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Umweltverschmutzung und Klimawandel bekommen zunehmende Aufmerksamkeit in der Gesellschaft. Viele Unternehmen greifen das auf und machen ihre Aktivitäten zur Nachhaltigkeit öffentlich. Dabei wird oft vernachlässigt, dass Nachhaltigkeit mehr ist als Umwelt- und Klimaschutz. Besonders Unternehmen müssen auch wirtschaftliche und soziale Anforderungen berücksichtigen, um zukunftsfähig zu bleiben – das gilt für große Konzerne ebenso wie für Kleinstbetriebe. Denn die Nachfrage nach ökologischen oder fair gehandelten Produkten steigt, und nicht erst seit „Fridays for Future“ werden solche Unternehmen für Jugendliche als potenzielle Ausbildungs- und Arbeitsplätze attraktiver, die verantwortungsvoll handeln und sich für Umwelt und Gesellschaft engagieren.

Für die Schaffung nachhaltiger Strukturen und Kompetenzen wird der Bildung eine besondere Bedeutung zugeschrieben (vgl. Deutscher Bundestag 2017). Vor allem der Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) kommt eine Schlüsselrolle zu: Die Arbeitswelt ist der entscheidende Ort, an dem sich Innovationen eines Transformationsprozesses vollziehen. So wird die Energiewende maßgeblich durch berufliche Facharbeit realisiert (vgl. Hemkes/Kuhlmeier/Vollmer 2013). Aber auch Handelsunternehmen können Einfluss auf die Entscheidungen und Gewohnheiten der Verbraucher nehmen. Möglichkeiten zur nachhaltige(re)n Gestaltung ergeben sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von der Produktion über den Transport bis zur Interaktion mit den Kunden am „Point of Sale“, also überall dort, wo der Kunde das Sortiment sieht und/oder Kundenberatung stattfindet.

Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE)

BBNE wird als lebensbegleitender Prozess und zentrales Element einer Bildung verstanden, die das Individuum befähigt, sich mit aktuellen und künftigen Herausforderungen in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen verantwortlich auseinanderzusetzen. Dabei gilt es, das berufliche Handeln an seinen intra- und intergenerativen Wirkungen der ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen orientieren zu können (vgl. Deutsche UNESCO-Kommission 2014; Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung & Bundesministerium für Bildung und Forschung 2017).

Kompetenzförderung als Schlüssel für nachhaltige Entwicklung 

Die Berufsbildung muss die dafür nötigen Kompetenzen fördern, aber auch Werte und Zielkonflikte einbeziehen. Sie sollte nicht nur isoliert Fachinhalte aufgreifen, wie z. B. Technologien der erneuerbaren Energien zu installieren. Denn die Installation von PV-Elementen könnten Auszubildende auch lernen, ohne sich deren Bedeutung für den Klimaschutz bewusst zu sein. BBNE ist damit immer auch Bewusstseinsbildung (vgl. Kuhlmeier u. a. 2017).

In der beruflichen Kompetenzentwicklung hat sich durchgesetzt, nicht allgemein vorzugehen, sondern den Fokus jeweils auf eine Domäne und deren konkrete Arbeits- und Geschäftsprozesse zu richten (vgl. Klieme u. a. 2003). Der BIBB-Förderschwerpunkt „Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung 2015-2019“ setzt mit seinen Modellversuchen zur nachhaltigkeitsorientierten Kompetenzentwicklung an dieser Stelle an (vgl. Srbeny/Hemkes 2017). Ein besonders gelungenes Beispiel ist dabei der Modellversuch „Inno-BBNE“ zu Nachhaltigkeit im Einzelhandel (vgl. Kapitel C2.2.3).

Die Modellversuche des BIBBs zur BBNE

Die Modellversuche im Förderschwerpunkt „Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) 2015-2019“ werden vom BIBB aus Mitteln des BMBF gefördert und fachlich begleitet. Die 18 Verbundprojekte sind in drei Förderlinien aufgeteilt mit jeweils eigener projektübergreifender wissenschaftlicher Begleitung. In zwölf Modellversuchen werden berufsspezifische nachhaltigkeitsorientierte Kompetenzen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung entwickelt und gefördert. Die Stärke der Modellversuche liegt in der Zusammenarbeit mit über 220 Unternehmen, Berufsschulen und überbetrieblichen Bildungsstätten sowie über 80 Kammern, Verbänden oder Gewerkschaften. So wurden verschiedene Weiterbildungen, Qualifizierungs-Curricula oder Lehr-Lern-Materialien entwickelt, in der Praxis erprobt und evaluiert. Weitere Informationen sowie eine zusammenfassende Darstellung der Produkte unter www.bbne.de.

Themen- und Kompetenzraster für BBNE im Handel

Das Ziel der wissenschaftlichen Begleitung der Förderlinie I im Förderschwerpunkt BBNE bestand darin, basierend auf den Ergebnissen der Modellversuche nachhaltigkeitsbezogene Handlungskompetenzen zur Mitgestaltung der Berufswelt und Gesellschaft in kaufmännischen Berufen abzuleiten und zu modellieren. Im Fokus standen vor allem Kaufleute im Groß- und Außenhandel, Kaufleute im Einzelhandel sowie Kaufleute für Spedition und Logistikdienstleistung. Im Ergebnis entstand ein Themen- und Kompetenzraster für BBNE im Handel, welches unmittelbar an das Kompetenzverständnis der gültigen Ordnungsmittel und des DQR/EQR anschlussfähig ist. Durch theoretische Analysen und die Reflexion der Praxiserfahrungen der Modellversuche wurden insgesamt 15 spezifische Themenfelder für BBNE im Handel hergeleitet und mit zugehörigen Kompetenzzielen sowie Inhalten hinterlegt Tabelle C2.2.2-1. Das Raster bildet eine zweidimensionale Kompetenzstruktur ab. Hierbei werden die Spalten entlang der X-Achse in drei Dimensionen nachhaltiger Handlungskompetenz in Anlehnung an die Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz als Fähigkeit zu sachgerecht nachhaltigem Handeln, gesellschaftlich verantwortlichem Handeln und sinnstiftenden befriedigendem Handeln aufgegliedert. Die Zeilen entlang der Y-Achse spiegeln drei Funktionsebenen wider, die von unmittelbar berufsspezifischen Handlungsfeldern der drei betrachteten Handelsberufe (kaufmännische Handelsfunktionen) über die betriebliche Problemebene bis zur gesellschaftlichen Einbindung reichen.

Tabelle C2.2.2-1: Themen- und Kompetenzraster für Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) im Handel

Die Titel der Zellen beschreiben, welche Inhalte auf welcher Funktionsebene in welchem Kompetenzbereich relevant werden. Im Feld Labels und Zertifizierung werden beispielsweise folgende Kompetenzen identifiziert: 

  • Auszubildende kennen die Nachhaltigkeitslabels und -zertifizierungen, die in ihrer Branche am relevantesten sind und kundenseitig am häufigsten nachgefragt werden. Sie können in kundenorientierter Sprache erklären, was die Labels über ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle Faktoren der Produktion aussagen (z. B. Öko, Bio, FairTrade, MSC, FSC, v-label, Halal …). 
  • Sie haben verstanden, dass Gütesiegel insbesondere bei solchen Gütern nachgefragt werden, die tendenziell fragwürdig sind. Sie kennen Beispiele für Qualitätssicherungsverfahren von Labels und können die Aussagekraft und Glaubwürdigkeit von Labels kritisch beurteilen (fragwürdige Zertifizierung: z. B. „nachhaltiges Palmöl“/RSPO). Sie können im Gespräch mit Kunden die gesellschaftliche Relevanz der unterschiedlichen Labels kommunizieren.

Hierbei ist von den Auszubildenden insbesondere soziale Kompetenz gefragt, da sich ihr kaufmännisches Handeln in der kritischen Beurteilung von Labels und Zertifizierungen im Zusammenhang mit einer gesellschaftlich-verantwortungsvollen Beratung am „Point of Sale“ ausdrückt. 

Vom Projekt zur Struktur

Problematisch gestaltet sich nach wie vor die Frage, wie sich die Erkenntnisse des durchgeführten Förderschwerpunkts in die Strukturen der beruflichen Bildung übertragen lassen. Zum Beispiel zeigt sich, dass BBNE in nur wenigen Ausbildungsordnungen explizit beschrieben wird (vgl. Otte/Singer-Brodowski 2018, S. 134ff.), auch wenn sich mittelfristig eine Wende abzeichnet. Der Nationale Aktionsplan BNE formuliert deshalb klare Ziele, um nachhaltigkeitsorientierte Kompetenzen in die Curricula zu integrieren, z. B. durch Berücksichtigung in zukünftigen Ordnungsverfahren oder einer entsprechenden Standardberufsbildposition (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung & Bundesministerium für Bildung und Forschung 2017, S. 49). 

Die Themen- und Kompetenzmatrix ist zur Unterstützung dieses Ziels im besonderen Maße geeignet. So konnten Kompetenzen und Inhalte identifiziert werden, die einzelne Berufsbildpositionen weiter konkretisieren bzw. erweitern. Tabelle C2.2.2-2 zeigt ein kurzes Beispiel zur Ausbildungsordnung „Kaufmann/-frau im Einzelhandel“ (VBA 2017).

Für die nachhaltigere Gestaltung der Ordnungsmittel, insbesondere in kaufmännischen Berufen, aber eben auch übertragbar in andere Branchen, lässt sich die Kompetenzmatrix also als Vorlage heranziehen. Inwiefern sie allerdings im Verfahren aufgegriffen wird, hängt maßgeblich von den Akteuren ab und wird sich in Zukunft zeigen. 

(Christian Melzig, Sören Schütt-Sayed – Universität Hamburg)

Tabelle C2.2.2-2: Beispiel für eine nachhaltigkeitsorientierte Konkretisierung zur Ausbildungsordnung „Kaufmann/-frau im Einzelhandel“