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Im Anschluss an die berufliche Erstausbildung können junge Fachkräfte eine berufliche Fortbildung absolvieren. Die geregelten Fortbildungen unterliegen unterschiedlichen bundes-, landesrechtlichen oder kammerbezogenen Regelungen (vgl. Kapitel B4). 

Das 2018 abgeschlossene Forschungsprojekt „Messung fachlicher Kompetenzen von Fachkräften im Bereich der Mechatronik und der Elektrotechnik (ProMech)“ des BIBB zielte darauf ab, die fachliche Kompetenzentwicklung nach der Ausbildung in den Blick zu nehmen. Es ergänzte damit die bisherigen Forschungsarbeiten, die schwerpunktmäßig die Kompetenzentwicklung in der beruflichen Erstausbildung adressieren (vgl. Kapitel C2.1). Für das Projekt wurde eine Stichprobe von rund 300 Fortbildungsteilnehmenden zu Beginn und am Ende ihrer zweijährigen vollzeitschulischen Fortbildung zum/zur Techniker/-in Elektrotechnik befragt und getestet. 

Forschungsprojekt Messung fachlicher Kompetenzen von Fachkräften im Bereich Mechatronik und Elektrotechnik (ProMech)

In diesem BIBB-Projekt wurde eine nicht repräsentative Stichprobe von rund 300 Fortzubildenden einer zweijährigen vollzeitschulischen Fortbildung zum/zur Techniker/-in Elektrotechnik aus insgesamt 15 vollzeitschulischen Fachklassen an 13 Schulen in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gezogen. Sie wurden kurz nach Beginn ihrer Fortbildung im Sommer 2015 und Anfang 2017 mit schriftlichen Fragebögen befragt sowie mit Tests zum Fachwissen sowie zur fachspezifischen Problemlösefähigkeit getestet (vgl. Dietzen u. a. 2018).

Insgesamt konnten für die Studie Daten von 314 Personen zu Beginn ihrer Fortbildung verwendet werden. Die Befragten waren im Durchschnitt 25,3 Jahre alt (SD 4,8). 5,1% gaben an, dass sie einen Hauptschulabschluss als höchsten Bildungsabschluss haben, 72,3% einen mittleren Bildungsabschluss und 19,7% die (Fach-)Hochschulreife. 2,9% der Befragten machten hierzu keine Angaben. Die Befragten gaben durchschnittlich an, über dreieinhalb Jahre einschlägige Berufserfahrung zu verfügen, wobei die Angaben eine Spannweite von null bis 24 Jahren Berufserfahrung umfassten. 86% der Befragten machten Angaben zu ihrem Ausbildungshintergrund. Wie Schaubild C2.2.1-1 zeigt, wiesen die Fortzubildenden heterogene Ausbildungshintergründe auf. 

Zu Analysezwecken wurden die Fortzubildenden auf Basis ihres Ausbildungshintergrunds in drei Gruppen unterteilt. Bezugnehmend auf die Analysen von Nickolaus und Geißel (2009) sowie von Zinke, Schenk und Kröll (2014) wurden diejenigen mit einer abgeschlossenen Ausbildung zum/zur Elektroniker/-in für Automatisierungstechnik, Elektroniker/-in für Betriebstechnik oder Mechatroniker/-in zu einer Gruppe „Ausbildungshintergrund Industrie“ zusammengefasst. Eine weitere Gruppe mit dem „Ausbildungshintergrund Handwerk“ wurde gebildet aus den Personen mit einer abgeschlossenen Ausbildung als Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik, als Elektromonteur/-in oder -installateur/-in oder als Elektroniker/-in für Gebäude und Infrastruktursysteme. Die weiteren Personen wurden in einer Kategorie „Sonstiger Ausbildungshintergrund“ zusammengeführt. 

Ein Ziel der Studie war es, die beruflichen Erfahrungen der Fortzubildenden genauer zu betrachten. Generell entfaltet die Dauer der Berufserfahrung ihre Relevanz sowohl bei Zulassungsverfahren zu Fortbildungen als auch bei Prüfungen.311 Anknüpfend an die Forschungsarbeiten von Quiñones, Ford und Teachout (1995) wurden im Projekt die Erfahrungen nicht nur über die Dauer, sondern auch über die Häufigkeit der Ausübung verschiedener Tätigkeiten erfasst. Daher wurden die Studienteilnehmenden gebeten, auf einer sechsstufigen Skala von 1 „nie“ bis 6 „sehr häufig“ anzugeben, wie häufig sie bestimmte Tätigkeiten und Aufgaben während ihrer beruflichen Tätigkeit der letzten fünf Jahre absolviert hatten.

Schaubild C2.2.1-1: Ausbildungshintergrund der Fortzubildenden (absolute Zahlen)

Wie Schaubild C2.2.1-2 zeigt, gab es unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte zwischen den befragten Gruppen. So haben insbesondere Fortzubildende mit einem industriellen Ausbildungshintergrund häufig mit elektrotechnischen Anlagen gearbeitet, sie gewartet und repariert sowie Fehler darin gesucht. 

Aufgrund der unterschiedlichen beruflichen Erfahrungen, die die Fortzubildenden in die Fortbildung mitbringen, kann angenommen werden, dass die Kompetenzentwicklung in den heterogenen Gruppen sehr unterschiedlich ist. In dem Projekt wurde von der Annahme ausgegangen, dass die größten Unterschiede zwischen Personen mit Ausbildungshintergründen im Handwerk und in der Industrie zu finden sind.

Um die fachliche Kompetenzentwicklung312 zu untersuchen, kamen psychometrische Kompetenztests zum Einsatz (vgl. Dietzen u. a. 2018; Velten u. a. 2018). Mit einem Fachwissenstest wurden jeweils zu Beginn und am Ende der Fortbildung fachliche Kenntnisse mittels geschlossener und offener Aufgaben getestet. Der Test unterschied zwischen den drei inhaltlichen Dimensionen „Grundlagen der Elektrotechnik“, „elektrische Anlagen und Systeme“ sowie „Steuerungstechnik“. Mit einem weiteren computerbasierten Test zur fachlichen analytischen Problemlösefähigkeit wurden am Ende der Fortbildung die Problemlöseleistungen geprüft. Beide Tests wurden mittels der Item-Response-Theorie (Raschmodell) skaliert und für jede Person ein Schätzwert ihrer Kompetenz berechnet. 

Schaubild C2.2.1-2: Tätigkeiten der Fortzubildenden in den letzten fünf Jahren (Antwortskala von 1 „nie“ bis 6 „sehr häufig“)

Tabelle C2.2.1-1 zeigt die durchschnittlichen Kompetenzausprägungen313 in der Gruppe der Fortzubildenden mit Ausbildungshintergrund „Industrie“ und „Handwerk“ zu Beginn und am Ende der Fortbildung. Die Effektgröße d gibt an, wie groß die Gruppenunterschiede in den jeweiligen Zeilen in Bezug auf eine Standardabweichung sind. So zeigten sich zu Beginn der Fortbildung Unterschiede im Fachwissen zwischen Fortzubildenden der beiden Gruppen. Für den gesamten Fachwissenstest beträgt der Unterschied etwa eine Standardabweichung. Für die Dimension „Grundlagen der Elektrotechnik“ liegt der Unterschied bei zwei Dritteln einer Standardabweichung, bei der Dimension „elektrische Anlagen und Systeme“ liegt er nur bei einer halben Standardabweichung.

Die Problemlösefähigkeit wurde nur am Ende der Fortbildung getestet, da der Test zu Beginn der Fortbildung für einen Großteil der Fortzubildenden zu schwierig war. Am Ende der Fortbildung zeigte sich im Hinblick auf die Gruppenunterschiede ein ähnliches Bild wie zu Beginn der Fortbildung. Für alle getesteten Kompetenzbereiche zeigten sich deutliche Gruppenunterschiede von vier Fünfteln bis zu etwas mehr als einer Standardabweichung. Somit sind die Gruppenunterschiede in der Dimension „elektrische Anlagen und Systeme“ und „Grundlagen der Elektrotechnik“ stärker geworden als noch zu Beginn der Fortbildung.314 Dies bedeutet, dass es – mit Ausnahme der Fachwissensdimension „Steuerungstechnik“ – im Verlauf der Fortbildung zu einer weiteren Leistungsspreizung statt einer Leistungshomogenisierung gekommen ist. Die Leistungszuwächse sind bei den Fortzubildenden mit einem industriellen Ausbildungshintergrund stärker ausgeprägt als bei den Fortzubildenden mit einem Ausbildungshintergrund im Handwerk.315

Förderlich für diese Leistungszuwächse sind wie weitere Analysen belegen (hier nicht dargestellt, vgl. Nitzschke u. a. 2019) praktische berufliche Erfahrungen mit inhaltlich affinen Tätigkeiten wie beispielsweise „Fehler in elektrotechnischen Anlagen finden“ und „Maschinen warten und reparieren“. Erfahrungen mit Tätigkeiten, die keinen direkten Bezug zu den in den Tests enthaltenen fachlichen Aufgaben haben, wie beispielsweise „Projektplanungen und -auswertungen dokumentieren“ oder „Team- und Kundenbesprechungen durchführen“ zeigen hingegen keinen positiven Effekt auf die fachlichen Leistungen. Auch die reine Zeitdauer der beruflichen Erfahrungen stand nicht in einem positiven Zusammenhang mit den fachlichen Leistungen (vgl. Velten 2017).

Tabelle C2.2.1-1: Durchschnittliche Kompetenzausprägung in der Gruppe der Fortzubildenden mit Ausbildungshintergrund „Industrie“ und „Handwerk“ zu Beginn und am Ende der Fortbildung

Fazit

Die Ergebnisse zeigen, dass Personen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, d. h. unterschiedlichen abgeschlossenen Ausbildungen sowie unterschiedlichen Berufserfahrungen, in eine zweijährige vollzeitschulische Fortbildung zum/zur Techniker/-in für Elektrotechnik einmünden. Die fachliche Kompetenzentwicklung über den Fortbildungsverlauf weist zudem eher auf eine Verstärkung bereits vorhandener Leistungsunterschiede hin als auf eine Angleichung. Berufliche Erfahrungen wirken sich dann positiv auf die Leistungsentwicklung aus, wenn sie häufige fachspezifische Tätigkeiten umfassen. Diese Ergebnisse sprechen zum einen für die Notwendigkeit vorbereitender oder begleitender Unterstützungsangebote für diejenigen Fortzubildenden, die mit eher ungünstigen Voraussetzungen in die Fortbildung eingemündet sind. Zum anderen liefern sie Hinweise darauf, dass mehrjährige berufliche Erfahrungen nicht per se kompetenzförderlich sind und deren Bedeutung in Zulassungsverfahren diskutiert werden sollte.

(Stefanie Velten)

  • 311

    Für die Zulassung zur Meister- und Technikerfortbildung wird üblicherweise mindestens eine einjährige Berufserfahrung verlangt (vgl. Kultusministerkonferenz 2017e). Für die Zulassung zur Meisterprüfung in einem nicht der Erstausbildung entsprechenden Handwerksberuf kann eine maximal dreijährige Berufserfahrung in dem intendierten Handwerksbereich anerkannt werden (vgl. § 49 HwO). Bei der Zulassung zur Externenprüfung können solche Personen berücksichtigt werden, die mindestens das Eineinhalbfache der Zeit, die als Ausbildungszeit vorgeschrieben ist, d. h. in der Regel bei dreijährigen Ausbildungsberufen viereinhalb Jahre, in dem Beruf tätig waren, in dem sie die Prüfung ablegen wollen (vgl. § 37 HwO; § 45 BBiG).

  • 312

    Im Rahmen des Projekts wurde ausschließlich die Fachkompetenz in den Blick genommen. Soziale, kommunikative und weitere personenbezogene Kompetenzen wurden nicht berücksichtigt.

  • 313

    Die Schätzwerte wurden mithilfe des Raschmodells berechnet, sind auf 0 normiert und schwanken zumeist in einem Wertebereich von -3 bis +3.

  • 314

    Einschränkend muss an dieser Stelle betont werden, dass für die Auswertungen nur noch ein Teil der gezogenen Stichprobe verfügbar war. Die jeweiligen Mittelwerte der Kompetenzausprägungen zu Beginn und am Ende der Fortbildung sind nicht miteinander vergleichbar, da es sich hier um getrennte statistische Testskalierungen handelt.

  • 315

    Bei der Interpretation muss berücksichtigt werden, dass die Leistungsunterschiede nicht allein auf die Aus- und Fortbildung zurückzuführen sind, sondern dass bereits beim Übergang in die Ausbildung Selektionsprozesse eine große Rolle spielen (vgl. Nickolaus u. a. 2006).