die dargestellten Ergebnisse basieren auf den Daten einer vom BIBB durchgeführten systematischen Überblicksstudie (vgl. Rüschoff 2019).
Aus den Jahren 2001 bis 2017 wurden hierzu Veröffentlichungen zur Kompetenzmessung in der beruflichen Erstausbildung in Deutschland gesichtet. Auf Basis vorab definierter Ein- und Ausschlusskriterien wurden all jene Veröffentlichungen in die systematische Auswertung einbezogen, die sich mit der Messung beruflicher Kompetenzen im deutschen Kontext befassen, in denen konkrete Verfahren zur Messung beruflicher Kompetenzen beschrieben wurden und in denen die in der Veröffentlichung zur Verfügung gestellten Daten Rückschlüsse auf die wissenschaftliche Güte der Verfahren zulassen. Eingrenzungen auf einzelne Berufe oder Berufsfelder bestanden nicht. Insgesamt wurden 58 Veröffentlichungen identifiziert, die diese Einschlusskriterien erfüllen.
Forschungsinitiative ASCOT (Technology-based Assessment of Skills and Competences in Vocational Education and Training)
ASCOT war eine zwischen 2011 und 2015 vom BMBF geförderte Forschungsinitiative. Der Name ASCOT steht für die technologieorientierte Kompetenzmessung in der beruflichen Bildung (Technology-based Assessment of Skills and Competences in Vocational Education and Training).
In ASCOT wurden Leistungen von Jugendlichen am Ende ihrer Ausbildung gemessen. Durch die Initiative wurden insgesamt sechs Projektverbünde (21 Einzelprojekte) gefördert, die Testinstrumente insbesondere für die Messung berufsfachlicher Kompetenzen in gewerblich-technischen, kaufmännischen und Gesundheitsberufen Testinstrumente in Form von computergestützten Simulationen sowie Papier- und Bleistifttests (paper pencil) entwickelt und erprobt haben. Darüber hinaus wurde erstmalig ein berufsbezogener Test für soziale Kompetenzen eingesetzt. Insgesamt wurden im Rahmen der Initiative über 800 Testaufgaben – hiervon 560 computerbasierte – neu entwickelt. Für nähere Informationen zur Initiative ASCOT siehe auch Bundesministerium für Bildung und Forschung 2015b und www.ascot-vet.net.
Wie Schaubild C2.1.2-1 zeigt, befasst sich die Hälfte der betrachteten Veröffentlichungen mit der Modellierung und Diagnostik von Kompetenzen bei Auszubildenden in gewerblich-technischen Berufen. Weniger stark vertreten sind die kaufmännischen Berufe, die in 30% der Veröffentlichungen betrachtet wurden. In lediglich 13% der betrachteten Veröffentlichungen wurden Kompetenzmodelle oder kompetenzdiagnostische Verfahren für Berufe aus dem Gesundheitsbereich oder dem Bereich der Körperpflege entwickelt oder erprobt.
Eine weitere Aufschlüsselung der Berufsbereiche in einzelne Ausbildungsberufe ist in Schaubild C2.1.2-2 dargestellt. Auch hier zeigt sich, dass Berufe aus dem Bereich Gesundheit und Körperpflege im direkten Vergleich mit den übrigen Berufsbereichen stark unterrepräsentiert sind, und dass dieser Bereich in den einbezogenen Veröffentlichungen mit lediglich vier Berufen vertreten ist. Der Beruf der Industriekaufleute wird in insgesamt 23 der einbezogenen Veröffentlichungen betrachtet und ist somit am stärksten vertreten, gefolgt vom Beruf der Kfz-Mechatroniker/-innen.307 Obwohl auf Basis der Ergebnisse geschlussfolgert werden kann, dass die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten in der Modellierung und Diagnostik beruflicher Kompetenzen von Auszubildenden in den vergangenen Jahren zugenommen haben, zeigen die Ergebnisse auch, dass sich die verfügbaren Instrumente aktuell noch auf eine begrenzte Anzahl Berufe fokussieren und dass diese Berufe insbesondere dem kaufmännischen und dem gewerblich-technischen Bereich zuzuordnen sind. Unterrepräsentiert sind aktuell die Gesundheitsberufe sowie Berufe aus dem Bereich der Körperpflege. Es bleibt daher unklar, inwieweit die derzeit verfügbaren Instrumente auch für andere Berufe innerhalb der gleichen Berufsgruppen anwendbar sind. Des Weiteren fehlen zum jetzigen Stand ausreichend belastbare Ergebnisse darüber, ob und in welchem Umfang die Verfahren und Instrumente auch auf klassische handwerkliche Berufe übertragbar sind.
Schaubild C2.1.2-1: Verteilung der in den Veröffentlichungen betrachteten Berufe auf Berufsfelder (in %)
Schaubild C2.1.2-2: Absolute Häufigkeiten der Berufe in den betrachteten 58 Veröffentlichungen1
Schaubild C2.1.2-3 zeigt, für welche Arten von Kompetenzen auf Basis der Überblicksstudie aktuell Messverfahren verfügbar sind oder entwickelt und erprobt wurden.308 Wie aufgrund des Anlasses der Studie zu erwarten war, befasst sich der Großteil der Veröffentlichungen mit der Modellierung und Messung fachlicher Kompetenzen (z. B. der Erfassung von kaufmännischen Kompetenzen im Bereich der Industriekaufleute oder der Erfassung von Fehleranalysefähigkeiten im Bereich der Kfz-Mechatronik). Ein Viertel der betrachteten Kompetenzen betrifft allgemeine Kompetenzen, wie beispielsweise mathematische Kompetenzen oder die Lesekompetenz der Auszubildenden. In lediglich 9% der Kompetenzen, für die auf Basis der Datenlage Messinstrumente vorliegen oder sich in der Entwicklung befinden, handelt es sich um soziale oder kommunikative Kompetenzen. Soziale und kommunikative Kompetenzen wurden zudem überwiegend in Berufen aus dem Gesundheitsbereich, in geringerem Umfang auch im kaufmännischen Bereich, erfasst. An dieser Stelle wird ein klarer Handlungsbedarf deutlich. Bei der zukünftigen Entwicklung oder Weiterentwicklung von Verfahren zur Kompetenzmessung bei Auszubildenden sollten die sozialen und kommunikativen Kompetenzen stärker berücksichtigt und insbesondere auch in gewerblich-technischen Berufsfeldern stärker in den Fokus gerückt werden.
Bezüglich der Art der Instrumente und Verfahren, mit denen Kompetenzen erfasst werden können, sind verschiedene Herangehensweisen zu unterscheiden wie beispielsweise technologiebasierte computergestützte Verfahren, Papier- und-Bleistifttests oder Verhaltensbeobachtungen, etwa in Form von Rollenspielen oder praktischen Arbeitsaufgaben. Häufig werden diese verschiedenen Herangehensweisen auch kombiniert. In den vergangenen Jahren hat sich ein Trend hin zu technologiebasierten bzw. computergestützten Verfahren abgezeichnet, der sich ebenfalls in den in Schaubild C2.1.2-4 abgebildeten Häufigkeiten der verschiedenen Herangehensweisen in den betrachteten Studien widerspiegelt. Der Großteil der Veröffentlichungen hat zur Messung der Kompetenzen der Auszubildenden entweder zum Teil oder ausschließlich technologiebasierte Verfahren eingesetzt.
Die Spannbreite der technologiebasierten oder computergestützten Instrumente ist jedoch groß und die Art der hierunter zusammengefassten Instrumente divers. Es kann sich hierbei um eine vergleichsweise simple Übertragung von vormals im Papier- und Bleistift-Format durchgeführten Verfahren in eine computergestützte Variante handeln, oder auch um umfassende technologiebasierte Simulationen von alltäglichen berufsrelevanten Situationen der Auszubildenden. Die zunehmende Anwendung technologiebasierter, computergestützter Verfahren mag zum einen im technologischen Fortschritt und den damit immer größer werdenden Möglichkeiten begründet liegen, zum anderen allerdings auch in den Vorteilen dieser Verfahren. Durch die zumindest teilweise Übertragung früher manuell durchgeführter Schritte in der Erfassung von Kompetenzen in ein computergestütztes Verfahren kann beispielsweise eine gesteigerte Testökonomie erzielt werden. Zudem bieten computergestützte Verfahren die Möglichkeit, die den Auszubildenden zur Verfügung gestellten Materialien sowie die Abläufe bei der Erfassung und Bewertung von Kompetenzen stark zu standardisieren, was zur Vergleichbarkeit der erzielten Ergebnisse beiträgt.
Schaubild C2.1.2-3: Häufigkeit der in den Veröffentlichungen betrachteten Kompetenztypen (in %)1
Schaubild C2.1.2-4: Absolute Häufigkeiten der verschiedenen in den Veröffentlichungen betrachteten Typen von Messinstrumenten
Fazit
Die Ergebnisse zeigen einen Anstieg der im deutschen Kontext veröffentlichten Studien zur Erforschung und Erprobung von Instrumenten und Verfahren zur Messung von Kompetenzen in der beruflichen Erstausbildung. Bevor es jedoch zu einem Einsatz dieser Instrumente in der Breite kommen kann, sollten in zukünftigen Studien und Entwicklungsvorhaben insbesondere eine größere Spannbreite an Berufen betrachtet sowie zusätzliche Berufsfelder einbezogen werden. Ein Schritt in Richtung der Gewährleistung einer Transferierbarkeit der Instrumente in die Praxis stellt die aktuell laufende BMBF-geförderte Forschungs- und Transferinitiative ASCOT+ dar (2019 bis 2022). Darüber hinaus sollten soziale und kommunikative Kompetenzen auch außerhalb der Gesundheits- und kaufmännischen Berufe größere Beachtung finden. Derzeit entwickelt das BIBB ein zwischen 2011 und 2016 im Rahmen von ASCOT erstelltes Instrument zur Erfassung von sozial-kommunikativen Kompetenzen im Gesundheitsbereich zum Zweck der Erfassung der Effekte eines Kompetenztrainings weiter.
(Britta Rüschoff, FOM Hochschule für Oekonomie & Management)
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In einigen der Veröffentlichungen wurden mehrere Berufe und mehrere Berufsbereiche betrachtet. Die Gesamtzahl der betrachteten Berufe übersteigt daher die Anzahl der betrachteten Veröffentlichungen.
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Die angegebenen Prozentwerte beziehen sich auf die Gesamtheit aller in den Veröffentlichungen betrachteten Kompetenzen. In einigen der Veröffentlichungen wurden mehrere Kompetenzen betrachtet.